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Nutzungsrechte erwerbenWie der Kreml den Nahostkrieg für seine Propaganda nutzt
Freitag, 11. Oktober 2024Von Florian Eder
Schnelldurchlauf:
Was in Dresden und Erfurt nicht entschieden wird +++ Nato-General: „Es muss Richtung drei Prozent gehen“ +++ Kanzler kündigt weitere Waffenlieferungen an (nach Israel) +++ Exklusiv: So denkt Deutschland über das Migrationspaket +++ Tiefgang: Wie der Kreml den Nahostkrieg für seine Propaganda nutzt
Guten Morgen. „Hören Sie auf, sich vor einer Trump-Präsidentschaft zu sorgen“, rief der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte gestern Reportern in London zu. Was er meinte: Hören Sie auf zu fragen, ob ich mir Sorgen mache. Mit Rutte wurde einer zum Nato-Chef, der versprach und bewiesen hat, dass er „mit dem tanzt, der auf der Tanzfläche steht“, wie er einmal sagte, mit Bezug auf Donald Trump.
Ruttes Ziele für seine Amtszeit: die USA im Bündnis zu halten und den europäischen Beitrag zu seiner Finanzierung dauerhaft deutlich zu erhöhen. Das zweite wird dem ersten in jedem Fall dienlich sein. Der Weg dahin, sollte es Trump wieder werden, führt zum einen über die Beschwörung der Rationalität: Es gehe nicht nur um die Ukraine. „Es geht auch um die Sicherheit und die zukünftige Sicherheit der Vereinigten Staaten“, sagte Rutte gestern.
Er führt zum anderen über politisches Handwerk: Im US-Kongress gebe es eine parteiübergreifende Solidarität mit der Ukraine, sagte Rutte. Was er meinte: Auch die müssten bitte nun alle mit guten Drähten sichern helfen.
Willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Wolodymyr Selenskyj trifft heute in Berlin Bundeskanzler und Bundespräsident. Gestern war der ukrainische Präsident in London, Paris und Rom – lauter bilaterale Treffen anstatt der geplanten Konferenz in Ramstein, der Selenskyj seinen „Siegesplan“ vorstellen und um allerhand neue Hilfe bitten wollte.
Wo die Musik nicht spielt: Die Absage der ganzen Konferenz aufgrund der Absage von US-Präsident Joe Biden sagt viel darüber aus, wer die großen Entscheidungen trifft – und wo der Trend hingeht. In „friedens“-politischen Gesprächsrunden mit dem BSW in Erfurt, Dresden und Potsdam wird der Krieg jedenfalls nicht beendet.
Wer zahlt, schafft an: Über Maß und Ziel der Unterstützung der überfallenen Ukraine bestimmen maßgeblich die USA, nicht die Europäer. Im US-Wahlkampf aber muss der Amtsinhaber tunlichst den Eindruck vermeiden, der Krieg in Europa lenke ihn von der Not der eigenen Leute nach den großen Unwettern ab: keine guten Aussichten für Kyiv, vor einem harten Winter.
Ein führender Nato-Vertreter hält für unzureichend, was er bisher an deutscher Zeitenwende gesehen hat und forderte eine deutliche Ausweitung der deutschen Rüstungsausgaben. „Zwei Prozent reichen für Deutschland nicht. Es muss Richtung drei Prozent gehen“, sagte der höchste deutsche Nato-General Christian Badia. Georg Ismar berichtet in der heutigen SZ.
Berlin schafft das Nato-Ziel knapp. Grund für Badias Bedenken sind Nato-Pläne, die sich aus der neuen Sicherheitslage ergeben. Laut Welt soll die Zahl der Nato-Kampftruppenbrigaden von 82 auf 131 steigen. Das hieße für Deutschland, das nach dem geltenden Schlüssel etwa zehn Prozent der Fähigkeiten stellt: Es müssten zu den acht bestehenden und zwei geplanten Bundeswehr-Brigaden noch fünf bis sechs weitere hinzukommen; wir reden jeweils über Tausende Soldaten.
Sondersitzung: In Nato-Kreisen wird der Mehrbedarf nicht dementiert. Der Sprecher von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) betonte, in der Tat werde besprochen, „welche Länder welche Fähigkeiten und welche Kräfte zur Verfügung stellen müssen, um der Bedrohungslage gerecht zu werden“. Das Thema steht auch auf der Tagesordnung für eine heutige Sondersitzung des Bundestags-Verteidigungsausschusses.
