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Nutzungsrechte erwerbenSöder und die K-Frage
Freitag, 15. März 2024Von Roman Deininger
Guten Morgen. Der Bundestag hat in dieser Woche eine ganz neue Form der politischen Auseinandersetzung kennengelernt: den Stierkampf. Er wolle „den Stier bei den Hörnern packen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Regierungsbefragung am Mittwoch – also ein für alle Mal erklären, warum er Nein sage zur Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine.
Taurus heißt Stier auf Latein – manchmal würde man sich wünschen, der Kanzler hätte vor Wortspielen eine ähnliche Scheu wie vor bestimmten Waffenlieferungen. Jedenfalls: Wenn man die Reaktionen auf Scholz’ Erklärung aus der Union, aber auch von seinen grünen und liberalen Partnern beobachtet hat, besteht kein Zweifel: Dieser Stierkampf geht weiter, und in der Sache steht hinter dem Kanzler praktisch nur noch seine SPD.
Um Raketen ging es dieser Tage auch in Bayern. Aber während in Berlin um die Lösung sehr irdischer Krisen gerungen wird, setzt Markus Söder (CSU) seine Ziele höher. Der Ministerpräsident hat den Mond im Blick. Am Mittwoch besuchte er das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. Dort soll, ganz ernst- und sinnhaft, ein Kontrollzentrum für künftige europäische Mondmissionen entstehen.
Er selbst wolle nicht zum Mond fliegen, beteuerte Science-Fiction-Enthusiast Söder. Aber wohin will er dann? Söders politischer Ehrgeiz wird uns später noch beschäftigen. Das Kanzleramt ist als Destination zwar nicht wahrscheinlich – aber keinesfalls ausgeschlossen.
Herzlich willkommen bei dieser Ausgabe vom Platz der Republik. Mein Name ist Roman Deininger und ich habe das große Vergnügen, heute meinen Kollegen Florian Eder vertreten zu dürfen.
Was wichtig wird
Olaf Scholz hat in dieser Woche nicht nur Stierkämpfe geführt, sondern auch einen regen Besucherverkehr im Kanzleramt bewältigt. Mit militärischen Ehren hieß er Staats- und Regierungschefs aus Malaysia, Thailand und von den Philippinen willkommen. Wichtige Begegnungen mit asiatischen Partnern, schließlich will die Ampel die Abhängigkeit von China reduzieren. Doch die bedeutendste Zusammenkunft steht erst an diesem Freitag im Kanzlerkalender.
Weimar is back: Gleich zwei Gäste darf Scholz begrüßen, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Deutschland, Frankreich, Polen: Das ist das Weimarer Dreieck, ein Dialogformat, das seit 1991 den Namen seines Thüringer Gründungsorts trägt. Eine ganze Weile hat das Dreieck ein kühles Schattendasein geführt, was nicht nur daran lag, dass in Polen von 2015 bis 2023 mit der nationalkonservativen PiS eine Partei regierte, deren Spezialität nicht der Dialog war. Sondern schon auch am gepflegten Desinteresse der deutschen Seite – und am manchmal nicht mal gepflegten Desinteresse der französischen.
Nun ist Polen zurück in Europa, zurück im Dreieck, und der Zeitpunkt könnte kaum günstiger sein. Nicht ausgeschlossen, dass sich Tusk in Berlin auch mal wie der Therapeut vorkommt, der das lädierte Verhältnis von Scholz und Macron reparieren soll. Die beiden haben zuletzt eindrücklich vorgeführt, dass die ebenso romantische wie alte These, Deutsche und Franzosen allein könnten der Motor der EU sein, längst als widerlegt gelten muss.
Das neue Europa braucht einen Kern von Führungsstaaten. Dass zu diesem Kern zwingend eine starke Stimme aus Osteuropa gehören muss, hat der russische Krieg gegen die Ukraine klargemacht (man hätte es natürlich auch früher kapieren können). Während Scholz heute in Berlin seine Gäste empfängt, beginnt in Russland die Präsidentenwahl; so richtig spannend ist die Sache nicht. Scholz, Macron und Tusk dürften dieses Timing als Verpflichtung verstehen, endlich mal wieder die Einigkeit Europas zu demonstrieren.
