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Nutzungsrechte erwerbenDie kleinen Bundestagswahlen von Berlin
Freitag, 9. Februar 2024Von Florian Eder
Schnelldurchlauf:
Besuch bei Biden +++ Bürgerrechte 1, Geheimdienste 0 +++ Treue und neue Partner +++ Karneval in klug +++ Tiefgang: Die kleinen Bundestagswahlen von Berlin
Guten Morgen.
Unserer beginnt wie der gestrige Tag endete, in großer Sorge um eine Kollegin.
Was wichtig wird
Hoffen wir für Olaf Scholz, dass Joe Biden heute den richtigen Kanzler erwartet und begrüßt. Mittwoch erst schilderte der US-Präsident, wie er sich auf dem G7-Gipfel 2021 mit dem 2017 verstorbenen Helmut Kohl unterhielt. Emmanuel Macron hat er auch erst diese Woche mit François Mitterrand verwechselt.
Der Bundeskanzler ist heute in Washington. Wenn man Schilderungen aus Berlin glauben will, dann lief es etwa so, dass Biden und er beim Telefonieren neulich feststellten, sich länger nicht gesehen zu haben, und dann gleich in den Kalender schauten, um sich was auszumachen: Vielleicht ein Freitagfrüh, Joe, da ist es immer ein bisschen ruhiger?
Trump bestimmt die Tagesordnung: Der Besuch ist nicht nur zur Pflege des Bildes wichtig, der Kanzler sei mit dem US-Präsidenten eng. Nächste Woche ist ein Treffen der NATO-Verteidigungsminister. Es soll am Mittwoch wieder ein Treffen im Ramstein-Format vorgeschaltet werden. Übermorgen wählt Finnland ein neues Staatsoberhaupt. Heute in einer Woche beginnt die Münchner Sicherheitskonferenz – Donald Trump bestimmt die Agenda all dieser Ereignisse.
Arme Ukraine: Ob Trump im November gewählt wird oder nicht, auf sein Geheiß hin blockieren die Republikaner jetzt im Kongress Hilfen für die Ukraine. Die USA drohen – mindestens – in diesem Jahr auszufallen: Amerika hat die Ukraine fallen lassen. Das bilaterale Treffen wird Scholz nutzen wollen, um zu verstehen, wie groß die Chancen auf eine Einigung im Kongress noch sind.
So kann’s gehen: Es ist ein Thema, das Deutschland „besonders aufmerksam“ verfolgt, wie Regierungskreise ihre existenzielle Neugier nennen. Die Lage drängt Deutschland in die Rolle, in der sich niemand das Land wünschte, nicht Selenskyj, nicht Biden, Macron, und schon gar nicht Scholz: des Anführers der freien Welt.
E-Mails und Chats könnten bald gesetzlich deutlich besser vor unerwünschtem Mitlesen geschützt sein. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel ein Recht auf Verschlüsselung verankert. SZ Dossier liegt nun der entsprechende Referentenentwurf vor, der gestern Nachmittag in die Ressortabstimmung ging und ein Recht auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorsieht. Der Entwurf kommt aus dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV).
POV: Geheimdienste würden sagen, das Mitlesen von Mails und Chats könnte bald deutlich komplizierter werden. Mit dem geplanten Gesetz sollen E-Mail-Anbieter, Messenger und Chat-Programme dazu verpflichtet werden, ihre Dienste mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anzubieten oder zumindest keine technischen Hürden einzubauen, wenn Nutzerinnen und Nutzer Tools integrieren wollen, die sie sicherstellen.
Sicherheit für Dummies: Bisher können viele Nachrichteninhalte theoretisch von den Anbietern oder Dritten mitgelesen werden. Bei einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist das nicht so einfach möglich.
Nur: Die Ressortabstimmung könnte schwierig werden. Die Details kennen Leserinnen und Leser des Dossiers Digitalwende, das heute früh exklusiv darüber berichtet.
Die Grünen reagierten recht erleichtert auf Friedrich Merz’ Lagebild: Eine schwarz-grüne Koalition sei „auf jeden Fall eine Option“, sagte ihre Vorsitzende Ricarda Lang in eine Kamera der Welt und fügte an, sie habe eh nicht verstanden, wieso die CDU diese Möglichkeit je vom Tisch habe nehmen wollen. Die ersten Mutigen testen schon wieder eine Annäherung in Gesprächen.
Merz’sche Machtoptionen: Der Verdacht liegt allerdings nahe, dass Merz gar nicht mit den eigenen Leuten sprach und auch nicht mit Grünen und SPD, die er als mögliche Partner nannte, sollte es für schwarz-gelbe Bündnisse nicht reichen: sondern mit der FDP. „Die inhaltlichen Schnittmengen mit der Union sind viel größer und ich denke, dass eine schwarz-gelbe Koalition nach der nächsten Bundestagswahl unser Land wirtschaftlich besser wieder auf Kurs bringen könnte“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, vielleicht etwas zu treuherzig. Hatte Merz ihm und der FDP schließlich gerade zugerufen, er habe sie nicht aufgegeben – noch nicht: Ein CDU-Wahlkampf 2025 mit der Option schwarz-grün wäre einer um die Wähler, die der FDP noch bleiben.
