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Wie die Grünen Wähler mit Migrationshintergrund gewinnen wollen

Freitag, 13. September 2024
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Von Valerie Höhne

mit Tim Frehler

Guten Morgen. Wie geht man politisch mit einem Brückeneinsturz um? Wie bei rund 60.000 weiteren Straßenbrücken in Deutschland liegt der Zustand der Carolabrücke in Dresden in der Verantwortung der Kommune. Die sagt, der Einsturz sei „nicht voraussehbar“ gewesen, was einige mit guten Argumenten bestreiten. Andere geben sich ihren politischen Reflexen hin.


Der Bund sagte in Gestalt von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), er konzentriere sich auf die Autobahnbrücken, also seinen Verantwortungsbereich. Der sächsische FDP-Abgeordnete Torsten Herbst sagte SZ Dossier, man müsse mehr Geld in Verkehrsinfrastruktur stecken, dafür weniger in Sozialprogramme.


Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte mehr Geld für Infrastruktur von Bund und Ländern, weil die Kommunen kein Geld für die Instandsetzung hätten. Überraschender und sinnvoller wäre es vielleicht, wenn sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam überlegen würden, wie man die rund 30.000 kommunalen Brücken, die laut einer Studie in einem schlechten Zustand sind, möglichst schnell sanieren könnte. Willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Kurz bevor die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gestern über die Anträge der AfD und der Union in Sachen Migration abstimmen sollten, kam ihnen etwas dazwischen: Ihre Smartphones stimmten gemeinsam ein in den piepsenden Chor des bundesweiten Warntages. Und weil es offenbar nicht allen auf Anhieb gelang, ihr Gerät in einen geräuschlosen Zustand zu versetzen, war aus dem Plenarsaal auch während der Abstimmungen noch ein Warnton zu hören.


Das steht sinnbildlich für die Debatte – wenn es auch für Heiterkeit sorgte. Am Morgen hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung im Bundestag vorgestellt. „Wir steuern, wir regeln und bringen Humanität und Ordnung zusammen“, sagte sie. Faeser wiederholte dabei auch die Einladung für erneute Gespräche an die Union, wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sie am Mittwoch bereits ausgesprochen hatte. „Die Tür ist jederzeit offen“, sagte Faeser.


Doch in ihrer eigenen Partei wächst der Frust über die Innenministerin, berichten Georg Ismar und Markus Balser. Mehrere SPD-Abgeordnete erzählen, dass die Grenzkontrollen zu allen deutschen Nachbarstaaten und härtere Regeln für Migranten nie Thema gewesen seien. Besonders die Parlamentarische Linke ist irritiert. Es dürfe kein Überbietungswettbewerb stattfinden, „in dem unser im Grundgesetz verankertes Menschenbild sowie europäische Regeln unter die Räder kommen“, sagte der Bundestagsabgeordnete Tim Klüssendorf. Auch Teile der Basis sind empört. Influencerin Lilly Blaudszun sagte: „Für solche Politik mache ich nächstes Jahr ganz sicher keinen Wahlkampf.“


Sprunghafte Ministerin: Faeser sage immer mal wieder, gewisse Maßnahmen seien auf keinen Fall möglich, die dann plötzlich doch möglich würden. Das wirke getrieben, heißt es aus der Partei. Wie bei Grenzkontrollen, auch im vergangenen Jahr schon: Als Spitzenkandidatin im hessischen Wahlkampf sagte sie am 12. September 2023, wenn man die Grenze stärker kontrolliere, werde der „Fahndungserfolg nicht größer, wenn links und rechts dann Geflüchtete über die Grenze gehen“. Zwei Wochen später kündigte sie die Wende an den Grenzen zu Polen und Tschechien an. Inzwischen erzählt sie, dass seit Oktober 2023 rund 30.000 Personen zurückgewiesen worden seien. Unwirksam also sind die Grenzkontrollen auch laut Faeser nicht länger.

2.