Am Wochenende steigt Scholz dann wieder selbst in den Regierungsflieger, es geht zu Gesprächen nach Israel und Jordanien.
Der denkwürdigste Moment der Sitzungswoche war wohl am Mittwoch der Stierkampf, pardon, das Wortgefecht zwischen Scholz und CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Röttgen, der in der Regierungsbefragung des Kanzlers eine Frage stellte, bekam ab, was für Scholz' Verhältnisse eine Eruption von Ärger war.
Halbwissen: Was denn in puncto Kriegsbeteiligung der Unterschied sei zwischen der Lieferung von Marschflugkörpern durch Frankreich und Großbritannien einerseits und Deutschland andererseits, fragte Röttgen. Scholz, im Angriffsmodus, sagte, hier werde mit Halbwahrheiten gearbeitet. Niemand habe gesagt, dass die Lieferung eine Kriegsbeteiligung bedeute.
Sonderwissen: Dann wechselte Scholz plötzlich ins Du, sprach den „lieben Norbert“ direkt an. „Was mich aber ärgert: dass Du alles weißt“, sagte Scholz, und Röttgen dennoch eine gegenteilige „öffentliche Kommunikation“ betreibe – aufbauend darauf, dass sein Wissen nicht öffentlich werde. Röttgen, leicht konsterniert, wies die Vorwürfe zurück: „Sie spielen nicht mit klaren Karten und zielen darauf ab, die Öffentlichkeit in dieser Frage zu täuschen.“
Unwissen: Per X-Post legte Röttgen gestern nach. Er habe kein Sonderwissen, aber indem der Kanzler das behauptet habe, gebe es nun ein neues Thema in der Debatte. „Denn anscheinend gibt es Sonderwissen, das wir, die Grünen, FDP & die Außenministerin nicht kennen“, so Röttgen. Zur Seite sprang ihm dabei übrigens Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). „Ich weiß auch nicht, was Herr Scholz da gemeint haben könnte. Diese Unterstellung ist schon starker Tobak. Es gibt nur Fakten und die liegen glasklar auf dem Tisch“, sagte sie.
Drei Lektionen: Gestern diskutierte der Bundestag den Taurus-Antrag, den die Union auch auf Anraten von Wolfgang Kubicki – Sie erinnern sich – eingebracht hatte. Neben den üblichen Argumenten und den üblichen Lagern – CDU, Grüne und FDP waren sich in der Sache einig – stechen vor allem drei Dinge heraus: Kubicki hat sich verrechnet, lehnten doch mehr Unionsabgeordnete den Antrag ab (unter anderem der ehemalige Generalsekretär Mario Czaja), als Ampel-MdBs zustimmten (nämlich nur Kubicki und Strack-Zimmermann); die taktischen Überlegungen der Union führten ins Leere, denn die Ampel springt bei aller Uneinigkeit offenbar nicht über jedes Stöckchen; und die Debatte ist immer noch nicht vorbei, weil der Druck der Grünen und der FDP auf den Friedenskanzler zunehmen dürfte.
Selbst in der eigenen Koalition wird es einsam um Scholz, analysiert mein Kollege Daniel Brössler in der SZ.
Der Bundestag macht sich Gedanken darüber, wie man das Hohe Haus und seine Mitarbeiter besser vor Extremismus schützen kann. Nachdem Recherchen des Bayerischen Rundfunks in dieser Woche offengelegt hatten, dass die AfD im Bundestag über 100 Rechtsextremisten beschäftigt, fanden Abgeordnete fraktionsübergreifend klare Worte und forderten Konsequenzen.