Die CSU hingegen hat das Memo nicht bekommen: Dort sind die Grünen noch Hauptverantwortliche für alles, was abgeschafft und zurückgedreht werden soll, wenn man selbst einmal wieder regieren sollte. In Bayern hat sich die Partei auf diese Weise einen Koalitionspartner eingehandelt, der sich ein Ministergehalt dafür auszahlen lässt, zwischen Aschaffenburg und Aschau jede Bauerndemo zu besuchen und sich herzlich über die strategische Weitsicht der CSU zu freuen.
Die tun nur so. „In einer Welt des Als-Ob ist das Gegenteil der bisher für richtig und angemessen gehaltenen Politik ohne gedankliche Verwirrung und Verrenkung ebenso richtig und angemessen“, sagte Michael Hüther, der Direktor des in Köln ansässigen Instituts der deutschen Wirtschaft am Mittwochabend in Berlin. „Hat man das einmal erkannt, dann wird alles klar und transparent verständlich.“ Er lieferte einen recht schlüssigen Erklärungsansatz für das Agieren der Ampel.
„Wat e Theater, wat e Jeckespill“ steht auf dem Festabzeichen der Kölner Session 2024. Die politische Ausdeutung des Mottos besorgte Hüther: „Scholz regierte bis zum 15. November, als ob es haushaltspolitische Optionen für die freie Verwendung von Pandemiekrediten gebe, um dann, nach dem das Bundesverfassungsgericht dieses Als-Ob für nichtig erklärt hatte, so zu regieren, als ob man sparen können müsste“, sprach Hüther im Gaffelhaus, auf dem Jahresempfang seines Instituts.
Schopenhauer, fortgeschrieben: „Der Kunstgriff des Als-Ob schafft es, mit Leichtigkeit zu verwirren und ‘den Gegner’ – hier: Friedrich Merz – ‘zum Zorn zu reizen’“, sagte er, Schopenhauers Eristik einen weiteren Kunstgriff als Nummer 39 hinzufügend: Das Als-Ob „kann eine falsche Behauptung als richtig erscheinen lassen, weil nur das Gegenteil nicht ausgeschlossen wird – der paradoxe Schein der Umkehrung.“
Anders gewendet: „Sinn ist immer nur der Unsinn, den man unterlässt. Denn die Optionen des Als-Ob sind unendlich.“
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Tiefgang
Wie führt man einen Wahlkampf mitten in der Legislatur? „Es war anfangs sehr hektisch, denn wir mussten ja am 19. Dezember ganz schnell reagieren und einen Wahlkampf auf die Beine stellen“, sagte die Abgeordnete Ottilie Klein, türkisfarbener CDU-Schal, gestern am Rande einer Wahlkampfveranstaltung am Wittenbergplatz.
Im Dezember verkündete das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung, die Bundestagswahlen 2021 zumindest teilweise zu wiederholen. Das Ergebnis: viel Arbeit zwischen den Jahren, um dann im Januar plakatieren zu können. „Das ist der kürzeste Wahlkampf aller Zeiten. Ich glaube, das ist kaum jemandem bewusst“, sagte Klein, die im vergangenen Jahr zur Berliner CDU-Generalsekretärin aufstieg.
Und konkret? Enge Zusammenarbeit mit dem Konrad-Adenauer-Haus, klassische Wahlkampfplanung, Abstimmung der Messages. „Wir sind schnell ins Wahlkampf-Feeling gekommen mit dem Beginn der Plakatierungen“, sagte Klein. Das sei ein Startzeichen gewesen, auch für Bürgerinnen und Bürger.
Am Sonntag wird in der Hauptstadt wieder gewählt. In 455 von 2.256 Berliner Wahlbezirken sind 550.000 Berlinerinnen und Berliner zur Stimmabgabe aufgerufen. Das Ergebnis wird die Machtverhältnisse im Parlament nicht verändern, allerhöchstens werden – je nach Ergebnis und Wahlbeteiligung – zwei bis drei Mandate zwischen den Parteien neu verteilt.
Berlin aber kann ein Stimmungsbild liefern, so die Hoffnung oder Befürchtung, wen man eben fragt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ist besonders erpicht auf die Erwartung, die CDU könne von der Königin der Umfragen zur Siegerin der kleinen Bundestagswahl werden. Worum es gehe? Nicht um die Vorstellung, den Herbst 2021 zu simulieren. Sondern um ein Signal an die Ampel, „nicht mehr, nicht weniger.“
Was war passiert? Im Herbst 2021 fanden viele Wahlen gleichzeitig statt, zu viele für die überforderte Senatsverwaltung: Wahlen zu Bezirksverordnetenversammlungen, Abgeordnetenhaus und Bundestag, ein Volksentscheid. Der Berlin-Marathon legt traditionell auch ohne politisches Begleitprogramm die halbe Stadt lahm und so kam es also zu fehlenden Stimmzetteln, langen Wartezeiten, Missachtungen der Öffnungszeiten und in letzter Konsequenz zu einer angeordneten Teilwiederholung der Wahl.
