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Kommunalpolitiker beklagen Anfeindungen in Serie

Donnerstag, 10. Oktober 2024
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Von Tim Frehler

mit Gabriel Rinaldi

Guten Morgen. Der Ukraine-Gipfel in Ramstein wurde wie der Besuch von US-Präsident Joe Biden auf unbestimmte Zeit verschoben. Wolodymyr Selenskyj kommt trotzdem und wird morgen im Rahmen einer 24-Stunden-Europatour mit Halten in Paris, Rom und London auch in Berlin vorbeischauen. Wie Bild berichtet, soll der ukrainische Präsident dem Bundeskanzler seinen Siegesplan vorstellen und auch den Bundespräsidenten treffen.


Eigentlich hätten sie sich lieber in Ramstein gesehen, von dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe sollte schließlich ein starkes Signal zur Unterstützung Kyivs ausgehen. Noch ist unklar, wann es in der Form nachgeholt wird. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagte aber, ohne einen Termin zu nennen, dass die Verteidigungsminister noch in diesem Monat zusammenkommen wollten.


Herzlich willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Sahra Wagenknecht war die Erste. Sie kam rund eine Viertelstunde vor dem TV-Duell mit Alice Weidel zum Studio von Welt TV gelaufen. Wagenknecht kam allein, wirkte konzentriert, fokussiert. „Bisschen angespannt ist man schon“, sagte die Chefin des BSW, als sie an ihrem Studiopult stand. Ob sie sich vorbereitet habe? „Man kann sich ja gar nicht richtig vorbereiten“, sagte Wagenknecht. AfD-Chefin Alice Weidel kam erst um 17:56 Uhr am Studio an – und anders als Wagenknecht nicht allein, sondern in Begleitung ihres Sprechers. Weidel lachte, warf den wartenden Journalisten noch ein kurzes „Hallo“ zu. Im Studio dann noch ein Foto, bis die Tür zuging.


Wagenknechts Angriff: Gleich zu Beginn des TV-Duells zwischen AfD-Chefin Alice Weidel und BSW-Chefin Sahra Wagenknecht zeigte sich jedoch: Wagenknecht hatte sich sehr wohl vorbereitet. Sie ging Weidel direkt nach der Begrüßung an, sagte, sie habe sich im Vorfeld Videos angesehen, in denen Weidel sie als „nützlichen Idioten der Altparteien“ bezeichnet habe, als „Steigbügelhalter“. Das sei ehrenrührig, sagte Wagenknecht.


Strategie der Zurückhaltung: Weidel hingegen trat – vor allem zu Beginn – moderat auf, hob Wagenknechts langjährige Erfahrung in der Politik hervor und sagte, man müsse „miteinander reden anstatt übereinander“. Auch die AfD-Chefin hatte sich natürlich vorbereitet, wie ihr Sprecher, Daniel Tapp, am Rande des Duells sagte. Man habe ein paar Sachen durchgespielt – unter anderem die Frage, ob und wie stark Weidel Wagenknecht attackieren werde. Er habe ihr da eher zu Zurückhaltung geraten. Das war im Duell sichtbar.


Wagenknechts Finte: Bei der Energiepolitik näherten sich beide an, in Fragen der Finanzierung von Investitionen oder bei den Sozialausgaben ging es naturgemäß auseinander. Als die Debatte beim Thema Migration ankam – und letztlich beim Thema Extremismus endete, spielte Wagenknecht ihre Vorbereitung aus: Sie konfrontierte Weidel mit deren Aussagen über Björn Höcke. Den habe Weidel einst aus der Partei ausschließen wollen, heute mache sie mit ihm Wahlkampf, sagte Wagenknecht, worauf Weidel sichtlich keine gute Antwort einfiel. Sie griff stattdessen die Bundesregierung an.


Geht was? Das Ganze warf allerdings auch die Frage auf, ob eine Koalition zwischen BSW und AfD nicht möglich wäre, also etwa ohne Höcke. Mit der AfD, so wie sie gegründet wurde, hätte man zusammenarbeiten können, sagte Wagenknecht, mit Leuten aus dem „Neonazi-Sumpf“ nicht. Kurz darauf war Schluss. Wagenknecht ging, Weidel blieb, um noch einige Fragen zu beantworten.


Zitat des Abends: „Ich gehöre nicht zu den Politikerinnen, die einfach irgendwie was raushauen, nur, weil es sich gut anhört“, sagte Alice Weidel. So so.

2.

Der Versuch, die Politik während der Coronazeit durch ein Gremium des Bundestages aufzuarbeiten, ist wohl gescheitert. „Es wird keine zusätzliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie in dieser Legislaturperiode geben“, sagte die parlamentarische Geschäftsführerin (PGF) der SPD, Katja Mast. Man sei an „zentralen Punkten“ nicht zusammen, es gebe „keinen Konsens“ in der Ampel-Koalition.


Bürgerrat oder Enquete-Kommission? Dass es daran scheitere, sei zwar bedauerlich, inzwischen reiche aber auch die Zeit bis zur Bundestagswahl nicht mehr aus, um etwa einen Bürgerrat einzurichten. Dafür hatten sich insbesondere SPD und Grüne eingesetzt. „Wir Grüne haben sehr klargemacht: Wir machen mit bei der Aufarbeitung – ob nun mit dem Bürgerrat oder mit einer Enquete“, sagte die PGF der Grünen, Irene Mihalic, SZ Dossier. „An uns lag es nicht und wir bedauern auch, dass die Koalitionspartner nicht über ihren Schatten springen konnten und sich an die jeweils von ihnen präferierten Instrumente geklammert haben.“


Woran hat es gelegen? Ausschlaggebend für die FDP wiederum sei laut ihres PGFs, Johannes Vogel, gewesen, dass es eine „echte Aufarbeitung“ sein müsse, etwa durch eine Enquete-Kommission. „Ein Bürgerrat genügt dafür nicht. Es muss wirklich alles dabei durch Parlamentarier betrachtet werden können, gerade auch das Handeln der Regierungen in Bund und Ländern“, sagte Vogel SZ Dossier. Über den Weg hierhin „gab und gibt es in der Koalition leider bisher keinen Konsens“. Auch aus SPD-Sicht mache eine Aufarbeitung nur dann Sinn, wenn sie „auf Augenhöhe gemeinsam mit den Bundesländern“ stattfinde, sagte Mast. Ob das mit einem Bürgerrat funktioniert hätte, führte sie nicht aus.

3.

Heute startet im Bundestag der Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg in die öffentlichen Zeugenvernehmungen. Der Obmann der SPD, Jakob Blankenburg, will „nicht voreingenommen reingehen“. Er rechnet mit einem ruhigen Auftakt: „Ich erwarte keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse“, sagte er gestern einer kleinen Journalistenrunde. Ziel sei vielmehr, im Detail herauszuarbeiten, ob es eine ergebnisoffene Prüfung gab oder nicht.


Es gibt hier nichts zu sehen! Es geht nicht um Merkels Atomausstieg, sondern um Robert Habecks Entscheidungen nach dem 24. Februar 2022: also darum, ob man die eine energiepolitische Grundsatzentscheidung der vormaligen Kanzlerin hätte rückgängig machen sollen, nachdem sich die andere – billiges Gas aus Russland zu beziehen – erledigt hatte. Die Union möchte untersuchen, ob Habeck die Frage, ob die verbliebenen Meiler nach Kriegsausbruch weiterbetrieben werden sollten, ebenso energiepolitisch grundsatzentschieden habe.


Bottom-up... Befragt werden sollen zunächst drei Referenten des Bundesumweltministeriums, denn dort und in Habecks Hause wurden die entscheidenden Vermerke verfasst. Es wird heute insbesondere darum gehen, ob Abteilungsleiter, Pressestelle und Staatssekretär des BMUV die Fachebene in die endgültige Formulierung des Vermerks einbezogen haben. Anschließend stehen eine Abteilungsleiterin und der ehemalige Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung auf der Liste.


..aber nicht bis ganz oben. Laut Blankenburg hat die Union über 300 Zeugen benannt. Habeck und sein Ex-Staatssekretär Patrick Graichen seien nicht darunter, sagte er. „Um Ostern müsste ein Großteil der Zeugenbefragung abgeschlossen sein, da vor der Sommerpause der Abschlussbericht stehen muss“, sagte Blankenburg. Hinzu kommen hunderttausende Seiten, insgesamt 13,3 Gigabyte an Daten.


Keine Handbremse: Die Obleute der Ampel sind im Austausch. Der Obmann der FDP, Frank Schäffler, sagte derweil, das werde „kein Untersuchungsausschuss mit Handbremse“. Er wolle herausfinden, ob getrickst worden sei. „Wenn die Leitungsebene die Fachleute übergangen haben sollte, dann wäre das ein brisanter Vorgang“, sagte Schäffler.

Tiefgang

Mehr als ein Drittel der befragten kommunalen Amtsträger erlebt Anfeindungen. Das zeigen die Ergebnisse der Frühjahrsbefragung des „Kommunalen Monitoring“, das das Bundeskriminalamt gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden durchführt. Zwischen November 2023 und April 2024 wurden dafür haupt- und ehrenamtliche Bürgermeister und Landräte zu ihren Erfahrungen mit Hass, Hetze und Gewalt befragt. Die Auswertung liegt SZ Dossier vor.


Demnach ist die Zahl derjenigen, die von Anfeindungen berichten, zwar leicht zurückgegangen, pendelt sich aber in etwa auf dem Niveau vorheriger Befragungen ein. In einem Großteil der Fälle (73 Prozent) finden die Anfeindungen schriftlich oder verbal statt. In einem Viertel der Fälle handelt es sich um Hasspostings, zwei Prozent sind tätliche Überfälle. Auch diese Verteilung entspricht in etwa den Werten der vergangenen Befragung.


Was allerdings auffällt: Es bleibt meist nicht bei einem einzelnen Ereignis, im Durchschnitt berichten Betroffene von neun Vorfällen, die sie zwischen November und April erlebt haben. Zur Anzeige gebracht wurden allerdings nur elf Prozent der Fälle.


Was die Frage nach den Tatverdächtigen angeht, zeichnet sich ein Muster ab: So waren die Verdächtigen den Betroffenen in mehr als drei Vierteln der Fälle bekannt, in 93 Prozent wohnen sie sogar in der Stadt oder der Gemeinde, die der oder die Amtsträgerin verantwortet. Und meistens handelt es sich bei ihnen um Männer mittleren oder höheren Alters.


Da die Befragung nur den April erfasst, floss die heiße Phase des Kommunalwahlkampfes nicht mehr in die Auswertung mit ein. Die Wahlen in acht Bundesländern fanden gemeinsam mit der Europawahl am 9. Juni statt, in Thüringen bereits Ende Mai. Gefragt wurde allerdings trotzdem nach den Erfahrungen im Wahlkampf – 18 Prozent der Befragten berichteten von Anfeindungen auf sich oder ihre Helferinnen und Helfer, 27 Prozent der Fälle wurden zur Anzeige gebracht.


Fast ein Drittel (28 Prozent) der Befragten will bei den kommenden Kommunalwahlen nicht erneut kandidieren, was auch mit den Anfeindungen im Amtsalltag zu tun hat. Die Gründe sind aber weitaus vielfältiger. Genannt wird zum Beispiel das Alter, die hohe Belastung, die mangelnde Wertschätzung, der geringe Gestaltungsspielraum sowie gesundheitliche und zeitliche Gründe. Wer im Ehrenamt tätig ist, gab signifikant häufiger an, nicht erneut kandidieren zu wollen als Hauptamtliche. Überraschend auch: Die größte Herausforderung für die Kommunen sehen die Befragten nicht etwa im Bereich Flucht und Migration, sondern in fehlenden Haushaltsmitteln, der Energiewende und der Infrastruktur.


Zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger rief das Bundesinnenministerium dieses Jahr die sogenannte „starke Stelle“ ins Leben. Sie nahm am 1. August offiziell ihre Arbeit auf – also noch während der Landtagswahlkampf in Sachsen, Thüringen und Brandenburg lief. „Erstaunlicherweise“, sagt Marcus Kober, Mitverantwortlicher der Stelle, habe sich das aber nicht in der Nachfrage widergespiegelt, es habe „keine Peaks“ rund um die Landtagswahlen gegeben. Er führt das allerdings weniger darauf zurück, dass es weniger relevante Fälle gegeben haben könnte, vielmehr sei das Beratungsangebot noch nicht bekannt genug.


Und noch etwas hat Kober seit dem Start verwundert: Die Fälle seien viel heterogener, viel komplexer als angenommen. Manchmal sei nicht eindeutig, ob es um strafbare Handlungen geht. Und nicht immer sei ein politischer Hintergrund im Spiel, mitunter sei es persönlicher Dissens, „Privatfehden, die sich im Gemeinderat abspielen“. Die Betroffenen seien dadurch zwar erkennbar stark belastet, sagt Kober. Für sie als Ansprechpartner sei es in solchen Fällen aber schwer, Ratschläge zu geben oder die Betroffenen an andere Stellen zu verweisen.


Wie es nun weitergeht? Das Wichtigste sei, sagt Kober, noch stärker mit den Betroffenen in Kontakt zu treten. Geplant sei etwa häufiger auf Kommunaltagungen präsent zu sein. „Und wir wollen auch noch einmal an alle im Bundestag vertretenen Parteien herantreten.“

Fast übersehen

4.

Die Wachstumsinitiative schrumpft: Um der müden Wirtschaft aufzuhelfen, haben die drei Ampel-Chefs eigentlich eine lange Liste an Reformen verabredet. 49 Punkte umfasst die „Wachstumsinitiative“, die Scholz, Habeck und Lindner im Sommer vorgestellt hatten. Nun soll der Bundestag diese Reformen beschließen. Doch die Koalitionspartner mäkeln – es ist die Ampel – an den Beschlüssen herum und wollen trotz voriger Einigung dies, das und jenes nicht.


Selbst Scholz macht mit. Er distanzierte sich in einem Fernsehinterview von der geplanten Prämie für Bürgergeldempfänger, die durch einen Job die Grundsicherung hinter sich lassen. „Ich persönlich teile die Theorie vieler Leute nicht, dass man jemanden zur Arbeit locken muss“, sagte er bei RTL. Der grüne Wirtschaftsminister dagegen hat diese Prämie, 1000 Euro als Bonus, verteidigt. Habeck nannte den Vorschlag sehr praktisch und pragmatisch.


Weniger Wachstum, härterer Haushalt: Strittig bis chancenlos ist auch der Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte. Die Idee: Wer für einen besonders gesuchten Beruf nach Deutschland einwandert, soll im ersten Jahr 30 Prozent vom Brutto steuerfrei bekommen. Doch der Vorschlag stößt in der SPD und den Gewerkschaften auf Widerstand. Schrumpft die Wachstumsinitiative, kann sie nächstes Jahr die Wirtschaft nicht wie geplant anschieben. Weniger Wachstum im Wahljahr ist für die Ampel nicht nur politisch unangenehm, sondern erschwert auch die Einigung auf einen Haushalt. Mehr über die Maßnahmen hier von Bastian Brinkmann.

5.

So soll das BVerfG resilienter werden: Ampel und Union wollen ans Grundgesetz ran, um das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) besser vor Entmachtungsversuchen durch extreme Parteien und weitere Gefahren zu schützen. Heute berät der Bundestag in erster Lesung über zwei Anträge, die die Koalition und die Union zu dem Thema eingebracht haben. Um das Grundgesetz zu ändern, brauchen sie eine Zweidrittelmehrheit, die sie im Moment noch haben.


Worum es geht: Derzeit können wichtige Merkmale des BVerfG mit einfacher Mehrheit geändert werden. Die Anträge sehen nun vor, wesentliche Strukturmerkmale im Grundgesetz festzuhalten: Es geht etwa um die Anzahl der Senate und Richter, den Status von Karlsruhe als Verfassungsorgan und die Bindungswirkung seiner Entscheidungen.


Blockaden verhindern: Zudem soll ein Ersatzwahlmechanismus eingeführt werden, um eine Blockade bei der Richterwahl zu verhindern. Unter bestimmten Umständen soll dann das jeweils andere Wahlorgan die Wahl übernehmen, wenn es im Bundestag oder Bundesrat aufgrund einer Blockade nicht gelingt. Außerdem fordern die Länder, dass es für Änderungen im BVerfG-Gesetz künftig die Zustimmung des Bundesrats braucht.

Unter eins

Die Grenzkontrollen an der Nordgrenze bringen nichts.

Unternehmer Carsten Maschmeyer auf X zu einem Video von Greta Thunberg, in dem diese sich wegen der Räumung eines propalästinensischen Protestcamps in Dortmund beschwert

Zu guter Letzt

Angela Merkel wird ihr Buch „Freiheit“ am 26. November im Deutschen Theater vorstellen. Das gab der Verlag Kiepenheuer & Witsch bekannt. Moderieren wird die Veranstaltung die Journalistin Anne Will. Großes Aufgebot also.


Das könnte man auch über das Werk selbst sagen, 736 Seiten dick soll es laut Verlag sein und 42 Euro kosten. Auch die Tickets für das Deutsche Theater im November sind nicht gerade ein Schnapper. 32 Euro kostet der Eintritt. Heute um elf Uhr beginnt der Vorverkauf.


Danke! Dem Team in Berlin, den Kolleginnen in Australien.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier