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Freitag, 16. August 2024Von Florian Eder
Guten Morgen. Es ist natürlich absolut irritierend, am 15. August zu arbeiten, Mariä Himmelfahrt, Ferragosto für die Italiener in und unter uns, in jeder bayerischen Kindheit und Jugend Scheitelpunkt der Sommerferien. In Berlin ist auch noch zwei Wochen schulfrei und schon insofern: Jedes Verständnis für alle, die auch wirklich oder bildlich zur Erfrischung in die Isar springen oder halt auf ihre Art das Beste daraus machen.
Das gilt für Robert Habecks via Politico erklärte Bereitschaft, 2025 als Spitzenkandidat der Grünen anzutreten, aber auch für den Versuch der schwer gebeutelten Sozialdemokratin Nancy Faeser (in Hessen dieses Jahr: Schulbeginn übernächste Woche), dem liberalen Kollegen Marco Buschmann noch eben eine BKA- und Bundespolizeireform unterzujubeln, die unter anderem geheime Hausdurchsuchungen ermöglichen würde.
In NRW, wo der Bundesjustizminister herkommt, geht es am Dienstag wieder los, aber Buschmann ist längst im einig Vaterland daheim und immer alert: „Im Staat des Grundgesetzes machen wir so etwas nicht“, teilte er mit. „Sollte jemand das ernsthaft vorschlagen wollen, wird ein solcher Vorschlag weder das Kabinett passieren, noch wird es eine Mehrheit im Parlament dafür geben.“
Willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Fast vier von zehn Deutschen würden es begrüßen, wenn Sahra Wagenknechts BSW an einer Landesregierung beteiligt wäre. 37 Prozent würden eine Regierungsbeteiligung befürworten, 45 Prozent wären dem abgeneigt. Das zeigt eine neue repräsentative YouGov-Umfrage für den Platz der Republik.
Überraschende Sympathien: Insgesamt blicken die Befragten mehrheitlich skeptisch auf eine Regierungsbeteiligung. Bei FDP-Wählern schneidet das BSW mit 41 Prozent noch am besten ab, dicht gefolgt von SPD-Anhängern mit 40 Prozent. Von denjenigen, die es 2021 mit den Grünen hielten, befürworten hingegen nur 23 Prozent eine BSW-Regierungsbeteiligung auf Landesebene. Auch eher unpopulär wäre sie mit 34 Prozent Zustimmung bei Unionswählern. Dabei scheint eine Zusammenarbeit mit der CDU derzeit am realistischsten.
Hufeisen-Alarm: Fast fünf von zehn Wählern der AfD begrüßen eine Regierungsbeteiligung des BSW – eine Mehrheit gegenüber den Wählern, die sie ablehnen. Erwartungsgemäß erfreut sich das BSW im Osten einer größeren Beliebtheit als im Westen: Während 34 Prozent aller Befragten in westdeutschen Ländern eine Regierungsbeteiligung begrüßen würden, sind es 47 Prozent aller Befragten aus ostdeutschen Bundesländern. Die repräsentative Befragung fand unter wahlberechtigten Personen zwischen dem 9. und 13. August statt.
Da hat man jahrzehntelang gelernt, die eigene Politik an Umfragen auszurichten und etwa in der Frage, wer’s machen soll, mit Beliebtheitswerten zu argumentieren – und dann so was.
Das jüngste ZDF-Politbarometer bringt wenig Rat: Auf die Frage, mit welchem Kanzlerkandidaten die Union die größeren Chancen hätte, antworteten unter Unionsanhängern 33 Prozent: Markus Söder. Je 25 Prozent setzen auf Friedrich Merz und Hendrik Wüst. Die Meinungslage ist unter den Befragten so bunt wie unter den Interessierten selbst und ihren Fans. Egal – kann vor allem Merz sich denken.
Denn: Verlass ist für die Union auf den Eindruck, die Ampel könne es nicht. Mit der Arbeit der Bundesregierung und des Kanzlers gibt es laut Politbarometer große Unzufriedenheit: Für 62 Prozent leistet die Koalition schlechte Arbeit. Dass Olaf Scholz erneut als Kanzlerkandidat antreten will, stößt bei nur 29 Prozent der Befragten auf positives Echo, 67 Prozent sind dagegen und nur der sehr kleine Rest hat dazu keine Meinung. Hauptvorwurf: Führung bestellt, aber nie bekommen.
