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Nutzungsrechte erwerbenTrumps Spitznamen-Labor ist wiedereröffnet
Freitag, 9. August 2024Von Florian Eder
Guten Morgen. Elon Musk hat gestern eine von einer rechtsextremen britischen Partei auf X gepostete, frei erfundene Schlagzeile weiterverbreitet (und später gelöscht), wonach die Regierung Gewalttäter in Lager auf die Falklandinseln verbringen wolle. Ein weiteres Kapitel in seiner Fehde mit der britischen Regierung über die jüngste Gewalt und Randale, die damit begann, dass er einen „Bürgerkrieg“ für „unausweichlich“ erklärte.
Eine Zutat der britischen Krise der vergangenen Tage ist massive Desinformation in sozialen Netzwerken von reichweitenstarken Akteuren von Rechtsaußen. Bis Musk seinen Post löschte, hatten ihn fast zwei Millionen Nutzer gesehen, der ursprüngliche Eintrag war ohnehin weiter verfügbar. Musk ist Super-Influencer in Potenz, ihm gehören die Plattform und der Algorithmus – und er machte zuletzt unmissverständlich deutlich, dass er seinen Einfluss nutzen wird und will, um Stimmung, um Politik zu machen.
Das gilt für den US-Präsidentschaftswahlkampf, für europäische Politik und Plattformregulierung. Auch für deutsche Politik und speziell den Umgang mit der AfD hat er sich gelegentlich interessiert, eher mit Fragen statt Kommentaren – bislang.
Bitte anschnallen, und willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Zu den Rätseln, die die Bundesregierung uns über den Sommer aufgibt, gehört dies: Warum der Streit um den Haushalt, eigentlich ja einer um die korrekte Interpretation zweiter gutachterlicher Interpretationen des Haushaltsrechts? Warum das als „Machtwort“ des Kanzlers aus dem Urlaub? Mit der Sache kann es kaum zu tun haben.
Thema Aufbruchskoalition: Ziel des Spiels ist Machterhalt, aber das Ende ist ja schon abzusehen und beim Koalitions-Grasoberln gehört es daher vermieden, dass in den letzten Stichen faule Karten zu finden sind. Also fährt die SPD in ihrem Sturm auf die Schuldenbremse fort, wehrt sich die FDP gegen die nächste Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht, unter anderem mit sachten Hinweisen, der Urheber der Ideen zur kreativen Buchführung sitze im Kanzleramt.
Wahlkämpfer ahnen, dass der Streit kaum als ernsthafte Politik zu vermitteln ist: „Der ständige Zoff in der Bundesregierung ist für uns Wahlkämpfer im Osten eine große Belastung“, sagte Thüringens Innenminister und SPD-Spitzenkandidat Georg Maier im Tagesspiegel. Prinzipienfestigkeit zahlt sich oft aus, aber nicht auf Kosten der Arbeitsfähigkeit: Fünf Milliarden Euro, bei einem Haushaltsvolumen von 480 Milliarden Euro, werden sich doch verfassungskonform finden – oder einsparen – lassen.
Hätte das „Machtwort“ des Kanzlers Bestand: Es hieße, alte und grundsätzliche Differenzen im Lichte der Lage neu auszutragen – darüber, wie die Verkehrsinfrastruktur finanziert wird und wie groß die Kontrolle des Haushaltsgesetzgebers ist.
Kurz ausgeholt: Wenn die staatseigene Autobahn GmbH Darlehen vom Bund aufnehmen soll, braucht sie auch Einnahmen, so weit sind sich die Gutachter einig. Das könnten etwa Einnahmen aus der Lkw-Maut sein, zuletzt 7,4 Milliarden Euro. Heute gehen sie in den Etat des Verkehrsministeriums, wo sie in Teilen neuerdings auch zur Finanzierung der Schiene – also politischer Prioritäten – dienen.
Buchungstricks: Die Einnahmen direkt an die Autobahn GmbH zu geben, war 2017 Teil eines Plans der Großen Koalition. Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte gehofft, mit der Gründung der Autobahn GmbH drei Dinge miteinander zu vereinen: das Ziel der „schwarzen Null“ – die auch damals schon im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse – und die Möglichkeit zur Kreditaufnahme außerhalb des Bundeshaushalts.
Neue Karten bitte: Es waren die Abgeordneten der eigenen Koalition (auch der eigenen Partei), die das verhinderten. Die SPD-Finanzpolitikerin Bettina Hagedorn etwa war damals schon dabei und „stolz, dass ich den Regierungsentwurf um 180 Grad gedreht habe“. Zurück zum Kartenspiel: Die „umfassende Privatisierung ist gescheitert“, kommentierte damals Heribert Prantl in der SZ. Er ist keiner, der sich meinungsmäßig mit Kupfermünzen abgäbe, wie es das Grasoberln tut: „Eines der größten Pokerspiele in der Geschichte der Bundesrepublik geht zu Ende.“
„Der IS ist zurück“, sagte der österreichische Verfassungsschutzchef Omar Haijawi-Pirchner gestern bei einer Pressekonferenz. „Zentrale Akteure erhalten Anweisungen aus dem Ausland.“ Die Ermittler wiederum erhielten Hinweise aus dem Ausland. Der Hauptverdächtige habe sich „in den vergangenen Monaten“ im Internet radikalisiert, was US-Geheimdienste mitbekamen und nach Wien funkten. Der 19-Jährige aus dem Wiener Umland soll geplant haben, bei Konzerten von Taylor Swift in Wien Menschen zu töten, mit dem Auto, mit Messern, mit Macheten. Alle drei Konzerte wurden abgesagt. Mehr hier aus Wien von Cathrin Kahlweit und Vivien Timmler.
So lieb, die Swifties: Es wurde ein islamistischer Terroranschlag verhindert. Bemerkenswert viele Menschen, die mindestens eines der Konzerte besuchen wollten, sahen in sozialen Medien deren Absage als das eigentliche Ereignis. Bürgermeister Michael Ludwig offerierte freien Eintritt ins Freibad.
Nach Berlin: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, die Ermittlungen in Wien zeigten, wie ernst die Bedrohung zu nehmen sei. „Die Bedrohungslage durch islamistischen Terrorismus ist auch in Deutschland anhaltend hoch“, sagte sie.
Gewalt vor Ideologie: Terrorismusforscher Peter Neumann dokumentierte alle Festnahmen mit dschihadistischem Terrorismusbezug in Westeuropa seit Oktober. Zwei Drittel aller Verdächtigen seien Teenager, sagte er und verwies auf eine neue Art von Tätern, die „Tiktok-Dschihadisten“. Auch neu: „Radikalisierte bauen sich aus ideologischen Versatzstücken, die sie in Online-Subkulturen gefunden haben, ihr eigenes Ideengebäude zusammen“, schrieb Neumann. Das sei häufig mit einer allgemeinen Verrohung verbunden: Es gehe zuvörderst um Gewalt.
Das Vorhaben hatte sich die Ampel bereits in den Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir unterstützen die Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU.“ Gestern brachte Faeser einen Gesetzentwurf auf den Weg, mit dem eine Stiftung „NSU“-Dokumentationszentrum eingerichtet werden soll. Diese Stiftung des öffentlichen Rechts sei die „notwendige Grundlage“ für das Dokumentationszentrum, sagte sie. Der Referentenentwurf werde nun mit den anderen Ressorts abgestimmt, teilte ihr Ministerium mit.
Die Frage nach dem Ort: Fraglich war bislang immer, wo dieses Dokumentationszentrum entstehen soll. Der Tagesschau sagte Faeser im März: „Ich glaube, es sollte in der Hauptstadt, in Berlin sein.“ In der Mitteilung ihres Ministeriums hieß es dazu gestern nun: „Der Sitz der Stiftung soll in Berlin sein, zugleich sollen weitere Orte und Initiativen im gesamten Bundesgebiet unter dem Dach des NSU-Dokumentationszentrums eingebunden werden.“
NSU-Komplex: Die rechtsextremen Terroristen des NSU ermordeten zwischen den Jahren 2000 und 2007 neun Menschen mit ausländischen Wurzeln und eine Polizistin. Außerdem verübten sie mehrere Bombenanschläge und Banküberfälle. Die Behörden ermittelten jedoch zunächst verstärkt in Richtung organisierter Kriminalität, auch im Umfeld der Opfer, nicht aber in Richtung eines rechtsextremen und terroristischen Hintergrunds.
Lücken schließen: „Dass die Familien der Opfer verdächtigt wurden, statt die Täter aufzuspüren, bleibt zutiefst beschämend“, sagte Faeser. Ihr sei es daher wichtig, nun endlich einen Erinnerungsort für die Angehörigen der Ermordeten und die Überlebenden der Bombenanschläge zu schaffen. „In einem Dokumentationszentrum wollen wir informieren, aufklären und Begegnungen ermöglichen.“
Tiefgang
So schnell kann es gehen, vom Bild des Jahres (oder des „frühen 21. Jahrhunderts“) nach dem gescheiterten Attentat, bis dahin, „seltsam“ und verrückt genannt zu werden: Donald Trump liegt in einigen Umfragen erstmals hinten und muss wegen der neuen Wettbewerbssituation seinen Wahlkampf umstellen – in Echtzeit, aber das liegt ihm ja.
Schauen wir uns das an: fünf Beobachtungen.
Der alte Donald Trump ist zurück: Seit die Gegnerin Kamala Harris heißt, sind wir wieder Zeugen einer Mischung aus persönlichen Beleidigungen und wilden Attacken. Auch das Spitznamen-Labor hat er wiedereröffnet („Kamabla“). Zeitweise hatte der Kandidat der Republikaner versucht, Disziplin zu halten, als ihm die Umfragen einen Vorsprung vor Präsident Joe Biden bescheinigten.
Biden war in Trumps Kampagne leicht zu charakterisieren. Bei Harris probiert er erst aus, was hängenbleiben könnte. Der Versuch, einen Keil zwischen die schwarze Kandidatin und die schwarze Wählerschaft zu treiben, war offenbar zu billig, um in der Breite zu verfangen. Das war zunächst die Taktik: ihre schwarze Identität infrage zu stellen und sie als mit „niedrigem IQ“ ausgestattet zu beschimpfen.
In den vergangenen Tagen kam ein zweites Element dazu: Harris und ihr Running Mate Tim Walz „wollen, dass dieses Land sofort, wenn nicht sogar noch früher, kommunistisch wird“, sagte er am Mittwoch in einer Fox-Sendung. Harris als links darzustellen, scheint Trump zu gewöhnlich – es muss schon die Karikatur dessen sein.
Sie sei eine „San-Francisco-Linke“, Walz ein „Westküsten-Möchtegern“, schreibt Trumps Team ihnen zu. Dass Walz zum Zeitpunkt seiner Nominierung drei Vierteln der Amerikaner noch unbekannt war, macht es Trump umso schwerer, ihn festzunageln. Dass er ihn 2020 einmal für den Umgang mit der Gewalt lobte, die nach dem Mord an George Floyd ausbrach, wird weder Trump noch Anhänger weiter stören.
Er ist jedenfalls genervt vom gegnerischen Team: „Die Flitterwochen für Kamala Harris müssen Sie verrückt machen, sie dauern ja immer noch an“, wurde er in der Fox-Sendung weiter gefragt. Dixit Trump: „Das tun sie.“ Nachdem er zunächst zurückgezogen hatte, willigte er in einer Pressekonferenz in Mar-a-Lago gestern ein, im September zu einem ersten TV-Duell anzutreten. Der Fernsehsender ABC teilte dazu mit, Trump und Harris hätten beide einer Debatte am Abend des 10. September zugestimmt.
Wer schon gewonnen hat: Axios berichtet, dass die Demokraten mit 325 Millionen Dollar fast doppelt so viel Geld in politische Werbung gesteckt haben wie die Republikaner (und Harris’ jüngster Lauf bei Spendern legt nahe, dass ihrem Wahlkampf die Luft so schnell nicht ausgehen wird). Bemerkenswert: Der größte Anteil der Demokraten-Dollar floss laut Axios in digitale Werbung – ins Internet also, nicht in lokale Fernsehsender wie in der Vergangenheit die Regel. Das ist weniger breitenwirksam, aber zielgerichteter auf Gruppen und Individuen – und (in den USA) kaum reguliert oder gar begrenzt. Geld wird noch wichtiger im US-Wahlkampf, einem digitalen Goldrausch.
Das Präsidentschaftsrennen ist offen. Das Bild des Jahres stahl ein Surfer Trump.
Fast übersehen
Steigt der Staat künftig bei Rüstungsfirmen ein? Ja, wenn es nach Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geht. Die Regierung soll sich künftig in „strategischen Fällen“ auch direkt an Unternehmen oder Projekten aus dem Rüstungsbereich beteiligen können, berichtet das Handelsblatt.
Schnellere Genehmigungen: Laut eines Entwurfs für eine Sicherheits- und Verteidigungsindustrie-Strategie sollen neue Fabriken für Waffen, Geräte und militärische Fahrzeuge entstehen und bereits existierende Werke schnell ausgebaut und vergrößert werden. Die neue Strategie hätte laut des Berichts in diesem Monat im Kabinett beschlossen werden sollen, inzwischen ist sie aber nach der Sommerpause für September eingeplant. Zuvor sollen noch die Unternehmen zur Anhörung geladen werden.
Wo Arbeit ist und wo Leben: Während einige Unternehmen und Chefs dazu übergehen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder verstärkt ins Büro zu beordern, stellt sich die Frage, was aus einem weiteren Anliegen aus dem Koalitionsvertrag geworden ist, einer Regelung in Sachen Homeoffice. Verankert ist dort, dass es für Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten einen sogenannten „Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice“ geben soll. „Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen.“
Papier ist geduldig: Auf eine ARD-Anfrage gab sich das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) hinsichtlich einer Anpassung des rechtlichen Rahmens zurückhaltend: Es werde beobachtet und geprüft. Die Grünen dagegen wollen, dass gehandelt werde, „eine rechtliche Absicherung des Homeoffice“, forderte die Arbeitsmarktpolitikerin Beate Müller-Gemmeke jüngst im Tagesspiegel.
Betrieb oder Bundesgesetzblatt? Ähnlich sehen es Arbeitnehmervertreter: „Es ist sehr bedauerlich, dass das Bundesarbeitsministerium keine verbindlichen Regeln für das Homeoffice aufstellen wird“, sagte der zuständige Gewerkschaftssekretär von Verdi. Ein Erörterungsanspruch sei nicht nötig, heißt es hingegen vom BDA, viele Dinge regelten sich ohnehin „im Betrieb besser als im Bundesgesetzblatt“.
Kubicki vs. Lauterbach: FDP-Vize Wolfgang Kubicki hat SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach zum Rücktritt aufgefordert. In einem langen Schreiben erhebt Kubicki schwere Vorwürfe gegen Lauterbach. Unter anderem beschuldigt er den Minister, die Bevölkerung während der Corona-Pandemie bewusst getäuscht zu haben, wie Bild zuerst berichtete.
Belege durch RKI-Files: Lauterbach habe seine Macht genutzt, um Wissenschaftler davon abzuhalten, die Bevölkerung transparent über die Pandemie zu informieren, als diese sich bereits abschwächte – laut Kubicki, um Argumente für die Impfpflicht nicht zu schwächen. Die Vorwürfe belegt Kubicki mit den sogenannten „RKI-Files“. Lauterbachs Ministerium soll laut Kubickis Interpretation über Monate hinweg das RKI angewiesen haben, keine Entwarnung zu geben, obwohl die RKI-Wissenschaftler dies tun wollten.
Persönliche Konsequenzen: „Karl Lauterbach hat dem Ansehen der Bundesregierung durch sein unverantwortliches Verhältnis zur Wahrheit schweren Schaden zugefügt und Zweifel an der Lauterkeit staatlichen Handeln [sic!] genährt“, schreibt Kubicki. Lauterbach müsse deshalb „persönliche Konsequenzen ziehen“. Bereits 2023 hatte Kubicki Lauterbach aufgrund seiner Corona-Politik einen Rücktritt nahegelegt.
Unter eins
Francesca De Benedetti, Redakteurin der Tageszeitung Domani, auf X über den Stand der Medienfreiheit in Italien
Zu guter Letzt
Der Sozialist Salvador Illa, ein enger Parteifreund von Spaniens Premierminister Pedro Sánchez, ist neuer Ministerpräsident Kataloniens, wie Josep Rull, der Präsident des Regionalparlaments, nach der Abstimmung am Abend mitteilte. Die Dinge gingen dann doch ihren Gang. Illas Partei, die gegen eine Abspaltung Wahlkampf machte, hatte die Wahl im Mai klar gewonnen und führt nun die Region in einem seit Langem wieder ganz gewöhnlichem föderalen Verhältnis zu Madrid.
Hola und auf Wiedersehen: Der seit Jahr und Tag per Haftbefehl gesuchte frühere Separatistenführer Carles Puigdemont legte stets Wert darauf, nicht auf der Flucht, sondern „im Exil“ zu sein, in Waterloo, dann Südfrankreich. Er hatte sich noch morgens in die Liveblogs spanischer Medien gedrängt, mit seinem ersten Auftritt auf spanischem Boden seit Jahren. Unterstützt von einem mittlerweile festgenommenen Polizisten verschwand er direkt danach, bislang weitgehend spurlos.
Das ist in etwa das, was man einen Dienst am Land nennen würde. Allein von daher wird es kaum dabei bleiben.
Danke! Ans Team in Berlin und Australien.