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Nutzungsrechte erwerbenGrüne hoffen auf Aufbruch durch Rücktritt
Donnerstag, 26. September 2024Von Valerie Höhne
Guten Morgen. Es sind grundstürzende Dinge in der Grünen Partei passiert, und eine der Fragen ist: Mussten Ricarda Lang und Omid Nouripour als Grünen-Chefs zurücktreten? Oder hätten sie sich halten können – und wollen?
Der Druck war gewaltig. Am Dienstagabend haben sie im Bundesvorstand ihren Rückzug besprochen, am Mittwochmorgen wurde offiziell entschieden: Der gesamte Bundesvorstand tritt zurück. „Es braucht neue Gesichter“, sagte Lang beim Pressestatement. Ein Moment des Aufbruchs könne mit ihnen in diesem Moment nicht gelingen, so die Analyse.
Mindestens vor Dienstagabend sahen sie aber noch Spielraum. Die Deutungen darüber, wie selbstbestimmt der Abtritt war, gehen, wie so oft in solchen Zeiten, auseinander. Als am Montag nach der Landtagswahl in Brandenburg die Gremien tagten, haben Lang und Nouripour laut Parteikreisen ihre Offenheit für einen Austritt aus der Ampel deutlich zum Ausdruck gebracht. Das wurde verworfen.
Die offene Kritik der vergangenen Tage traf vor allem Lang. In der Zeit hatte sich eine Politikerin beschwert, dass Lang der Partei „immer wieder Debatten über Bodyshaming und Feminismus“ aufdränge. Dabei gilt sie im eigenen linken Flügel eher als zu nah an Vizekanzler Robert Habeck. Nouripour wird flügelübergreifend schon länger kritisiert.
Einer, der dem Ampel-Exit wohl nichts abgewinnen konnte, war Habeck. Sein Umfeld, so die Deutung mancher, sei hauptsächlich verantwortlich für den Rückzug des Bundesvorstands. Was dafür spricht: Für ihn bietet der Wechsel die Chance auf einen Neubeginn. Sein Risiko: Die Verantwortung für den Wahlausgang 2025 trägt er nun beinahe allein – schließlich hat er jetzt alle Beinfreiheit, die er sich je wünschen könnte. Herzlich willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Dass der Rückzug von Lang und Nouripour recht spontan war, konnte man an den Reaktionen aus der Partei ablesen. Habeck sagte, er wolle „eine offene Debatte zu einer möglichen Kandidatur und ein ehrliches Votum in geheimer Wahl“. Auch er trage Verantwortung für die schlechten Wahlergebnisse und wolle sich ihr stellen, sagte er.
Erst einmal ist das eine Ankündigung: Es gibt keine Festlegung auf ihn als Kanzlerkandidaten vor dem Bundesparteitag im November. Spätestens bis dann muss sich auch die Partei hinter ihm sortiert haben. Gesetzt, sagen viele aus dem Realo-Flügel sei Franziska Brantner, bisher Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. Bis vor wenigen Tagen sollte sie in den kommenden Monaten als Wahlkampfmanagerin in die Parteizentrale wechseln, nun heißt es, sie würde Parteivorsitzende. Sie ist wohl Habecks Lieblingskandidatin.
Der linke Flügel soll mitgenommen werden: Habeck hat bislang nicht den Ruf, viel Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Partei zu nehmen. Einen Flügelkampf will er aber offenbar auch nicht führen. Felix Banaszak wurde als möglicher linker Parteivorsitzender lanciert, er gilt als guter Redner, der die Sichtweise des Flügels stärker vertritt als andere prominente Vertreter. Als Ex-Landesvorsitzender von Nordrhein-Westfalen ist er zudem in der Partei gut vernetzt. Andreas Audretsch, bislang Vize-Fraktionsvorsitzender, wird ebenfalls gehandelt. Am Samstag trifft sich der linke Flügel zu einem großen Flügeltreffen. Einige wünschen sich, dass die Entscheidung für einen Kandidaten schon davor fällt.
