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Nutzungsrechte erwerbenNato-Gipfel: Viel zu tun, wenig zu feiern
Dienstag, 9. Juli 2024Von Gabriel Rinaldi
Guten Morgen. Wladimir Putins Russland hat gestern Kyiv und andere Städte in der Ukraine mit Raketen und Marschflugkörpern angegriffen. Mindestens 36 Menschen starben, 140 wurden verletzt, sagte Andrij Jermak, Leiter von Selenskyjs Präsidialamt. Ukrainischen Angaben zufolge starben allein im Ochmatdit-Krankenhaus zwei Menschen.
Im größten Kinderkrankenhaus der Ukraine werden jährlich bis zu 20.000 Kinder behandelt. Gestern schlug mindestens ein russischer Marschflugkörper direkt in einem Gebäude des Hospitals ein. Wie es aus Kyiv hieß, wurden Abteilungen für Dialyse, Krebsbehandlung, Operationssäle und die Intensivstation beschädigt. Bilder zeigten blutbefleckte Fliesen, verlassene Räume, Kinderspielzeug in den kleinen Betten. Kleine Krebspatienten saßen mit ihren Müttern auf der Straße.
„Das ist Krieg gegen Zivilisten. So sehen die Verhandlungsbereitschaft und der Friedenswille Russlands aus“, schrieb der deutsche Botschafter Martin Jäger auf X. Die Bilder lassen sich so leicht nicht ausblenden, gerade nicht vor dem Nato-Gipfel, der heute in Washington beginnt. „Für mich ist klar, die Bundesregierung sollte auf die massiven russischen Raketenangriffe mit der Lieferung von Taurus, mit einer verstärkten militärischen Unterstützung der Ukraine und mit der Aufgabe der Vorbehalte für die Nato-Einladung und künftige Mitgliedschaft reagieren“, sagte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter SZ Dossier.
Es sei eine Frage des politischen Willens, Russland zu stoppen. „Ich hoffe sehr, dass die schrecklichen Angriffe des Terrorstaats Russland auf Kinderkrankenhäuser und zivile Ziele der vergangenen Tage zu einem Umdenken im Kanzleramt führen“, sagte Kiesewetter. Er fürchte jedoch, dass Deutschland, die „selbsternannte europäische Führungsmacht, die notwendige Ausweitung der Unterstützung der Ukraine wirtschaftlich schwächeren Ländern überlässt“.
Gestern Abend versammelten sich Demonstrantinnen und Demonstranten vor der russischen Botschaft in Berlin, viele von ihnen mit ukrainischen Flaggen. „Ihre Unentschlossenheit bringt uns um“, stand auf einem Plakat. Gerichtet war es an die Bundesregierung. Heute, um 11:45 Uhr, hebt die Kanzlermaschine nach Washington ab.
Willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Heute beginnt in Washington der Nato-Gipfel mit Feierlichkeiten zum 75. Jubiläum des Verteidigungsbündnisses. Die Feierlaune ist getrübt durch einerseits politische Unsicherheit nach den Wahlen in Frankreich und vor den Wahlen in den USA, und andererseits den anhaltenden Krieg Russlands gegen die Ukraine. Auf Deutschland käme es an.
Eine Führungsmacht betreibt Selbstbeschäftigung: Die Haushaltseinigung habe die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit gestärkt, reklamierten die Spitzen der Ampel am Freitag. Was dem Bundeskanzler Nato-Alliierte dazu vielleicht nicht so deutlich sagen, bekommt er daheim von Partnern und Opposition mitgeteilt. „Ja, ich habe deutlich weniger bekommen, als ich angemeldet habe. Das ist ärgerlich für mich, weil ich bestimmte Dinge dann nicht in der Geschwindigkeit anstoßen kann, wie es Zeitenwende und Bedrohungslage erforderlich machen“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gestern.
Auf die Tagesordnung: „Die grausamen russischen Angriffe vor allen Dingen auf die ukrainische zivile Infrastruktur sind ja tragischerweise gar nichts Neues. Und natürlich muss das auf dem Nato-Gipfel eine Rolle spielen, denn das, was jetzt gerade geschieht, ist natürlich kein Zufall“, sagte FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann SZ Dossier. Putin zeige der Nato erneut „den Mittelfinger“. Viktor Orbáns „Friedensmission“ nach Russland und China sollten sich die Alliierten einmal vornehmen: „Auch dessen Verhalten gehört in Washington auf den Tisch“, forderte sie, mögliche Erwartungen enttäuschend, sie werde sich als Europaabgeordnete andere Ziele ihres Zorns suchen als den Kanzler.
All in? „Beim Nato-Gipfel wäre es deshalb von großer Bedeutung, dass sich die Nato-Mitglieder endlich auf das gemeinsame Ziel, des Sieges der Ukraine und der Wiederherstellung der Grenzen von 1991 einigen, und entsprechend eine Strategieänderung stattfindet“, sagte Roderich Kiesewetter (CDU) SZ Dossier. Nicht „as long as it takes“, sondern „whatever it takes to win the war“ und „all in“ bei militärischer, politischer und finanzieller Unterstützung müsse gelten, was unterhalb einer direkten Kriegsbeteiligung liege und völkerrechtlich zulässig sei.
Keine roten Linien. Die Ukraine brauche weiterhin, und zwar von allen Nato-Mitgliedern, ausreichende Luftabwehrsysteme, sagte Strack-Zimmermann. „Die Ukraine muss in die Lage versetzt werden, auch militärische Stellungen auf russischem Boden anzugreifen, von denen täglich hunderte von Raketen Richtung Ukraine abgefeuert werden.“ Nur aus der Stärke heraus werde sich die Ukraine an einen Tisch mit Russland setzen können, damit sich die russischen Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen. „Bei politischem Ziel und Strategieänderung sind es vor allem die USA und Deutschland, die hier entgegenstehen und weiterhin die Effektivität der Ukraine in der Verteidigung durch fragwürdige Vorgaben einschränken“, sagte Kiesewetter.
Eine gute Woche vor dem angesetzten Termin für die Wahl der Kommissionspräsidentin im Europaparlament wartet die Wirtschaft mit Spannung auf ihr Arbeitsprogramm für die kommenden fünf Jahre; viele speziell darauf, was aus dem Green Deal wird. Das meiste ist Gesetz, aber umgesetzt muss vieles erst werden. Ihn nicht nur weiterzuentwickeln, sondern durch eine Industriestrategie zu ergänzen, fordert die Stiftung KlimaWirtschaft in einem Positionspapier, das heute veröffentlicht wird und Bastian Mühling vorab vorlag.
„Weniger Regulierungseifer“: Die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte im Wahlkampf zugesagt, ihren Schwerpunkt weniger auf Klimaschutz und mehr auf Wettbewerbsfähigkeit zu legen. Auf eine Industriestrategie, die echte und vorgebliche strukturelle Probleme und Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Rest der Welt beseitigen soll, pochen neben der EVP auch deutsche Industrievertreter, nicht mehr nur, wie seit jeher, Frankreich.
Erneuerbare als Kern: Peter Liese, der umweltpolitische Sprecher der EVP, warnt vor nicht viel weniger als einer Deindustrialisierung, sollte sich von der Leyen bei dem Thema nicht bewegen. „Die gesamte Akzeptanz für die Klimapolitik wird leiden, wenn wir als Preis eine Deindustrialisierung bekommen“, sagte er SZ Dossier. Die Verschlagwortung der Politik hat er von der Parteikollegin jedenfalls schon gelernt: Als Kern eines „Green Industrial Deal“ sieht Liese erneuerbare Energien zu günstigen Preisen, oho.
Das Deutschlandticket wird teurer. Wie teuer, konnten die Verkehrsminister der Länder gestern nach einer Sonderkonferenz nicht sagen. „Die Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister der Länder sind sich einig, dass es im Jahr 2025 eine Erhöhung des Ticketpreises geben wird“, sagte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer von den Grünen. Das deutschlandweit nutzbare Ticket mit rund elf Millionen Abonnenten gilt bei vielen Vätern und Müttern als Erfolg; über den Unterhalt streiten sie.
Nicht länger finanzierbar: Nach Lage der Dinge müsse man davon ausgehen, dass der bisherige Preis von 49 Euro spätestens nach dem Jahresende nicht mehr zu halten sein wird, sagte Krischer. Derzeit subventionieren Bund und Länder das Deutschlandticket mit je 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Das Geld soll wegfallende Einnahmen der Verkehrsbetriebe kompensieren, für die das 49-Euro-Ticket trotz insgesamt höherer Nutzerzahlen weniger lukrativ ist als ihre bisherigen Angebote. Mehr hier in der SZ.