Laufen lassen oder die Mängel heilen? Das Verfassungsgericht in seiner Weisheit entschied: erst lange das eine, dann wenig vom anderen.
Gewählt wird in allen zwölf Bundestagswahlkreisen. Doch während in Lichtenberg nur etwas mehr als vier Prozent der Unterwahlbezirke betroffen sind, sind es in Charlottenburg-Wilmersdorf 42 Prozent. Es gibt einige Wahlkreise, in denen prominente Politiker ihr Direktmandat verlieren könnten, etwa Michael Müller (er firmiert noch, einmal noch, auf den Wahlzetteln als Regierender, eine der Absurditäten des zu wiederholenden Wahlgangs) oder Kevin Kühnert, auch von der SPD. Beide wären durch die Landesliste abgesichert, aber der Nimbus, der Nimbus.
Knapper wird es dagegen für sieben Berliner Abgeordnete, darunter Ana-Maria Trăsnea (SPD), Nina Stahr (Grüne) und auch Klein. Sie könnten ihre Listenmandate und damit den Job verlieren, wenn sich die Berliner Zweitstimmen ihrer Partei oder aber die Wahlbeteiligung verändern. Und auch einige Nicht-Berliner Listenabgeordnete wie Jürgen Hardt (CDU) könnten noch aus dem Parlament fliegen.
Ottilie Klein, die für die CDU im Wahlbezirk Berlin-Mitte antritt, hat die verschiedenen Szenarien (hier eine Übersicht mit fast allen Möglichkeiten) explizit nicht durchgerechnet. „Ach, wissen Sie, ich kämpfe um jede Stimme und gebe alles“, sagte sie beim Wahlkampftermin gestern.
Da freut sich der Generalsekretär: „Ich konzentriere mich darauf, dass wir das beste Ergebnis für die CDU holen“, sagte Klein. Dass ein besseres Ergebnis ihrer Partei unter Umständen auch zu weniger Sitzen führen kann, ist eine der Absurditäten, die bei ihrem Haustürwahlkampf – die SZ-Kollegen Markus Balser und Boris Herrmann haben sie für die heutige Ausgabe begleitet – kaum zu vermitteln war.
Mandat oder nicht: Currywurst gab’s auf jeden Fall zum Ende des Einsatzes am Wittenbergplatz, und Linnemanns Gesellschaft noch dazu.
Fast übersehen
Gelungene PR: Seit Dienstag hat Deutschland ein neues nationales IT-Lagezentrum, wie zahlreiche Medien berichteten. Bundesinnenministerium und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hatten eine entsprechende Pressemitteilung mit Zitaten von Innenministerin Nancy Faeser verschickt. Das war gelungene PR von Faesers Leuten.
Neuer Anstrich: Ein nationales IT-Lagezentrum gab es schon im BSI, recherchierte meine Kollegin Selina Bettendorf für unser Dossier Digitalwende (hier Zugang anfragen). Die Infrastruktur sei aber bereits mehr als zehn Jahre alt und habe damit nicht mehr dem Stand der Technik entsprochen, erklärte eine BMI-Sprecherin. Die neuen Räumlichkeiten dagegen: nun mit „modernster Kommunikationstechnik“ ausgestattet, so so.
Ansonsten alles beim Alten: Faeser machte bei der Eröffnung in Bonn auf die Europawahlen aufmerksam, sprach von besserem Schutz vor Manipulation und Desinformation. Aber auch hier verändert sich wenig, denn für den Kampf gegen Desinformation bei Bundestags- und Europawahlen ist weiterhin Bundeswahlleiterin Ruth Brand zuständig. Ihr Sprecher sagte uns: „Da im Zuge der internen Umorganisation des BSI weder das BSI-Gesetz noch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift geändert wurde, bleibt die Zusammenarbeit insofern unverändert.“
Blaue Donau: Während die etablierte Konkurrenz der CSU die Lufthoheit über ihrem Passauer Stammtisch am kommenden Mittwoch überlässt und lieber anderswo Räume für ihre Aschermittwochs-Reden sucht, tritt das BSW samt Parteichefin ebendort an, in der Hauptstadt der gepflegten Politpöbelei, im Gasthaus Öller, ein paar Nummern kleiner als die Dreiländerhalle.
Niederbayern für Profis: Der politische Aschermittwoch ist auch die eine Gelegenheit des Jahres, die Schönheiten des Landstrichs wertzuschätzen, und wenn nur in Schnittbildern der Kollegen vom Fernsehen.
Wenn es also danach ginge: Deggendorf ist die eigentliche Perle an der Donau. Nun, dort haben die Freien Wähler sich eingebucht. In Landshut, wo die Grünen tagen, lässt sich mittelalterlicher Städtebau studieren, in Vilshofen (SPD) der für die weitere Gegend typische lange, schmale Stadtplatz. Osterhofen, na ja, zum Aschermittwoch der AfD würde man vielleicht eh nicht wollen.
Zitat des Tages
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Tod des Politikwissenschaftlers und Publizisten