Wie politisch darf die Zivilgesellschaft sein?
Süddeutsche Zeitung Dossier
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Donnerstag, 18. Juli 2024
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Von Valerie Höhne

mit Tim Frehler, Gabriel Rinaldi und Matthias Punz

Schnelldurchlauf:

Scholz' Mission in Serbien +++ Grüne Lehren aus der Europawahl +++ Die Unzufriedenheit mit dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung +++ Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan auf der Kippe +++ So steht es um den Digitalcheck der Bundesregierung



Guten Morgen. Heute wird im Europäischen Parlament die Kommissionspräsidentin gewählt. Ursula von der Leyen will das Amt weiter ausfüllen. Sie muss dafür eine absolute Mehrheit von 361 Stimmen bekommen. Bei vergangenen Wahlen dieser Art waren die MdEPs aber nicht immer zuverlässig. Deshalb hat sich von der Leyen viel unterhalten in den vergangenen Tagen, hat dafür die eine oder andere Reise abgesagt. Voller Fokus auf die Kommission und die Abgeordneten.


Dann kam gestern eine für von der Leyen recht brisante Eilmeldung. Mit einem deutlichen Richterspruch hat das EU-Gericht gestern geurteilt, dass die Kommission die Öffentlichkeit unzureichend über die milliardenschweren Impfstoff-Kaufverträge informiert hat. Weder hat sie ihre direkte SMS-Kommunikation mit dem Chef des US-Pharmakonzerns Pfizer offengelegt, noch ermöglichte sie EU-Parlamentariern oder der Öffentlichkeit umfassenden Einblick in die Kaufverträge und die Rahmenbedingungen der Impfstoffkäufe.


Das könnte für sie, wenige Stunden vor dem wohl wichtigsten Tag ihrer Karriere, verhängnisvoll werden. Schon während der ersten fünf Jahre attestierten ihr Kritikerinnen und Kritiker oft einen Hang zur Intransparenz.


Ihre Rede beginnt um 9 Uhr, die Wahl um 13 Uhr. Die Zeit zwischen Rede und Abstimmung nutzen die Abgeordneten für letzte Absprachen, es findet auch eine Debatte statt. Viele MdEPs verlassen Straßburg schon am Donnerstagnachmittag, Abwesenheit kommt aber einer Ablehnung gleich. Ursprünglich war die Wahl für 14 Uhr angesetzt, sie wurde schon vorverlegt. Es wird spannend. Herzlich willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Scholz' heikle Mission in Serbien

Morgen fliegt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft nach England, von dort geht es am Freitag weiter nach Belgrad. Dort will der Kanzler an einer Konferenz zu kritischen Rohstoffen teilnehmen. Wenn alles nach Plan läuft, soll eine Absichtserklärung zwischen der serbischen Regierung, dem britisch-australischen Konzern Rio Tinto und mehreren Investoren, darunter auch Mercedes, unterzeichnet werden – und eine Vereinbarung zwischen Serbien und der EU-Kommission. Das Ziel: die Förderung von Lithium zum Beispiel für Autobatterien in Westserbien.


Loyal zu Europa? Im serbischen Jadar-Tal lagert Lithium im geschätzten Wert von etwa vier Milliarden Euro. Gegen die Förderung aber protestieren Umweltaktivisten, es gibt auch rechtsstaatliche Bedenken. Dazu kommt die geopolitische Dimension: Der serbische Präsident Aleksandar Vučić strebt nicht nur in die EU, er pflegt auch gute Beziehungen zu Russland und China. Peking will den Handel mit Lithium kontrollieren. Dem Handelsblatt sagte Vučić, die Chinesen hätten „sehr klar ihr Interesse zum Ausdruck gebracht, dass sie Zugang zu den Lithium-Vorkommen haben wollen“. Er sei aber „loyal zu Europa“. Das europäisch-serbische Lithium-Projekt soll das Land stärker an den Westen binden.