Führungsstärke? Bescheinigen dem Kanzler nur 16 Prozent aller Befragten, rund drei Viertel haben zuletzt keine solche wahrgenommen. Scholz hat zwar seine Partei in der Frage der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen auf seine Linie gebracht und sich auch in der Frage eines Einsatzes deutscher Panzer auf russischem Boden gegen Skeptiker durchgesetzt. Da herrscht Klarheit, für den Moment – aber Stimmungen und Schwingungen zur Ampel scheinen über Details hinweg zu sein.
Neue Berichte – im Wall Street Journal, aber auch im Rechercheverbund, dem die SZ angehört (hier) – über Mitwisserschaft und Beteiligung ukrainischer Stellen an der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines 2022 bereiten den Ampelparteien und überhaupt der Mitte zusätzliche akute Schwierigkeiten.
Unschön und ungelegen: Schon östlich der Oder sieht man das anders, aber in Berliner Lesart waren es Anschläge auf deutsche kritische Infrastruktur, nicht auf russische Rohre. In den obsessiv zu außenpolitischen Themen geführten ostdeutschen Landtagswahlkämpfen kommen die Berichte allen ungelegen, die andauernde Solidarität mit dem überfallenen Land vertreten.
Line to take: Es sei „gut“, dass die Justiz unabhängig und ergebnisoffen ermittelt, sagte SPD-Außenpolitiker Nils Schmid SZ Dossier. „Die Solidarität gilt dem angegriffenen Land“, sagte er. „Selbst wenn die Ergebnisse gegebenenfalls unschön wären, würde das an unserer Haltung … nichts ändern.“
Das Auswärtige Amt suchte Zuflucht darin, über Russland zu sprechen. „Klar ist: Mit dem brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine verletzt Putins Russland eklatant die UN-Charta und das humanitäre Völkerrecht und bedroht damit auch unsere europäische Friedensordnung“, hieß es. Selbst unter den Bedingungen des russischen Raketenterrors habe sich die Ukraine auf den Weg in Richtung EU gemacht.
Beim Stahl ließe sich besonders viel CO₂ einsparen, die Branche macht etwa 30 Prozent der Industrieemissionen und sechs Prozent der deutschen Gesamtemissionen aus. Doch klimafreundlicher Stahl – wäre er heute schon erhältlich – würde pro Tonne etwa 50 Prozent mehr kosten als sein fossiles Pendant. Diesen Abstand würde Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gerne verringern. Das ruft uns Fabian Löhe aus der Werkstatt unseres Dossiers Nachhaltigkeit zu, das im September startet (hier zum Test registrieren).
Habecks Idee: Die öffentliche Hand wird bei Aufträgen verpflichtet, bestimmte Quoten von grünem Stahl zu kaufen. Vorstößen aus der Industrie will er Rückenwind verschaffen, um „Grüne Leitmärkte“ aufzubauen. Ein wichtiger Schritt dorthin könnte nun bevorstehen: Vertreter der großen deutschen Stahlhersteller rechnen unisono damit, dass die Leitmärkte über eine Änderung des Vergabetransformationspakets – als Teil der „Wachstumsinitiative“ – aufgebaut werden.
Letzte Abstimmungen: Mit Blick auf das Vergabetransformationspaket heißt es in einem Ministeriumsschreiben an den Wirtschaftsausschuss, das SZ Dossier vorliegt, man sei „in letzten Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung“. Die Ressortabstimmung läuft seit Monaten. Wie wir hören, soll vor allem die FDP eine zügige Verabschiedung ausbremsen. Das BMWK antwortet auf Anfrage dazu: „Mit einigen Ressorts ist der vertrauliche Austausch naturgemäß besonders eng und konstruktiv.“ Heißt: Die anderen blockieren.
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Tiefgang
Keine Frage, warum Thierry Breton am Montag einen Brief an Elon Musk veröffentlichte, um ihn, als Eigner der Plattform X, an seine Pflichten aus europäischer Gesetzgebung zu erinnern: Erstens ist es sein Job als EU-Digitalkommissar, den Digital Services Act durchzusetzen. Zweitens stand auf X eine große Show an, Musk im Gespräch mit Donald Trump, die große Reichweite vermuten ließ, inklusive – es ist das Internet – in der EU.
