Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Süddeutsche Zeitung Dossier
Logo Platz der Republik

Weidel baut ihre Machtbasis aus

Montag, 7. Oktober 2024
author image

Von Gabriel Rinaldi

mit Tim Frehler

Guten Morgen. Heute ist es ein Jahr her, dass Hamas-Terroristen beim bestialischen Überfall auf Israel über 1200 Menschen getötet und 251 als Geiseln nach Gaza entführt haben. Hier sind einige ihrer Geschichten. Es war der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoah. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich gestern zum 7. Oktober, er habe nach dem Massaker Angehörige der Verschleppten getroffen. Es sei ein Eindruck gewesen, der ihn „nie loslassen“ werde.


„Mit ihrem abscheulichen Angriff auf Israel hat die Hamas zugleich eine Katastrophe für das palästinensische Volk ausgelöst“, sagte Scholz anschließend. Die Bundesregierung setze sich deshalb „beharrlich für einen Waffenstillstand ein, der jetzt endlich“ zustande kommen müsse. Für eine nachhaltige Befriedung des Konfliktes sei ein „glaubwürdiger Weg hin zu einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung“ unabdingbar.


Aber zu Dingen, auf die Scholz mehr Einfluss hätte: „Antisemitismus und blinden Israel-Hass werden wir niemals hinnehmen“, sagte der Kanzler. Den Jüdinnen und Juden in Deutschland gelte die volle Solidarität des Staats und „aller Anständigen in diesem Land“.


Nicht mitgemeint: Der antisemitische Teil der propalästinensischen Demonstrierenden, die auch am Wochenende durch die Hauptstadt zogen. Teilnehmer versuchten laut Tagesspiegel, eine etwa 25-jährige israelische Touristin in die Menge zu zerren, verletzten dabei sie und ihren etwa 60-jährigen Vater. „Es darf niemals sein, dass Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens hier in Deutschland in Angst und Schrecken leben müssen“, sagte Scholz. Was man tun könne, um sie besser zu schützen, erwähnte er nicht.


Willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Um die Grünen in der Migrationspolitik unter Druck zu setzen, hat die FDP ein Papier beschlossen, diesmal die Bundestagsfraktion. Ihr Vorstand hat sich am Wochenende auf einen Neun-Punkte-Plan für einen härteren Kurs in der Migrationspolitik geeinigt. Brisant ist: Die FDP greift in ihrem Plan fast nur Punkte auf, die von den schwarz-grün regierten Ländern gemeinsam im Bundesrat vorgetragen wurden (SZ Dossier berichtete).


Warum das wichtig ist: Migration, das hatte Parteichef Christian Lindner gesagt, gehört zu den drei Themen, die man bei den Liberalen im „Herbst der Entscheidungen“ gelöst sehen will. „Deutschland braucht eine neue Realpolitik in der Migration“, leiten sie nun das Papier ein, das SZ Dossier vorliegt. Die Fraktion will neun Vorschläge beschließen, davon sieben aus der schwarz-grünen Bundesratsinitiative. „Alles Dinge, die die Grünen im Bund ablehnen“, hören wir aus der Fraktion. „Die Bewegung, die wir in den Ländern sehen, muss auch im Bund für Bewegung sorgen“, heißt es im Papier.


Bett, Seife, Brot: Eigene Ideen hat die FDP auch. Wenn es nach dem Fraktionsvorstand um Christian Dürr geht, sollen vor allem abgelehnte Asylbewerber, die Deutschland verlassen müssen, wesentlich weniger Unterstützung bekommen. „Künftig sollten die Leistungen für alle ausreisepflichtigen Asylbewerber aufs Bett-Seife-Brot-Minimum gekürzt werden“, sagte Dürr der Bild am Sonntag. „Damit stellen wir sicher, dass es keinen Anreiz mehr gibt zu bleiben“, sagte Dürr. Alle anderen Sozialleistungen sollen bis auf ein Taschengeld gestrichen werden.


Schwarz-grüne Inspo: Über diese zwei FDP-Forderungen hinaus wollen die Liberalen etwa wie Schwarz-Grün die sicheren Herkunftsstaaten ausweiten und einen Mechanismus etablieren, nachdem automatisch eine rechtliche Prüfung erfolgt, wenn die Schutzquote für einen Staat über mehrere Jahre unter fünf Prozent liegt. Erste grüne Reaktionen, die einen Aufschluss geben auf die kommenden Tage, gab es schon zu bestaunen: „Wie verzweifelt muss man eigentlich sein?“, twitterte Grünen-MdB Beate Müller-Gemmeke.

2.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht jetzt ebenfalls davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr preisbereinigt um 0,2 Prozent schrumpfen und sich damit die leichte Rezession des Vorjahres fortsetzen wird. Das zeigt nach SZ-Informationen die neue Wachstumsprognose der Bundesregierung, die Habeck am Mittwoch vorstellen wird. Noch vor wenigen Monaten hatte er statt eines Rückgangs einen Zuwachs um 0,3 Prozent vorhergesagt. Ökonominnen und Ökonomen waren schon länger skeptisch gewesen.


Jahresende, Wirtschaftswende? Die Ampel geht davon aus, dass die Wirtschaft die konjunkturelle Schwäche allmählich überwinden wird – und sich dann wieder dynamischer entwickelt. Entsprechend zuversichtlich blickt Habeck auf die beiden kommenden Jahre: Für 2025 rechnet er mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um 1,1 statt wie bisher um glatt ein Prozent, 2026 sollen es dann sogar 1,6 Prozent sein. Mehr dazu hier von Claus Hulverscheidt.


Optimist Habeck: Geknüpft ist das optimistischere Szenario aus Habecks Sicht allerdings daran, dass Bund und Länder die jüngste Wachstumsinitiative der Ampel rasch und ohne Abstriche umsetzen. Die Hoffnungen, die sich mit dem Paket verbinden, sind nach SZ-Informationen auch der Grund dafür, dass die Ampel-Vorhersagen besser ausfallen als die Gemeinschaftsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute. Die jedoch hatten ebenfalls ausgerechnet, dass der Impuls durch die recht kleinteiligen Maßnahmen eher gering ausfallen wird.


Non mea culpa: Habeck verwies darauf, dass die aktuellen Probleme nicht erst mit der Ampel entstanden seien. „Die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Seit 2018 ist die deutsche Volkswirtschaft nicht mehr kräftig gewachsen“, sagte er der SZ. Neben konjunkturellen Risiken schlügen jetzt die strukturellen Probleme zunehmend zu Buche. Er appellierte an die Länder, bei der Wachstumsinitiative mitzuziehen. Was jetzt auf dem Tisch liege, sagte Habeck, bringe Deutschland wirklich voran. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass man mehr brauchen werde.

3.

Nicht nur die Grüne Jugend ist enttäuscht von der Ampel, auch die Jusos haben deutliche Kritik geäußert, wenn auch nicht so konsequent. An Rück- oder Austritt denkt Philipp Türmer, Chef der SPD-Jugendorganisation, nicht. „Wir sind sehr enttäuscht von der SPD und auch der Rolle von Olaf Scholz in dieser Bundesregierung“, sagte er dem ZDF. Die Jusos seien 2021 „wie verrückt gerannt in diesem Wahlkampf“, hätten sich aber „was anderes“ erhofft.


Im Zweifel links: „Ich sage es ehrlich, viele Jusos wissen gar nicht mehr, ob sie noch in den Wahlkampf ziehen“, sagte Türmer. Was die K-Frage angeht: „Wir legen uns zum jetzigen Zeitpunkt als Jusos nicht fest, aber sagen ganz deutlich, dass wir uns eine SPD wünschen, die mit klarem linken Profil in die nächste Bundestagswahl geht“, sagte Türmer.


Scholz, Pistorius, Esken? Sowohl Scholz als auch Pistorius werden in Juso-Kreisen nicht unbedingt mit linker Politik in Verbindung gebracht. „Ich kann mir auch viele andere geeignete Kandidatinnen und Kandidaten in der SPD vorstellen. Ich finde es auch komisch, dass immer nur über Männer geredet wird“, sagte Türmer. An welche kanzlerinnentauglichen Namen er da denkt, behielt er lieber für sich.

4.

Zum Wochenstart schauen wir uns an, welche Bundestagsabgeordneten in der vergangenen Woche auf X (vormals Twitter) besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Unsere Kollegen von der Bundesdatenschau listen jede Woche die MdBs auf, die im Vergleich zu den Vorwochen jeweils durchschnittlich mehr oder weniger Aufmerksamkeit in Form von Likes und Kommentaren auf X erhalten haben.

Twitter-Trends der Woche
in Kooperation mitBundesdatenschau

Ampel-Werbung und Cannabis-Streit: Die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge erhielt für einen Tweet, in dem sie auf die Forderung Markus Söders (CSU) zur Abschaffung der Cannabis-Legalisierung in Bayern mit „Wir klären das jetzt vor Gericht Herr Söder!“ antwortete, überdurchschnittlich viele Likes. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) twitterte, die mutmaßliche Brandstiftung durch einen Syrer in Essen sei ein Fall von Partnerschaftsgewalt und nutzte die Gelegenheit, um für das Gewalthilfegesetz der Ampel zu werben. In den zahlreichen Kommentaren zeigte sich nicht jeder damit einverstanden.

Tiefgang

Baden-Württemberg gilt innerhalb der AfD als einer der kompliziertesten Landesverbände. Parteitage im Südwesten versinken schon mal im Chaos, weil die Lager so zerstritten sind. Lange galt der Landesverband auch als Schwachstelle der Parteichefin. Doch Alice Weidel hat ihn umgekrempelt. In Ulm wählten sie die Mitglieder mit mehr als 87 Prozent der Stimmen auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl. Und das in einem Prozedere, das erstaunlich reibungslos ablief.


Weitere, im Vorfeld geplante, Wochenenden zur Wahl der Liste sind nicht mehr nötig. Das alles sagt viel aus – über eine Partei, die sich verändert und den Einfluss, den die Chefin dabei hat. Schließlich haben sie und ihre beiden Vertrauten, die Landeschefs Markus Frohnmaier und Emil Sänze, den Landesverband innerhalb weniger Monate auf Linie gebracht: Auf dem Parteitag in Rottweil Anfang Februar beförderten sie zunächst unliebsame Gegner aus dem Landesvorstand. Danach kam der nächste Schritt.


Wer Freund ist und wer nicht: Weidel und Frohnmaier gelang es in Ulm, ihre Kandidaten auf den aussichtsreichsten Plätzen für die Bundestagswahl zu platzieren. Der Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel, Weidels ärgster Widersacher, verlor seine Abstimmung um Listenplatz fünf gegen den stellvertretenden Landesvorsitzenden, Ruben Rupp. Im Foyer der Donauhalle sprach Spaniel von einer „Inszenierung“. Wären die Bedingungen „nicht gestaged“ gewesen, wie er sagte, wäre die Abstimmung seiner Ansicht nach anders ausgegangen.


Noch am Abend gab Spaniel bekannt, die AfD verlassen zu wollen, wie er t-online sagte. Mit der Bundestagsabgeordneten Christina Baum verlor zudem eine weitere Weidel-Kontrahentin ihre Abstimmung. Sie unterlag deutlich gegen die 26-jährige Diana Zimmer aus Pforzheim, die Weidel persönlich für Listenplatz acht vorgeschlagen hatte. Die Parteichefin sichert sich in Ulm also nicht nur ihre Machtbasis im Südwesten, sondern erhöht auch die Zahl ihrer Unterstützer in der nächsten Bundestagsfraktion.


Das Prinzip Top-down hält Einzug in der AfD: Die AfD gibt sich gerne als Gegenentwurf zu den von ihr so geschmähten „Altparteien“. Ein Element dabei: die Basisdemokratie. So konnte in Ulm jedes der etwa 6200 Mitglieder des Landesverbands an der Wahlversammlung teilnehmen – und sich für einen der Listenplätze bewerben. Gleichzeitig zeigte sich in der Donauhalle jedoch: Die Basisdemokratie muss zunehmend der Steuerung von oben weichen.


Auch wenn Markus Frohnmaier in einem Statement sagte, es gebe vom Landesverband „keinerlei Wahlempfehlungen“, machte im Vorfeld eine E-Mail des Rhein-Neckar-Kreises die Runde. Darin wird dafür geworben, den Kreissprecher Achim Köhler und weitere Kandidaten aus den Nachbarkreisen zu unterstützen – und zwar mit dem Zusatz, die Kandidaten „haben umfassende Unterstützung von mehr als 24 befreundeten Kreisverbänden sowie vom Landesvorstand erhalten“. Besonders hervorzuheben sei, dass auch Alice Weidel und Markus Frohnmaier dies bekräftigten, wie es in der Mail heißt. Frohnmaier schlug Köhler am Samstag dann auch für Listenplatz neun vor.


Weiter professionalisieren: Mit jedem Schritt der Professionalisierung gleicht sich die AfD allerdings den anderen Parteien an. Ob das nicht ein Risiko ist? Kay Gottschalk, Mitglied des Bundesvorstandes und als Beobachter in Ulm, glaubt das nicht. Der Ruf nach Basisdemokratie sei ohnehin zum Feigenblatt für einige geworden, „um Krawall zu machen“. Auf dem Bundesparteitag im kommenden Jahr soll auch bereits der nächste Schritt folgen: Parteichefin Weidel will erneut eine Satzungsänderung beantragen, die es ermöglichen soll, dass Parteitage in Landesverbänden mit mehr als 5000 Mitgliedern als Delegierten- und nicht als Mitgliederparteitage veranstaltet werden.


Weidel hatte solch einen Antrag bereits auf dem Bundesparteitag in Essen eingebracht, aber nicht die notwendigen Stimmen erhalten. Manche in Essen hätten diesen Antrag gar nicht verstanden, sagte Weidel nun am Samstag, die Entscheidung über Mitglieder- oder Delegiertenparteitage solle von den jeweiligen Landesvorständen selbst getroffen werden. Sie werde es aber definitiv im kommenden Jahr noch einmal mit einem solchen Antrag probieren. Und sie sei „zuversichtlich, dass das funktionieren wird“.


Wahlkampfausblick: Während Weidel ihre verbalen Angriffe am Samstag in Richtung Ampel richtete, griff Markus Frohnmaier neben den Grünen und der Bundesregierung auch die Union an. Weidels Sprecher, Daniel Tapp, sagte zwar, die Aufteilung sei nicht abgesprochen gewesen. Aber bei den Themen Migration, bei der Energiepolitik, insbesondere beim Atomausstieg, werde man im kommenden Wahlkampf betonen, dass auch die Union für die – aus AfD-Sicht – Probleme in diesen Bereichen verantwortlich sei.


Hintergrund: Die Befürchtung, die Union könnte im Fahrwasser der AfD fischen. Die Union zu scharf anzugreifen, sei aber ambivalent, sagte Kay Gottschalk. Hauptgegner der AfD seien schließlich immer die Grünen gewesen, außerdem werde die AfD ja „über kurz oder lang einen Partner benötigen“. Und der einzige Partner, der der Parteibasis vermittelbar sei, sei die Union. Dass die Union dafür aber bereit ist, danach sieht es im Moment nicht aus. Über kurz- oder lang wird die AfD, trotz all der Professionalisierung, also beantworten müssen, wie sie koalitionsfähig werden will. Tim Frehler

Fast übersehen

5.

Buschmann drückt aufs Tempo: Der Bundesjustizminister will geplante Änderungen zu Unterhalt, Abstammung und Kindschaftsrecht schnell umsetzen. Mit der angekündigten Reform des Familienrechts soll es etwa für nicht mit der Mutter verheiratete Väter einfacher werden, beim Sorgerecht berücksichtigt zu werden. Gleich drei Entwürfe zum Familienrecht, die der SZ vorliegen, sendete der Bundesjustizminister am Freitag an die Bundesländer, berichten Constanze von Bullion und Sina-Maria Schweikle.


Mehr Mitsprache für Jugendliche: Danach soll ein Mann bereits als Folge einer Vaterschaftsanerkennung automatisch mit sorgeberechtigt sein, wenn nicht ein Elternteil innerhalb eines Monats widerspricht. Gestärkt werden soll zudem die Rechtsposition von Kindern: So soll etwa ein Kind getrennter Eltern ab dem 14. Lebensjahr eine neuerliche Entscheidung über eine bereits getroffene Sorgerechtsentscheidung beantragen können. Außerdem betont der Referentenentwurf den Anspruch des Kindes, Auskunft über seine Abstammung zu erhalten.


Adoption auch für Unverheiratete: Zudem sollen künftig auch unverheiratete Paare gemeinsam ein Kind adoptieren dürfen. Eine Adoption durch nur einen Erwachsenen soll laut Entwurf sowohl für Verheiratete als auch für Unverheiratete möglich sein. Nicht mehr notwendig sein soll eine Adoption in Zukunft, wenn sich ein lesbisches Paar gemeinsam für ein durch Samenspende gezeugtes Kind entscheidet.

6.

E-Auto-Fan von der UN: Mehr Einsatz von KI, ein stärkerer Fokus auf Afrika als Markt der Zukunft – und ein klares EU-Bekenntnis zur Elektromobilität. Das wären laut Achim Steiner Pfeiler, um der Welt neuen Schwung auf dem Weg zum Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele zu verleihen. Fabian Löhe von unserem Dossier Nachhaltigkeit hat mit dem Leiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) gesprochen.


Vorwärts: „Das Verbrenner-Aus in der EU zu verschieben oder gar zurückzunehmen, halte ich für absolut den falschen Weg. Europa darf sich nicht länger an den Verbrennungsmotor fesseln“, sagte Steiner SZ Dossier. Es sei besser, sich mit dem globalen und sehr schellen Sprung in Richtung der Elektromobilität als neuer Weltmarkttechnologie abzufinden – und selbst ein erfolgreicher Akteur zu werden.


Darum geht es in Hamburg: Heute und morgen treffen sich bei der neu ins Leben gerufenen „Hamburg Sustainability Conference“ (HSC) rund 1600 Regierungsvertreterinnen und -vertreter aus dem Globalen Norden und dem Globalen Süden und führende Köpfe aus Privatwirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen. Um das Dossier Nachhaltigkeit zu lesen und auf dem Laufenden zu bleiben, können Sie sich hier für einen kostenlosen Test anmelden.

7.

Lost in der Bubble: In der SPD werfen sie ihrem Generalsekretär nun also Rassismus vor. Kevin Kühnert hatte im Gespräch mit dem Spiegel von seinen Erfahrungen mit Homophobie seitens muslimischer Männer berichtet. Wie Kühnert sagte, seien streng-konservative Rollenbilder und religiöser Fundamentalismus klassische Treiber von Homophobie, außerdem habe aggressive Homophobie ein klar männliches Gesicht. „Und so kommt es in meinem Erleben aus muslimisch gelesenen Männergruppen häufiger zu einem homophoben Spruch, als man es sonst auf der Straße erlebt“, sagte Kühnert.


Leseverständnis, so wichtig: Natürlich sei der Großteil der Muslime in seinem Wahlkreis nicht homophob. „Aber die, die es sind, schränken meine Freiheit ein und haben kein Recht darauf“, sagte Kühnert. „Und darüber werde ich nicht aus taktischen Gründen schweigen.“ Der Queerbeauftragte des Berliner Senats, Alfonso Pantisano (SPD), warf Kühnert anschließend vor, ein Bild zu erzeugen, wonach ein Großteil der muslimischen Community „schwulenfeindlich“ sei. Der SPD-Generalsekretär hatte im Interview das genaue Gegenteil gesagt.


Gute Homophobie, schlechte Homophobie? Später warf Pantisano ihm noch „rassistische Erzählungen“ vor, unabhängig davon, ob sie so gemeint waren. Dazu werde er nicht schweigen, bei „antimuslimischem Rassismus schon gar nicht“. Der Bundestagsabgeordnete Michael Roth (SPD) twitterte, es sei „absurd“, wenn einige in der identitätspolitischen Bubble meinen, „Homophobie nur dann benennen zu dürfen, wenn sie von ‚weißen, alten Männern‘ kommt“. „Viele wurden Opfer muslimischer Jungs. Dies zu kritisieren, ist weder rassistisch noch islamophob“, schrieb Roth.

Unter eins

Ich sage immer, die demokratischen Parteien der politischen Mitte müssen grundsätzlich in der Lage sein, miteinander zu reden und zu kooperieren. Und wenn es die Lage erlaubt, auch zu koalieren.

Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der Union, im Interview mit der SZ

Zu guter Letzt

Wenn es im Regierungsviertel um die Jugend geht und damit um ihr Wahlverhalten, sprechen die Politstrateginnen und Politstrategen meistens über Tiktok. Das Videoportal polarisiert, egal ob es um die Aktentasche des Kanzlers geht oder die schier uneinholbare Reichweite extremistischer Accounts, die Politik machen und Meinungen bilden.


Während die einen die europäische Regulierung von Algorithmen fordern und die anderen lieber heute als morgen die ganze Plattform loswerden wollen, haben sich die wenigsten scheinbar selbst mit Tiktok beschäftigt. Denn immer mehr Jugendliche verwenden das chinesische Netzwerk als Suchmaschine. Anstatt etwas zu googeln, etwa „Alice Weidel“ oder „Wärmepumpe“, wird es direkt ins Tiktok-Suchfeld eingegeben. Welche Ergebnisse dann angezeigt werden, nämlich diejenigen, die vom eigenen Algorithmus als „erfolgreich“ eingestuft werden, kann man sich in beiden Fällen denken.


Meistens sind es besonders polarisierende, verkürzte oder veraltete Videoschnipsel, mit denen sich die Jugendlichen dann ihre politische Meinung bilden. Also dem Content, der momentan auf Tiktok fliegt – und der kann bekanntlich auch von kleinen Accounts kommen. Nicht immer wird ob der Illusion, nun alles über Tiktok recherchiert zu haben, eine zweite Quelle herangezogen. Ob da Aktentaschen am besten funktionieren, oder man den jungen Nutzerinnen und Nutzern nicht mehr zumuten will, sollten sie sich in den Parteizentralen vielleicht noch einmal durch den Kopf gehen lassen.


Grazie mille! Tim Frehler in Ulm, um Ulm und um Ulm herum für den Einsatz sowie dem Team in Berlin und den Kolleginnen in Australien für Redigat und Schlusskorrektur.

Feedback
Wir freuen uns über Ihre Meinung zum SZ Dossier.
author image
Email Icon

Florian Eder

Leiter SZ Dossier