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Nutzungsrechte erwerbenSo schauen wir auf Brandenburg
Freitag, 20. September 2024Florian Eder
Gabriel Rinaldi
Schnelldurchlauf:
Woidke versucht den Sieg zu erzwingen +++ BSW steht vor erneuter Aufwertung +++ CDU ringt um Platz 3 – mit Wagenknecht +++ Auf dem Meinungsmarkt ist Scholz nicht mehr viel wert +++ AfD sortiert ihre Lager +++ Diese Kleinparteien wollen mitmischen +++ Wie Woidke seine Migrationswende vollzog
Guten Morgen. Derzeit ist oft zu lesen, Olaf Scholz sei in ähnlicher Lage wie sein Freund Joe Biden; verbunden mit dem – bei allem Respekt vor dem Amt eines Bundeskanzlers – noch gewagteren Vergleich: Boris Pistorius solle die Kamala Harris geben. Die größte Ehre täte man Saskia Esken an, spielte sie eine Rolle wie Nancy Pelosi: Das führt alles zu nichts als Albernheiten.
Dass das Neue unerwarteten Effet bekommt, gilt ohnehin auch nicht nur in den USA. Frankreichs neuer konservativer Premierminister Michel Barnier führt in der monatlichen Beliebtheitsumfrage von Ifop die Rangliste an: 57 Prozent der Befragten haben eine „gute Meinung“ von ihm; es ist erst das zweite Mal in der Geschichte des Rankings, dass ein Neueinsteiger oben steht. Auf den drei Plätzen hinter ihm übrigens lauter Männer, die schon einmal Premierminister waren.
Hat Emmanuel Macron alles richtig gemacht mit Barniers Ernennung? Er selbst stieg auf den 44. Platz ab, den schlechtesten seit seiner Aufnahme in die Rangliste. Von den 31 Prozent, die eine gute Meinung von Macron haben, kann wiederum Scholz nur träumen.
Willkommen am Platz der Republik. Heute teilen wir mit Ihnen, worauf wir am Sonntag bei der Landtagswahl in Brandenburg achten.
Was wichtig wird
Dietmar Woidke hat die Wahl zu einer Abstimmung über sich und seine Zukunft gemacht: Bekommt die AfD auch nur eine Stimme mehr als seine SPD, ist er weg, so hat er sich eingelassen. Das ist radikal, gewagt angesichts der Umfragen, wonach es auch nicht reichen könnte: Woidke hat zwar aufgeholt, doch die AfD liegt knapp vorn, im frischen ZDF-Politbarometer von gestern Abend ist es noch ein Prozentpunkt.
Manche nennen es Erpressung: Entweder ich oder eine ungeklärte Lage. Für Woidke zu gewinnen ist ein Triumph oder ein Abtritt mit großer Geste nach elf Jahren im Amt.
Also: Erst Woidke, dann die Partei – für die es damit um Sieg oder Niederlage geht und nicht um eine seltene Freude: Umfragen lassen ein Ergebnis um die 25 Prozent erwarten. Dann das Land: Die Brandenburger bräuchten ja bloß Woidke wählen, wenn sie wissen wollten, wer aus der SPD den Versuch zur Regierungsbildung unternehmen soll.
Die Regierungsbildung in Potsdam wird davon abhängen, wie viele Parteien den Einzug in das Landesparlament schaffen: Die SPD braucht laut letzter Umfragen zwei Partner – die CDU ist fast gesetzt; die heute mitregierenden Grünen bangen um den Wiedereinzug. Falls der nicht gelingt, könnten BSW oder die Freien Wähler zur Mehrheitsbeschaffung gefragt sein.
Aufwertung: Wenn der Brandenburger Landesverband des BSW, der keine vier Monate existiert, zu SPD und CDU stoßen sollte, dann in bedeutender Rolle und mit großer Wahrscheinlichkeit auf Augenhöhe mit den Christdemokraten. Bislang schließen weder SPD noch CDU eine Zusammenarbeit mit der Partei von Sahra Wagenknecht aus.
Alles kann, nichts muss: Der Brandenburger Spitzenkandidat Robert Crumbach, zuvor viele Jahre SPD-Mitglied, steht ebenfalls für die Linie, dass Friedensdiplomatie im Ukraine-Krieg eine Bedingung für Koalitionsverhandlungen sei. „Das BSW tritt nicht an, um unbedingt in die Regierung zu kommen, sondern um die Politik zu verändern“, sagte Crumbach. Eine Regierungsbeteiligung sei zwar denkbar, ein „billiger Mehrheitsbeschaffer“ wolle das BSW aber auf keinen Fall sein. Ob Wagenknecht mitreden würde? „Das machen wir schon selbst“, sagte er.
Bei einem hatte Woidkes Spiel Erfolg: bei Michael Kretschmer. Der sächsische Ministerpräsident von der CDU, der selbst vor drei Wochen die AfD knapp schlagen konnte, wünschte dem Kollegen, er möge „den Kopf vorn haben“. Die CDU spielt in Potsdam nur um Platz 3. Worauf zu achten sein wird: Ob sie vor oder hinter dem Bündnis Sahra Wagenknecht landet.
Jan Redmann heißt ihr Spitzenkandidat. Aber während er vor Monaten noch in ordentlicher Ausgangslage war, die Staatskanzlei nicht außer Sicht, reicht es nun nicht einmal für einen Beitrag zum Entscheid der K-Frage in der eigenen Partei: Friedrich Merz hat den Sonntag nicht abgewartet. Selbst dafür war Redmann aber nicht der Grund: Anders als für Bundeskanzler Scholz hängt für den Oppositionsführer Merz nichts an der Wahl in Brandenburg.
Ein Blick ins Großkommentariat: Da ist natürlich gerade was los auf den Meinungsseiten. Es geht nicht zuletzt darum, in einem Jahr sagen zu können, es eh gewusst zu haben. Pick your corner!
In der roten Ecke: Scholz müsse weg und Boris Pistorius ran. Scholz müsse bleiben, damit Lars Klingbeil nach der Wahl Vizekanzler werden kann. Merz werde es auch nicht besser können – das ist der Spin aus dem Kanzleramt – angesichts der Lage auf dem politischen Markt, die zu Dreierbündnissen zwinge. Nur für eine These hat sich zuletzt niemand mehr hergegeben: dass Scholz es schon nochmal herumreißt, wenn Merz erst Kandidat ist.
Konservative Kommentatoren dagegen: Sind noch zu beschäftigt damit, erstens 2015 schon in der Migrationsfrage und zweitens überhaupt in Sachen Ampel recht gehabt zu haben, um sich schon am Spiel um den Respekt der nächstes Jahr Mächtigen zu beteiligen. Es wird da noch zu Kunststücken kommen müssen: Wer die Grünen als nicht koalitionsfähig einstuft, beschränkt die Möglichkeiten wohl auf ein Bündnis mit einer Post-Scholz-SPD, und das wird dann auch wieder nicht recht sein.
Die AfD in Brandenburg bewegt sich seit Jahren nach rechts. Die Wahl am Sonntag wird auch Aufschluss geben, wie weit der Rutsch diesmal reicht: ob sich innerparteilich ein Kurs der Radikalität durchsetzt oder das Lager einen Punkt macht, das nach einem Ende der Isolation strebt.
Einzeln extrem: Anders als die Landesverbände in Thüringen und Sachsen wird die Brandenburger Gliederung vom Verfassungsschutz nicht im Ganzen als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft (sondern als „Verdachtsfall“) – einzelne Kandidaten, darunter der Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt, aber sehr wohl.
Wer steigt auf, wer fällt? Mit dem Ergebnis einher geht das Ringen um die Machtbalance in der Partei: Bezugspunkt sind die Zahlen aus Thüringen, wo die AfD unter Björn Höcke 32,8 Prozent erreichte, und Sachsen, mit 31,9 kaum weniger. Letzte Umfragen sehen die AfD in Brandenburg bei unter 30 Prozent – aber eine Sperrminorität mit ihren Konsequenzen ist auch im Potsdamer Landtag nicht ausgeschlossen.
Den kleinen Parteien, in Brandenburg zählen Grüne und FDP zu ihnen, könnte am Sonntagabend eine große Rolle zuteilwerden. Wenn eine Partei ein Direktmandat holt, zieht sie als Fraktion in den Landtag ein, die Stärke bemisst sich nach dem Zweitstimmenergebnis. SPD und CDU brauchen laut aktuellen Umfragen mindestens einen weiteren Koalitionspartner, wenn sie zusammen weiterregieren wollen.
Grüne Taktik: Die Grünen, derzeit in der Regierung, hoffen auf taktisches Wählen. Sie wollen etwa der Linken Stimmen wegnehmen, die selbst zuletzt in Umfragen bei drei bis vier Prozent stand. Im Wahlkreis Potsdam-Innenstadt ist eine grüne Kandidatin am aussichtsreichsten: Marie Schäffer. Die Organisation Campact unterstützt sie deshalb finanziell, um eine AfD-Sperrminorität zu verhindern. Im gleichen Wahlkreis hatte sie 2019 gegen Klara Geywitz gewonnen.
Rot-Schwarz-Orange: Die Freien Wähler setzen alles auf ihren Spitzenkandidaten Péter Vida, der im Wahlkreis Bernau antritt und dort 2019 das Direktmandat holte. Ein Einzug von Vidas Partei – er hat eine aufblasbare Orange immer dabei – könnte die Verhandlungsposition von Rot-Schwarz gegenüber Wagenknechts BSW stärken. Die CDU hat deutlich gemacht, dass sie die Grünen nicht unbedingt weiter in der Regierung haben muss. Ob Vida, der im Wahlkampf mit einer „Dönerpreisbremse“ Jungwähler lockte, die bessere Option ist, darüber würde dann diskutiert werden.
Liberale Träume: Spitzenkandidat Zyon Braun hat einen Wahlkampf gemacht, der an den früheren Christian Lindner erinnerte: Jung, dynamisch, hip. Das Problem: Er ist nicht Christian Lindner. Die FDP durfte nicht zur RBB-Wahldebatte, wurde nicht eingeladen, das aktuelle ZDF-Politbarometer führt sie nicht auf. Anders klingt das auf Brauns Webseite, wo sich die Liberalen als einzige Machtoption für die Mitte präsentieren. Große Pläne haben sie auch: „Wir Freie Demokraten wollen, dass Brandenburg endlich Weltspitze wird – bei Bildung, Infrastruktur und Wirtschaft.“
Die Migrationsdebatte hat sich auch im Brandenburger Wahlkampf verändert – und deutlich verschärft. Wir haben mithilfe von Divergences, einem aus Fernseh- und Radioauftritten gespeisten Monitoring-Werkzeug, die politischen Positionen der Spitzenkandidaten von SPD und CDU analysiert. In der Regierung sind deutliche Unterschiede zu sehen – und im Zeitverlauf auch beim Ministerpräsidenten selbst.
Kritik am Partner: So forderte CDU-Kandidat Redmann eine Rückweisung von Asylbewerbern an den Grenzen und sah die Notwendigkeit, die Dublin-Verordnung zu ignorieren, da andere Länder dies ebenfalls täten. „Wenn ein Vertrag von niemandem sonst mehr gelebt wird, dann ist auch Deutschland nicht verpflichtet, als Letzter sich an diesen Vertrag zu halten“, sagte er Anfang September dem RBB. Nach dem Anschlag in Solingen forderte er eine konsequente Abschiebepolitik und kritisierte die SPD: „Ich fordere von Woidke, die SPD-Bundesspitze zu überzeugen, der Einführung von Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen zuzustimmen“, sagte er Antenne Brandenburg.
Keine pauschalen Verurteilungen: Dietmar Woidke (SPD) betonte zwar die Notwendigkeit, konsequent gegen ausreisepflichtige Asylbewerber vorzugehen und die Sicherheitslage zu verbessern. Er sprach sich aber auch stets für eine differenzierte Betrachtung aus, kritisierte eine pauschale Verbindung von Migration und Kriminalität. „Die große, große Mehrheit ist ja rechtstreu und strengt sich hier an und versucht anzukommen“, sagte er Anfang September im ZDF. Nach Solingen wünschte sich Woidke strengere Maßnahmen, um Fehler nicht zu wiederholen, sprach von einem „Gesamtpaket“ zur Verbesserung der Situation.
Potsdamer Migrationswende: Vor einigen Tagen forderte er dann, Geflüchtete zurückzuweisen, die über sichere Drittstaaten nach Deutschland eingereist sind. „Wir fordern das in Brandenburg schon lange. Ich erwarte von der Bundesebene, dass sie jetzt zügig Entscheidungen trifft“, antwortete er auf die Frage, ob das mit der Bundes-SPD abgestimmt worden sei.
Unter eins
CDU-Chef Friedrich Merz sagte gestern Abend bei einer Buchvorstellung, das BSW sei „bis jetzt noch die Bewegung einer einzigen Frau“ und er wisse nicht, wie „diese Leute ticken“.
Zu guter Letzt
Während Berlin nach Potsdam schielt, macht sich die EU Gedanken um die Lehrpläne der Zukunft. „Digitale Fähigkeiten sollten mit anderen kritischen Fähigkeiten wie Lesen gleichgestellt werden“, sagte Pia Ahrenkilde am Dienstag vor einer kleinen Brüsseler Runde. Desinformation, fügte sie hinzu, werde zu einer „eindeutigen Sicherheitsbedrohung“ für Europa. Ahrenkilde ist seit September 2023 Generaldirektorin für Bildung in der Europäischen Kommission.
Der Haken: Brüssel kann ebenso wenig wie Berlin die Lehrpläne unmittelbar beeinflussen, Bildung ist bekanntlich keine EU-Kompetenz. Man könnte also allerhöchstens einen Rahmen vorgeben, Ressourcen zur Verfügung stellen – an die Lehrpläne kann die EU aber nicht ran. Mit dem Aktionsplan für digitale Bildung etwa soll besagter Rahmen gesetzt werden. „Wir bringen den Kindern bei, sicher über die Straße zu gehen, sie sollten auch lernen, kritisch zu denken“, sagte Ahrenkilde.
Schülerinnen und Schüler müssten sich bewusst sein, dass Algorithmen Echokammern schaffen, und zwar oft nicht aus persönlicher Entscheidung heraus. Wie man mit den digitalen Fähigkeiten der Erwachsenen umgeht, dazu hat Ahrenkilde nichts gesagt. Vielleicht steht der nächste Aktionsplan dann unter dem Motto: Wie erkläre ich meinen Eltern das Internet?
Danke! Nach Australien, wo der Nachtdienst wachte.