Wie Kommunen raus aus dem Dispo wollen
Süddeutsche Zeitung Dossier
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Donnerstag, 20. Juni 2024
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Von Tim Frehler

mit Gabriel Rinaldi, Florian Eder und Fabian Löhe

Schnelldurchlauf:

Scholz trifft die Ministerpräsidenten +++ Ein Plan gegen den Infokrieg +++ Brüssel hat Angst vor den eigenen Regeln +++ Sorgen vor neuer Eskalation im Libanon +++ Deutscher Nachhaltigkeitskodex



Guten Morgen. Es gibt da dieses Foto aus dem Jahr 2021. Angela Merkel und Malu Dreyer gehen durch den Ort Schuld in Rheinland-Pfalz, der gerade vom Hochwasser verwüstet wurde. Dreyer senkt das Haupt, die Kanzlerin hält ihre Hand, stützt sie. Die beiden Frauen wirken berührt davon, was das Wasser angerichtet hat. Womöglich steckt darin das Geheimnis der Politikerin Marie-Luise Dreyer: Sie wirkt authentisch, nahbar, auch verletzlich. Eine, die nicht nur den Verstand anspricht, sondern auch den Bauch – und bei einigen das Herz.


Gestern kündigte sie an, sich als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz zurückzuziehen. Ihr gehe die Kraft aus, sagte Dreyer. Seit knapp 30 Jahren lebt sie mit Multipler Sklerose. Dass sie sich nun von der höchsten politischen Ebene verabschiedet, auch das ist menschlich. Politisch geschickt ist es obendrein. Sie macht den Weg frei, damit sich ihr Nachfolger warmlaufen und bei der Wahl 2026 vom Amtsbonus profitieren kann. Die Flut im Ahrtal 2021 bezeichnete Dreyer in ihrer Rede als „Zäsur“. Kritiker werfen ihr vor, sich nach der Katastrophe nicht bei den Menschen an der Ahr entschuldigt zu haben.


Ihr Nachfolger, Alexander Schweitzer, ist bislang Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitales. Unter Jusos gilt er als „stabil“. Und rein vom Körperbau her wird er Dreyers Fußstapfen problemlos ausfüllen können. Der Mann ist 2,06 Meter groß.


Herzlich willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Das Bund-Länder-Treffen wird zum Migrationsgipfel

Heute trifft sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidenten der Länder. Eines der großen Themen ist die Migration. Der Kanzler selbst kündigte an, Straftäter nach Afghanistan und Syrien abschieben zu wollen. Das dürften die Länder begrüßen, doch dann hören die Gemeinsamkeiten schnell auf. Die Länderchefs der Union wünschen sich weiterhin eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten und schärfere Regelungen auch bei der inneren Sicherheit: Von der Isar bis an die Ostsee fordern sie einen Kurswechsel.


Ordnung gesucht: Wenn es um Migration geht, dann meist auch darum, sie zu ordnen. In der Ampelkoalition gelten Migrationsabkommen dafür als Mittel der Wahl, sie hat sogar einen eigenen Sonderbevollmächtigten dafür eingerichtet, den FDP-Politiker Joachim Stamp. Wir haben beim Bundesinnenministerium nachgefragt, welche Abkommen seit Stamps Amtsantritt im Februar 2023 zustande gekommen sind. Aufgrund der Vertraulichkeit könne man keine vollumfänglichen Angaben machen, eine Bilanz schickt das Ministerium trotzdem.


Es bleibt kompliziert. Bereits unterzeichnet wurde laut BMI-Angaben ein Abkommen mit Georgien. Mit Marokko wurde eine „umfassende Migrationspartnerschaft“ beschlossen, mit Ghana eine „weitere Verstetigung und Vertiefung der guten Zusammenarbeit“ verabredet. Mit den Philippinen habe der „Prozess der Weiterentwicklung hin zu einer umfassenden Migrationspartnerschaft“ begonnen, mit Kolumbien wurde „eine Kooperation bei Fragen der Migrationssteuerung“ vereinbart. Mit Kenia wurden die „Verhandlungen über ein umfassendes Migrationsabkommen abgeschlossen“, mit Moldau will das Ministerium „zeitnah“ das vorbereitete Abkommen schließen. Für Usbekistan und Kirgisistan werden Migrationsabkommen vorbereitet.


