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Nutzungsrechte erwerbenEuropa ringt um Chinapolitik
Freitag, 10. Mai 2024Von Florian Eder
Guten Morgen. Am Wochenende ist das ESC-Finale, früher ein unbeschwertes Wettsingen. Politisiert ist der Wettbewerb schon länger, aber diesmal spielen gleich beide Kriege eine Rolle.
Ein paar Tausend Menschen machten gestern den Anfang mit einer Demo gegen Israels Teilnahme, Greta Thunberg vorne mit dabei. Die Frage ist: Wie schlimm antisemitisch wird die ganze Veranstaltung, die noch dazu in Malmö stattfindet, wo Judenhass keinen Anlass braucht?
Dixit Isaak, der deutsche Vertreter: „Mir wird vorgeworfen, wenn ich den ESC nicht boykottiere, sei ich Mittäter am Genozid in Gaza“, sagte er neulich dem ZDF. „Jetzt reißt euch mal zusammen, Leute, habt ihr Lack gesoffen?“
Was wichtig wird
Nach der Drohung von US-Präsident Joe Biden mit einem Stopp von Waffenlieferungen an Israel für den Fall eines Einmarschs in Rafah kommt auf die Bundesregierung eine weitere Debatte über Rüstungshilfe an Freunde zu. Deutschland ist Israels zweitgrößter Waffenlieferant.
Stand der Dinge: Die Bundesregierung hat seit Monaten keine Kriegswaffen an Israel geliefert, noch länger keine, die für den Einsatz in Gaza geeignet wäre; das wissen wir seit dem Verfahren gegen Berlin vor dem Internationalen Strafgerichtshof neulich. Beizeiten wird sie sich auch öffentlich dazu verhalten müssen, wie sie künftig vorgehen will.
Wenn reden nichts hilft: Es ist das erste Mal, dass US-Präsident Joe Biden seine Unzufriedenheit mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu in Taten zeigt. Mit Worten hat er den Verbündeten oft kritisiert; ein Trost vielleicht für Außenministerin Annalena Baerbock, dass sie nicht die einzige ist, deren wiederholte Appelle, auf einen Einmarsch in Rafah zu verzichten, ungehört blieben.
Disziplinarmaßnahme, aber kein Wendepunkt: Die Lieferung von 3500 US-Bomben an Israel war schon vor der Drohung auf Eis gelegt. „Zivilisten wurden in Gaza als Folge dieser Bomben getötet“, sagte Biden, dies erstmals anerkennend. Andere Waffen liefern die USA weiterhin, sie garantieren weiter Israels Sicherheit, auch über das Raketenabwehrsystem Iron Dome.
Sparen soll die Regierung am ehesten bei der Entwicklungshilfe, sagen 33 Prozent aller Wählerinnen und Wähler. Das zeigt eine neue YouGov-Umfrage für den Platz der Republik. Die repräsentative Befragung fand unter wahlberechtigten Personen zwischen dem 3. und 8. Mai statt.
Bildung, Sicherheit, Soziales: Wenn es nach den Befragten geht, stünde mit 14 Prozent die klimaneutrale Transformation auf der Sparliste. An Bildung (drei Prozent), innere Sicherheit (vier Prozent) und Soziales (acht Prozent) wollen die wenigsten ran. 20 Prozent sagen, es solle „ein anderer Bereich“ herhalten.
Unterschiede gibt es bei der Parteizugehörigkeit. Bis auf die Grünen-Wähler würde die Mehrheit aller Parteianhänger am ehesten die Entwicklungszusammenarbeit kürzen. Mehr als jeder vierte AfD-Wähler würde am ehesten bei der klimaneutralen Transformation sparen, und auch jeder fünfte FDP-Wähler. Grüne und Linke sahen deutlich mehr Sparpotenzial im Verteidigungshaushalt als SPD- und Unions-Wähler.
Eine Frage des Alters? Je älter die Befragten, desto eher wollen sie an der Entwicklungszusammenarbeit sparen. Je jünger sie sind, desto eher würden sie bei der inneren Sicherheit und Verteidigung sparen.
Durch Finnlands Nato-Beitritt hat sich die Länge der gemeinsamen Grenze des Bündnisses mit Russland verdoppelt. In Fragen der nationalen Sicherheit kennen die Finnen sich aus. Ihr Konsens, eine liberale Gesellschaft, Freiheit und Demokratie verteidigen zu müssen und zu wollen, beschränkt sich nicht auf warme Worte.
