So fühlt sich Deutschland
Süddeutsche Zeitung Dossier
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Donnerstag, 4. Juli 2024
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Von Valerie Höhne

mit Tim Frehler, Gabriel Rinaldi und Bastian Mühling

Schnelldurchlauf:

Warum der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachten darf +++ SPD will bei Elementarschäden von Frankreich lernen +++ Anne Brorhilkers Plan als neue Finanzwende-Chefin +++ Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu Habeck-Akten konstituiert sich +++ Wer künftig im Bundestag pöbelt, soll härter bestraft werden



Guten Morgen. „In diesem Monat“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gestern während der Regierungsbefragung, würde der Haushaltsentwurf im Kabinett verabschiedet. „Wie geplant.“ Moment mal: in diesem Monat? Bisher hieß es, am 17. Juli würde die Einigung vom Kabinett beschlossen.


Gelingt es der Ampel, den Haushaltsstreit zu lösen – oder nicht? Die Frage scheint offen. Scholz verbrachte gestern Abend mehrere Stunden auf dem Hoffest der SPD-Bundestagsfraktion. Manche lasen das als Zeichen dafür, dass die Einigung näher gerückt sei, andere warnen vor voreiliger Zuversicht.


Im Bundestag, wenige Stunden vorher, hatte Scholz versucht, genau die zu verbreiten. Das Paket würde überraschen, sagte er, „weil sehr viele, sehr kluge Maßnahmen darin vorgesehen“ seien. „Mir gefällt jedenfalls schon, was ich jetzt kenne.“ Scholz grinste ein Lächeln, das versprach, mehr zu wissen als seine Gegenüber.


Er versprach einen „Wachstumsturbo“, die Verlängerung des Deutschlandtickets, und das Zwei-Prozent-Ziel des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben perspektivisch aus Haushaltsmitteln zu finanzieren. Doch die Frage, woher das Geld dafür kommen soll, blieb er schuldig.


Die SPD-Fraktion hat am Freitag um 7 Uhr zu einer Sonderfraktionssitzung geladen. Bis dahin erwarten sie die politischen Leitplanken für den Haushalt, sie erhöhen damit den Druck auf die Bundesregierung, eine Einigung zu finden. Herzlich willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Die Urteilsbegründung des Oberverwaltungsgerichts Münster

Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen, das entschied das Oberverwaltungsgericht Münster Mitte Mai. Vorgestern erfolgte die Urteilsbegründung, Politiker, die sich mit einem möglichen AfD-Verbotsverfahren beschäftigen, dürften sie besonders aufmerksam lesen. Es lägen Anhaltspunkte vor, dass die AfD „Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind“. Gegen die Garantie der Menschenwürde und das Demokratieprinzip.


Menschenwürde: Die Äußerungen, die der Verfassungsschutz zusammengetragen habe, „begründen den starken Verdacht“, die AfD verfolge das Ziel, den Schutz der Menschenwürde „außer Geltung zu setzen“, heißt es in der Urteilsbegründung. Es lägen konkrete Anhaltspunkte vor, dass – wenn es nach der AfD geht – „Flüchtlingen und anderen Zuwanderern, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund und deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder“ der Gemeinschaft versagt werden solle. Die Vielzahl der diffamierenden Positionierungen dokumentierten, dass es sich um „eine charakteristische Grundtendenz“ der AfD handele.


Demokratieprinzip: Ansätze für verfassungsfeindliche Bestrebungen können den Richtern zufolge auch vorliegen, wenn durch Aussagen entweder das parlamentarische System angegriffen wird oder staatliche Institutionen und Amtsträger verächtlich gemacht werden. Das gelte für den Fall, dass „eine Schmähung in reiner Diffamierungsabsicht“ getätigt wird, „die jeglichen Sachbezug vermissen lässt“.


Nach diesen Maßstäben lägen bei der AfD „Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen“. Als Beispiel zitieren die Richter etwa mehrere Aussagen von AfD-Politikerin Christina Baum, die bis vor Kurzem noch Teil des Bundesvorstands war und die Mitglieder der Bundesregierung einmal „psychisch gestörte und moralisch deformierte Totalversager“ nannte.

2.

SPD will bei Elementarschäden von Frankreich lernen

Die SPD will in der Debatte um eine verpflichtende Elementarschadenversicherung von Frankreich lernen, berichtet Gabriel Rinaldi. „Wir von der SPD-Bundestagsfraktion fordern, dass wie in Frankreich jede Wohngebäudeversicherung zukünftig gegen einen gesetzlich vorgegebenen maßvollen Aufschlag eine Versicherung gegen Elementarschäden enthalten muss“, sagte SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner SZ Dossier. Das sei solidarisch und die Prämien blieben bezahlbar, wie das Beispiel Frankreich zeige.


Warum das wichtig ist: Das könnte zum weiteren Streitpunkt in der Ampel werden, denn Justizminister Marco Buschmann ist dagegen. Auch die FDP-Fraktion lehnt eine Pflicht ab, weil sie aus ihrer Sicht keine Schadensfälle verhindert und falsche Anreize setzen könnte. Die SPD orientiert sich an den Ländern. Diese hatten bei der Ministerpräsidentenkonferenz – erfolglos – auf eine bundesweite Pflichtversicherung für Elementarschäden gedrängt. Ihr Ziel ist es, dass Versicherer jedem Hauseigentümer, der sich gegen Elementarschäden versichern will, einen Vertrag anbieten müssen.


Zurück auf „Los“: Die Grünen zeigten sich offen. „Ein entsprechendes Modell muss aus unserer Sicht zwingend so ausgestaltet sein, dass die Kosten nicht 1:1 auf Mieter umgelegt werden“, sagte Lukas Benner (Grüne) SZ Dossier. „Zudem dürfen Eigentümer von Bestandsgebäuden in Risikogebieten nicht von den Prämien überfordert werden. Hier muss gegenüber Neubauten differenziert werden.“ Weiterverhandeln soll vor allem eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich nun mit Modellen anderer Staaten beschäftigen wird.

3.

Anne Brorhilkers Plan als neue Finanzwende-Chefin

Ohne Anne Brorhilker wüssten in Deutschland wohl weniger Menschen, was Cum-Ex-Geschäfte sind. Bis April war sie die bekannteste Staatsanwältin in dem Bereich. Dann wechselte sie im Juni von der Staatsanwaltschaft Köln als Co-Geschäftsführerin zur NGO „Finanzwende“. Gut situierte Täter träfen oft auf eine „schwach aufgestellte Justiz“, sagte sie. Die Finanzwende lobbyiert gegen den Einfluss der Finanzbranche auf die Politik.


„Übel an der Wurzel packen“: Sie glaubt, dass sie bei der Finanzwende mehr erreichen kann, als bei der Staatsanwaltschaft. „Ich will das Übel an der Wurzel packen. Ich will darauf hinwirken, dass sich deutschlandweit die Strukturen in der Justiz verändern. Diese Defizite bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität sind extrem sozialschädlich“, sagte sie meiner Kollegin Meike Schreiber. Die Schäden durch Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich Finanzmarktakteure durch mehrfache Steuerrückerstattungen Geld erschlichen, beliefen sich auf rund zehn Milliarden Euro. Cum-Ex-Geschäfte seien noch immer nicht gestoppt, hierdurch fehlten dem Fiskus rund 30 Milliarden Euro. Es sei „demokratiegefährdend“, wenn Bürger das Gefühl hätten, Wirtschaftskriminalität werde anders bestraft.


Die Gründe: Brorhilker sieht die Ursachen dafür vor allem in der Organisation von Behörden. Es fehle Personal, gebe ein „Zuständigkeitswirrwarr“, auch wegen Doppelstrukturen zwischen Ländern und Bundesbehörden. Finanzpolitische Themen würden von Juristen, gerade auch von großen Anwaltskanzleien, die Banken verteidigen, oft mit einer „Aura der Komplexität“ umgeben, nach dem Motto: Haltet euch raus, davon versteht ihr ja nichts.


Kampf gegen Steuerkriminalität zentralisieren: Noch hängt das Finanzkriminalitätsbekämpfungsgesetz im Bundestag. Doch schon bald soll eine neue Behörde geschaffen werden, die sich ausschließlich damit beschäftigt. Dafür sei aber eigentlich „auch das Bundeskriminalamt zuständig“, sagte Brorhilker. Diese „Dopplung von Zuständigkeiten könnte in der Praxis Ermittlungen eher behindern“. Sie bedauert, dass nicht auch der Bereich Steuerkriminalität aufgenommen worden sei. „Dabei wäre eine bundesweit zentrale Stelle zur Bekämpfung von organisierter Steuerkriminalität dringend erforderlich“, sagte sie. So aber bleibt vorerst für die Aufklärung von Steuerskandalen im gesamten Bundesgebiet die Staatsanwaltschaft Köln zuständig – ihr alter Arbeitgeber.

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Tiefgang

So fühlt sich Deutschland: Drei Fach-Erkenntnisse

„Wie es Deutschland geht.“ Nicht weniger als das will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit dem ersten Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung beantworten. Anhand von ausgewählten Indikatoren haben Fachleute unter anderem die Arbeitslosenquoten, Kitaplätze und Feinstaubbelastungen in 400 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland vermessen. Zur Beurteilung haben sie aber nicht nur Zahlen herangezogen, sondern auch Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Wahrnehmung der Lebensbedingungen befragt.


Gestern haben Habeck und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Bericht vorgestellt. Drei Beobachtungen dazu.


Erstens: Grob gesagt untersucht der Bericht, wie sich bestimmte Indikatoren in den vergangenen zehn Jahren entwickelt haben. Die genauen Vergleichszeiträume weichen zwar zwischen den einzelnen Indikatoren ab, herausgekommen ist aber: Bei 27 von 38 Indikatoren gleichen sich die Verhältnisse zwischen den Regionen an, darunter etwa das kommunale Steueraufkommen, das Medianentgelt oder die Erreichbarkeit von Supermärkten. Erhöht haben sich die Unterschiede hingegen in Sachen Kitaplätze pro Kind, dem Anteil der Einzelpersonenhaushalte und dem Altenquotient.


„Besorgniserregend“ nennt Wirtschaftsminister Habeck jedoch die sich abzeichnende regionale Bevölkerungsentwicklung. Während bis 2045 noch mehr Menschen in strukturstarke Regionen drängen, sinkt die Bevölkerung in strukturschwächeren Kreisen weiter, teilweise um mehr als zehn Prozent. Fachkräftemangel, eine schlechtere wirtschaftliche Lage und schwächelnde kommunale Haushalte wären in vielen Orten die Folge – und das in ohnehin schon strukturschwachen Regionen. Vor allem der Osten Deutschlands, mit Ausnahme Berlins und dessen Umland, ist davon betroffen. In geringerem Maße auch Regionen im Westen.


Zweitens: Die Kombination aus statistischen Daten und der Einschätzung von Bürgerinnen und Bürgern bringt erstaunliche Erkenntnisse hervor, zum Beispiel in Sachen Kinderbetreuung. So gibt es etwa in Bayern und Baden-Württemberg Landkreise, in denen die Betreuungsquote von unter Dreijährigen besonders niedrig ist. Danach gefragt, ob das Angebot in diesem Bereich ausreichend ist, fällt die Zustimmung der Bürger aber durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich hoch aus. Im Osten wiederum gilt in manchen Landkreisen das Gegenteil: hohe Betreuungsquote, unterdurchschnittliche Zustimmung. Zu möglichen Ursachen heißt es in dem Bericht, dies könne an unterschiedlichen Bedürfnissen der Bevölkerung liegen, „die auch mit kultureller Prägung zusammenhängen dürften.“ Auch könnten die örtliche Erreichbarkeit oder die Qualität der Betreuung eine Rolle spielen.


Drittens: Der Bericht gibt aber nicht nur Einblicke in die Lebensverhältnisse der Bevölkerung, sondern auch Aufschluss darüber, wie präzise und effektiv der Bund in Sachen Fördermittel vorgeht. 2022 hat der Bund 4,2 Milliarden Euro über das Gesamtdeutsche Fördersystem für strukturschwache Regionen (GFS) ausgegeben. Bei 3,7 Milliarden davon hat der Bericht nun analysiert, wo das Geld am Ende gelandet ist. Mehr als die Hälfte ging zum Beispiel nach Ostdeutschland. Aber auch das Ruhrgebiet, das Saarland, Rheinland-Pfalz und Gebiete entlang der bayerisch-tschechischen Grenze „haben pro Kopf bedeutende Zahlungen erhalten“. Die Verfasser des Berichts kommen zu dem Schluss, dass die Mittel „wie beabsichtigt, weit überwiegend in strukturschwache Regionen fließen“.


Heißt: Fördermittel kommen im Großen und Ganzen dort an, wo sie hingehören. Luft nach oben gibt es trotzdem. Denn zwischen den Regionen gibt es beim Abrufen von Fördermitteln teils große Unterschiede. Und zwar zwischen denjenigen Landkreisen und kreisfreien Städten, die ähnlich strukturschwach sind – und daher gemessen an der Einwohnerzahl eigentlich auch ähnlich hohe Fördermittel in Anspruch nehmen könnten.


Gefragt nach den Ursachen, teilt eine Sprecherin aus dem Bundeswirtschaftsministerium mit, dies könne an der Branchenstruktur vor Ort oder der Infrastrukturausstattung liegen. „Aber auch die lokalen Möglichkeiten und Kapazitäten beim Einwerben und Beantragen von Fördermitteln können eine Rolle spielen.“ Konkrete Maßnahmen zur Verbesserung sollen nun in einem Folgeprozess erarbeitet werden. Tim Frehler

Fast übersehen

4.

Untersuchungsausschuss wird eingesetzt: Die Union will aufklären, warum die Grünen sich während der Energiekrise nicht auf eine umfänglicherere Laufzeitverlängerung geeingt haben, dafür wird heute der Untersuchungsausschuss konstituiert. „Habeck und Lemke haben die Öffentlichkeit offenbar bewusst getäuscht“, warf der designierte Ausschussvorsitzende Stefan Heck (CDU) den Ministern vor. „Der Ausschuss hat nun die anspruchsvolle Aufgabe, einen komplexen Sachverhalt in relativ kurzer Zeit umfassend aufzuklären“, sagte er SZ Dossier.


Wer schickt wen? Bei den Grünen ist die Frage heikel, es geht schließlich hauptsächlich gegen ihre Minister. Sie entschieden sich für Konstantin von Notz, Realo, erfahrener Fraktionsvize, durchaus prominent. Die FDP setzt auf Krawall, jedenfalls dem Namen nach, Heizungsrebell Frank Schäffler wird Mitglied. Er wolle sich bei der Aufklärung „wie immer konstruktiv“ beteiligen, sagte er SZ Dossier. Die Vorwürfe, Lemke und Habeck hätten bei der „Verlängerung des Betriebs der Kernkraftwerke gemauschelt“, würde nun untersucht. Die SPD schickt Jakob Blankenburg.

5.

Scholz kritisiert Wissing: Volker Wissing (FDP) sei ein „großartiger Minister“, sagte Olaf Scholz gestern während der Regierungsbefragung. Viel muss das nicht heißen, hatte der Kanzler einst auch die ehemalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) als „erstklassig“ bezeichnet. Und eigentlich ist Scholz offensichtlich unzufrieden mit ihm. Wissing hatte mit Peking eine Absichtserklärung geschlossen, die laut Bundesregierung noch nicht geeint war. Der Kanzler sagte, der Abstimmungsprozess sei aus seiner Sicht „noch nicht zu Ende gewesen“. Eigentlich sollte die ja was zählen.


Keine Vereinbarung: Wissing hatte vergangene Woche in Peking eine Absichtserklärung über den „Dialog zum grenzüberschreitenden Datenverkehr“ unterzeichnet. Im Gespräch mit Table Media sagte Wissing, „Politiker, die in Verantwortung stehen, können sich nicht darauf berufen, dass es schwierig ist, sondern sie müssen Lösungen erarbeiten“. Das entspreche aus seiner Sicht auch der China-Strategie der Bundesregierung.


Je ne regrette rien: Die Absichtserklärung sei ein wichtiger Schritt und folge einer Absichtserklärung zum autonomen Fahren. Deutsche Unternehmer, sagte Wissing, würden erwarten, dass der Datenverkehr mit China auch in Zukunft möglich ist. Mehrere Ministerien hatten sich äußerst irritiert über die mangelnde Absprache geäußert. „Wir haben im kontinuierlichen Austausch mit den Ressorts frühzeitig über meine China-Reise und meine damit verbundenen Absichten informiert“, sagte Wissing. Gestern übrigens haben Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Robert Habeck (Grüne) den Verkauf des Gasturbinen-Geschäfts von VW untersagt.

6.

Mutmaßliche Umweltkriminalität beendet? In der Affäre um Betrug bei Klimaschutzprojekten in China hat Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) einen sofortigen Stopp der Aktivitäten verkündet. Das „intransparente, betrugsanfällige und letztlich unkontrollierbare System“ sei zum 1. Juli beendet worden, so Lemke, die sich gestern im Bundestag den Fragen des Umweltausschusses stellte. Seitdem können deutsche Mineralölkonzerne keine neuen Projekte im mutmaßlichen Betrugssystem beantragen.


Schlussstrich: Damit beendet Lemke eine Praxis, die in den vergangenen Wochen für Kritik an dem Bundesumweltministerium (BMUV) und dem Umweltbundesamt (UBA) gesorgt hatte. Der Verdacht: In Form von Zertifikaten haben sich deutsche Konzerne möglicherweise mehrfach einen Klimaschutzbeitrag für Projekte in China anrechnen lassen, die es wohl nicht gegeben hat. 40 von 69 Klimaschutzprojekten stuft das UBA als Verdachtsfälle ein, die Staatsanwaltschaft Berlin ist eingeschaltet.


Union will Sondersitzung des Umweltausschusses: Die Bundesumweltministerin sieht die Verantwortung für die Betrugsfälle auch bei der Vorgängerregierung, die die Praxis einführte und der Kraftstoffindustrie die Möglichkeit eröffnete, sogenannte Upstream-Emission-Reduction-Projekte im Ausland auf die Treibhausgasminderungsquote anzurechnen. Scharfe Kritik kommt aus der Union. „Frappierend war, dass die Ministerin keine unserer Fragen beantwortet hat“, sagte der zuständige Berichterstatter Christian Hirte (CDU) SZ Dossier. Weiter unklar sei aus seiner Sicht, wie mittlerweile offenkundige Betrügereien so lange von UBA und BMUV unbemerkt bleiben konnten. Deshalb plane seine Fraktion, eine Sondersitzung des Umweltausschusses für Freitag anzuberaumen.

Zitat des Tages

Ich hoffe, dass er das Beste aus beiden werden wird: geduldig wie Merkel, immer die Nerven behaltend, gut im Umgang mit Menschen. Und hartnäckig und zäh wie Scholz.

Alastair Campbell im Stern über den Labour-Kandidaten Keir Starmer, der laut Umfragen der nächste Premierminister Englands werden könnte, Campbell gilt als einer der Architekten des Wahlsiegs von Tony Blair im Jahr 1997

Zu guter Letzt

Wer künftig im Plenum pöbelt, soll härter bestraft werden. Das Ordnungsgeld für Abgeordnete soll von 1.000 auf 2.000 Euro verdoppelt werden. Im Wiederholungsfall steigt es auf 4.000 Euro. In Zukunft soll automatisch ein Ordnungsgeld fällig werden, wenn ein MdB innerhalb von drei Sitzungswochen drei Ordnungsrufe kassiert. Auch der Zeitraum für mögliche Ordnungsrufe soll erweitert werden.


Gestern hat die Ampel dazu einen Antrag vorgelegt, der in erster Lesung beraten wurde. Weitere Neuerungen: Zwischenfragen und Bemerkungen soll es künftig auch bei Aktuellen Stunden geben. In der Geschäftsordnung soll zudem ergänzt werden: „Jegliche beleidigenden oder diskriminierenden, insbesondere rassistischen oder sexistischen Äußerungen oder Verhaltensweisen gegenüber einem anderen Mitglied oder Dritten sollen unterlassen werden.“


Erweitert werden sollen auch die Befugnisse der Ausschussvorsitzenden, die künftig Rote Karten verteilen sollen. Laut Antrag sollen sie eine „formelle ordnungsrechtliche Kompetenz“ gegenüber Mitgliedern erhalten. Heißt: Bei erheblichen Störungen könnten Störer mit der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit künftig vor die Tür gesetzt werden.


Danke! An Fabian Löhe fürs Redigat, an Tim Frehler, Bastian Mühling, und Gabriel Rinaldi für ihre Beiträge. An Meike Schreiber für die Zusammenarbeit. Und an Sabrina Frangos und Team in Australien für Schlusskorrektur und Produktion.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier

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