Blackbox Politische Geschäftsführerin: Der sechsköpfige Bundesvorstand hatte gestern gemeinsam den Rücktritt angekündigt. Die stellvertretenden Parteivorsitzenden Heiko Knopf und Pegah Edalatian sowie Bundesschatzmeister Frederic Carpenter werden aber beim Parteitag nach Informationen von SZ-Dossier wieder antreten. Gut möglich, dass die Partei die Verantwortung für die Niederlagen nicht bei ihnen sucht. Emily Büning, bisher Politische Bundesgeschäftsführerin, fällt am härtesten. Sie hat kein Bundestagsmandat und keine Anschlussbeschäftigung.
Wer folgt auf sie und in welcher Funktion? Bisher war das Amt der Bundesgeschäftsführerin undankbar. In wichtigen Runden wie der Sechser-Runde, in der die Fraktionsführung, die Parteiführung und Außenministerin Annalena Baerbock und Robert Habeck sitzen, war sie nicht vertreten. Trotzdem ist das Amt analog zu Generalsekretären in anderen Parteien angedacht, die Verantwortung für die Walkämpfe liegt hier. Mit einer Aufwertung wären potenziell mehr Grüne, denen mehr oder minder großes Potenzial attestiert wird, daran interessiert – obwohl die Kandidaten, aufgrund der Satzung, ein Mandat aufgeben müssten.
Grüne Jugend adé: Der Bundesvorstand der Grünen Jugend kündigte gestern ebenfalls seinen Rücktritt an. Nicht nur das: Sie wollen aus der Partei austreten. Manche (wir schätzen, die meisten) Realos freut das. „Es ist gut, dass der Weg für einen Neuanfang bei der GJ freigemacht wird“, sagte ein Abgeordneter SZ Dossier. Die Führung der Parteijugend möchte nun einen „dezidiert linken Jugendverband“ gründen.
Als Nouripour und Lang ihre Entscheidung verkündeten, saß die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, beim Pressefrühstück. Eine „Destabilität für den Bund abzuleiten“, erschließe sich aus der Ankündigung „nicht zwangsläufig“, sagte sie. Das klang bei Regierungssprecher Steffen Hebestreit wenige Stunden später schon sortierter. Der Rücktritt habe „keinerlei Auswirkungen auf die Koalition“, sagte er.
Ist das so? CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident Markus Söder forderte Habeck zum Rücktritt auf, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann Neuwahlen. Die Opposition möchte aus der Ankündigung von Nouripour und Lang die Schwäche der Ampel ableiten. Aber auch in der Koalition wettet außerhalb des Kanzleramts kaum jemand mehr darauf, dass die Regierung hält.
Der Unmut der SPD ist spürbar: In den vergangenen Tagen hat sich vor allem die SPD mit Forderungen an die eigene Regierung hervorgetan. Am 12. Oktober treffen sich alle Unterbezirksvorsitzenden zu einer Aussprache mit Olaf Scholz, dann kommt der Vorstand zur Klausur zusammen. Wiebke Esdar, eine der Sprecherinnen der Parlamentarischen Linken, sagte, sie gehe davon aus, dass dort auch inhaltliche Schwerpunkte für den Bundestagswahlkampf gesetzt würden. Aus Sicht der Parlamentarischen Linken ist die Industriepolitik das drängendste Thema. Im Bereich der Elektromobilität brauche es Anreize, eine Wiederauflage der Umweltprämie, genannt Abwrackprämie, wären eine Möglichkeit, sagte PL-Sprecher Matthias Miersch, zum Beispiel gekoppelt an den Kaufpreis des Autos. Alles Forderungen, die mit der FDP wohl nicht umsetzbar sind.