Antrittsbesuch: Alexander Stubb, der neue Staatspräsident, war diese Woche in Berlin und berichtete in der ihm eigenen Bescheidenheit von finnischer Sicherheitspolitik als dem „effektivsten Weg, auf die Bedrohungen der Zeit nach dem Kalten Krieg zu antworten“. Stubb sagte bei einem Auftritt an der Hertie School: „Sicherheit ist keine exklusive Kompetenz von Militär und Polizei. Es geht um mehr als den Einsatz von Gewalt.“
Um Versorgungssicherheit geht es auch: „Der Krieg wird an der Front gekämpft, aber gewonnen wird er, indem die Gesellschaft am Laufen gehalten wird“, sagte Stubb. Eine nationale Agentur für Notfall und Nachschub sorgt dafür. Internationale Zusammenarbeit ist ein anderes Element der Sicherheitsstrategie.
Sicherheitsbriefing: Um die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft zu stärken, veranstaltet die Regierung viermal im Jahr Kurse zur Landesverteidigung, die fein kuratierte Gruppen von Spitzenpersonal aus Wirtschaft, Politik, Medien, Forschung, Lehre auf den Stand der – auch klassifizierten – Dinge bringen. Und schließlich: Finnland hat 50.000 Bunker und Schutzräume, Platz für alle.
Von Finnland lernen: Das Programm seines Antrittsbesuchs sah Treffen mit dem Kanzler und dem Bundespräsidenten vor. Den beiden haben die Finnen etwas voraus: Sie hatten nie Illusionen über Russland. Finnland „hat die Deckung nie aufgegeben“, sagte Stubb: „Wir hatten keine Wahl (…) und haben verstanden, dass wir auch in Friedenszeiten vorbereitet sein müssen.“
Plakate aufhängen, Flyer verteilen, Passanten Kugelschreiber in die Hände drücken: Das macht mal mehr Spaß, mal weniger. Doch die jüngsten Angriffe auf Politikerinnen und Politiker zeigen: Wahlkampf kann echt gefährlich sein. Was tun, wenn man am Infostand auf Personen trifft, die schimpfen, hetzen – oder gar handgreiflich werden? „Vorbereiten“, sagte Oliver Löbert meinem Kollegen Tim Frehler.
Raus aus der Komfortzone: Löbert ist Berater bei der Agentur ASK in Berlin. In seinen Seminaren gibt er Politikerinnen und Politikern Tipps dazu, wie sie mit Aggression im Wahlkampf umgehen können. Viele befänden sich noch in einer „politischen Komfortzone“, sagte Löbert. „Diese Leute, die jetzt am Wahlkampfaufstand auftreten und gewalttätig werden, leben ja von ihrem überfallartigen Verhalten.“
Geht’s konkreter? Eine Strategie, um schwierige Gesprächen mit Populisten zu bestehen, sei es, sie zu drängen, ihre Aussagen zu konkretisieren – eine Schubumkehr der üblichen Verallgemeinerung. Löbert rät nachzufragen: „Wie meinen Sie das? Erläutern Sie mal!“ Viele könnten dem irgendwann nicht mehr standhalten. „Dann hat man sie zumindest in die Defensive gedrängt.“ Wer aber merke, dass sich Leute festreden, dass sich etwas zusammenbraut, dass jemand gleich austickt, sollte das Gespräch abbrechen, sagt Löbert. „Damit sich das Gegenüber nicht weiter reinsteigert“.
Tiefgang
Die Fregatte Baden-Württemberg ist am Dienstag erst von Wilhelmshaven aus aufgebrochen zur Mission im Indopazifik. Sieben Monate bis Rückkehr: Bis sie in die Verlegenheit kommt, um Taiwan links- oder rechtsherum zu fahren, wird es eine Weile dauern. Außenministerin Baerbock schloss dennoch jetzt schon nicht aus, dass sie die Taiwanstraße befahren werde: Die Deutsche Marine tut das in ihren Möglichkeiten stehende, ein Zeichen zu setzen gegen die größte Macht auf den Weltmeeren.
Irgendwer muss es ja tun: Der Bundeskanzler hatte öffentlich bei seiner China-Reise nichts zur Taiwanfrage verlauten lassen. Es gibt zwei Chinapolitiken in der Bundesregierung. Eine „wertegeleitete“ der Grünen und ihrer Außenministerin, eine von den Interessen der Exportindustrie geprägte, die Scholz während seines Besuchs zur Schau stellte. Darin spiegelt sich auch Europas Suche nach einer Haltung vis-à-vis China wider.
Von geostrategischen Fragen über Russlands Krieg gegen die Ukraine bis zur Handelspolitik verschiebt sich gerade einiges im Verhältnis zwischen der EU und China. Deutschland steht im Verdacht, genährt von der Kanzlerbeobachtung in anderen Hauptstädten, mindestens spät dran zu sein mit der Erkenntnis, dass das Verhältnis mit „systemischer Rivalität“ genau beschrieben ist. So steht es sogar in der neuen Chinastrategie der Bundesregierung, auf Papier. Der schwerere Vorwurf ist von Diplomaten auch zu hören: dass Deutschland die Fehler seiner Russlandpolitik im Begriff sei zu wiederholen und Chinas Absichten aus Rücksicht auf ein hergekommenes Geschäftsmodell zu wenig entgegensetze.
Dass Scholz und seine Delegation an Industrieführern bloß mit Zusicherungen zurückkamen, Deutschland dürfe wieder Äpfel und Rindfleisch nach China ausführen, war kein sehr zarter Hinweis: Exportieren will Peking auch, und zwar Industrieprodukte wie E-Autos und andere Technologie, es wünscht da keine Beschränkungen auf europäischer Seite und behält sich Subventionen vor.
Emmanuel Macron ging es kaum besser als Scholz. Auch Frankreich hat ein Handelsdefizit mit China. Macron schenkte Xi anlässlich seines Paris-Besuchs eine Flasche Cognac und eine schöne Karaffe. Die französischen Cognacdestilleure dürfen bald noch mehr hinterherschicken, c'est tout.
Aber Frankreichs Haltung gegenüber China ist eine härtere. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Macrons Einladung gefolgt war, zum Treffen mit Xi dazuzukommen, buchstabierte sie quasi aus: Sie stellte Strafzölle für E-Autos schon so deutlich in Aussicht, dass niemand überrascht sein darf, wenn es so weit kommt. Auch von der Leyens Chinapolitik ist eine andere als die des Kanzlers.
Scholz schlug die Einladung aus, auch zu dem Treffen kommen. Es wäre eine Möglichkeit gewesen, dem chinesischen Besucher gegenüber Geschlossenheit zu demonstrieren. Aber Scholz war schon im Baltikum verabredet, mit allen drei Staaten an einem Tag; was soll er in Paris.
Die Balten empfinden Chinas internationales Auftreten als übergriffig und waren teils auch schon wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen ausgesetzt, als Strafe für die Unterstützung Taiwans. Während der Kanzler am Montag im Lande war, sprachen Litauens Premierministerin und der Außenminister mit Vertretern von 30 Ländern, der EU-Kommission, internationaler Organisationen und auch der US-Regierung auf einer hochrangigen Konferenz darüber, wie coercion, wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen Chinas, begegnet werden könne. Freunde seiner Chinapolitik hat Scholz im Baltikum nicht gefunden.
Für Chinas Präsident Xi Jinping muss die Woche eine Freude gewesen sein. Deutschland und Frankreich mit ähnlicher Ausgangslage, was Abhängigkeiten von China angeht, aber verschiedenen Schlussfolgerungen. Die Kommission daher in ihrer Politik nicht mit dem Rückhalt beider Hauptstädte ausgestattet – für China eine weitere Garantie dafür, dass die EU nicht bereit ist, sich auf einen Handelskrieg einzulassen.
Zum Abschluss dann gestern der ungarische Premierminister Viktor Orbán, der ein wichtiger Partner geworden ist und sich in Brüssel gegen die Durchsetzung des Wunsches nach fairen Handelspraktiken Chinas positioniert. In der zweiten Jahreshälfte übernimmt Ungarn den EU-Ratsvorsitz. Xi äußerte seine Hoffnung, währenddessen das Verhältnis der EU zu seinem Land verbessern zu können.
Fast übersehen
Nah dran ist schön und gefährlich: Achim Brötel heißt der nächste Präsident des Deutschen Landkreistages. Er ist 60 Jahre alt, Landrat im Kreis Neckar-Odenwald, und neben der Freude über seinen nächsten Karriereschritt macht sich bei ihm auch die Sorge über die Sicherheit von Politikerinnen und Politikern breit. Die Hemmschwelle für Angriffe sei gesunken, das spüre man bei den Menschen, sagte Brötel meinem Kollegen Tim Frehler. Er ist selbst Jurist und Richter und fordert, der „Rechtsstaat muss wieder wehrhafter werden“.
Sager-Nachfolge: Brötel ist auf dem Rückweg von Brandenburg nach Hause, als man ihn am Telefon erreicht. Im Gepäck hat er die Entscheidung, die das Präsidium am Mittwoch in Lübbenau getroffen hat: Brötel soll im September Präsident des kommunalen Spitzenverbandes werden. Er tritt damit die Nachfolge von Reinhard Sager (CDU) an, der seit 2014 an der Spitze des Verbandes stand. Sager verabschiedete sich bereits im vergangenen Jahr als Landrat in Ostholstein in den Ruhestand, bringt seine Amtszeit beim Deutschen Landkreistag aber zu Ende. Dass dann mit Brötel wieder ein CDU-Politiker übernimmt, gilt als sicher.
Grenzen aufzeigen: Zuletzt habe die Rechtsprechung die freie Meinungsäußerung weit ausgedehnt und Betroffene dadurch schutzlos zurückgelassen, sagte Brötel. Er habe in den vergangenen eineinhalb Jahren drei Strafanzeigen gestellt, alle Verfahren seien aber „sang- und klanglos eingestellt worden“. Wenn man den Menschen jedoch keine Grenzen aufzeige, sondern ihnen versichere, ihr Handeln sei gerade noch legal gewesen, „dann probieren sie den nächsten Schritt", so sieht Brötel das. Insofern sei das Extremismusproblem „auch ein hausgemachtes“.
Neu im Datenschutzgeschäft: Das Bundeskabinett hat Louisa Specht-Riemenschneider am Mittwoch offiziell als neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) vorgeschlagen. Bereits kommende Woche soll sie vom Bundestag gewählt werden, nach Informationen von SZ Dossier wohl am Donnerstag.
Expertin: Nach Informationen meines Kollegen Matthias Punz wird Specht-Riemenschneider ihr Amt frühestens im Juli antreten können. Derzeit ist sie Professorin für Recht der Datenwirtschaft, des Datenschutzes, der Digitalisierung und KI an der Universität Bonn. Mehr im Dossier Digitalwende, das Sie hier testen können.
Große Bühne: Nicht nur Kim Kardashian und Tokio Hotel waren da, sondern auch Robert Habeck und Christian Lindner. Beide warben um das junge Publikum aus Influencern, Start-up-Gründern und selbst ernannten Marketeers auf dem OMR Festival, einer Digital- und Marketingmesse in Hamburg.
Wie reden die Spitzenleute der Koalition außerhalb der Berliner Blase? Wir hören immer wieder mal rein. Gabriel Rinaldi hat das diesmal erledigt.
FDP pur: Lindner brachte eine Kurzfassung seiner Rede beim FDP-Parteitag mit, sprach darüber, was zu tun sei, damit KI nicht an Deutschland vorbeiziehe: Wachstum, Mentalitätswechsel, Kapitalmarktkultur. Er baute Witze ein, auch über die FDP und sich selbst, hielt sich an seine Redezeit. Sonst: Inhalte, Inhalte, Inhalte. Besonders laut wurde die Halle, als er Alltagsrassismus und Diskriminierung als Wettbewerbsnachteile für Fachkräfte nannte.
Emotionen satt: Habeck überzog deutlich, setzte auf die großen Fragen und packte seine Grundsatzrede zur aktuellen Lage aus. Freiheit und Demokratie stünden unter Druck. Seine Lösung: Geschichten des Gelingens erzählen und Aufbruch wagen (den er beim Festival überall sehe, natürlich).
Der Lohn: Habecks direkte Ansprache funktionierte, er bekam längeren freundlichen Applaus als Lindner, obwohl das Publikum klischeehaft eher FDP-affin sein sollte. Darin, selbst große Emotionen auszulösen, war der Finanzminister besser: Während seiner Rede wurde im Saal eine Stinkbombe gezündet.
Zitat des Tages
Grünen-Chefin Ricarda Lang auf die Frage, was in Deutschland derzeit die größte Not verursache
Zu guter Letzt
Peak Berlin: Die „Lehrenden an Berliner Hochschulen“, die diese Woche in einer Erklärung gelobten, ihre Studierenden vor „Polizeigewalt“ zu bewahren und sie überhaupt „auf Augenhöhe zu begleiten, aber auch zu schützen.“ Außer, die Studierenden sind Juden.
Vielen Dank für Mitarbeit, Zulieferungen und die Nachtschicht an Tim Frehler, Gabriel Rinaldi und Corinna Melville in Adelaide.