Großer Handlungsbedarf: Konstantin von Notz, Grünen-Innenpolitiker und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, schätzt den Handlungsbedarf als groß ein. „Deshalb befassen sich die zuständigen Gremien aktuell mit dem Ausbau der rechtlichen Möglichkeiten, um dieser immanenten Gefahr für unsere parlamentarische Demokratie angemessen zu begegnen“, sagte von Notz SZ Dossier. „Angestellte der AfD sind teilweise Mitglieder der Jungen Alternative, der Identitären Bewegung und des Vereins Ein Prozent. Sie sind bestens vernetzt in die organisierte rechtsextreme Szene. Auch werden gewaltbereite rechtsextreme Akteure in zahlreichen Büros beschäftigt“, so von Notz. Der Zugang zu den Liegenschaften des Bundestages, vor allem aber zu sensiblen Informationen, sei eine ernstzunehmende Bedrohung.
Schärfere Sicherheitschecks: Derzeit kann die Bundestagspolizei bei der Sicherheitsprüfung nicht auf Daten des Verfassungsschutzes zugreifen und damit Extremisten nur schwer erkennen. Sollte man das ändern? Das Ziel müsse sein, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Stephan Thomae, Extremisten, die ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen, auch zuverlässig zu erkennen und dann die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. „Darüber müssen wir jetzt beraten“, so Thomae. „Im vergangenen Jahr wurden die Hausordnung sowie die Zutrittsregelung bereits deutlich verschärft. Ob dies angesichts der jüngsten Enthüllungen ausreichend ist, um den Deutschen Bundestag umfänglich zu schützen, muss jetzt ergebnisoffen in den zuständigen Gremien geprüft werden.“
Keine Gesinnungsprüfung: Maja Wallstein (SPD) sagte, dass Menschen, die in Organisationen und Vereinen aktiv sind, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft sind, nicht über Hausausweise und freien Zugang in das Zentrum unserer Demokratie verfügen sollten. „Dabei geht es nicht um eine Gesinnungsprüfung, sondern darum auszuschließen, dass dienstliche Informationen missbraucht werden“, so Wallstein. Die AfD-Mitarbeitenden stellen laut der SPD-Abgeordneten ein Sicherheitsrisiko dar. Nicht nur für das Parlament und die sensiblen Informationen, sondern auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Abgeordneten und die Demokratie als solche. „Die bisherigen Prüfungen reichen offensichtlich nicht aus. Denkbar wären entsprechende Sicherheitsüberprüfungen wie bei einer Einstellung beim BKA“, sagte Wallstein.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gefordert: „Sollte sich dieser Pressebericht bewahrheiten, muss Frau Bas umgehend handeln. Es wäre absolut inakzeptabel, wenn die AfD Rechtsextremisten beschäftigt“, sagte Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Es sei zudem entlarvend, sollten tatsächlich Personen bei der AfD beschäftigt sein, die von der Partei zuvor wegen extremistischer Umtriebe offiziell ausgeschlossen worden sind. „Wir dulden im Deutschen Bundestag keine Extremisten“, sagte Frei.
Hohe Hürden: Die im Grundgesetz geregelte Freiheit des Abgeordnetenmandats überlässt den Parlamentariern die Entscheidung, wen sie einstellen – die Bundestagsverwaltung übernimmt lediglich die Bezahlung. Überlegt wird daher nun auch, Extremisten von dieser Bezahlung auszuschließen. Dann müssten sich die Abgeordneten selbst darum kümmern. Die Bundestagsverwaltung ließ eine Anfrage von SZ Dossier bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Apropos rechte Netzwerke: Wie meine SZ-Kollegen recherchiert haben, hat Gloria von Thurn und Taxis im Sommer 2023 mit Hans-Georg Maaßen zum Spendendinner eingeladen. Nicht nur die Werteunion kam, sondern auch so manche Gäste, die sich später in Potsdam erneut treffen sollten. Mehr lesen Sie hier.
Union und Ampel unterhalten sich wieder darüber, wie man das Bundesverfassungsgericht besser vor Extremisten schützen kann. Wie das Bundesjustizministerium SZ Dossier mitteilte, hat in dieser Woche ein Gespräch zwischen Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Vertretern der Union stattgefunden. CDU und CSU hatten erneute Bereitschaft signalisiert, nachdem eine erste Gesprächsrunde im Februar geplatzt war.
Was passiert war: Es war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der forderte, das Verfassungsgericht „wetterfest“ zu machen, um „es vor möglichen Angriffen auf seine Unabhängigkeit zu schützen.“ Die Ampel würde sich gerne eine Grundgesetzänderung überlegen, um Regeln zur Wahl und zur Amtszeit von Verfassungsrichtern dort zu verankern. Hierfür braucht sie jedoch eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat – und damit die Union.
Die Situation ist ernst: „Ich begrüße es sehr, dass die Union wieder für Gespräche zur Verfügung steht. Die vorschnelle Absage war für mich jedenfalls nicht nachvollziehbar“, sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese SZ Dossier. Wichtig sei, dass es jetzt weitergehe, die Situation sei ernst. „Wir beraten eine Reihe von Maßnahmen, die zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts geeignet sind“, so Wiese.
Der nächste Schritt: Gespräche zwischen den Union- und Ampelfraktionen. „Ich hoffe, dass es bald wieder Gespräche dazu gibt. Mir ist aber bisher kein neuer Gesprächstermin bekannt“, sagte der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen SZ Dossier. Die bisherigen Gespräche habe er als konstruktiv erlebt. Warum die Union ihre Meinung geändert hat? „Ich denke, Herr Merz hat die negative Reaktion der Öffentlichkeit, aber sicher auch den Widerspruch der Fachpolitiker innerhalb seiner Fraktion unterschätzt. Der Schutz des Verfassungsgerichts eignet sich nicht zur Politisierung.“
BVerfG approved: Andrea Lindholz, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und unionsseitig zuständig für die Beratungen, wollte sich nicht zu dem Thema äußern. Unterstützung für die Initiative kommt vom Verfassungsgericht selbst. Wie der Präsident des höchsten deutschen Gerichts, Stephan Harbarth, sagte, sei ein besserer Schutz des Verfassungsgerichts vor Einflussnahme durch Extremisten kein einfaches Unterfangen. Die Fragen zu dem Thema seien alles andere als trivial – der Ball liege jetzt in Berlin.
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Tiefgang
Zu meinen härtesten, aber auch kurzweiligsten Pflichten bei der SZ gehört seit vielen Jahren die Begleitung von Markus Söder. In letzter Zeit stellen mir Kollegen und Freunde wieder häufiger eine Frage, die man seit 2021 für abschließend beantwortet halten könnte: Hat Söder eine Chance, Kanzlerkandidat der Union zu werden? Bei einigen höre ich da einen bangen Unterton heraus. Ich erkläre dann immer möglichst schonend, dass es für Entwarnung keinen Anlass gibt.
Klar, inzwischen spricht vieles für Friedrich Merz. Die guten Umfragezahlen der Union, seine verbesserten persönlichen Zustimmungswerte, seine schnittigen Auftritte als Oppositionsführer im Bundestag, die Neuaufstellung der CDU-Parteizentrale. Und natürlich eine Art Erstzugriffsrecht als Chef der größeren Unionsschwester. Die Kanzlerkandidatur ist his to lose, würden die Amerikaner sagen: Merz muss schon selbst etwas falsch machen, um das Ding zu verlieren. Dazu gleich mehr.
Jetzt bitte nicht lachen: Söder meint den Satz „Mein Platz ist in Bayern“ wahrscheinlich sogar ernst. In dem Sinn, dass er auf die Kanzlerschaft nie hingearbeitet hat, so wie einst auf das Ministerpräsidentenamt. Er besitzt, so nehme ich das zumindest wahr, keinen Masterplan in der K-Frage – er besaß auch 2021 keinen (was ihn womöglich seinen Platz in Berlin gekostet hat). Seitdem hat er erschütternd wenig Energie darauf verwandt, seine strapazierten Beziehungen in die CDU zu pflegen. Trotzdem hält er die Tür für sich einen winzigen Spalt breit offen. Weil das sein Gewicht in der Union maximiert, und weil ihm die Kandidatur ja doch noch zufallen könnte.