Vorzeichen für das Ende der Ampel: Es wirkt, als gebe es mehr gemeinsame Vorhaben, an denen die Ampel zerbrechen könnte, als dass sie den Jahreswechsel übersteht. Das Rentenpaket hat die SPD schon zur roten Linie erklärt, das Tariftreuegesetz wollen sie durchsetzen, die Intel-Milliarden, die nun kurzfristig nicht gebraucht werden, nicht komplett in den Haushalt überführen. Sie sollten „zumindest teilweise noch dem Ziel der Förderung von Zukunftstechnologien dienen“, sagte die sachsen-anhaltinische Abgeordnete Franziska Kersten (SPD) SZ Dossier. Die Liberalen lehnen das ab. „Wir fordern von Intel eine abgestimmte Strategie für die Überbrückung der nächsten zwei Jahre, bis zur endgültigen Entscheidung“, sagte sie. Gestern trafen sich Scholz, Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner, um darüber zu beraten.
Wenn zur ersten Lesung keiner so richtig zufrieden ist mit einem Gesetz, bedeutet das meist noch viel Überzeugungsarbeit, die in Ausschüssen und Öffentlichkeit geleistet werden muss. Das Tierschutzgesetz, das heute im Bundestag beraten wird, ist ein solcher Fall: Tierschutzorganisationen und Bauernverbände sind mindestens skeptisch, der rot-grüne Teil der Ampel eigentlich auch.
Choose your fighter: Die geplanten Neuregelungen bei Nutztieren sorgen für Unmut bei Landwirten, von einem „Bürokratiemonster“ ist die Rede. „Wenn das Tierschutzgesetz in der jetzigen Form kommt, schaltet die Politik zahlreichen Tierhaltern das Licht aus“, twitterte der Bauernverband gestern. Derweil kritisieren Tierschützer, dass während der Ressortverhandlungen zu viel gestrichen worden sei. Der Entwurf sei ein „Kniefall vor der Agrarlobby“ oder „schwach und stellenweise verfassungswidrig“, weil nicht vereinbar mit dem Staatsziel Tierschutz.
Nehmen wir erstmal so mit: Als das Gesetz Ende Mai im Umlaufverfahren beschlossen wurde, hatten SPD und Grüne eigentlich weiteren Gesprächsbedarf angemeldet. Jetzt zählt in der Ampel aber alles als Erfolg, worüber es keinen Zwist gibt. Grünen-PGF Irene Mihalic sagte gestern, es sei „an der Zeit für ein modernes Tierschutzgesetz“ und zeigte sich froh darüber, dass es gelungen sei, das Gesetz „in dieser Woche in die erste Beratung zu bringen“.
In Brüssel hält sich das Gerücht, Ursula von der Leyen setzte sich nur deshalb dafür ein, dass in Europa mehr Wölfe abgeschossen werden dürfen, weil im September 2022 ihr Lieblingspony „Dolly“ in der Nähe von Hannover von einem Wolf gerissen wurde. GW950m lautete die Kennung des Wolfs.
Downgrade für den Wolf: Mit dem Thema ließe sich ein herrlicher Kulturkampf gegen die Grünen führen, schreiben Michael Bauchmüller und Josef Kelnberger. Ideologisch verbohrte, weltfremde Naturschützer wollen nichts hören von den Nöten der Bauern, deren Vieh gerissen wird. Nun liefern ausgerechnet sie, also die Grünen, den Wolf der EU-Kommissionspräsidentin ans Messer. Er soll in Europa künftig nicht mehr „streng geschützt“, sondern nur noch „geschützt“ sein, darauf hat man sich gestern geeinigt.
Problemwölfe und Problemgrüne: Das wird es einfacher machen, die Tiere abzuschießen, vor allem in Gegenden mit starker Verbreitung. Umweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir haben ihre Position geändert. „Dass der Schutzstatus des Wolfs abgesenkt wird, ist für unsere Weidetierhalter in Deutschland eine gute Nachricht“, sagte Özdemir. Mit der Absenkung könne man bei „Problemwölfen“ flexibler agieren, Weidetiere besser schützen. „Es ist ein Erfolg des Naturschutzes, dass wir diese Entscheidung treffen können“, sagte Lemke. Weil es wieder viele Wölfe gibt, so die Rechnung, kann man also auch mehr Wölfe abschießen.
„Büchse der Pandora“: Özdemir war es übrigens, der angesprochen auf die Wahlniederlage der Grünen in Brandenburg sagte, die Schuld liege in Berlin, bei den Bundesgrünen. Sie hätten viele Wählerinnen und Wähler verschreckt, „insbesondere im ländlichen Raum“. Es brauche einen Strategiewechsel, jetzt sofort. Ob es am Ende die Schuld der grünen Wahlergebnisse ist oder die von GW950m, wird noch zu diskutieren sein. Fakt ist: „Die Büchse der Pandora ist jetzt offen“, sagte Wolfsexpertin Marie Neuwald vom Nabu.
Tiefgang
Dem Freistaat Thüringen steht heute ein politisches Drama erster Güte ins Haus: Um 12 Uhr kommt der Landtag zu seiner ersten Sitzung zusammen, die Abgeordneten wählen die Landtagspräsidentin oder den Landtagspräsidenten. Zentrale Frage ist, ob es den anderen Parteien gelingt, die Kandidatin der AfD für das Amt zu verhindern. Vorbereitungen dazu gibt es, doch die Sitzung könnte chaotisch werden. Eine Übersicht, worauf wir achten.
Was auf dem Spiel steht: Der Landtag braucht eine Präsidentin oder einen Präsidenten, sonst kann er nicht arbeiten, auch keinen Ministerpräsidenten wählen. Und wie ein Blick in die Verfassung zeigt, ist das Amt des Parlamentspräsidenten nicht zu unterschätzen: Sie oder er führt nicht nur die Geschäfte des Landtags, sondern übt dort auch Hausrecht, Ordnungs- und Polizeigewalt aus, leitet die Verwaltung und vertritt den Landtag nach außen. Ist ein Vertreter der AfD einmal gewählt, wird es schwer, sie oder ihn wieder aus dem Amt zu befördern. Eine Abwahl des Präsidenten ist zwar möglich, die Geschäftsordnung sieht dafür aber eine Zweidrittelmehrheit vor. Die kann die AfD mit ihrer Sperrminorität verhindern.
Wer antritt: Die AfD schickt Wiebke Muhsal ins Rennen. Muhsal hat in ihrem Wahlkreis das Direktmandat gewonnen – gegen CDU-Chef Mario Voigt. Die 38-Jährige wird zum engen Kreis der Höcke-Vertrauten gezählt und gehörte dem Landtag bereits von 2014 bis 2019 an. In dieser Zeit machte sie mit gleich mehreren unrühmlichen Vorfällen auf sich aufmerksam, trat etwa vollverschleiert im Landtag auf, um gegen den Islam zu hetzen. Ferner wurde sie rechtskräftig wegen Betrugs verurteilt, weil sie falsche Angaben zum Beschäftigungsverhältnis einer Mitarbeiterin machte und dadurch mehr Geld von der Landtagsverwaltung erhielt. Die CDU stellt mit Thadäus König den Erststimmenkönig der Landtagswahl auf.
Die Fallstricke: Die Geschäftsordnung des Thüringer Landtags sagt lediglich, dass die stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für das Präsidentenamt hat. Das ist in diesem Fall die AfD. Gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Die anderen Parteien können den Vorschlag der AfD also verhindern. Was dann? „Ergibt sich keine solche Mehrheit, können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden“, heißt es in der Geschäftsordnung. Damit ist allerdings unklar, wie das weitere Prozedere genau ablaufen würde. Fachleute befürchten, die AfD könnte einfach einen ihrer Abgeordneten nach dem anderen zur Wahl stellen und eine Hängepartie provozieren.
Bereits im Frühjahr hat die Landtagsverwaltung allerdings dem Ältestenrat „eine Darstellung des Verfahrensgangs“ vorgelegt. Entscheidender Punkt: Ab dem dritten Wahlgang können auch andere Fraktionen Kandidaten vorschlagen. Gewählt wäre dann, wer die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erhält, also mehr Stimmen als alle anderen. Der Ältestenrat nahm diese Darstellung des Verfahrens, wie es heißt, „bei drei Stimmenthaltungen zustimmend zur Kenntnis“. Wie die FAZ berichtet, stammen die Enthaltungen von der AfD. Ihre Vertreter stellen sich auf den Standpunkt, dass das Amt der AfD zusteht.
Der Schachzug von CDU und BSW: Die beiden Fraktionen haben gemeinsam einen Antrag formuliert, der heute vor der Wahl des Präsidenten auf der Tagesordnung steht. Konkret geht es darum, die Geschäftsordnung zu ändern. Und zwar so, dass alle Fraktionen schon für den ersten Wahlgang eigene Kandidaten aufstellen können. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob es überhaupt möglich ist, die Geschäftsordnung zu ändern, bevor der Landtagspräsident gewählt ist. Die AfD hält das für unzulässig. Es kursiert allerdings eine anderslautende Einschätzung aus der Landtagsverwaltung. Darin heißt es, dem neuen Landtag stehe es, „ab seinem Zusammentritt (…) frei, die Geschäftsordnung zu ändern“. Begründet wird das mit dem Selbstorganisationsrecht des Parlaments.
Viel wird heute vom Alterspräsidenten abhängen, der die Sitzung leitet. Den stellt mit Jürgen Treutler allerdings die AfD. Entscheidend wird sein, wie Treutler mit dem Antrag umgeht, ob er ihn überhaupt aufruft oder ob er der Auffassung seiner Partei folgt und den Landtag nicht für beschlussfähig hält, bis ein Präsident gewählt ist. Wie er vorgehen werde? „Lassen Sie sich überraschen“, sagte Treutler zuletzt.
Und dann? Wie es aus Kreisen des Landtags heißt, hält man es für möglich, dass die Sitzung vertagt wird, möglicherweise bis Freitag. In der Zwischenzeit müssten dann wohl die Thüringer Verfassungsrichter die Sache klären. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Torben Braga, sagte gestern, er sei optimistisch, dass eine Lösung gefunden werde, es gebe Möglichkeiten, Kompromisse zu treffen. Dass die AfD-Fraktion immer neue Mitglieder vorschlagen wird, schloss er aus. Tim Frehler
Fast übersehen
Cyber-Verspätung: Ende 2025 soll das Verteidigungsministerium endlich ein eigenes Cyber-Lagezentrum haben, das sowohl die Bundeswehr bei ihren Einsätzen unterstützt als auch zum Gesamtlagebild der Nato beiträgt. Die geplanten Kosten dafür: rund 91 Millionen Euro. Das geht aus einem als Verschlusssache eingestuften Bericht des Verteidigungsministeriums an den Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags hervor, der SZ Dossier vorliegt.
Warum das wichtig ist: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beispielsweise wurde von Beginn an mit Cyberangriffen flankiert. Sämtliche aktuellen Konflikte, von Israel über Iran und China, haben Cyberkomponenten. Ohne ein funktionierendes Lagebild ist die Situation schwer zu kontrollieren. Dass Deutschland hier nicht liefert, schwächt das Bündnis.
Kein Personal: Wie Selina Bettendorf für Abonnenten unseres Dossiers Digitalwende schon gestern berichtete, sollte das Lagezentrum bereits 2023 fertig sein, um die schnelle Eingreiftruppe der Nato mit einem Lagebild zu unterstützen. Laut Bundesrechnungshof wurde das Zentrum vor allem deshalb noch nicht fertig, weil qualifiziertes Personal fehlte – sowohl im Ministerium als auch beim IT-Dienstleister. Mehr als eineinhalb Jahre konnte nicht einmal die Projektleitung für den Aufbau des geplanten Zentrums besetzt werden.
Endlich Entlastung? Der Bundestag will Unternehmen und Bürger von bürokratischen Pflichten befreien. Heute um kurz nach 9 Uhr soll über das vierte Bürokratieentlastungsgesetz abgestimmt werden. „Damit entlasten wir die Wirtschaft um rund 3,5 Milliarden Euro und legen einen Meilenstein für weniger Bürokratie und mehr Freiräume in unserem Land“, sagte der zuständige FDP-Berichterstatter Thorsten Lieb. Den Liberalen war das Gesetz besonders wichtig.
Kürzere Fristen, digitale Steuerbescheide: Der Entwurf sieht laut Deutscher Presse-Agentur unter anderem eine Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Rechnungskopien, Kontoauszüge sowie Lohn- und Gehaltslisten vor. Die Meldepflicht für deutsche Staatsangehörige bei einer Hotelübernachtung wird abgeschafft. Zudem sollen Steuerbescheide demnächst in der Regel digital bereitgestellt werden, wenn dies gewünscht wird. Lieb sagte, es brauche noch mehr Maßnahmen, um das Leben bürokratieärmer zu machen, als Beispiel nannte er die Abschaffung der Bonpflicht.
Was bringen Grenzkontrollen? Bei der Polizei sind sie sich nicht einig, ob die verstärkten Kontrollen an den deutschen Außengrenzen den gewünschten Effekt erzielen – oder halt nicht. Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), beschrieb die Wirkung der Kontrollen mit dem Wort „gering“. Gering seien die Zurückweisungen und „relativ gering“ das Auffinden von Schleusern, sagte er.
Gewaltiger Aufwand: Noch vor wenigen Tagen hatte Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamts, die neuen Grenzkontrollen als „wirksam gegen Schleuserkriminalität“ gepriesen. „Die Anzahl der Feststellungen ist mit den Kontrollen in die Höhe gegangen“, sagte er. Der Personalaufwand dafür sei aber gewaltig, schreibt mein Kollege Lucca Pizzato, und nennt das Beispiel Bad Bentheim an der deutsch-niederländischen Grenze. An einem Tag waren für drei Zurückweisungen und drei Vollstreckungen von Haftbefehlen 131 Polizisten im Einsatz.
Unter eins
Die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann über den Rückzug der Grünen-Spitze und die Spekulationen über das Ende der Ampel
Zu guter Letzt
Ein CDU-Klassentreffen zum Geburtstag von Angela Merkel und vor allem: die Kanzlerin a.D. und der Kanzlerkandidat in einem Raum. Das Verhältnis zu Friedrich Merz, es galt als vorbelastet, seitdem Merkel ihn 2002 vom Fraktionsvorsitz der Union verdrängt hatte. Doch gestern Abend, als in Berlin das Who-is-who der Union zusammenkam, um nachträglich Merkels 70. Geburtstag zu feiern, war davon fast nichts mehr zu spüren.
Während der Begrüßungsrede sprach Merz seinen Dank für Merkels „politisches Lebenswerk” aus, betonte ihren Drang nach Freiheit. „Wir können nicht alle Konsequenzen unserer Handlungen vorhersehen“, sagte Merz. Politiker handelten ins Ungewisse, ins Offene. „Erst später wird sich herausstellen, ob alles richtig war. Dann trifft uns das Urteil der Nachwelt“, sagte er.
Hitziger wurde es nicht. Merz schloss, indem er sagte, er hoffe, dass Merkel der Partei, der sie nicht nur nahestehe, sondern deren Mitglied sie auch sei, „gewogen bleibe“ – eine Anspielung auf eine Äußerung der Altkanzlerin in der Bundespressekonferenz. Merkel erwähnte in ihrer kurzen Dankesrede, dass sie „Höhen und Tiefen“ gehabt hätten, sprach Merz jedoch mit „lieber Friedrich“ an.
Mit Blick auf die frisch beschlossene Kanzlerkandidatur sagte Merkel auf der Bühne zu ihm: „Ich wünsche dir für die nächsten Monate alles Gute und viel Erfolg!“ Kanzlerkandidat der CDU/CSU zu sein, sei etwas ganz Besonderes, das wisse sie besonders gut, sagte Merkel im Wissen, dass sie es öfter war, als Merz es je werden wird: Es sei Ehre und Auftrag zugleich.
Danke! An das Team in Berlin für die Beiträge und das Redigat und an das Team in Australien für Schlusskorrektur und Produktion.