Wer bietet mehr? Weil diese Abkommen lange dauern, die MPK aber schon heute stattfindet, sprießen allerlei Forderungen: So etwa der „Sofort-Arrest“ für Gefährder und Straftäter, den Markus Söder (CSU) und die Unionsfraktion erfunden haben. Ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sollen in Arrest genommen werden, wenn sie nicht abgeschoben werden können. Söder sprach sich auch für Gespräche mit den Taliban aus. Für einen langen Thread aus dem Kanzleramt sorgte die Forderung, Ukrainer statt nach dem Sozialgesetzbuch wieder nach dem weniger großzügigen Asylbewerberleistungsgesetz zu versorgen (vulgo ihnen das Bürgergeld zu streichen). Dieser Idee aus CDU-Reihen erteilte Wolfgang Schmidt (SPD) auf X eine nächtliche Absage und erinnerte daran, dass die 16 Länderchefs dies im Juni 2022 mitbeschlossen hätten, auch diejenigen der CDU.


Harte Worte aus der SPD: Eine Art Obergrenze forderte Manuela Schwesig (SPD). Menschen sollten in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung finden. „Das geht aber nur, wenn die Zahl der ankommenden Flüchtlinge auch praktisch begrenzt wird, weil wir es praktisch nicht mehr schaffen mit Wohnraum und Schulplätzen“, sagte sie im Deutschlandfunk. Zudem müsse ein „ganz deutliches Zeichen“ gesetzt werden, dass diejenigen, die zu Straftätern würden, nicht bleiben könnten. Um die innere Sicherheit, von verschärften Waffenverboten bis hin zu hybriden Bedrohungen, wird es auch gehen.

2.

Ein Plan gegen den Infokrieg

Deutschland tut sich schwer damit, eine föderale Strategie gegen Desinformation zu entwickeln. Seit September versuchen Bund und Länder, ein Papier zu schreiben. Ein Ergebnis fehlt bisher. Ein Sprecher des zuständigen Bundesinnenministeriums sagte SZ Dossier, die Arbeit am Aktionsplan gegen Desinformation sei noch nicht abgeschlossen. Das Thema steht heute auch auf der Agenda der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin.


Das wird besprochen: Selina Bettendorf vom Dossier Digitalwende berichtet, dass es in dem Papier um das Erkennen, Analysieren und Abwehren von Desinformationskampagnen gehen wird. Auch um die strategische Kommunikation im Falle von Desinformation, also wie Öffentlichkeitsarbeit gemacht und mit Bürgern kommuniziert werden soll. Forschungsprojekte sollen in die Vorhaben einbezogen werden.


Neue Stelle: Die Innenminister der Länder baten den Bund bereits, eine Stelle zum Thema einzurichten. Anfang des Monats hat eine „Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation“ ihre Arbeit im BMI aufgenommen. Daran beteiligt sind auch das Auswärtige Amt, das Bundesjustizministerium und das Bundespresseamt.

3.

Brüssel ängstigt sich vor den eigenen Regeln

Frankreichs nächste Regierung, egal, wer sie bildet, steuert auf ihren ersten Konflikt mit der EU und ihren Haushaltsregeln zu – und der Wahlkampf hat ein neues, potenziell brisantes Thema. Die EU-Kommission teilte mit, sie bereite ein Verfahren wegen eines als übermäßig definierten Haushaltsdefizits gegen Frankreich (und das weitere Schwergewicht Italien sowie drei andere) vor.


Zur Straffung angehalten: Das hieße im Ergebnis, so sagten Kommissionsbeamte, rasch über den Daumen gepeilt, Frankreich müsste zunächst für 2025 eine fiskalische Straffung von etwa einem halben Prozent vom Bruttoinlandsprodukt angehen. Würden eine extrem rechte Regierung oder ein Linksbündnis das tun? Den Parteien auf dem ersten und zweiten Platz in den Umfragen liegt es eher nahe, europäische Sparvorgaben als Einmischung zu brandmarken.


Ob eine von ihnen ins Amt kommt oder nicht: Die Angst in Brüssel ist, es könne ihnen im Wahlkampf noch helfen. Die Fiskalregeln noch weiter zu dehnen und politisieren, ist in Brüssel zwar populär – „parce que c'est la France“, wie der diesbezügliche Realist Jean-Claude Juncker einmal sagte. Aber zugeben mag man es nicht, schon gar nicht, wenn der Rassemblement National Nutznießer wäre.


Ja ja: Für Deutschland hatte die Kommission den üblichen und ebenso üblicherweise ignorierten Rat, die Bundesregierung solle mehr investieren und weniger exportieren.

4.

Sorgen vor neuer Eskalation im Libanon

„Seit Monaten reagiert die israelische Armee zurückhaltend auf die Provokationen der Hisbollah, aber inzwischen ist ein Punkt erreicht, an dem die IDF stärker in die Offensive gehen muss, um die Sicherheit der eigenen Staatsbürger zu schützen“, sagte Roderich Kiesewetter meinem Kollegen Gabriel Rinaldi. „Wenn wir die Aussage zur Staatsräson wirklich ernst meinen, bedeutet das, dass wir Israel weiter unterstützen. Sollte Israel Unterstützung erbitten, sollten wir dem nachkommen. In jedem Fall ist unsere politische Unterstützung unmissverständlich klarzumachen“, sagte der CDU-Politiker.


Der Hintergrund: Die Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon haben in den vergangenen Tagen zugenommen. Israels Außenminister Israel Katz hatte der proiranischen Schiiten-Miliz mit der Zerstörung in einem „totalen Krieg“ gedroht, das israelische Militär genehmigte neue Pläne für eine mögliche „Offensive im Libanon“. Seit dem Terror vom 7. Oktober feuert die Hisbollah Raketen und Drohnen auf Israel. Kiesewetter betonte, dass der Schutz eigener Staatsbürger die oberste Pflicht eines jeden Staates sei. „Sollte es zu einer israelischen Bodenoffensive kommen, damit die Angriffe der Hisbollah auf Israel aufhören, so ist dies genau unter diesem Aspekt zu sehen“, sagte er.


Warnungen aus der SPD: In den Reihen der Sozialdemokraten sieht man eine solche Bodenoffensive kritisch. „Eine umfassende Militäroffensive Israels im Libanon wäre die Eröffnung einer zweiten Front und würde ähnlich wie im Gazastreifen die libanesische Bevölkerung insgesamt in Mitleidenschaft ziehen und das fragile Staatswesen Libanon in seinen Grundfesten erschüttern“, sagte SPD-Außenpolitiker Nils Schmid SZ Dossier. Zu Recht hätten die Freunde Israels seit Monaten vor einer solchen Ausweitung des Krieges zu einem „regionalen Flächenbrand“ gewarnt. „Diese Warnung kann ich nur eindringlich wiederholen“, sagte Schmid.


Stärkung der Institutionen: Seit Monaten leide Israel unter den terroristischen Raketenangriffen der Hisbollah, mehrere zehntausend Zivilisten seien Binnenvertriebene im eigenen Land. Selbstverständlich habe Israel das Recht, sich gegen diese Angriffe zur Wehr zu setzen, da die libanesische Regierung und Armee nicht in der Lage seien, das eigene Staatsgebiet zu kontrollieren. „Dem Terrorismus der Hisbollah muss konsequent entgegengetreten werden – international und auch im Libanon selbst durch Stärkung der gesamtstaatlichen Institutionen und Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage“, sagte Schmid.

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Tiefgang

Wie Kommunen raus aus dem Dispo wollen

Seit gut zweieinhalb Wochen liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, um ein Problem zu lösen, über das Bund und Länder seit Jahren verhandeln. Es geht darum, zahlreiche Kommunen von ihren Altschulden zu befreien. In Städten wie Hagen, Mülheim an der Ruhr oder Oberhausen führen sie dazu, dass Investitionen kaum möglich sind, zu erdrückend ist die Schuldenlast. Die Kämmerer hängen am Tropf: Investieren können sie nur, wenn sie Fördermittel bekommen.


Was das bedeutet, zeigt das Stadtbild: Schlaglöcher, marode Spielplätze und Turnhallen. Letzten Endes steckt dahinter auch die Frage, wie gleichwertig die Lebensverhältnisse in Deutschland sind.


Besonders groß ist die Not im Ruhrgebiet. Eine Region, die lange von Kohle und Stahl profitierte, wo aber infolge des Strukturwandels Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen wegbrachen. Die Kämmerer nahmen sogenannte Kassenkredite auf – für laufende Kosten: Leben im Dispo. Der Schuldenstand erhöhte sich. Als die Zinsen niedrig waren, war das Risiko überschaubar, doch das hat sich geändert. Die Frage ist also: Wie kommen sie runter von den Schulden?


Laut Grundgesetz zuständig für die Kommunen und ihre Finanzen sind die Bundesländer. Betroffen sind neben NRW auch Rheinland-Pfalz, das Saarland und Hessen. Allerdings haben all diese Länder bereits eigene Vorstöße unternommen, um der Sache Herr zu werden. Anfang Juni nun schlug NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst vor, Berlin und Düsseldorf könnten die rund 21 Milliarden Euro schwere Last untereinander aufteilen. Jede Seite würde jährlich 250 Millionen zur Tilgung der Altschulden auszahlen. Gestreckt über 30 Jahre steuerten Bund und Land so jeweils 7,5 Milliarden bei.


Neu ist der Vorschlag nicht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schlug eine Kooperation von Bund und Ländern bereits 2019 vor, da war er noch Finanzminister. Die Ampel hat sich das Thema ebenfalls vorgenommen und in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Und im Frühjahr schlug das Bundesfinanzministerium (BMF) eine solche hälftige Übernahme der Schulden in einem Eckpunktepapier vor. Ein Sprecher des BMF verweist jedoch darauf, dass NRW zwar seine Bereitschaft für die Entschuldung der Kommunen erklärt habe. „Konkrete Eckpunkte, wie das Landesprogramm aussehen soll, sind damit bislang nicht verbunden.“ Heißt: Auch NRW hat noch Hausaufgaben zu erledigen.


Bis zum Ende der Legislaturperiode im Bund bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit. Zumal im Juli auch noch die parlamentarische Sommerpause im Kalender steht, der Bundestag also bis September nicht mehr zusammenkommt. Am letzten Tag vor den Ferien, dem 5. Juli, findet im BMF eine Fachkonferenz zum Thema Kommunalfinanzen statt. Laut Programm, das SZ Dossier vorliegt, soll dabei auch über die Altschuldenfrage diskutiert werden. Der Grünen-Politiker Felix Banaszak fordert aber nicht nur Beratungen, sondern Ergebnisse: „Ich erwarte, dass der Finanzminister zu dieser Gelegenheit einen substanziellen Vorschlag für eine Beteiligung des Bundes an der Entschuldung mitbringt“, sagte er SZ Dossier.


Doch selbst wenn der Finanzminister einen solchen Vorschlag aus dem Hut zaubert, bleiben Probleme: Damit der Bund in die Entschuldung einsteigen kann, muss das Grundgesetz geändert werden. Dafür wiederum braucht es die Zustimmung der Union im Bundestag und der Länder im Bundesrat. Und warum sollte Bayern einen Kompromiss abnicken, bei dem der Bund Milliarden nach Düsseldorf überweist, aber keinen Cent nach München?


Dementsprechend verhalten ist die Zuversicht im BMF: „Trotz mehrerer Gespräche ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht erkennbar, dass die erforderlichen Mehrheiten im Bundesrat und Bundestag erreicht werden können“, sagte ein Sprecher. Die Gespräche seien aber noch nicht abgeschlossen. Felix Banaszak, Bundestagsabgeordneter aus Duisburg, appellierte an die Solidarität unter den Bundesländern. „Mancher Ministerpräsident sollte beachten, dass sein Land vor einigen Jahrzehnten noch zu den Nehmerländern im Länderfinanzausgleich gehörte – unterstützt unter anderem aus Nordrhein-Westfalen.“

Fast übersehen

5.

Deutschland wächst: Während beim Wirtschaftswachstum Luft nach oben ist, soll die Bevölkerungszahl wachsen. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) prognostiziert, dass bis 2045 rund 85,5 Millionen Menschen in Deutschland leben werden, also rund 800.000 mehr als 2023. Das liege vor allem an der erwarteten Zuwanderung aus dem Ausland, wie das Institut mitteilte. Die Daten gibt es hier.


Zwei Dinge sind zu beobachten: Es gibt große regionale Unterschiede. Der Osten schrumpft weiter, Hamburg knackt die Zwei-Millionen-Marke. Zudem wird die Gesellschaft älter und älter. „Deutschland altert massiv“, sagte Projektleiterin Jana Hoymann. Man gehe davon aus, dass die Gruppe derjenigen, die 67 Jahre und älter sind, von 2021 bis 2045 um rund 2,2 Millionen Menschen anwachse. Und auch beim Alter gibt es regionale Differenzen. Es gebe einzelne Kreise, da nehme der Anteil älterer Menschen um 40 Prozent zu, sagte sie. Das sei ein „unfassbar“ hoher Wert.

6.

Deutscher Nachhaltigkeitskodex: Vor allem mittelständische Unternehmer stöhnen auf, weil sie ab 2026 der EU-Richtlinie über nachhaltige Unternehmensberichterstattung (CSRD) unterliegen. Sorgen bereiten ihnen ihre Bürokratiebelastungen und Dokumentationspflichten, vor allem gegenüber Vertragspartnern und Banken. Etwas Gehör gefunden haben sie jetzt bei Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner. Auf dem Weg zur CSRD will der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung den existierenden Deutschen Nachhaltigkeitskodex entsprechend umbauen: Kleine und mittelständische Unternehmen sollen einen vereinfachten Eingabestandard für ihre Daten erhalten.


Für den neuen Standard will Kellner auch in Brüssel kämpfen. „Insbesondere die immer umfangreicheren Berichts- und Dokumentationspflichten werden zu Recht kritisiert“, sagte er. „Ohne Akzeptanz beim Mittelstand werden wir aber keine belastbaren Daten bekommen.“ Das lässt den Bundesverband mittelständische Wirtschaft jubeln. „Daumen nach oben“, sagte Bundesgeschäftsführer Christoph Ahlhaus SZ Dossier. Jetzt komme es auf eine vernünftige und bürokratiearme Umsetzung an. Hier ist der Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbunds Henning Bergmann skeptischer. Der Eingabestandard sei dann zu begrüßen, „wenn er rechtssicher Nachhaltigkeitsaktivitäten von kleinen Unternehmen belegt und von Banken und Versicherungen anerkannt wird.“

7.

Meloni plant Verfassungsänderung: Der italienische Senat hat eine umstrittene Verfassungsreform von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gebilligt. Ihr Vorhaben hat damit nur eine erste Hürde genommen, aber bereits jetzt die Opposition vereint, die zum ersten Mal überhaupt geschlossen demonstriert hat. Bereits im Senat war es zu Protesten gekommen: Unter den Regierungsparteien brach nach dem Votum Jubel aus, die Opposition hielt symbolisch die Verfassung in die Höhe.


Worum geht es? Im Kern will Meloni die Direktwahl des Premierministers, außerdem soll ein Mehrheitsbonus von 55 Prozent für die meistgewählte Partei eingeführt werden. Die Rolle des überparteilichen Staatspräsidenten würde hingegen massiv beschnitten, beklagt die Opposition, so könne er künftig nicht mehr den Regierungschef austauschen oder das Parlament auflösen.


Nur der erste Schritt: Manche Hürde gibt es aber noch, denn jede Verfassungsänderung in Italien benötigt eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern. Speziell in der Abgeordnetenkammer ist diese nicht zu erwarten. Sollte sie nicht zustande kommen, steht am Ende ein Referendum an.

Zitat des Tages

Mein Appell heute: Bitte instrumentalisiert die ukrainischen Schutzsuchenden nicht! Die Opfer des Krieges haben es nicht verdient, Opfer von Wahlkampfpopulismus zu werden.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland Oleksii Makeiev zur Debatte über Bürgergeld für Geflüchtete aus der Ukraine

Zu guter Letzt

Sich über die Bahn aufzuregen, ist müßig. Ein Lamento über verspätete ICE und überfüllte Regionalzüge hat kaum Neuigkeitswert. Die Bahn braucht Geld, sagt sie, um den Klagen abzuhelfen, und sie bekommt es auch: Bis 2027 soll das Eigenkapital des Konzerns um 20 Milliarden aufgestockt werden, 5,5 Milliarden soll es schon in diesem Jahr geben. Das sind über vier Milliarden mehr, als eingeplant waren.


Wofür? Um Gleise zu bauen und sanieren, neue Züge zu kaufen, Personal für beides zu bezahlen, um das Bordbistro einmal nicht nur mit eingeschränktem Angebot auszustatten, denken wir uns. Sowas, ja. Wofür konkret? Wie meine Kollegin Vivien Timmler berichtet, ist unklar, für welche Projekte das Geld in diesem Jahr ausgegeben werden soll. Aber gut, es ist erst Juni. Wer regt sich schon noch über Verspätungen bei der Bahn auf?


Danke! An Florian Eder für das Redigat, Gabriel Rinaldi für Beiträge und Planung und an Sabrina Frangos und Team in Australien.

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