Ich habe Söder als Politiker kennengelernt, der von allzu gewissen Prognosen nichts hält. Es gab ja Leute, die vergangenen Sommer meinten, Merz sei nach seiner spektakulären Serie an Fehltritten nicht mehr vermittelbar. Längst überholt. Oder die Wüst-Dynamik im Herbst: längst verflogen. Söder begreift das politische Leben als stete Folge von Momentaufnahmen – und nur der Moment der Entscheidung zählt. Bis zum Spätsommer kann Merz noch über mindestens drei Hürden stolpern: die Sachsen-Wahl, die Thüringen-Wahl und, nicht zu vergessen, die eigenen Füße.
Wahrscheinlich ist das nicht, zumal Merz ja zu erstaunlicher Resilienz gefunden hat. Merz und Hendrik Wüst müssten sich gegenseitig blockieren, damit die CDU die bayerische Verwandtschaft zur Rettung ruft. Doch Söders Erfahrung ist nun mal, dass schon verrücktere Dinge passiert sind. Und dass sich am Ende meistens Stärke durchsetzt. Aktuell sind seine persönlichen Zustimmungswerte im Schnitt etwas besser als die von Wüst und Merz.
Was wäre, wenn die Umfragen ihn im Sommer klar als aussichtsreichsten Kandidaten auswiesen? Dann würden vielleicht sogar CDU-Leute, die ihm die hingebungsvolle Sabotage des K-Aspiranten Laschet nachtragen, ganz pragmatisch auf seine Stärke wetten. In diesem Fall würde man gern Mäuschen spielen, wenn Söder und Merz sich zum entscheidenden Vier-Augen-Gespräch treffen.
Aber will Söder überhaupt Kanzler werden? Okay, von großen inhaltlichen Visionen war der Mann noch nie geplagt. Aber bevor es ein anderer macht... Dazu kommt: Viele politische Beobachter in München haben den Eindruck, dass ihm das schöne Bayern auf Dauer vielleicht doch zu klein werden könnte. An diesem Freitag reist der Ministerpräsident nach Belgrad, um den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić zu treffen – sicher ein Termin nach seinem Geschmack (und keiner, um den er betteln musste). Söder war in seiner Karriere immer in Bewegung, immer auf dem Sprung. Einer mit seinem Selbstbewusstsein misst sich eigentlich nicht an Hubert Aiwanger. Sondern eher an Olaf Scholz.
2021 habe ich mal geschrieben, dass es sich mit Söder und der Macht so verhält wie mit dem Hund und der Wurst: Sobald die Wurst in Reichweite liegt, ist es keine freie Entscheidung mehr für den Hund. Ich glaube nicht, dass sich das geändert hat.
Fast übersehen
Meanwhile in Brüssel: Während sich die Ampel im Taurus-Streit zerlegt, blickt man in Brüssel zunehmend schulterzuckend auf Berlin. Im Rat der EU wurden diese Woche gleich zwei deutsche Enthaltungen, die in Brüssel wie eine Gegenstimme zählen, überstimmt. Am Montag ging es um Arbeitsnormen für Online-Plattformen, am Mittwoch um ein EU-Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit.
Warum das wichtig ist: Berlin musste sich bei den Abstimmungen enthalten, weil sich die Ampel (mal wieder) nicht auf eine Position einigen konnte. Während SPD und Grüne für die EU-Verordnungen waren, war die FDP dagegen. Entscheidungen im Ministerrat müssen mit einer qualifizierten Mehrheit getroffen werden. Heißt: 15 der 27 EU-Staaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, müssen zustimmen.
Shots fired: Zuletzt hat Deutschland häufiger eine Blockadehaltung eingenommen, doch diese scheint nun an Wirkung zu verlieren, und auch in der Koalition kommt Frust auf. Dass die Entscheidungen oft als kurzfristig wahrgenommen werde, das solle von den zuständigen Ministerien in Zukunft vermieden werden, sagte Christian Petry, europapolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, SZ Dossier. „Zudem sollte, wer sich in der Innenpolitik nicht durchsetzen kann, Europa nicht als Spielfeld wählen“, so Petry. Ähnlich scharf äußerte sich sein Parteikollege Markus Töns: „Die Situationen zeigen die fehlenden europapolitischen Kompetenzen in den Fachministerien auf und damit eine Unfähigkeit, auf europäischer Eben zu agieren.“
Die deutsche Position: Dennoch bleibe die deutsche Position in europäischen Angelegenheiten eine sehr starke, sagte Petry. Eine Enthaltung sei am Ende nun mal weniger aussagekräftig als ein entscheidendes Votum. Das sieht Anton Hofreiter (Grüne) anders. „Leider beteiligt sich die FDP regelmäßig nicht konstruktiv an diesem Verfahren, sondern greift im letzten Moment ein, um einen Beschluss auf europäischer Ebene zu verhindern“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses SZ Dossier. Die FDP verhindere, dass Deutschland seine Interessen durchsetzen könne – das schade massiv der deutschen Glaubwürdigkeit.
Erst Inhalt, dann Abstimmung: Und was entgegnet die FDP den Vorwürfen? „Das ist Demokratie und damit müssen wir leben. Die Verhandlungsposition von Deutschland auf der EU-Ebene wird das aus meiner Sicht nicht beeinflussen“, sagte die FDP-Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch SZ Dossier. Man könne nicht erwarten, dass Berlin einer Sache zustimme oder eine Sache ablehne, bevor man nicht den finalen Inhalt kenne. Ein Problem sei, dass europapolitische Themen in Deutschland oft erst viel zu spät diskutiert werden.
Die Opposition sieht Scholz in der Verantwortung. „Es ist insbesondere ein Zeichen von mangelnder Führungsstärke von Bundeskanzler Scholz, wenn es der Regierungskoalition nicht gelingt, in Brüssel verlässlich und mit einer Stimme zu sprechen“, sagte der CDU-Abgeordnete Ralph Brinkhaus SZ Dossier. Das zeige, dass Deutschland viel an Reputation verspielt habe. „Das ist schlecht für Deutschland, aber noch schlechter für Europa. Denn Deutschland ist unter Bundeskanzler Scholz nicht mehr der Stabilitätsanker in der Europäischen Union.“
Ähnlich äußerte sich Hofreiter: Für eine funktionierende Regierung sei es entscheidend, dass man sich an einmal gefundene Kompromisse auch halte. „Dafür braucht es an der Spitze ein Kanzleramt, das über diese Kompromisse wacht und den Laden zusammenhält.“
Fortsetzung folgt: Heute stehen in Brüssel die EU-Verpackungsverordnung und das EU-Lieferkettengesetz auf der Tagesordnung. Laut Medienberichten soll sich Deutschland wieder enthalten, in beiden Fällen. Und wieder wird es voraussichtlich auch ohne Deutschland für eine qualifizierte Mehrheit reichen, in beiden Fällen. Der Grund: Italien, das nun doch für beide EU-Vorhaben stimmen soll.
Neues von der Polizei: Gestern wurde nicht nur Uli Grötsch (SPD) zum ersten Polizeibeauftragten ernannt, es fand auch die erste Lesung zum neuen Bundespolizeigesetz statt. Das aktuelle Gesetz ist nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit – Stand 1994. Während heute vor allem die Gefahren im digitalen Raum steigen, war das Internet damals tatsächlich noch Neuland. Mit dem neuen Gesetz soll die Bundespolizei erweiterte Möglichkeiten bekommen, Telekommunikation zu überwachen und Verkehrs- und Nutzungsdaten zu erheben.
Digitalisierung hakt: Das große Digitalisierungsprojekt der Polizei ist aber P20, worüber meine Kollegin Selina Bettendorf diese Woche in unserem Dossier Digitalwende berichtete (hier kostenlos testen). 403,2 Millionen Euro hat der Bund bisher für P20 ausgegeben – das erfuhr SZ Dossier vom zuständigen Innenministerium. Die aktuell rund 1100 polizeilichen IT-Anwendungen sollen vereinheitlicht und zusammengeführt werden. Am Ende entscheidet der Erfolg dieses Vorhabens über die Digitalisierung der Polizei in Deutschland. Doch es hakt an diversen Stellen.
Eine der vielen Fragen: Welche Unternehmen sollen an dem Projekt beteiligt werden? Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich im vergangenen Jahr gegen das umstrittene US-Unternehmen Palantir ausgesprochen, das sich auf Big Data im Sicherheitsbereich spezialisiert hat. Deren Software, meinen Kritikerinnen und Kritiker, könnte Predictive Policing ermöglichen. Vereinfacht gesagt: die Vorhersage von Kriminalität auf Basis von Datensätzen – was, so die Kritiker, Vorurteile gegen bestimmte Gruppen noch verstärken könnte.
P30 statt P20? Ende vergangenen Jahres wurde ein Schreiben eines Konsortiums deutscher Unternehmen mit Beteiligung von Aleph Alpha bekannt. Das Konsortium wollte P20 mit dem Bund umsetzen. Innerhalb eines Jahres, so die Unternehmen, könne man mit der Testphase einer Analyseplattform beginnen. Doch wie SZ Dossier in Erfahrung bringen konnte, hat sich das Innenministerium nicht für dieses Konsortium entschieden. Der Name P20 war übrigens mal eine Ansage: 2020 sollte das Projekt abgeschlossen sein. Nun rechnet man mit frühestens 2030.
Zitat des Tages
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) über die Einführung des „Tierwohlcents” als Verbrauchssteuer auf Fleischprodukte
Für Sie gelesen
Man kann darüber streiten, ob die Welt einen satirischen Schlüsselroman über den Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer gebraucht hätte. Der Österreicher Wolfgang Ainetter, drei Jahre lang Scheuers Sprecher, hat ihn jedenfalls geschrieben. Und „Geheimnisse, Lügen und andere Währungen“ (Haymon Verlag) ist sehr unterhaltsam geworden.
Krimi im Regierungsviertel: Das Buch ist zunächst mal eine heitere, dabei stets gallige Milieustudie der Hauptstadtszene zwischen Bundestag und Borchardt. Die Krimihandlung, die Ainetter sich ausgedacht hat (schikanöser Ministerialdirigent wird von Unbekannten entführt), bildet nur den Rahmen, in dem sich jede Menge skurrile Geschöpfe des Politikbetriebs tummeln können.
🤷🏻♂️ Ainetter besteht zwar darauf, dass seine Figuren nur „in der Halluzination des Autors existieren“. Aber wer könnte wohl der „Bundesfiaskominister“ und „Mann des Partyvolkes“ sein, zu dessen größten politischen Erfolgen der Sieg beim Bürostuhl-Rennen am Tag der offenen Tür gehört? Mehr Details habe ich heute in der SZ aufgeschrieben.
Sein Buch sei keine Abrechnung mit seinem früheren Chef Scheuer, beteuert Ainetter – auch wenn es sich in einigen Passagen genau so liest. Einmal fasst der fiktive Minister besoffen einer Kellnerin „von hinten an die Brüste“ – es ist nicht die einzige Stelle, an der man schon gerne genauer wüsste, wo die reale Inspiration aufhört und die böse Erfindung beginnt.
Zu guter Letzt
Die Grünen hatten diese Woche wieder mal mit Bürgerwut zu kämpfen. Nein, keine Traktorblockaden diesmal. Dieser Protest war in jeder Beziehung überraschend.
Es traf die 58 Grünen-Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag, ihre Postfächer wurden von Spam-Mails geflutet. In Stuttgart ist von einem koordinierten Angriff die Rede. Die Landtags-IT musste eingreifen. Und wer steckte dahinter? Cannabis-Fans! Eigentlich: treuestes Grünen-Publikum.
Zum 1. April soll die Droge in Teilen legal werden, das hat der Bundestag beschlossen. Die Cannabis-Aktivisten beklagen aber, dass einige Länder den Zeitplan verzögern wollen. Die grün-schwarze Koalition von Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehört dazu.
In der Stuttgarter Königstraße hängt gerade ein Plakat, auf dem Photoshop-kundige Hanf-Freunde Kretschmann eine Polizeimütze aufgesetzt haben. Daneben der Slogan: „Er blockiert das Cannabisgesetz.“ Dass jedoch viele der attackierten Grünen-Abgeordneten für das Gesetz sind – so viel Differenzierung kann man von berauschten Cyberkriegern wohl nicht erwarten.