Auf Wiedervorlage: Weitere Planungen soll es auf der Verkehrsministerkonferenz im Herbst geben. Dann nämlich, wenn „alle Zahlen, Daten und Fakten und insbesondere auch die politischen Entscheidungen des Bundes, die jetzt noch anstehen, zugrunde liegen“, so Krischer. Für 2024 soll der Preis von 49 Euro im Monat gehalten werden, falls der Bund seine Versprechen einhält. Das Verkehrsministerium hatte nach der Haushaltseinigung angekündigt, man peile für kommende Woche einen Kabinettsbeschluss an, der eine Überjährigkeit der Mittel für das Deutschlandticket ermöglichen – und damit die Preisstabilität für 2024 sichern – soll.
Fast 20.000 Kinder und Jugendliche wurden laut Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr Opfer sexualisierter Kriminalität, ein deutlicher Anstieg zu den Vorjahren. „Jeden Tag werden in Deutschland 54 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung des Bundeslagebilds zu Sexualdelikten gegen Kinder und Jugendliche. Die Zahlen befeuern eine alte Debatte, die auch die Ampel spaltet. Zur Erinnerung die Argumente, stellvertretend, im Folgenden.
Gesamtgesellschaftliche Aufgabe: In mehr als der Hälfte der Fälle kennen sich Opfer und Tatverdächtige. Die Täter waren zu 94 Prozent Männer, die Opfer zu 75 Prozent weiblich. „Der gefährlichste Ort ist dabei das eigene Zuhause. Die meisten Taten geschehen im sozialen Nahfeld der Opfer“, sagte Carmen Wegge (SPD) SZ Dossier. Die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und die Eindämmung des Bildmaterials dieses Missbrauchs sei daher eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht durch eine Einzelmaßnahme gelöst werden kann“. Wegge forderte unter anderem niedrigschwellige Anzeigemöglichkeiten und eine schnellere Löschung von Missbrauchsdarstellungen.
Das geht vielen nicht weit genug. „Die Täter dürfen sich nirgendwo sicher fühlen. Wir brauchen daher auch eine Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen bei den Anbietern, um Täter zu identifizieren und Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Dafür werde ich mich weiter starkmachen“, sagte Faeser. Insbesondere Justizminister Marco Buschmann (FDP) lehnt eine solche Regelung ab.
Auch die Union erneuerte ihre Forderung. „Wir benötigen eine praxistaugliche Regelung zur Speicherung von IP-Adressen von mindestens 14 Tagen. Damit kann die Trefferquote ungefähr verdoppelt werden und digitale Tatortspuren dem Verursacher sicher zugeordnet werden“, sagte Andrea Lindholz (CSU) SZ Dossier. Bis ein solcher Gesetzentwurf umgesetzt sei, vergingen wertvolle Monate, in denen Kinder im Internet weitgehend schutzlos seien.
Tiefgang
Nach der anfänglichen Erleichterung über das Wahlergebnis der französischen Parlamentswahl folgt jetzt ein Gefühl der incertitude, der Unsicherheit in Frankreich und Europa über die nächsten Schritte. Präsident Emmanuel Macron hat mit hohem Einsatz gespielt und sicher nichts dazugewonnen, aber die Verhältnisse hat er wieder einmal kräftig aufgemischt.
Mit 182 Sitzen für das Linksbündnis Nouveau Front Populaire, 168 für das Macron-Bündnis Ensemble und 143 für den Rassemblement National ist die Nationalversammlung nun in drei verschiedene Blöcke unterteilt. Eine Mehrheit von 289 Sitzen scheint in weiter Ferne. „Die Ergebnisse bestätigten die Dreiteilung der französischen Wählerschaft in einen linken Block, einen zentristischen Block und einen rechtsextremen Block“, sagte Célia Belin, Leiterin des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) in Paris.
Da kein Block die absolute Mehrheit erlangt hat – auch nur annähernd – könne keiner die Legitimation zum Regieren beanspruchen (was sie nicht daran hindert, das zu tun). „Frankreich geht in eine ‚dritte Runde‘ seiner Parlamentswahlen, da die Verhandlungen nun beginnen und Tage oder Wochen dauern können“, sagte Belin. Neuwahlen sind für ein Jahr ausgeschlossen. Vier Dinge, die jetzt auf das Land zukommen.
Der Präsident hat Zeit. Es ist Praxis, dass der Premierminister der größten Fraktion angehört, doch Macron allein entscheidet qua Verfassung darüber, wen er ins Amt bringt. Das Parlament wahrt seine Rechte, indem es der Regierung mit absoluter Mehrheit das Misstrauen aussprechen kann. Premierminister Gabriel Attal reichte gestern seinen Rücktritt ein, was Macron für „die Stabilität des Landes“ ablehnte. Die Regierung kann vorerst geschäftsführend im Amt bleiben. Der Präsident wird auf einen Vorschlag aus dem linken Lager warten und beobachten, wie sich die Parteien verhalten.
Es wird Kompromisse geben müssen. Das wird eine Herausforderung, nicht zuletzt für Macron. Derzeit ist unklar, wen das Linksbündnis aufstellen könnte. „Wir müssen in der Lage sein, innerhalb einer Woche eine Kandidatur vorzulegen“, sagte Olivier Faure, Vorsitzender der sozialistischen Partei. Den Regierungsanspruch angemeldet haben sie schon jetzt. Eine Koalition wäre ebenfalls denkbar. Doch was in Deutschland Normalität ist, wäre in der Fünften Republik beispiellos und wurde bereits – besser: bislang – sowohl von Macron als auch der Linken zurückgewiesen.
Minderheitsregierung? Sie wäre denkbar, mit gänzlich offenen Kräfteverhältnissen. „Bisher hat Präsident Macron nie seine Bereitschaft oder Fähigkeit gezeigt, über sein politisches Programm zu verhandeln, um eine Koalition zu bilden, was wahrscheinlich zu einer gespaltenen Koalition mit gegensätzlichen Ansichten zu Schlüsselthemen wie Renten und Einwanderung führt“, sagte Belin. Paris drohten Jahre der politischen Instabilität. Stabilität aber ist halt eine spießige Obsession, vom Standpunkt eines kreativen Zerstörers aus gesehen.
Paradox des Wahlrechts. „In einem Frankreich, das so rechts gewählt hat wie noch nie, wendet sich Macron nun der Linken zu, um eine Regierung zu bilden“, schrieb die konservative Tageszeitung Le Figaro. Fakt ist: Lediglich das Mehrheitswahlrecht und das Zusammenstehen der anderen Parteien haben einen Sieg des Rassemblement National verhindert. Am Sonntag waren 32 Prozent aller abgegebenen Stimmen für die Le-Pen-Partei, 26 für das Linksbündnis und 23 für Ensemble. „Das Bündnis der Schande und die Wahlabsprachen, die Macron mit linksradikalen Gruppen getroffen hat, berauben die Franzosen heute Abend einer Politik des Aufschwungs, die sie mit großer Mehrheit befürwortet hatten“, sagte Jordan Bardella, der nun Fraktionschef in Brüssel statt Premier in Paris wird.
Fast übersehen
Am Auto-Pranger: Wie Politikerinnen und Politiker unterwegs sind, fragt die Naturschutzlobby Deutsche Umwelthilfe (DUH) in ihrem jährlichen Dienstwagen-Ranking ab. Besonders schlecht hat – wie traditionell in DUH-Publikationen – die FDP abgeschnitten. Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger fahren beide einen Audi A8 mit 462 PS und landen auf den letzten beiden Plätzen, knapp hinter Verkehrsminister Volker Wissing mit seinem 7er-BMW. Alle drei fahren Plug-in-Hybride. Die DUH geht hemdsärmelig davon aus, dass sie „nur im Verbrenner-Modus genutzt“ werden, was „nach Studien“ und Erfahrung über Land oft zutrifft und im Stadtverkehr kaum der Fall ist. Mehr in der SZ.
Grüner Fuhrpark: Der Stadtverkehr ist aber durchaus im Fokus. Das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck ist das einzige Haus, in dem zwei Staatssekretäre sogar auf ein Dienstrad umgestiegen sind. Ansonsten hat die Mercedes-EQS-Limousine von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zwar 544 PS, aber den geringsten CO₂-Ausstoß im Kabinett. Neben ihr lassen sich nur die Grünen Cem Özdemir und Steffi Lemke (beide Audi e-tron Sportback 55) in reinen Elektro-Sportwagen fahren und Lisa Paus mit dem BMW iX xDrive50 in einem SUV. Fünf Ministerien haben jedenfalls die Fuhrparks ihrer Staatssekretäre bereits komplett umgestellt, am CO₂-intensivsten sind hingegen die Staatssekretäre des Innenministeriums unterwegs.
Neue Bewegung in der Causa Döring: Auch die SPD erhöht den Druck auf Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). „Alle Fragen müssen so schnell wie möglich beantwortet werden. Ich finde ohnehin, dass frühzeitiger Transparenz hätte geschaffen werden können“, sagte SPD-Bildungspolitiker Oliver Kaczmarek SZ Dossier. „Ich glaube, es hat keine Zeit bis nach der parlamentarischen Sommerpause.“
Was zuvor geschah: Berliner Lehrende hatten in einem offenen Brief kritisiert, dass ein pro-palästinensisches Protestcamp an der FU Berlin geräumt worden war. Daraufhin sollte im Bildungsministerium (BMBF) sowohl überprüft werden, wer diesen Brief unterzeichnet hatte als auch, ob es möglich sei, Fördermittel zu streichen. Die genauen Vorgänge im BMBF sind unklar, am Ende wurde aber Staatssekretärin Sabine Döring geschasst. Die klagt nun vor dem Berliner Verwaltungsgericht, weil sie sich öffentlich äußern will. Das hatte ihr das Ministerium mit Verweis auf die dienstliche Verschwiegenheitspflicht verboten. Daraufhin hatte die Union eine persönliche Stellungnahme Dörings im Bildungsausschuss des Bundestages verlangt, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland zuerst berichtete.
Stark-Watzinger muss liefern: „Ob jetzt Frau Döring in den Ausschuss kommt oder nicht, muss wohl beamtenrechtlich geprüft werden. Für uns als SPD ist ohnehin Frau Stark-Watzinger die Ansprechpartnerin und diejenige, die auch für Klarheit sorgen muss und die auch jede Frage beantworten muss“, sagte Kaczmarek. Ob das durch schriftliche Informationen oder durch eine Befragung erfolge, sei für ihn erst mal nicht so relevant. „Es scheint ja so zu sein, dass die Opposition noch nicht alle ihre Fragen beantwortet sieht. Das muss ausgeräumt werden“, sagte Kaczmarek.
Zitat des Tages
US-Präsident Joe Biden lehnt in einem Brief an die demokratischen Abgeordneten einen Rückzug ab
Postkarte aus Schwedt
„PCK ist Schwedt und Schwedt ist PCK“, sagte die Bürgermeisterin der Stadt, Annekathrin Hoppe (SPD). PCK ist die Raffinerie, Schwedt die Stadt. Sie hat 34.000 Einwohner, früher waren es mal 55.000. Die Raffinerie produziert 90 Prozent des Benzins, Diesels, Kerosins und Heizöls für Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Teile von Westpolen, schreibt uns Valerie Höhne.
Der SPD-Politiker Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, ist gemeinsam mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), angereist. Die Probleme – und die Chancen – des Landes kumulieren hier. Die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft zum Beispiel, die Schneider nicht so nennen will, da bekämen die Menschen nur Angst. Stadtveränderung sei besser. Der Ruck nach rechts, bei der EU-Wahl im Juni lag die AfD mit 32,2 Prozent vorn, die SPD folgte mit 16,6 Prozent.
Schwedt ist ein symbolischer Ort, aufgeladen durch die Geschichte der Raffinerie, die vor 60 Jahren damals in der DDR gegründet wurde. Die Energiekrise, die 2022 auf den russischen Angriffskrieg folgte, traf Schwedt besonders, das Rohöl kam bis dahin zum Großteil aus Russland. Kellner erzählte von einem Zeitungsartikel, in dem es hieß, alle Arbeitnehmer würden gekündigt. Der Zeitungsartikel habe nie gestimmt, sagte Kellner, aber die Belegschaft war tief verunsichert. Geblieben sind Bilder von Robert Habeck, der im Mai 2022 auf einen Tisch sprang, vor hunderten Mitarbeitern stand, und versprach, die Raffinerie auch im Embargofall zu erhalten.
In diesem Jahr bildet PCK wieder aus, sie übernehmen 90 Prozent ihrer Azubis, zahlen gut, zwei von ihnen zeigen das Projekt eines Start-ups, es will Erdöl durch synthetische E-Fuels ersetzen und hat auf dem Werksgelände von PCK einen Plasmakatalyse-Reaktor aufgestellt. Sie glauben, ihr Geschäftsmodell werde funktionieren. Auch in fünfzehn Jahren noch, wenn kein Erdöl mehr verbrannt werden soll. Dafür, dass E-Fuels von Grünen und Sozialdemokraten als Ersatzdroge für Liberale und andere Petrolheads verlacht werden, hören die Besucher recht aufmerksam zu.
Grazie mille! An das Team in Berlin und Brandenburg, an die Kolleginnen in Australien.