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Nutzungsrechte erwerbenIst die Lieferkettenregelung europarechtswidrig?
Donnerstag, 11. Juli 2024Von Valerie Höhne
Guten Morgen. Wenige Minuten nach der Eilmeldung veröffentlichten die alten Weggefährtinnen von Annalena Baerbock ihre Solidaritätsnachrichten. „So ist Annalena Baerbock. Verantwortung für das Ganze, eine Teamspielerin durch und durch“, schrieb die Fraktionsvorsitzende und eine ihrer engen Verbündeten Britta Haßelmann. Ihre Co-Vorsitzende Katharina Dröge schrieb, „danke dafür, dass Teamplay für Dich so wichtig ist“.
Annalena Baerbock hatte Christiane Amanpour von CNN ein Interview gegeben. Amanpour fragte Baerbock, ob sie jemals darüber nachdenke, als Kanzlerkandidatin für Deutschland anzutreten. Nachdem Baerbock im Interview mit der SZ vor wenigen Wochen noch nebulös geblieben war, war sie dieses Mal klar. „Offensichtlich ist die Welt eine komplett andere als bei der letzten deutschen Bundestagswahl“, sagte Baerbock, „in dieser Zeit der Krise heißt politische Verantwortung als Außenministerin, nicht an eine Kanzlerkandidatur gebunden zu sein“.
Sie werde ihre Partei aber selbstredend im Wahlkampf unterstützen, so gut sie könne, fügte sie hinzu. Für viele Grüne ist die Erklärung eine erhoffte Erleichterung, überraschend kam sie für Spitzen-Grüne nicht. Dass Baerbocks Verbündete ihre Teamfähigkeit so betonen, ist vielleicht die kleine späte Rache an Robert Habeck, der, nachdem Baerbock 2021 ihre Kandidatur verkündet hatte, vom „schmerzhaftesten Tag“ seiner politischen Laufbahn gesprochen hatte. Stichelei hin oder her: Wenn die Grünen einen Kanzlerkandidaten aufstellen, wird er Robert Habeck heißen.
Herzlich willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Das erste Mal seit Ende des Kalten Kriegs wollen die USA weitreichende Waffensysteme in Deutschland stationieren, die bis Russland reichen. Ab 2026 sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit mehr als 2000 Kilometern Reichweite, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Überschallwaffen Europa schützen, teilten die Bundesregierung und das Weiße Haus am Rande des Nato-Gipfels in Washington D.C. mit. Die Waffen verfügten laut den Regierungen über eine weitaus größere Reichweite als bisherige landgestützte Systeme. Die Ankündigung kam überraschend.
Pfad zur Mitgliedschaft unumkehrbar: Zuvor hatten die Nato-Staaten der Ukraine im Kampf gegen Russland mehr Unterstützung zugesichert, in der Abschlusserklärung des Dokuments wird der Pfad zur Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato als unumkehrbar bezeichnet. „Die Zukunft der Ukraine liegt in der Nato“, hieß es, man werde die illegale Annexion der Krim „niemals anerkennen“. Die Ukraine soll zudem Militärhilfen in Höhe von mindestens 40 Milliarden Euro erhalten. Die sich vertiefende strategische Partnerschaft zwischen China und Russland sehen die Nato-Staatschefs mit „großer Sorge“.
Kampfjets für die Ukraine: Die USA, Niederlande und Dänemark erklärten, der Transfer von F-16-Kampfjets habe bereits begonnen, die Maschinen könnten noch in diesem Sommer zum Einsatz kommen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte bei einer Rede vor der Ronald-Reagan-Stiftung, das Land brauche mindestens 128 Kampfflugzeuge, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.
Verbündete des Landes, darunter auch Deutschland, hatten der Ukraine zur Luftabwehr weitere Patriot-Systeme zugesagt. Scholz sagte vor einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dieser „Prozess“ der Unterstützung sei „nicht abgeschlossen“. Vor wenigen Tagen hatte Russland ein Kinderkrankenhaus in Kyiv angegriffen.
Was passiert, wenn Donald Trump die Wahl gewinnt? Scholz hat darauf in Washington D.C. eine klare Antwort: „Deutschland ist das größte Land in Europa innerhalb des Nato-Bündnisses. Daraus erwächst uns eine ganz besondere Verantwortung“, sagte er. Das könne er hier „klar und deutlich sagen: Wir werden, ich werde dieser Verantwortung gerecht werden“. Wäre die Bundesrepublik wirklich in der Lage, die USA als Führungsmacht der Nato zu ersetzen? Die Diskussionen über den Verteidigungshaushalt und die Kosten der Verteidigungsfähigkeit in Deutschland gehen, siehe Wehrpflicht, weiter. Im Abschlussdokument des Gipfels hieß es, künftig müssten in vielen Ländern mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investiert werden.
Im jahrelangen Streit um die Verbannung chinesischer Bauteile aus dem neuesten Mobilfunkstandard 5G zeichnet sich ein Ende ab, wie wir am Montag berichteten. Nach Informationen von SZ, NDR und WDR haben sich Regierungsvertreter und Mobilfunkanbieter jetzt auf die Grundzüge einer Lösung verständigt.
Zuerst das Kernnetz: Die Einigung sieht vor, dass in einem ersten Schritt das sogenannte Kernnetz im Jahr 2026 von Komponenten chinesischer Hersteller wie Huawei oder ZTE befreit werden soll. Beim Kernnetz geht es, vereinfacht gesagt, um die zentralen 5G-Rechenzentren für die Datenübertragung. Sie gelten als besonders wichtig, weil dort viele Daten und Informationen verarbeitet werden.
Und dann der Rest: In einer zweiten Phase bis Ende 2029 sollen chinesische Bauteile dann auch aus dem Managementsystem des sogenannten Zugangs- und Transportnetzes entfernt werden. Hierzu zählen etwa die Funkmasten. Bei Verstößen gegen diesen Fahrplan sollen Vertragsstrafen verhängt werden. Die Einigung soll in Kürze auch schriftlich besiegelt werden. Mehr zu den Details hier.
BMI und Unternehmen: Den Durchbruch sollen in den vergangenen Wochen Verhandlungen in kleiner Runde gebracht haben. Hochrangige Vertreter der Unternehmen sprachen mehrfach mit dem für IT-Fragen zuständigen Staatssekretär des Innenministeriums, Markus Richter, und seiner neuen Cyber-Abteilungsleiterin Friederike Dahns. Auch im Vorfeld hatte es immer wieder Gespräche zwischen BMI und den Unternehmen gegeben.
Die drei Jugendorganisationen der Koalitionsparteien sind sich dieser Tage eigentlich in wenig einig. Eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht aber sehen sie, wie die FDP-Minister Lindner und Buschmann, kritisch. „Grundsätzlich lehnen wir eine allgemeine Wehrpflicht ab, sie greift viel zu stark in die Freiheitsrechte Jugendlicher ein und beantwortet nicht die Personalprobleme bei der Bundeswehr“, sagte Juso-Vorsitzender Philipp Türmer SZ Dossier.
Die Wehrpflichtdebatte sei von zwei Vorurteilen geprägt, findet Türmer. „Früher war alles besser und die Jugendlichen sind faul. Beides Bullshit“, sagte er SZ Dossier. Es engagierten sich bereits zwei Drittel der Jugendlichen ehrenamtlich für die Gesellschaft. Wichtig sei die Frage, wie man Attraktivität und Zugänglichkeit sowohl der Bundeswehr als auch von Freiwilligendiensten steigere. „Der Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst würde jungen Menschen viel mehr bringen und ebenfalls zur Resilienz unserer Gesellschaft beitragen“, sagte Türmer.
Nein danke: Franziska Brandmann, Vorsitzende der Jungen Liberalen, sagte ZDF heute, die Frage dürfe nicht sein, wer Bock habe, sondern ob die Wehrpflicht wirklich notwendig sei. Die Grüne Jugend hatte im Mai gesagt, ihre „krisengeschüttelte Generation“ müsse schon genug mitmachen.
Das Pistorius-Modell sieht in erster Linie einen freiwilligen Wehrdienst vor, die Beantwortung eines Online-Fragebogens zur Fitness und vor allem dazu, ob sie zur Bundeswehr wollen, soll für junge Männer verpflichtend, für junge Frauen freiwillig sein. Kommen so nicht genügend Rekruten zusammen, sollen nach Pistorius' Vorstellung junge Männer möglicherweise verpflichtet werden können. Dagegen sind Buschmann und Lindner, aber auch große Teile der SPD und Grünen. Ein Referentenentwurf soll im Herbst vorliegen.
Am Wochenende haben türkische Fußballfans massenhaft den sogenannten „Wolfsgruß“ der faschistischen Grauen Wölfe gezeigt. Die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor fordert, die Geste zu verbieten, wie es anderswo in Europa längst der Fall ist. „Der ‚Wolfsgruß‘ ist ein Erkennungssymbol der Grauen Wölfe und steht damit eindeutig für rechtsextreme und antisemitische Überzeugungen“, sagte die Grünen-Innenpolitikerin SZ Dossier. Menschen, die diesen Gruß benutzen, wüssten daher in der Regel ganz genau, welche Ideologie sie damit verbreiten.
Gefahr für Demokratie: Die ultranationalistische Ülkücü-Bewegung sei unter anderem eine Gefahr für Kurden, Armenier, Aleviten und Juden, sagte Kaddor, zunehmend auch für die Demokratie. „Ein mögliches Verbot von Vereinen in Deutschland, die den Grauen Wölfen beziehungsweise der Ülkücü-Bewegung zugeordnet werden können, ist keine leichte juristische Aufgabe“, sagte der SPD-Abgeordnete Macit Karaahmetoğlu SZ Dossier. Beim Innenministerium liege bereits seit Ende 2020 ein entsprechender Prüfauftrag des Bundestages vor. Dass nichts passiert ist, sei kein Zeichen der Untätigkeit, sondern unterstreiche, dass die Sache kompliziert sei.
Dialog oder Verbot? Man müsse auch bewerten, ob ein Verbot möglicherweise nicht gewollte Nebeneffekte haben könnte, etwa einen gesteigerten Zulauf. Noch größere Hürden sieht er beim Wolfsgruß selbst. „Das Handzeichen bezieht sich auf das mythologische Tier der Turkvölker, den Wolf“, sagte Karaahmetoğlu. Selbst der Verfassungsschutz schränke laut Karaahmetoğlu ein, dass nicht jeder, der diesen Gruß benutzt, ein Rechtsextremer sei. Das Innenministerium konnte sich auf Anfrage von SZ Dossier zu etwaigen Verbotsverfahren „grundsätzlich nicht äußern, um mögliche künftige Maßnahmen nicht zu gefährden“.
Tiefgang
Für die Bundesregierung könnte dieses Gutachten unangenehm werden. Gerade erst haben sich die Koalitionsspitzen im Rahmen der Haushaltsverhandlungen auf eine Abschwächung des deutschen Lieferkettengesetzes zur Entlastung der Wirtschaft geeinigt. Diese ist aber möglicherweise europarechtswidrig. Davon geht ein Rechtsgutachten der Jura-Professorin an der Universität Halle-Wittenberg, Anne-Christin Mittwoch, aus. Sie hat es im Auftrag der Umwelt- und Verbraucherorganisation Germanwatch und Oxfam Deutschland verfasst, es liegt SZ Dossier vor.
Demnach bestimme die EU-Lieferkettenrichtlinie, die noch in Landesrecht umgesetzt werden muss, dass das bestehende Schutzniveau nicht abgesenkt werden dürfe. Verstößt die Bundesregierung gegen EU-Recht, riskiert sie ein Vertragsverletzungsverfahren. „Die Anzahl der vom deutschen Gesetz erfassten Unternehmen mit Verweis auf die Richtlinie zu reduzieren – wie jetzt von der Bundesregierung vorgeschlagen – wäre europarechtswidrig“, sagte Mittwoch. Grund hierfür sei das sogenannte „Verschlechterungsverbot“.
Es besagt, dass die EU-Richtlinie nicht als Rechtfertigung für eine Senkung der Vorschriften der Mitgliedstaaten dienen darf. Die Bundesregierung könnte also nicht Arbeitnehmerzahl und Umsatzschwellenwert einfach heraufsetzen, um kleinere Unternehmen von den Berichtspflichten durch das deutsche Lieferkettengesetz zu befreien. Dabei ist das der Plan von Finanzminister Christian Lindner (FDP), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Habeck, durchaus ein Verfechter des europäischen Lieferkettengesetzes, schrieb in einem Brief an seine Parteifreunde, dass bei Unternehmen mit Blick auf die unterschiedlichen Regelungen in Deutschland die „Genervtheit steigt, die Akzeptanz schwindet“. Daher hätten sie sich entschieden, den Übergang vom deutschen zum europäischen Recht „einfacher und klarer“ zu machen. „Zur Ehrlichkeit gehört, dass in der Übergangsphase die Sorgfaltspflichten nicht verbindlich sind.“
Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums wollte das Gutachten auf Anfrage nicht kommentieren. Die Beschlüsse der „Wachstumsinitiative“ im Rahmen der Haushaltsverhandlungen seien jetzt aber „Grundlage eines Prüf- und Umsetzungsprozesses in den Ressorts“.
Es war vor allem Lindner, der auf die Anhebung der Schwellenwerte bestand, weswegen zwei Drittel der deutschen Unternehmen ab Anfang 2025 nicht mehr unter das deutsche Lieferkettengesetz fallen. Dann wären weniger als 1000 Unternehmen betroffen, käme es bei diesen zu Verstößen, sollen sie, siehe Habecks Brief, nicht geahndet werden. Derzeit sind laut Schätzungen etwa 5000 Unternehmen verpflichtet, nach dem deutschen Lieferkettengesetz Umwelt- und Menschenrechtsstandards über die gesamte Lieferkette ihrer Produkte zu prüfen.
Größere Firmen geben ihre Verpflichtungen oft an kleinere Zulieferer weiter, über Umwege sind also weitaus mehr Firmen betroffen. Der Mittelstandsverbund klagt über ineffiziente Prozesse durch die Parallelität von deutschem Lieferkettengesetz und EU-Lieferkettenrichtlinie sowie Rechtsunsicherheiten, die viel zu langsam abgeräumt würden. „Das nunmehr veröffentlichte Rechtsgutachten bringt daher mehr Unsicherheit als sonst etwas“, sagte Hauptgeschäftsführer Henning Bergmann SZ Dossier.
Mangelende Planungssicherheit für die Unternehmen kritisiert auch Germanwatch, da die Firmen nur zeitweise von ihren Pflichten befreit würden, um sie dann nach etwa einem Jahr doch wieder erfüllen zu müssen. Cornelia Heydenreich, Leiterin des Bereichs Unternehmensverantwortung bei Germanwatch, fürchtet zudem, dass Betroffene im Globalen Süden in Verfahren gegen deutsche Unternehmen hängengelassen werden könnten, „weil das involvierte Unternehmen plötzlich von seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen entbunden wird“.
Die Grünen sind in Teilen nicht der Auffassung des Vizekanzlers. „Die Europäische Lieferkettenrichtlinie ist gegenüber dem deutschen Lieferkettengesetz ein Fortschritt“, sagte der Grünen-Politiker Wolfgang Strengmann-Kuhn SZ Dossier. „Aber es ist gut, dass bis zur Umsetzung der europäischen Richtlinie das deutsche Lieferkettengesetz weiterhin Gültigkeit hat.“ Fabian Löhe
Fast übersehen
Stark-Watzingers Personalentscheidung wirft Fragen auf: Roland Philippi soll nächsten Mittwoch zum beamteten Staatssekretär im Bundesbildungsministerium befördert werden. Nun hat der Spiegel über interne Chats berichtet, die entweder Zweifel an seiner Eignung aufkommen lassen, wenn man die für die Entlassung seiner Vorgängerin vorgebrachten Gründe für stichhaltig hält – oder Zweifel an der Notwendigkeit eben jener Entlassung.
Zur Vorgeschichte also: Philippi soll Nachfolger von Sabine Döring werden. Sie wurde entlassen, weil sie – laut Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) – Abteilungen des Hauses prüfen ließ, ob man Unterzeichner eines Briefs, die sich mit einem pro-palästinensischen Protestcamp solidarisierten, Fördermittel entziehen könne. Stark-Watzinger warf ihrer Staatssekretärin vor, das Vertrauen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in das Haus und den Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit beschädigt zu haben.
Philippi äußerte sich nicht anders, als es Döring vorgeworfen wurde: Auf eine interne Nachricht von Stark-Watzinger, dass Unterzeichner des Briefs das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit des Hauses angreifen könnten, schrieb Philippi Folgendes (seine „persönliche Meinung“): „Wenn sich dadurch eine Art informelle, ‚freiwillige‘ und selbst auferlegte Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung bei so manchen, verwirrten Gestalten etabliert (bspw so einen Aufruf nun mal eben nicht zu unterzeichnen wg Sorge um die Förderung), hätte ich jetzt ad hoc nix gegen …“. Das Verwaltungsgericht Köln hat das Löschen der internen Kommunikation nach einem Eilantrag der Plattform Frag den Staat vorerst untersagt.
Döring will sprechen: Weil das Wissenschaftsministerium die geschasste Staatssekretärin Döring nicht von ihrer Verschwiegenheitspflicht entlassen hat, geht Döring nun juristisch dagegen vor. In einem Interview mit der Zeit sagte sie, der „der Wahrheitsfindung gewidmete Campus darf nicht für eine politische Agenda missbraucht werden, weder durch den Staat noch durch sonst jemanden“. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker hatten den Brief durch die Unterstützer des Camps als antisemitisch verurteilt.
Wenn der Antrieb stottert: Der Ausfall des deutsch-französischen Motors der EU hat Folgen nicht nur in Leitartikeln, sondern auch tatsächlich für die Agenda der EU. In einer neuen Studie, die SZ Dossier vorab vorlag, warnen Forscher am Berliner Jacques Delors Centre davor, dass eine entscheidende Reform plötzlich keine Kümmerer mehr hat: Die lange geplante Kapitalmarktunion soll den Zugang von Unternehmen zu (Risiko-)Kapital erleichtern und so Nachteile gegenüber den USA ausgleichen.
Solange die Innenpolitik dominiert, geht nichts in der EU: „Es besteht die ernste Gefahr, dass EU-Regierungen … sich lediglich auf Maßnahmen einigen, die de facto die bestehende Marktfragmentierung verstärken und die Finanzstabilität gefährden“, heißt es in der heute im Lauf des Morgens hier erscheinenden Kurzstudie von Johannes Lindner und Sebastian Mack.
Kein Vakuum kann sich halten: Deutschland und Frankreich haben das Großprojekt immer wieder auf die Agenda gehoben – aber wo jemand eine Lücke lässt, ist Platz für andere Spieler: Mit der EU-Kommission steht ein solcher als Treiber von „Strukturreformen, die die Märkte wirklich integrieren“ bereit. Die neue Kommission, so fordert die Studie, solle „ehrgeizige und wirksame Reformen als eine der Prioritäten ihres neuen Mandats vorantreiben“.
Wo läuft das Wasser hin? Im Atomendlager Asse scheint Wasser zu versickern. Seit Jahrzehnten kämpfen sie gegen das eindringende Wasser in den Salzstock, jahrelang kamen 658 Meter unter der Erde verlässlich zehn Kubikmeter Wasser pro Stunde an, nun sind es viel weniger, erst 725 Meter unter der Erde nimmt der Strom wieder zu. Sie versickern auf dem Weg, und Salz ist wasserlöslich, das Wasser nimmt dem Bergwerk Stabilität, schreibt mein Kollege Michael Bauchmüller. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) besuchte das Atomendlager gestern Nachmittag, um sich das Problem anzusehen „kein schöner Anlass“, sagte sie.
Lemke will den Müll aus dem Bergwerk holen, das wollten vor ihr aber auch schon die Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Barbara Hendricks (SPD). 2033 soll der Müll an die Oberfläche, Kosten schätzungsweise: 4,7 Milliarden Euro. Vor dem Atomendlager versammelten sich gestern Protestierende, sie haben noch mehr Probleme als den Müll. Um große Transporte zu vermeiden, will die Bundesgesellschaft für Endlagerung riesenhafte Hallen direkt neben der Schachtanlage errichten. Dagegen wehren sich die Bürger – genau wie Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne). Er findet, die Fässer sollten, in ein Zwischenlager. „Am liebsten in Süddeutschland.“
Zitat des Tages
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die Entwicklungen im Bereich der KI
Zu guter Letzt
Heute ist Steuerzahlergedenktag. Bis zum 11. Juli arbeiten die Bürgerinnen und Bürger für öffentliche Kassen, sagt der Steuerzahlerbund, und erst dann fließt das Geld rechnerisch in ihren eigenen Geldbeutel. Von einem Euro Einkommen bleiben nach Abzug aller Abgaben demnach 47 Cent. Mit anderen Worten liegt die Quote für einen durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt derzeit bei 52,6 Prozent.
Darin berücksichtigt: Steuern aller Art, auch Sozialversicherungsbeiträge und Rundfunkgebühren, die der Steuerzahlerbund als „Quasi-Steuern“ ansieht. Nicht nur deshalb ist die Statistik umstritten. Es handelt sich bei Steuern schließlich um Geld, das für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingesetzt wird.
Trotzdem müsse die Belastungsquote dauerhaft unter 50 Prozent liegen, findet der Steuerzahlerbund. „Wir brauchen eine sehr dringliche und tiefgreifende Diskussion über unseren Einkommenssteuertarif, insbesondere zugunsten der Mittelschicht“, sagte Präsident Reiner Holznagel. Ein erster Lösungsvorschlag: Die Umsatzsteuersätze auf alle Güter des täglichen Bedarfs, auch Strom und Heizung, auf sieben Prozent senken.
Übrigens sind Single-Haushalte laut der Lobbyorganisation mit rund 53,6 Prozent überdurchschnittlich belastet. Ihr „Gedenktag“ ist erst am Montag.
Danke! An Florian Eder fürs Redigat, ans Team für ihre Beiträge, und an Sabrina Frangos in Australien für Schlusskorrektur und Produktion.