Keine chinesischen Standards zulassen: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Josip Juratovic ist Vorsitzender der deutsch-südosteuropäischen Parlamentariergruppe. „Nachdem der serbische Präsident Vučić China ins Spiel gebracht hat, ist es verständlich, dass die EU den Lithium-Abbau in Serbien nicht den chinesischen Standards überlassen kann“, sagte er SZ Dossier. Um die Klimaziele zu erreichen und Wohlstand zu halten, müssten Ressourcen unter ökologischen und sozialen Bedingungen außerhalb der EU abgebaut werden. Vučić habe ein Interesse an der EU als Handelspartner, um die Sicherung von ökologischen Standards zu gewährleisten. Juratovic forderte, die demokratischen Kräfte in Serbien stärker zu unterstützen.

2.

Grüne Lehren aus der Europawahl

11,9 Prozent haben die Grünen bei der Europawahl geholt, ihr Ergebnis hat sich also im Vergleich zu 2019 fast halbiert. Gestern Abend nun haben die beiden Parteivorsitzenden, Ricarda Lang und Omid Nouripour, circa 1500 Anhängern in einem Webinar vorgestellt, welche Lehren die Partei aus diesem Ergebnis ziehen will. Acht Punkte haben sie ausgemacht, um zur „führenden Kraft der linken Mitte“ zu werden.


Zuhören und antworten: Die Menschen fühlten sich von den Grünen nicht mehr gehört, sagte Ricarda Lang. Eingeübte Wahlkampfformate sollen daher überdacht werden, es soll mehr Dialogmöglichkeiten geben. Zweitens wolle man „handfeste Antworten“ auf die Probleme der Menschen in ihrem Alltag geben, sagte Nouripour. Auf Inflation, Migration, gestiegene Energiepreise, die Angst vor Krieg. Darauf solle künftig ein stärkerer Fokus liegen. Nach der Europawahl sagten laut einer Umfrage von Infratest Dimap 61 Prozent der Befragten, die Grünen kümmerten sich zu wenig um Wirtschaft und Arbeitsplätze. Das wollen sie ändern.


Markenkern stärken: Drittens, so Parteichefin Lang, wolle man wieder eine „führende Orientierungspartei“ werden. Das bedeute, um Stammwähler zu kämpfen, aber das erweiterte Potenzial nicht aufzugeben. Die Grünen sollten demnach klar in „Werten und Zielen und pragmatisch im Weg“ sein, sagte Lang. Klingt erst einmal nach weniger Öko, mehr Volkspartei. Trotzdem solle Klimaschutz und Naturschutz, Punkt vier, wieder stärker hörbar werden.


Angebote erneuern: Ricarda Lang mahnte ihre Partei, fünftens, dazu, sich mehr auf die eigenen Stärken als auf das negative campaigning anderer über sie zu konzentrieren. Die Grünen müssten robuster und souveräner werden, die eigenen „Stärken stärken“. Punkt sechs betrifft eine spezifische Wählergruppe: junge Menschen. Diese träfen „rationale Wahlentscheidungen“, sagte Nouripour, dieses Mal eben nicht für die Grünen. Lang sagte, 2021 – bei der Bundestagswahl – hätte die Partei ein Versprechen an die jungen Menschen gegeben, „jetzt seid ihr dran“. Das sei nicht eingelöst worden. Lösung? Angebot erneuern. Vielleicht klappt es mit der Einlösung nach der nächsten Wahl.


Busse, die fahren: Lang sagte, an vielen Stellen sei das Vertrauen in das Funktionieren des Staates verloren gegangen. Die Grünen wollten eine Politik für ein Land machen, „in dem die Dinge wieder funktionieren“. Stichwort Daseinsvorsorge: Der Bus soll fahren. Sie finden, sie hätten nach wie vor „eine klare Chance als führende Kraft der linken Mitte“, das Motto: „Pessimisten gewinnen keine Wahlen“. Das kann man auch so interpretieren: Geht es nach der Parteispitze, werden sie wieder einen Kanzlerkandidaten aufstellen.

3.

Die Unzufriedenheit mit dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung

Wenn das Struck’sche Gesetz (kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es ins Parlament gegeben wurde) von mehreren Parteien an einem Tag bemüht wird, dann weiß man: Zufrieden ist keiner. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, berief sich darauf beim Pressefrühstück. „Deshalb ist es ja so wichtig, dass das der Entwurf ist“, sagte sie. Der erste Satz des Grünen-Haushälters Sven-Christian Kindler las: „Kein Gesetz geht ohne Veränderungen durch den Bundestag. Das gilt insbesondere für das Königsrecht des Parlaments: den Haushalt.“


„Außerordentlich intensiv“, nannte Lindner die Verhandlungen zum Haushalt, sie würden auch im parlamentarischen Verfahren „intensiv bleiben“. Allein, dass es den Entwurf gebe, sei schon ein Zeichen der Stabilität und der Sicherheit in geopolitisch schwierigen Zeiten. Lindner hatte ein Bild von sich auf Instagram geteilt „POV“, also Point of View, das Auge des Betrachters, „wenn das Bundeskabinett den Entwurf des Bundeshaushalts 2025 beschließt“, stand darunter. Wirklich glücklich sah er nicht aus.


Offener Unmut aus dem Kabinett: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, haben einen Brief an die Truppe geschrieben. Man wolle nichts beschönigen: „Das Ergebnis ist nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben und gebraucht hätten.“ Man hätte allein 2025 einen Aufwuchs von sechs Milliarden Euro gebraucht, um die Zeitenwende angemessen umzusetzen. „Der jahrzehntelange Sparkurs – die sogenannte Friedensdividende – hat große Lücken gerissen. Diese Lücken müssen wir schnellstmöglich schließen: ob beim Personal, beim Material oder bei der Infrastruktur“, schrieben sie. Zuerst berichtete der Spiegel darüber.


Tricks der Haushaltsführung: Lindner hat sich mit einer sogenannten globalen Minderausgabe beholfen. Letztlich ist es eine Lücke von 17 Milliarden Euro, die bis zu den Bundestagsberatungen deutlich reduziert werden soll. Unter anderem wird geprüft, ob Zuschüsse an die Bahn und die Autobahn GmbH als Darlehen ausgezahlt werden könnten, die dann nicht als Schulden gewertet werden. Scholz findet, das sei nicht „unseriös getrickst“, sondern es sei alles „gut zueinander gefügt“ worden, sagte er im ARD-Interview der Woche.


Die Wette der Regierung: SPD-Geschäftsführerin Mast sagte, es gebe noch Unbekannte. Wie die eingefrorenen russischen Vermögenswerte, die, fordern manche, für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden könnten. Eine zweite Steuerschätzung folge ja auch noch, bevor der Haushalt 2025 das Parlament passiert, sagte sie. Mitte August wird der Haushaltsentwurf offiziell an das Parlament übergeleitet, dem Haushaltsausschuss liegt er als Drucksache bereits seit gestern vor.

4.

Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan auf der Kippe

Rund 540 Menschen hat die Bundesregierung seit Ende 2022 im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms für bedrohte afghanische Zivilisten (BAP) aufgenommen, dabei sollten 1000 Personen pro Monat kommen dürfen. Nun ist aufgrund der Haushaltslage unklar, ob das Programm überhaupt fortgeführt wird. Die Mittel für den entsprechenden Posten sollen um fast 90 Prozent gekürzt werden.


Auf der Kippe: „Es ist offen, wie es da weitergeht“, sagte gestern ein Sprecher des Innenministeriums. Angesichts der Haushaltslage müssten Innen- und Außenministerium weiter beraten, in welchem Umfang das Programm weiterlaufen kann. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts betonte aber, es sei im Koalitionsvertrag verankert. Die Regierung habe keine Entscheidung getroffen, das BAP vorzeitig zu beenden.


Enttäuschung und Frust: „Die Bundesregierung hat ihr Versprechen, gefährdete Menschen, insbesondere LGBTQ-Menschen, aufzunehmen, zu evakuieren und zu retten, nicht eingehalten“, sagte Ali Tawakoli, Gründer der Organisation Rainbow Afghanistan, SZ Dossier. Viele von ihnen säßen immer noch in Taliban-Gefängnissen und würden öffentlich von den Taliban bestraft.


Statt mehr Menschen zu evakuieren, würden Zusagen über das BAP derzeit verstärkt zurückgenommen, kritisierten Menschenrechtsorganisationen. Die Aufnahmebedingungen müssten erfüllt sein und sich keine Sicherheitsbedenken ergeben, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Das prüft Deutschland derzeit in Pakistan, wo es zu Verzögerungen kommt. Zusammen mit anderen Aufnahmeprogrammen sind insgesamt rund 34.000 Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland eingereist.


BAP rettet Leben: „Ich erwarte vom Bundesinnenministerium und Auswärtigen Amt, dass das Aufnahmeprogramm für Afghanistan fortgesetzt und auskömmlich finanziert wird. Das Programm hat bereits jetzt zahlreiche Leben gerettet“, sagte der Queer-Beauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann (Grüne) SZ Dossier. „Queere Afghan*innen gehörten zu den ersten Personen, die durch das Aufnahmeprogramm nach Deutschland evakuiert wurden und damit hier Schutz gefunden haben. Weitere haben feste Aufnahmezusagen und sollen demnächst kommen“, sagte Lehmann. Wie viele von den 540 explizit der LGBTQ-Gruppe zugeordnet werden können, sagte das Innenministerium auf Anfrage nicht. Wie ein Sprecher sagte, gibt es derzeit rund 3000 Zusagen, die noch erfüllt werden sollen.

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Tiefgang

Wie politisch darf die Zivilgesellschaft sein?

Mehr als 100 Vereine haben sich im Juni in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt, darunter Kreisverbände der AWO, Flüchtlingshelfer, Vereine der Erinnerungskultur. Sie befürchten, ihnen könnte die Gemeinnützigkeit aberkannt werden, wenn sie sich für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit engagierten und zum Beispiel Demonstrationen gegen Rechtsextremismus organisierten. Das derzeitige Gemeinnützigkeitsrecht, so die Kritik, lasse Lücken, die ihnen die Arbeit erschwerten. Und die die AfD ausnutze, um sie beim Finanzamt anzuzeigen.


Für die Organisationen kann es drastische Folgen haben, wenn sie die Gemeinnützigkeit verlieren. Dann fallen Steuervergünstigungen weg, Unterstützer können Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen. „Deswegen denken viele von uns über jedes Engagement zweimal nach – über jede Aktion, jede Demonstration, jeden offenen Brief“, heißt es in dem Schreiben.


Diese Unsicherheit wollte die Ampel eigentlich beenden, im Koalitionsvertrag hatte sie sich vorgenommen, das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren. Passiert ist lange nichts. Seit gut einer Woche liegt nun aber ein Entwurf für das zweite Jahressteuergesetz vor, der das Problem angeht. Was die Beamten des Bundesfinanzministeriums (BMF) aber in den Entwurf hineingeschrieben haben, geht einigen in – und außerhalb der Koalition – nicht weit genug. Die Unsicherheit bleibe. Und hinter all dem steht die Frage: Inwiefern dürfen sich gemeinnützige Organisationen wie Vereine und gemeinnützige Stiftungen eigentlich politisch betätigen?


An dieser Stelle lohnt ein Blick auf das Jahr 2019. Damals erkannte der Bundesfinanzhof dem Trägerverein des globalisierungskritischen Netzwerks Attac die Gemeinnützigkeit ab. Der fünfte Senat urteilte, gemeinnützige Organisationen dürfen zwar politisch aktiv sein, das Engagement müsse sich aber auf einen der Zwecke konzentrieren, die in der Abgabenordnung definiert sind. Dieser Katalog umfasst derzeit 26 Punkte, darunter etwa die Förderung der Religion, von Kunst und Kultur oder des Denkmalschutzes.


Der Referentenentwurf des BMF sieht nun vor, die Abgabenordnung zu ändern. Steuerrechtlich unschädlich wäre es demnach, wenn eine gemeinnützige Organisation „gelegentlich“ zu tagespolitischen Themen „außerhalb ihrer Satzungszwecke Stellung nimmt“, wenn also beispielsweise ein Sportverein zu einer Demo gegen Rassismus oder für Klimaschutz aufruft.


Diese Klarstellung sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Sebastian Unger, Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutscher Stiftungen. „Was aber fehlt, ist eine Regelung der politischen Betätigung innerhalb der eigenen Satzungszwecke“, sagt Unger. „Eine Umwelt- und Tierschutzorganisation darf morgens Kröten über die Straße tragen. Aber darf sie sich auch am Nachmittag für die behördliche Sperrung von Straßen während der Hauptwanderzeit einsetzen?“ Die Rechtslage sei hier nicht eindeutig, mit der Folge, dass Organisationen „dann besser die Finger von der Politik lassen“, sagt Unger, der auch Professor für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Universität Bochum ist. „Das Ergebnis ist dann eine relativ unpolitische Zivilgesellschaft.“


Auch die Koalitionspartner von Grünen und SPD sind mit dem Referentenentwurf nicht zufrieden. Sabine Grützmacher, zuständige Berichterstatterin der Grünen-Bundestagsfraktion, kritisiert: „Die Möglichkeit der politischen Betätigung für die eigenen Satzungszwecke findet sich nicht im Referentenentwurf.“ Sie fordert nicht nur diese Möglichkeit, sondern will den ganzen Katalog um neue Zwecke erweitern. „Sich für demokratische Werte und Menschenrechte einzusetzen“ sei im Entwurf „bedauerlicherweise“ nicht in der Liste der gemeinnützigen Zwecke festgeschrieben worden, sagt Grützmacher. Als „enttäuschend“ bezeichnet auch ihre Kollegin von der SPD, Nadine Heselhaus, dieses Ergebnis. Sollte es dabei bleiben, müsse man im parlamentarischen Verfahren nachbessern.


Ob die FDP die Forderungen der Koalitionspartner mitmacht? Momentan sieht es nicht danach aus. Der liberale Abgeordnete Max Mordhorst sagt: „Gemeinnütziger Verein und politische Partei sollten getrennt bleiben.“ Es gibt also noch Diskussionsbedarf. Nächste Woche soll der Entwurf das Kabinett passieren. Tim Frehler

Fast übersehen

5.

So steht es um den Digitalcheck: Die Anforderungen an Gesetze haben sich durch die Digitalisierung stark gewandelt. Aber geschrieben werden sie immer noch so wie vor Jahrzehnten schon, „sowohl was Kompetenzen als auch methodische Ansätze angeht“, kritisierte Stephanie Kaiser, Chief Product Officer beim Digitalservice des Bundes. Der Digitalservice ist eine staatliche GmbH im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums (BMI).


Es gibt allenfalls eine Rüge: Die Einheit ist verantwortlich für den Digitalcheck der Bundesregierung, der seit Anfang 2023 bei allen Gesetzen durchgeführt werden soll. Allerdings: Bei nur rund 85 Prozent der Gesetze ist das nach SZ-Dossier-Informationen passiert. Denn gesetzlich vorgeschrieben ist nur, dass der Nationale Normenkontrollrat (NKR) als unabhängiges Beratergremium im Bundesjustizministerium überprüft, ob ein Check gemacht wurde oder nicht. Wird die Vorgabe missachtet, können die Ministerien allenfalls gerügt werden.


Was also hat sich wirklich verändert? Bei der Kindergrundsicherung war der Digitalservice nicht beteiligt. Am Anfang der Legislatur war die Einheit noch nicht so weit, wie sie heute ist, heißt es. Die Kindergrundsicherung gilt als Negativbeispiel: Es zeigte sich, dass wichtige Daten fehlen, um Prozesse zu automatisieren und die Reform umzusetzen. Statt sich zu überlegen, wie man an diese Daten kommen könnte (rechtlich wie technisch), sollte neues Personal eingestellt werden. Mehr über den Digitalcheck können Sie im Dossier Digitalwende lesen, das Sie hier kostenlos testen können.

6.

Termine gegen Geld? Volker Wissing und sein Staatssekretär Oliver Luksic haben Werbung gemacht für den Kraftstoff HVO100, mit dem Verbrennermotoren angeblich umweltfreundlicher laufen. Dabei soll ein Lobbyverein gegen viel Geld (9900 Euro pro Jahr) Termine mit den beiden angeboten haben, berichtet Vivien Timmler in der SZ. Eine Recherche des ZDF-Magazins „Frontal“ legt nahe, dass sich Verkehrsminister und Staatssekretär für die Werbekampagne einspannen ließen, entgegen der Bedenken aus dem eigenen Ministerium.

7.

Musks Faszination mit Deutschland: Bei dem Verbot des rechtsextremen Magazins Compact witterte X-Besitzer Elon Musk Zensur. Als Sebastian Hotz, auf X und Instagram als „El Hotzo“ bekannt, nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Donald Trump schrieb, er finde es „absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben“, fragte Musk den Kanzler auf X, wie es sein könne, dass die Bundesregierung Hotz bezahle – er hatte vor dem Tweet eine Radiosendung beim RBB.


Abgesehen davon, dass der Vorwurf nicht richtig ist: Wenn Musk den Bundeskanzler fragt, muss er antworten. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte also in der Regierungspressekonferenz, es herrsche Meinungsfreiheit, das gelte auch für Geschmackloses. Weil er aber wohl weiß, dass Musk Regierungspressekonferenzen nicht verfolgt, sagte er, er überlege noch, ob er Musk seine falschen Unterstellungen mitteile. Auf X versteht sich.

Zitat des Tages

Nach den Landtagswahlen im Osten werden wir absurde Bündnisse erleben, nur um die Brandmauer gegen die AfD aufrechtzuerhalten. Dagegen wird die Ampel eine echte Wohlfühlgruppe sein.

Die Brandenburger Verfassungsrichterin und Autorin Juli Zeh über kommende Koalitionen

Zu guter Letzt

Vielleicht geht es nur mir so, aber ich hatte zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) einen beinahe emotionalen Bezug. Es lag wohl an den Plakaten zur Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten, die ich schon als Jugendliche herrlich unverfroren für eine offizielle Behörde fand. Später wuchs die Sympathie wegen der Rauchfrei-Angebote, die ich während zahlreicher Aufhörversuche nutzte (ich habe es am Ende auch geschafft).


Jedenfalls war ich heute fast ein wenig wehmütig, als ich las, dass einer von Gesundheitsminister Karl Lauterbachs Gesetzentwürfen die Überführung der BZgA in ein neues Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung (BIPAM) plant. Volkskrankheiten wie Krebs und Demenz sollen so effektiver bekämpft werden, das Institut soll Bürgerinnen und Bürger künftig „gut verständlich“ informieren, es übernimmt einen Teil der Aufgaben des Robert Koch-Instituts. Die Kampagnen dürften also, Glück für mich, bleiben.


Wir verabschieden uns in den kommenden beiden Wochen in die Sommerpause. Am 5. August sind wir wieder in Ihrem Postfach.


Vielen Dank! An das Team in Berlin, und an Sabrina Frangos in Australien für Schlusskorrektur und Produktion.

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Florian Eder

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