Drittens war Breton allein zu Haus in der Europäischen Kommission – er war der Diensthabende in der sommerlichen Rotation, wie sein Team sagte. Ein minderer Grund, aber zur Stärkung des Arguments nützlich, er habe alles Recht gehabt, sich erneut mit Musk anzulegen. Es gab nämlich Ärger, eine gewisse Distanzierung der Kommission von Bretons Vorstoß („nicht abgestimmt“) und ein Aufschrei der Rechten in den USA und Europa: Die Kommission beschneide die Meinungsfreiheit.
In Bretons Brief stand: Das Recht auf Meinungsfreiheit sei abzuwägen gegen Gefahren, die von Aufrufen zu Gewalt ausgehen würden, wie zuletzt während der Unruhen in Großbritannien der Fall. X, als sehr große Plattform, müsse über die Moderation von Inhalten Verantwortung dafür übernehmen, was sie an Nutzer ausspielt. So funktioniert der DSA und zuletzt gab es Zweifel, dass Musk sich daran halten wolle; es läuft eine offizielle Untersuchung.
In Europa ist die Meinungsfreiheit keine absolute. In Deutschland darf man nicht den Holocaust leugnen, in Spanien nicht den König beleidigen, in Italien führen Regierungsmitglieder Prozesse wegen Herabsetzung. Im Internet soll der DSA dafür sorgen, dass online dasselbe gilt. Insofern sind die Libertären und die Rechten, Fans von Musk und Freunde Trumps, auf nichts Neues gestoßen, wenn sie beklagen, die Meinungsfreiheit in Europa sei eingeschränkt.
Nicht zum ersten Mal prallt ein so radikales und bisweilen banales Verständnis vom Sagbaren (alles halt) auf den Anspruch des Gemeinwesens, sich gegen die algorithmenbasierte Verbreitung von falschen oder möglicherweise strafbaren Inhalten zu schützen. Es wird nicht das letzte Mal sein: Musk ist auf einer Mission und die europäische Gesetzgebung muss sich in Anwendung und Durchsetzung erst beweisen.
Musk ist der Eigner der Plattform und einer ihrer aktivsten Nutzer, mit 195 Millionen Followern und dem Schlüssel zum Algorithmus. Der bläst Randständiges und Seltsames, aber auch Gefährliches auf, wenn es nur ausreichend Emotion und Interaktion gibt – der Markt, der laut Musk regeln soll, ist ein verzerrter. Bretons diesbezügliche Kompetenzen sind auch daher denen der Wettbewerbskommissarin nachempfunden.
Die Lage ist eine besondere: Musk muss in der Rolle als Eigner Mechanismen bereitstellen, die ihn in der anderen auch selbst einschränken könnten – Bretons Schreiben konnte missverstanden werden und wurde es auch. Es sei Breton nicht um die Debatte mit Trump gegangen und was dort gesagt wurde, sondern um Moderationsregeln, sagte ein Berater des Kommissars. Musk habe ja einen Stresstest für die Infrastruktur durchgeführt, eine Gelegenheit für den Hinweis, dass auch die Inhalte heißlaufen können.
Wozu Musk Breton in einem Meme aufforderte, ist seit Anfang der Geschichte das Krasseste, was sich ein Mitglied der Kommission anhören musste. Ironie, Sarkasmus und Unflätigkeit seien Musks Mittel der Wahl, wenn er sich angegriffen fühle, hieß es aus Bretons Umgebung. Wichtiger sei, was er auf das Schreiben antworten werde – das werde auch in die laufende Untersuchung eingehen. Eine Geldbuße wegen DSA-Verstößen kann bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes ausmachen.
Warum Breton aber seinen Brief nicht nur geschrieben und abgeschickt, sondern ausgerechnet auf X gepostet hat? 93 Millionen Views hatte er zuletzt. Nicht so schlecht für die Mahnung eines Regulators.
Fast übersehen
„Hilfe heißt ja helfen“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) als er vom Handelsblatt gefragt wurde, ob er Bundeshilfe im Wahlkampf brauche. Auf die Frage, ob er gemeinsame Auftritte mit dem Kanzler plane, lautete die Antwort: „Nein.“
Ein Affront, den eigenen Kanzler zu verstecken? Nicht in der Brandenburger SPD. „Das ist keine Neuigkeit“, sagte Generalsekretär David Kolesnyk, es sei „von Beginn an kommuniziert“ worden, dass keine gemeinsame Wahlkampftour geplant sei, es gehe schließlich um Brandenburg. Was Woidke nicht von Ausflügen in die Außenpolitik und Forderungen abhält, den Krieg in der Ukraine durch Verhandlungen zu beenden.
Überhaupt: „Herr Scholz ist als Bundestagsabgeordneter mit Wahlkreis in Brandenburg selbstverständlich auch in Brandenburg unterwegs“, sagte Kolesnyk. Nächste Woche zum Beispiel vor einem Publikum mit kulturellem Interesse. Scholz besucht die Vernissage einer Installation zum Kant-Jahr: „Die Macht der Aufklärung.“ Woidke wird nicht dabei sein. Mehr in der SZ von Georg Ismar und Valerie Höhne.
Lemke sorgt sich: „Die Nordsee wird bereits sehr stark genutzt, jede weitere Industrieanlage auf See stellt ein Risiko für Meerestiere und -pflanzen dar“, sagte gestern Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) mit Blick auf eine mögliche Gasförderung vor Borkum. Wenn die Gasförderung käme, müsse „ohne Wenn und Aber“ gewährleistet sein, dass der „Schutz des Wattenmeers Vorrang hat“, sagte sie. Das zuständige niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie hatte die umstrittene Gasbohrung des niederländischen Gaskonzerns One-Dyas genehmigt, unter Klagen von Umweltverbänden.
Habeck entdeckt die grüne Seele: Für die Bohrung ist ein Abkommen zwischen den Niederlanden und Deutschland nötig. Vorgestern hatte Habeck gesagt, er wolle die Gerichtsurteile abwarten und so lange nichts unterschreiben. Die Auswirkungen auf Energiesicherheit des Gasfelds seien höchstens minimal. „Und es ist ein sehr, sehr sensibles ökologisches Gebiet“, sagte Habeck. Die FDP fordert „schnell grünes Licht“, sagte Energiepolitiker Michael Kruse.
Unter eins
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht sich im Spiegel-Interview für eine zukünftig bessere und unmittelbare Kommunikation aus
Zu guter Letzt
Kamala Harris macht sich auf zu einer Übung, die den deutschen Regierungsparteien in der ein oder anderen Weise spätestens im kommenden Jahr auch bevorsteht. Die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten tut gut daran, sich von Präsident Joe Biden in Politikbereichen zu distanzieren, wo er unpopulär ist. Die Schwierigkeit: das zu tun, ohne ihre eigene Arbeit als Bidens Vize zu verleugnen. Nächste Woche ist vier Tage lang Parteitag, der Auftakt in die kommenden drei Monate.
Heute wird sie in North Carolina erwartet, zur ersten in einer Reihe von Policy-zentrierten Reden, es soll um die Wirtschaft gehen. Ihr Wahlkampfteam teilte mit, sie werde Pläne zur „Senkung der Kosten für Familien der Mittelschicht und der Bekämpfung der Preistreiberei“ vorstellen. Die Inflation ist wahrscheinlich das größte innenpolitische Thema des Wahlkampfs, die Unzufriedenheit ist in Umfragen konstant hoch.
Harris will sich von Biden absetzen und gleichzeitig Trump zusetzen, indem sie dasselbe Ziel mit kurzfristigeren, lebensnäheren Maßnahmen verfolgt: Warenkorb im Supermarkt statt Subventionspaket des Inflation Reduction Act. Der Ruf als recht blasse Vizepräsidentin erlaubt ihr womöglich, sich als Kandidatin noch einmal zu erfinden und den Amerikanern erst im (für Harris kurzen) Wahlkampf ein Bild von sich zu vermitteln: ein Vorteil, den die Frontleute der Ampelparteien kaum haben werden.
Danke! Ans Team in Berlin und Australien.