Blanker als blank: „Man hat aus dem Strategischen Konzept heraus entschieden, neue Regionalpläne für Europa aufzustellen, mit mehr Kräften und einer besseren Reaktionsfähigkeit“, sagte Badia. Der Kanzler hat immer wieder alles politisch mitgetragen – doch nun offenbaren sich, auch wegen der Haushaltsnöte, Lieferprobleme. „Wir sind blanker als blank“, sagte ein hochrangiger Bundeswehr-Vertreter. Die geplante dauerhafte Stationierung einer ganzen Brigade in Litauen binde Ressourcen und vom Sondervermögen profitierten vor allem Luftwaffe und Marine.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat gestern anlässlich der Bundestagsdebatte zum Jahrestag des 7. Oktober weitere Waffenlieferungen an Israel angekündigt. „Wir haben Waffen geliefert, und wir werden Waffen liefern“, sagte Scholz. Dafür verließ er die Regierungsbank und streifte durch den Plenarsaal, um als SPD-Abgeordneter auf eine provokante Frage von CDU-Chef Friedrich Merz zu antworten.
Schlagabtausch: Zuvor hatte die Union der Ampel eine mangelnde Unterstützung Israels vorgeworfen. Die Bundesregierung verweigere „seit Wochen und Monaten“ Exportgenehmigungen für Munition oder Ersatzteile, kritisierte Merz. „Wir haben Entscheidungen getroffen in der Regierung, die auch sicherstellen, dass es demnächst weitere Lieferungen geben wird“, sagte Scholz. In welchem Umfang sagte der Kanzler aber nicht.
Keine Genehmigungen: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte während der Debatte, dass Waffenlieferungen an Israel mit dem internationalen Völkerrecht vereinbar sein müssten. Im laufenden Jahr wurden bis Mitte August Exporte im Wert von 14,5 Millionen Euro genehmigt. Laut Bundesregierung handelte es sich jedoch nur bei zwei Prozent dieser Exporte um Kriegswaffen. Nach SZ-Informationen spiegelt diese Zahl nicht mehr den aktuellen Stand wider. Der Bundessicherheitsrat hat demnach bereits weitere Ausfuhren genehmigt. Bislang nicht bewilligt sind allerdings bestimmte Munitionslieferungen (mehr dazu hier).
Auf die Frage, ob die Maßnahmen der Regierung gegen irreguläre Migration, etwa die verstärkten Grenzkontrollen, wirksam seien, gibt das Land keine eindeutige Antwort. Das geht aus einer Umfrage von YouGov für SZ Dossier hervor: 44 Prozent sagen Ja, 47 Prozent sagen Nein.
Gefühlte Wahrheiten: Die Ergebnisse legen aber nahe, dass die Ampel-Parteien bei ihren Anhängern eher punkten können.
Das sieht dann so aus: Dass es gefühlt besser geworden ist, das glauben Wahlberechtigte, die bei der vergangenen Bundestagswahl SPD und FDP gewählt haben. Sie beantworten die Frage eher positiv. Vor allem die Liberalen hätten gern noch schärfere Regeln. Bei den Grünen, die das Maßnahmenpaket mitgetragen, aber nicht gerade erfunden haben, ist es andersherum: Nur 38 Prozent ihrer Wähler sagen, es sei wirksam. 51 Prozent halten es für unwirksam.
Auch die Opposition ist gespalten. Jeder zweite Unions-Anhänger empfindet die Maßnahmen als wirksam, in der AfD-Gefolgschaft sind hingegen 62 Prozent skeptisch. Die repräsentative Befragung fand unter wahlberechtigten Personen zwischen dem 4. und dem 8. Oktober statt.
Tiefgang
Es gibt kein Drama auf der Welt, das nicht noch Mittel der Bösartigkeit würde. Der Krieg im Nahen Osten: Die Propaganda des Kreml und seiner Handlanger nutzte den Konflikt, um in Frankreich und Deutschland Stimmung zu machen – gegen die USA, gegen Regierungspolitik, gegen Migranten, alles mit dem Ziel, die Unterstützung der Ukraine durch den Westen zu unterminieren.
Seit dem 7. Oktober des vergangenen Jahres versuchte ein Kreml-nahes Netzwerk auf Facebook, so Gewinn aus der Lage in Nahost zu schlagen – und zwar sowohl aus dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel als auch aus der Gegenwehr und Israels unbarmherziger Kriegsführung in Gaza: Hauptsache, es dient russischen Zwecken. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Institute for Strategic Dialogue, die heute erscheint. SZ Dossier lag sie vorab vor.
Solche Praktiken der Desinformation, mit der autoritäre Regime in die Debatten demokratischer Gesellschaften einzugreifen versuchen, werden von Regierungen in Europa seit Langem beklagt, aber gern als eine Art technisches Problem behandelt, selten als Mittel in einem Informationskrieg benannt. Das hätte ja zur Folge, dass die Einschätzung womöglich neu getroffen werden müsste, ob Russland nicht längst dabei ist, den Westen in der ein oder anderen Weise direkt anzugreifen: Indem Ängste verstärkt, Stimmungen erzeugt, Spaltungen vertieft werden.
Die Analyse des ISD nennt für all dies Beispiele. Sie identifizierte seit dem 7. Oktober 2023 und bis Ende August 192 kremlfreundliche Facebook-Anzeigen. Sie verfolgten die Absicht, militärische Unterstützung und humanitäre Hilfe für die Ukraine zu untergraben und Zwietracht zu säen; teils mit bekannten Erzählungen, teils mit neuen, teils auch mit haarsträubenden – warum nicht mal versuchen! Mehr als ein Drittel der Anzeigen behauptete etwa, die Ukraine reiche vom Westen gelieferte Waffen an die Hamas weiter.
Ein knappes Drittel beschuldigte die USA, Kriege zum eigenen Vorteil sowohl in der Ukraine als auch in Nahost zu führen. Dass es dem Netzwerk da weniger um Ideologie als um den praktischen Nutzen von Antiamerikanismus links wie rechts geht, belegen die widersprüchlichen Vorwürfe diesbezüglich: Ein Muster besteht in der Kritik an amerikanischer Unterstützung für Israel, ein anderes in deren Ausbleiben. Die Urheber der Anzeigen „scheinen jede Erzählung über Gaza zu nutzen, die am besten zu ihrer allgemeinen Position zur Ukraine passte“, sagte Anna Hiller, die Autorin der Analyse.
Die meisten Anzeigen waren schnell identifiziert und offline genommen und erreichten im Durchschnitt nur gut 6000 Augenpaare. Das aber immer wieder: „Wir haben jedoch beobachtet, dass Inhalte, sobald sie verschwunden waren, von einer anderen Seite erneut gepostet wurden“, sagte Hiller: Dahinter steht nach den Erkenntnissen ein Netzwerk, das starke Ähnlichkeiten mit der Doppelgänger-Kampagne hat, die Namen und Erscheinungsbild etablierter Medien kaperte, um russische Propaganda zu streuen.
So etwa, diesmal, mit der Behauptung, Inflation und hohe Energiepreise seien eine direkte Folge der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen; die Erzählung, Frankreich und Deutschland seien Opfer der Entwicklungen, während die USA mehr Gas verkaufen und daher profitieren.
Die Sache ist die: Einiges an russischer Propaganda wird längst nicht mehr nur im Verborgenen gestreut, über „koordiniertes unauthentisches Verhalten“, wie Desinformation von den Plattformen gern genannt wird, auf denen sie zuhause ist, als sei sie eben ein technisches Problem. Sie hat den Sprung längst geschafft. Sie ist in Wahlkämpfen der AfD und des BSW zu hören. Es geht der Desinformation nicht darum, die Leute in sozialen Netzwerken ein wenig zu verwirren: Sie will offline wirken, im echten Leben, und Wahlen und politische Entscheidungen beeinflussen.
Fast übersehen
Autsch: Klaus Müller hatte sich in der Einschätzung seines Publikums deutlich vertan. Vergangene Woche berichtete der Präsident der Bundesnetzagentur auf X mit nicht geringem Stolz, seine Behörde habe den ersten Trusted Flagger gemäß dem Digital Services Act (DSA) zugelassen. Diese Woche trendete der Begriff. Die Freunde des offenen Worts hatten ihn entdeckt. Versuche dagegenzuhalten: bemüht bis ratlos.
Elon Musks Twitter: X ist heute ein Ort, an dem die Angst vor einer Beschneidung konservativer und rechter Meinungsfreiheit durch Obrigkeiten und einen vermeintlichen Mainstream grassiert. Es ist definitiv kein Ort mehr, wo der Regulierung von Plattformen Applaus gespendet wird.
Daher ein Hinweis. Von Müllers diesbezüglicher Fehleinschätzung und vom unglücklichen Begriff an sich abgesehen, der auch nur in der Brüsseler Blase ein Gesetzgebungsverfahren überstehen konnte: Dass die vertrauenswürdigen Hinweisgeber im DSA vorgesehen sind, ist ein Geschenk an Plattformen wie X. Sie brauchen bloß noch zu prüfen, was ihnen andere servieren: Sie müssen keine eigenen Anstrengungen unternehmen, um die rechtswidrigen unter den Inhalten zu identifizieren, die sie massenhaft verbreiten.
Allzeit bereit: Die CSU bereitet sich auf einem Parteitag in Augsburg am Wochenende auf den nächsten Bundestagswahlkampf vor. Wann immer er ansteht, die Partei gibt an, gerüstet zu sein: „Wir könnten morgen plakatieren“, sagte Generalsekretär Martin Huber der Passauer Neuen Presse.
Der atmende Deckel ist zurück: Ob im März oder September gewählt wird, fürs Programm der CSU macht es keinen Unterschied. Zu Migration, Wirtschaft und Verteidigungspolitik wird der Parteitag Leitanträge beschließen: Steuern und Energiekosten sollen runter, die Zahl der Asylanträge auch („deutlich unter 100.000 im Jahr“), die Verteidigungsausgaben hoch auf „perspektivisch“ drei Prozent der Wirtschaftsleistung.
Wofür der Wahltermin einen Unterschied macht: Bis wann die CSU Zeit hat, von dem Baum herunterzukraxeln, auf den Parteichef Markus Söder sie getrieben hat. Sein braver Generalsekretär ist nicht der Mann, dem zunehmende Fallhöhe Sorgen bereitet: „Schwarz-Grün wird es nicht geben“, sagte er vor dem Parteitag noch einmal.
So steht es um das Lindner-Depot: Ein neues Förderschema soll, wenn es nach Finanzminister Christian Lindner (FDP) geht, künftig Millionen Menschen helfen, ein Wertpapierdepot zur Altersvorsorge aufzubauen. Bei den Liberalen sehen sie einen „Meilenstein auf dem Weg zu einem zukunftsfähigen deutschen Rentensystem“. Wie SZ Dossier berichtete, ist das Vorhaben an sich nicht umstritten. Es gibt jedoch offene Fragen in der Ampel. Etwa, ob Einzelaktien gefördert werden sollen.
Kabinettsbeschluss im Herbst: Der Referentenentwurf sei jetzt in der Verbändeanhörung, die bis zum 18. Oktober laufe. „Danach ist geplant, ihn noch in diesem Herbst im Bundeskabinett zu beschließen“, sagte Katja Hessel (FDP), parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium, SZ Dossier. Der Herbst, das ist bekannt, dauert in der FDP bis zum 21. Dezember.
Unter eins
Der Psychiater Josef Aldenhoff im SZ-Interview
Zu guter Letzt
Standortpolitik wird in Frankreich seit jeher großgeschrieben, und wenn sie nicht einmal Miliardensubventionen erfordert wie bei uns: umso besser. Emmanuel Macron hat die Olympischen Spiele für sich genutzt und der Eiffelturm sollte sich längst rentiert haben. Um ein weiteres Aushängeschild kämpft der Präsident nun: „Emily in Paris“.
Die Netflix-Serie über eine Amerikanerin, die recht ahnungslos an die Seine zieht, ist ein Welterfolg und auch in Frankreich beliebt, nach anfänglicher Skepsis aufgrund des Überreichtums an Kitsch. Am Ende der neuesten Staffel aber ist Emily auf Besuch in Rom, wo sie ein Jobangebot erhält. Sorge und Verstimmung im Élysée-Palast war die Folge. „Wir werden hart kämpfen. Und wir werden sie auffordern, in Paris zu bleiben“, sagte Macron dem Magazin Variety.
Al cuor non si comanda: Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri reagierte prompt auf X: „Lieber Emmanuel Macron, sei beruhigt: Emily geht es in Rom sehr gut. Außerdem, das Herz will, was das Herz will: Lassen wir sie wählen.“
Danke! Dem Team in Berlin und den Kolleginnen in Australien.