Im Endspurt reisen in den kommenden Tagen noch einmal Spitzenpolitiker aus Bund und Ländern nach Oranienburg, Neuruppin und Potsdam, um die Wahlkämpfer dort zu unterstützen. Weiter unerwünscht ist Bundeskanzler Olaf Scholz. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) will die Sache lieber ohne ihn regeln. Er hat angekündigt, das Land als Ministerpräsident nur weiterzuführen, wenn er am Wahlabend vor der AfD liegt. Er ist fast dran.


Riskante Strategie: Laut dem aktuellen „Brandenburgtrend“, einer Befragung von Infratest dimap im Auftrag der ARD, kommt Woidke seinem Ziel näher, könnte eventuell seine Koalition fortsetzen, ist aber bisher nicht jenseits der selbst gesetzten Schwelle. Die SPD liegt aktuell bei 26 Prozent und steigert sich damit um drei Prozentpunkte gegenüber der Vorwoche.


Stärkste Kraft wäre aber weiterhin die AfD mit 27 Prozent. Die CDU liegt aktuell bei 16 Prozent, zwei Prozentpunkte weniger als noch in der vergangenen Woche. Das BSW verliert ebenfalls zwei Prozentpunkte und kommt auf 13 Prozent.


Achtung Extremisten: Anders als in Sachsen und Thüringen gilt die AfD in Brandenburg nicht als gesichert rechtsextremistisch, sondern als Verdachtsfall. Sechs Mitglieder der Landtagsfraktion werden allerdings als rechtsextremistisch eingestuft. Den Spitzenkandidaten Hans-Christoph Berndt bezeichnete der Verfassungsschutzchef in Brandenburg schon vor Jahren als „erwiesenen Rechtsextremisten“. Vergangene Woche verschickte die Behörde eine Mitteilung, in der sie darauf hinwies, dass die Junge Alternative in Brandenburg im Wahlkampf mit einer Frau wirbt, die den Holocaust leugnete und den Genozid an bosnischen Muslimen in Srebrenica als „sehr geil“ bezeichnete.


Achtung Sperrminorität: Heute Abend reist Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu einer „Townhall“ nach Cottbus und tritt dort gemeinsam mit Spitzenkandidatin Antje Töpfer auf. Den Grünen könnte es passieren, dass sie den Wiedereinzug in den Landtag verpassen, sie liegen derzeit bei 4,5 Prozent. Noch schlechter sieht es für die Linke aus, die auf vier Prozent kommt. Sollten die beiden an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, erhöht das die Chancen der AfD auf eine Sperrminorität.


Achtung Grundmandatsklausel: Möglich ist der Einzug in den Landtag aber auch, wenn eine Partei in mindestens einem Wahlkreis ein Direktmandat gewinnt. Im Fall der Freien Wähler, die bei 4,5 Prozent liegen, dürften die Hoffnungen diesbezüglich auf Péter Vida ruhen, der 2019 seinen Wahlkreis Barnim II gewann. Entscheidend könnte es in der Landeshauptstadt Potsdam werden, wo die Grüne Marie Schäffer das Direktmandat hält. Erwartet wird dort ein knappes Rennen zwischen ihr und SPD-Kulturministerin Manja Schüle.

3.

Zwar liefern die USA im Gegensatz zu Deutschland Raketen mit hoher Reichweite, doch bislang war Joe Biden beim Einsatz dieser Waffen tief in russischem Gebiet zurückhaltend. Der US-Präsident war darin Scholz' Vorbild, wobei die Hoffnung, daraus weltpolitisches Format zu ziehen, eine rein Berliner Hoffnung war.


Nach Washington. Nun haben US-Abgeordnete beider Parteien den Präsidenten in einem Brief aufgefordert, den Einsatz dieser Waffen gegen Ziele tief im russischen Inland zu erlauben und die Beschränkungen „sofort“ aufzuheben. „Der Ukraine werden Handschellen angelegt“, sagte der demokratische Abgeordnete Jake Auchincloss meinem Kollegen Mathias Hammer. Der Kongressabgeordnete aus Massachusetts gehört zu den mehr als 30 Unterzeichnern des Briefs.


Ein-Zwei-Schlag: Auchincloss sagte, die Regierung Biden solle der Ukraine erlauben, russische Militärbasen sowie wichtige Ölraffinerien in der Region Moskau mit von den USA gelieferten Raketen anzugreifen. In Verbindung mit schärferen Sanktionen gegen russisches Öl, sagte Auchincloss, könnte dieser Politikwechsel ein „Doppelschlag gegen Putins Petro-Staat“ sein, der das Momentum wieder auf die Seite der Ukraine lenken könnte. 


Bidens Vermächtnis? „Das kann sein Vermächtnis sein“, sagte Auchincloss. „Wenn er im Januar aus dem Amt scheidet, könnte dieser Krieg aufgrund der von ihm getroffenen Entscheidungen ganz anders aussehen.“ Wenn Kamala Harris gewählt würde, könnte Russlands Kriegswirtschaft ernsthaft geschädigt worden sein. Mit den Krediten in Höhe von 50 Milliarden Dollar, die der Ukraine durch die Zinsen eingefrorener russischer Vermögen zugestanden werden sollen, könne sich die Verhandlungsposition der Ukraine „innerhalb von ein paar Monaten erheblich verändern. Alle Instrumente, die wir dafür brauchen, sind vorhanden”, sagte Auchincloss.


Spielraum für Manöver: Biden soll dieses Thema heute mit dem britischen Premierminister Keir Starmer erörtern, der Washington besucht. Hochrangige US-Beamte haben signalisiert, dass sie zumindest einen Politikwechsel in Betracht ziehen. Die New York Times berichtete, Biden könnte dem Einsatz von westlichen Langstreckenraketen zustimmen, solange sie nicht aus den USA stammten. Während ukrainische Beamte seit Monaten darauf hoffen, weiter nach Russland vorzustoßen, befürchten US-Beamte jedoch seit langem, dass dies zu einer russischen Eskalation führen könnte. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warnte, dass Russland „angemessene Gegenmaßnahmen“ ergreifen würde, wenn die USA ihre Beschränkungen lockern.

4.

Eine Mehrheit der Wahlbevölkerung spricht sich parteiübergreifend gegen Olaf Scholz als Kanzlerkandidat der SPD aus. Das geht aus einer exklusiven Umfrage von YouGov für SZ Dossier hervor. YouGov hatte Wahlberechtigte gefragt, ob sie Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten der SPD befürworten oder ablehnen würden. 68 Prozent lehnen Scholz demnach ab, 20 Prozent befürworten ihn als Kandidat.


Auch SPD-Wähler skeptisch: Auch unter Bürgerinnen und Bürger, die sich bei der Bundestagswahl 2021 für die SPD entschieden hatten, ist Scholz unbeliebt. 60 Prozent der SPD-Wähler sprechen sich gegen den Kanzler aus. Die repräsentative Befragung fand unter wahlberechtigten Personen zwischen dem 6. und dem 10. September statt.

Mehrheit gegen Scholz als SPD-Kanzlerkandidat
in Kooperation mitYouGov

Wähler gegen AfD: YouGov hat die Bürgerinnen und Bürger zudem bundesweit gefragt, ob sie es befürworten oder ablehnen würden, wenn die AfD in Thüringen bzw. Sachsen die Landesregierung anführen würde. Dabei sprach sich eine Mehrheit von 60 Prozent (Thüringen) und 62 Prozent (Sachsen) gegen die AfD aus, allerdings würden 29 (Thüringen) bzw. 28 Prozent (Sachsen) eine AfD-geführte Landesregierung befürworten.

Tiefgang

Die Grünen sind laut Umfragen wieder Nischenpartei. Zehn bis elf Prozent würden sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, so schlechte Umfragewerte hatten sie zuletzt im Jahr 2018. Zeit, sich mit der Frage zu beschäftigen: Wer könnte die Grünen noch wählen wollen?


Wenn es nach der stellvertretenden Bundesvorsitzenden und vielfaltspolitischen Sprecherin, Pegah Edalatian, geht, sollten künftig mehr Menschen mit Migrationshintergrund ihr Kreuz bei den Grünen machen. Heute kommt der Diversitätsrat zusammen, am Wochenende tagt der Vielfaltskongress der Partei. Beim Parteitag im November wollen sie einen Antrag einbringen. Überschrift: „Wir gestalten die vielfältige Migrationsgesellschaft.“


„Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die Mehrheit für eine offene und liberale Gesellschaft steht“, sagt Edalatian SZ Dossier. „Manchmal fühlt es sich an, als wäre man damit allein in einer Ecke. Von rechts heißt es, das sei Kulturkampf, von links, es sei Identitätspolitik, selbstreferentiell und spaltend.“ Vielfaltspolitik sei „Freiheitspolitik“.


Für die Grünen ist die Gratwanderung schwierig. Sie wollen und können den Traum nach einer neuen Volkspartei nicht aufgeben, Robert Habeck hat nach wie vor den Anspruch, Bundeskanzler zu werden. Eine gewisse Härte in der Migrationspolitik müssen sie also zeigen. Laut dem jüngsten Politbarometer sind 71 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Meinung, dass „Deutschland die vielen Flüchtlinge aus Krisengebieten nicht mehr verkraften“ könne.


Das bedeutet auch: 29 Prozent sehen es anders. Gut möglich, dass von ihnen einige den Grünen nahestehen oder standen. Inzwischen sind die Landtagswahlergebnisse und Umfragen derart desaströs, dass die Grünen an der Loyalität ihres Kernklientels zweifeln müssen. „Der Kampf für die gleichberechtigte Teilhabe, Freiheit, Feminismus, Vielfalt und Gerechtigkeit sind Teil unserer DNA“, heißt es in dem Antrag, den der Diversitätsrat heute beschließen will.


„Wenn man von morgens bis abends nur hört, wir vertrauen niemanden, wir machen Deutschland dicht, dann wirkt das auf viele Menschen mit Migrationshintergrund abschreckend“, sagt Edalatian, die will, dass sie sich mehr einbringen. „Man muss ihnen sagen: Mach Politik, bring Dich ein, hier geht es auch um Dein Land.“ Sie glaubt, dass es für die Bekämpfung von Rechtsextremen Allianzen brauche. „Es gibt liberale Netzwerke auch in Deutschland, die dagegen arbeiten, sie haben in der Vergangenheit viel erreicht, aber gerade wirken sie müde, frustriert“, sagt sie.


Bei der letzten Bundestagswahl hatten laut Mediendienst Integration rund 14 Prozent der Wahlberechtigten einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. „Grundsätzlich wählen sie nicht anders als die Mehrheitsbevölkerung. Das heißt: Für keinen von uns, für SPD, Union, FDP und uns, sind diese 15 Prozent komplett erreichbar. Wir müssen die ansprechen, die für unsere Themen offen sind“, sagt Edalatian.


Wie also lassen sie sich erreichen? Edalatian, die zum linken Parteiflügel gehört, sagt, es gehe um Ressourcenverteilung. „Für mich ist besonders die Frage nach Ressourcenverteilung wichtig, dabei müssen wir natürlich auch Minderheiten im Blick haben, die strukturell benachteiligt sind. Ich möchte, dass wir mehr Gerechtigkeit schaffen, die Mittelschicht entlasten, die diskriminierenden Vermögensungleichheiten in den Blick nehmen.“ Die Grünen müssten in die Stadtviertel gehen, wo viele Menschen mit Migrationsgeschichte leben, wichtig seien Themen wie Aufstiegschancen, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, auch Sicherheit, es fehle oft Vertrauen in den Staat.


Erreichten die Grünen diese Menschen tatsächlich, wäre das für sie die Erschließung einer neuen Wählergruppe. Laut Bundeszentrale für politische Bildung hatten die Wählerinnen und Wähler der Grünen bei der vergangenen Bundestagswahl die höchsten Bildungsabschlüsse, sie verdienten überdurchschnittlich viel.


Viele Menschen aus marginalisierten Gruppen seien durch die Debatten der letzten Monate vor den Kopf gestoßen worden, heißt es in dem Antrag, hier wollten die Grünen Vertrauen zurückgewinnen. Sie wolle, sagt Edalatian, beim Bundestagswahlkampf über eine „funktionierende Einwanderungsgesellschaft“ sprechen. „Ich und viele andere Menschen mit Migrationshintergrund haben die Schnauze voll davon, dass es immer nur um die Gefahren von Zuwanderung und Flucht geht, und nicht um die Gesellschaft, die wir jetzt schon sind. Die erfolgreiche Einwanderungsgesellschaft“, sagt sie.

Fast übersehen

5.

Machtkampf um Münchner Sicherheitskonferenz: Um die Führung der Münchner Sicherheitskonferenz wird heftig gestritten, berichtet Stefan Kornelius in der SZ. Wolfgang Ischinger, langjähriger Leiter, hat den bisherigen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg als Konferenzchef vorgeschlagen. Doch es gab ja schon einen: Christoph Heusgen, langjähriger außenpolitischer Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der wurde vor einer Woche über die Pläne informiert, am Samstag sollte der Stiftungsrat darüber abstimmen. Fürs Protokoll: Heusgen widersprach seiner Entmachtung.


Showdown am 25. September: Im Stiftungsrat hat Ischinger eine Mehrheit. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, politisches Schwergewicht der Gruppe, dürfte wenig gegen den Sozialdemokraten Stoltenberg haben. Seine Berufung soll nach Ende seiner Nato-Amtszeit am 1. Oktober bekannt gegeben werden. Doch auf einmal ist die Konferenz, offiziell immer reines Privatvergnügen im öffentlichen Interesse, in die Verhandlungsmasse zwischen den Parteien hineingeraten – schließlich hätten „deutsche Diplomaten“ die Konferenz geleitet.


Also erst Horst Teltschik, dann Ischinger. Heusgen droht zur Fußnote zu werden, bevor er wegen der Energie- und allgemeinen Russlandpolitik seiner vormaligen Chefin zur Belastung wird. Im Außen- und Verteidigungsministerium habe der Vorgang Unruhe ausgelöst, berichtet Stefan Kornelius.

6.

Endlich ein Erfolg: Wenn die kenianische Delegation heute im Kanzleramt ist, werden Innenministerin Faeser und der kenianische Außenminister Musalia Mudavadi im Beisein von Scholz und dem kenianischen Präsidenten, William Samoei Ruto, ein Migrationsabkommen unterzeichnen. „Das Migrationsabkommen mit Kenia zeigt, dass die Reduzierung irregulärer Migration und die Förderung regulärer Migration zusammengehören“, sagte FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle SZ Dossier.


Wichtiger Meilenstein: Laut Kuhle sollen viele weitere Vereinbarungen folgen. Für die Ampel sind Migrationspartnerschaften ein wichtiger Weg, um illegale Migration zu reduzieren. Die Verhandlungen dauern allerdings. Im Mai des vergangenen Jahres sagte der Sonderbevollmächtigte der Ampel für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), man dürfe nicht glauben, er könne mit dem Finger schnippen und „in ein paar Monaten sind die Probleme in Luft aufgelöst“. Bisher gibt es Partnerschaften mit Indien und Georgien.


Usbekistan soll folgen: Am Sonntag wird Scholz nach Usbekistan und dann weiter nach Kasachstan reisen, mein Kollege Paul-Anton Krüger fliegt mit. Mit Usbekistan soll ein weiteres Migrationsabkommen unterzeichnet werden. Die Migrationsabkommen hätten immer zwei Säulen, die eine sei die Fachkräftegewinnung, die andere „klare Kooperationsvereinbarungen für Rückführungen“ hieß es aus Regierungskreisen. Bei Usbekistan gebe es mit Rückführungen kaum ein Problem, die erste Säule sei dementsprechend deutlicher im Abkommen abgebildet.


7.

Karl-Josef Laumann macht Platz. Der gelernte Maschinenschlosser stand seit 2005, also fast zwanzig Jahre lang, an der Spitze der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), des Arbeitnehmerflügels der CDU. Der trifft sich am Wochenende zu seiner Bundestagung in Weimar, dort wird auch ein neuer Vorstand gewählt. Laumann wird nicht mehr antreten.


Der Europapolitiker Dennis Radtke wird Laumann aller Voraussicht nach beerben. Radtke war mal Sozialdemokrat und hat mit meinen Kollegen Roland Preuß und Robert Roßmann über seinen – für einen CDU-Politiker – eher untypischen Werdegang gesprochen. In dem Gespräch fordert Radtke, die CDU dürfe sich nicht auf Migrationsdebatten verengen, sondern müsse auch jene Menschen ansprechen, die Angst hätten vor einem Jobverlust, vor Abstieg. Dazu müsse allerdings erkennbar sein, dass die CDU nicht nur über die Interessen der Arbeiter rede, sondern auch glaubwürdige Angebote für sie habe.

8.

Australien und Deutschland vereinbaren Partnerschaft bei Wasserstoff: Die Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, Anja Hajduk, und der australische Minister für Klima und Energie, Chris Bowen, unterschreiben heute in Brisbane eine Vereinbarung zur Vertiefung der Partnerschaft im Wasserstoffhandel.


Dickes Ding, vorab: Die Regierungen wollen im Rahmen des Projektes H2Global eine 400-Millionen-Euro-Ausschreibung ankündigen, die den Export von grünem Wasserstoff aus Australien nach Deutschland fördern soll. Die Mitteilung dazu aus dem BMWK liegt meinem Kollegen Bastian Mühling vor. Mehr dazu wissen Leserinnen und Leser unseres neuen Dossiers Nachhaltigkeit. Hier können Sie sich kostenfrei für eine Testphase anmelden.


Australien zurück auf der klimapolitischen Bühne: „Lange Zeit waren solche Partnerschaften mit der konservativen Regierung nicht möglich“, sagte Franziska Teichmann SZ Dossier, die Projektleiterin der deutsch-australischen Energie- und Klimapartnerschaft bei dem Think Tank Adelphi. Premierminister Anthony Albanese, seit 2022 im Amt, verordnete der fossilen Volkswirtschaft eine grünere Klimapolitik. Die Partnerschaft sieht Teichmann als „wichtiges Signal“.


Transport (im)possible: Bisher gehen Energielieferungen aus Australien meist nach Asien, sagte Franziska Teichmann. Zum Beispiel gebe es bei LNG einen liquiden Weltmarkt, bei Wasserstoff noch nicht. Solange es den noch nicht gebe, sei es wichtig, Optionen aufzuzeigen. „Das Abkommen zeigt, dass der Handel grundsätzlich möglich ist und auch die Transportkosten nicht prohibitiv hoch sind“, sagte Teichmann. Wasserstoffprodukte könne man ohne Probleme über lange Strecken schicken.

Unter eins

Ich bin vielleicht neben der Chefin der WTO einer der letzten beiden Freihändler auf der Welt.

Kanzler Olaf Scholz bei einer Rede vor der Chemieindustrie

Zu guter Letzt

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gründet eifrig weitere Landesverbände, am Wochenende sind Bremen und Niedersachsen an der Reihe. Für Vertreterinnen und Vertreter der Medien wird es aber ein kurzes Intermezzo werden, eine halbe Stunde am Vormittag und eine Pressekonferenz am Nachmittag – länger dürfen sie nicht dabei sein. Dabei plakatierte das BSW im Europawahlkampf noch Parolen wie „Maulkorb oder Meinung“, die Partei warnt vor einer sogenannten Cancel Culture und der „Verengung des Meinungsspektrums“, beides sei unvereinbar mit einer freien Gesellschaft.


Beim BSW rechtfertigen sie ihr Vorgehen damit, unter den Mitgliedern seien ja zahlreiche Politikneulinge, sie sollten sich in vertraulicher Atmosphäre kennenlernen können, das berichtet die Deutsche Presse-Agentur.


Heißt im Umkehrschluss: ein Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten traut ihnen die Parteigründung offenbar noch nicht so recht zu. Also erst einmal üben. Auch Demokratie will ja gelernt sein.


Danke! An das Team in Berlin für ihre Beiträge und an das Team in Australien für Schlusskorrektur und Produktion.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier