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Nutzungsrechte erwerbenLehren aus dem Ampel-Aus
Donnerstag, 7. November 2024Florian Eder
Valerie Höhne
Schnelldurchlauf:
Warum jetzt – was der Kanzler dachte +++ Lindner weist Schuld von sich +++ Wie vorbereitet ist die Opposition? +++ Brombeer-Aus in Sachsen +++ Tiefgang: Lehren aus dem Ampel-Aus +++ Beobachtungen aus den USA +++ Was Glückwünsche verraten +++ Bundesregierung beschließt neuen Wehrdienst
Guten Morgen. Wenn Donald Trump erneut Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden kann – der erste verurteilte Straftäter, abgewählt, wiedergewählt. Das in einem Sieg, der alle demoskopischen Gewissheiten sprengte, was Ethnizität, Klasse, Geschlecht angeht: Da wird sich ja wohl scheiden können, was nie zusammengehörte.
Wandel und Erneuerung waren Leitmotive von Trumps Wahlkampf. Die Wählerinnen und Wähler in den USA sind mehrheitlich darauf angesprungen. Fahrlässig, das außer Acht zu lassen – aber eines kann man der Ampel nun wirklich nicht vorwerfen: dass sie gestern auf ihren Händen gesessen hätte.
Am 15. Januar wird Olaf Scholz aller Voraussicht nach die Vertrauensfrage verlieren – eine echte Vertrauensfrage. Willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Sie standen und klatschten minutenlang, als Olaf Scholz den SPD-Fraktionssaal betrat. Die Rede, die Scholz gehalten habe, sei die beste seit der Zeitenwende-Rede gewesen, fand einer, „wir sind erleichtert“, sagte ein Abgeordneter in die Kameras. Die SPD fühlt sich wieder im Reinen mit ihrem Kanzler. Dass Olaf Scholz jetzt entschieden hat, Lindner zu entlassen, war einer Durchstecherei geschuldet.
So sieht es jedenfalls die SPD. Lindner, so berichtete es zuerst die Bild, hatte Neuwahlen „angeboten“ – Scholz habe sie abgelehnt, heißt es von den Liberalen. Wegen dieser „Indiskretion“ (die Bild-Meldung soll laut SPD-Kreisen während einer Sitzungsunterbrechung auf den Handys aufgeploppt sein) habe der Kanzler sich entschieden, den Finanzminister zu entlassen. Nur ihn. Den anderen Ministern habe er die Möglichkeit gegeben, weiter Verantwortung zu tragen. Marco Buschmann, Bettina Stark-Watzinger und Volker Wissing nahmen das Angebot zum Seppuku nicht an.
Zwei Reden: Scholz hatte die Teleprompter vor sich, zwei Reden waren dem Vernehmen nach vorbereitet. Die, die er hielt, hielt er gern. Er habe der FDP ein Angebot gemacht, „angesichts der Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen“ habe es „größeren finanziellen Spielraum“ gebraucht. Also: Scholz wollte einen Überschreitungsbeschluss von insgesamt 15 Milliarden Euro durchsetzen, den Lindner nicht mittragen wollte.
Scholz zählte auf: Er habe die Netzentgelte für Unternehmen deckeln wollen, um den Industriestandort Deutschland zu stärken, zudem hätte es ein Industriepaket für die Automobilindustrie geben sollen. Drittens wollte er eine Investitionsprämie für steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten, und die Unterstützung für die Ukraine sollte erhöht werden. „Der Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum Wohle des Landes in der Bundesregierung umzusetzen“, sagte er, das Verhalten wolle er dem Land nicht länger zumuten. Lindners Vorschläge seien „nicht anständig“ und „nicht gerecht“ gewesen.
Kalender heute: Scholz fliegt erst am Abend nach Budapest, vorher werden die FDP-Minister offiziell entlassen. Dabei sein werden der Bundeskanzler und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Auf einmal zählt das Parlament: Scholz hofft, dass die Union einige wichtige Projekte unterstützen wird. Zum Beispiel den Ausgleich der kalten Progression, die Stabilisierung der Rente, eine schnellere Umsetzung der schärferen Asylregeln.
Christian Lindner (FDP) will es nicht auf sich sitzen lassen. Der geschasste Finanzminister hat dem Bundeskanzler vorgeworfen, den Ampel-Bruch gezielt herbeigeführt zu haben, während es ihm selbst um nichts als um die Sache gegangen sei. „Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition“, sagte Lindner. Damit führe Scholz, nicht Lindner, das Land in eine Phase der Unsicherheit.
Sorgen! Verharmlost! Seinen Vorschlag eines gemeinsamen Weges zu einer Neuwahl habe der Kanzler „brüsk zurückgewiesen“. Lindner, der von einem Zettel ablas und sich mehrfach verhaspelte, feuerte nach dem Angriff des Kanzlers zurück: „Diese Vorschläge wurden von SPD und Grünen nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert“, sagte Lindner zu seinem Papier. Seit dem gut vorbereiteten Statement des Kanzlers wisse man, warum. „Er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost“, sagte er über Scholz. Seine Gegenvorschläge seien „matt“ und „unambitioniert“.
Knackpunkt Schuldenbremse: Scholz habe ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse auszusetzen. „Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt.“
Point of no return: Aus der FDP hörte man, das endgültige Aus der Ampelkoalition sei die „einzig logische Konsequenz“ gewesen. „Die Entlassung von Christian Lindner, obwohl er dem Kanzler einen Nachtragshaushalt und einen geordneten Weg für Neuwahlen vorgeschlagen hat, zeugt nicht von einem notwendigen Realismus und Führungsstärke des Kanzlers“, sagte die Abgeordnete Gyde Jensen. Lindner sagte, dass seine Partei dafür kämpfen werde, in einer neuen Regierung Verantwortung zu tragen.
Nach dem Bruch der Ampel kommt es vermutlich im März zu Neuwahlen. In den Reihen der Opposition trifft das einige vorbereitet, andere hätten wohl lieber mehr Zeit gehabt. Sortieren wir die Lage:
CDU und CSU arbeiten bereits mit parallelen Wahlkampagnen, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU) am Dienstag. Eine davon ausgerichtet auf einen Wahltag im September, die andere für vorgezogene Neuwahlen im März. So sind etwa Hallen für beide Zeitpläne gebucht worden, Werbeflächen bereits für den Jahresbeginn reserviert. Seit dem Sommer werde an einem Regierungsprogramm gearbeitet, mit dem sich der Bundesvorstand im Januar beschäftigen werde, der letzte Feinschliff solle im März erfolgen. „Aber das kann man alles abkürzen“, sagte Frei.
Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Spitzen der AfD, verschickten noch am gestrigen Abend ein Statement, indem sie Bundeskanzler Scholz aufforderten, „umgehend die Vertrauensfrage zu stellen“. Die Partei drängt auf baldige Neuwahlen. In Umfragen kommt sie zwar nicht mehr auf Werte oberhalb der 20-Prozent-Marke, wäre mit derzeitigen Werten, die um die 17 Prozent liegen, aber zweitstärkste Kraft nach der Union. „Wir sind startklar“, schreibt am Abend ein Mitglied aus dem Bundesvorstand. Lautstark gegen die Ampel mobilisieren, kann die Partei jetzt allerdings nicht mehr.
Gleich zweimal wurde Sahra Wagenknecht am Dienstag im Bundestag gefragt, ob ihr BSW bereit sei für Neuwahlen. Sie selbst wünsche sich diese, sagte Wagenknecht. Ihre Partei aber ist noch jung, noch fehlen Landesverbände. Es sei daher natürlich eine „gewisse Herausforderung“, sagte Wagenknecht. „Rein parteipolitisch“, sagte sie, wäre es für das BSW „natürlich besser“, wenn die Partei noch mehr Zeit hätte, um Mitglieder aufzunehmen. „Aber wir wären darauf vorbereitet.“
Die Spitzen der Linken, sowohl der Partei als auch der Bundestagsgruppe, teilten gestern Abend mit, sie seien bereit für Neuwahlen. Der Kampf um die Plätze links der Mitte sei eröffnet. Allerdings hätte der Partei mehr Zeit wohl durchaus gutgetan, um sich neu aufzustellen. Die beiden Parteichefs sind erst neu im Amt, Helferinnen und Helfer klingeln gerade an Haustüren, um aus den Gesprächen die Kernforderungen für den Wahlkampf abzuleiten. Mit den Auswertungen wird erst noch gerechnet.
Es wird keine Brombeerkoalition in Sachsen geben. Das BSW erklärte die Sondierungen gestern für gescheitert. Die Gespräche hätten gezeigt, „dass man ein Weiter-so in vielen politischen Themenfeldern offenbar mit kosmetischen Korrekturen zu überdecken versuche“, sagte BSW-Landeschefin Sabine Zimmermann in Richtung CDU und SPD. Zimmermann warf den beiden Parteien vor, einen Kompromiss zur "Friedenspolitik" zu verweigern. Außerdem blockiere die SPD Ansätze zur Begrenzung irregulärer Migration, die CDU hingegen stemme sich gegen neue Finanzierungsmechanismen für Zukunftsinvestitionen.
Das Dokument des Scheiterns, die Formel zu Krieg und Frieden, schickte das BSW gestern passenderweise gleich mit. Sie wäre deutlich über das hinausgegangen, was in der Thüringer Präambel steht. So hätte es heißen sollen: „Den Krieg mit immer umfangreicheren Waffenlieferungen beenden zu wollen, führt nicht zu Frieden.“ Die Landesregierung werde sich stattdessen auf Ebene des Bundes und der EU für diplomatische Initiativen einsetzen. Und sie erkenne an, „dass laut einer Umfrage die Menschen in Mitteldeutschland die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland mehrheitlich ablehnt“. Dieser Position werde eine künftige Landesregierung eine Stimme verleihen. Das BSW hätte diesen Text nach eigenen Angaben akzeptiert, CDU und SPD hätten ihn zurückgewiesen, heißt es in der Mitteilung der Wagenknecht-Partei.
Und jetzt? Die sächsische Verfassung sieht vor, dass vier Monate nach der konstituierenden Sitzung des Landtags, also bis Anfang Februar, ein Ministerpräsident gewählt werden muss – sonst ist das Parlament aufgelöst. Rein rechnerisch würde es für eine Koalition aus CDU und AfD sowie für ein Bündnis aus CDU, SPD, Grünen und Linken reichen. Da die CDU aber Koalitionen mit der AfD und der Linken ausschließt, bleibt im Prinzip nur eine Minderheitsregierung übrig. Die hatte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bislang immer abgelehnt. Er gab die Schuld für das Scheitern gestern Sahra Wagenknecht. Die Entscheidung zum Abbruch der Sondierungen sei nicht in Sachsen getroffen worden.
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Tiefgang
Früher als erwartet, aber erwartet, ist gestern Abend die Regierung von uns gegangen. Was machen wir daraus? Auf diese Punkte achten wir in den kommenden Wochen.
Kanzler-Sound: staatstragend. „Gerade heute, einen Tag nach einem so wichtigen Ereignis wie den Wahlen in Amerika, ist solcher Egoismus vollkommen unverständlich“, sagte Scholz über Christian Lindners Beharren auf einer anderen Wirtschaftspolitik. Die Grünen äußerten sich gestern, vorbeugend auch schon in den vergangenen Tagen, nicht weniger im Sinne des Status quo. Wenn Trump, dann Ampel, Ehrensache: Die Welt wartet demnach auf Deutschland. Was auch gesagt gehört: Sie konnte zuletzt auch ganz gut ohne.
Scholz eröffnet seinen Wahlkampf: So ehrlich hat der Kanzler selten über die seit jeher dysfunktionale Koalition gesprochen, der er bis gestern Abend vorstand. So offensiv hat er selten so getan, als läge es nur am Störenfried FDP, dass wenig vorwärtsgeht. So viel Hässliches wurde nie öffentlich übereinander gesagt: Lindner sei immer „so beleidigt“ aufgetreten, erfuhr man am Abend von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Lindners „egoistisches“ Verhalten gefährde „am Ende sogar unsere Demokratie“, urteilte Scholz.
So wenig hanseatisch – und so länglich auskunftsfreudig – hat man ihn zuletzt erlebt, als er sich um Angela Merkels Erbe bewarb. „Ich halte stets das Wohl unseres ganzen Landes im Blick“, sagte er gestern: Als Bundeskanzler muss das niemand betonen, als Wahlkämpfer kann es nicht schaden.
Es wurde Zeit: „Ich sehe mich zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden“, sagte Scholz am Abend im Kanzleramt. Es folgte eine klare Schuldzuweisung: „Zu oft“ habe Lindner Gesetze „sachfremd blockiert“. Zu oft habe er „kleinkariert“ agiert. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Wenn Partner so übereinander sprechen, ist der Punkt längst vorüber, wo die Frage noch ist: Warum sind wir zusammen? Es war keine Kurzschlussreaktion des Kanzlers und seiner Partei: Jemand hat da seit langem Buch geführt.
Die Fahne hoch. Zum letzten Gefecht? Die FDP kam zu anderem Schluss aus der Lage in Welt und Land. Ihr kommt es gelegen, wenn das Ende als Entlassung aus dem Amte vonseiten des Kanzlers daherkommt und nicht als Aufkündigung der Koalition aus eigenem Willen. Lindner tat das seine, um die Initiative zum Bruch dem Kanzler zuzuschreiben. Trumps Sieg, wenn man ihn so lesen will, ist für die FDP eine Einladung zur Entschiedenheit – mehr als zum Kompromiss zulasten eigener Überzeugungen und Ideologie. Am Freitag kommt das nächste Politbarometer, inklusive einer Blitzumfrage ab morgen, die Aufschluss geben sollte, ob Lindner bloß um Ehre und Erbe kämpft oder auch um den Wiedereinzug in den Bundestag.
Der Kanzler erfindet sich neu: „Besonnenheit“ kam gar nicht vor in seinem Statement. Stattdessen die Erzählung, Lindner habe die Regierung an der Ukraine-Hilfe scheitern lassen. Aus dem Kanzleramt verlautete, der Überschreitungsbeschluss, den der Kanzler vorgeschlagen und verlangt habe, hätte vor allem zugunsten der Ukraine gehen sollen. Hätte, hätte, wäre, nice! Erste Lektion noch im banalsten entsprechenden Training: Der Konjunktiv ist nicht der Modus einer Führungskraft.
Scholz bleibt sich treu: Entscheidungen, Priorisierung sind weiterhin nicht die Sache seiner SPD. „Dieses Entweder-oder ist Gift!“, sagte Scholz: „Entweder Sicherheit oder Zusammenhalt, entweder die Ukraine unterstützen oder in Deutschlands Zukunft investieren“ – diesen Gegensatz aufzumachen sei „falsch und gefährlich“. Immer alles möglich, weil eh ein starkes Land: Insofern kommt ein baldiger Wahltermin dem Kanzler entgegen. Im September wäre den Wählerinnen und Wählern vielleicht schon klar, dass in der Politik, ebenso wie in ihrem eigenen Leben, Entscheidungen bedeuten, auch einmal Prioritäten zu setzen. Florian Eder
Auch wichtig
Ein knappes Rennen hatten die Umfrageinstitute vorhergesehen. Das war es am Ende aber nicht. Donald Trump hat die Wahl gewonnen, so eindeutig, dass der Sieg den Westen als Konzept infrage stellt. Wer wissen will, was Trump vorhat, kann sich hier einlesen. Unter anderem will er den Staat radikal umbauen, er hat angekündigt, Millionen von Menschen abschieben zu lassen, und das Militär gegen „den Feind im Innern“ einzusetzen. Die Amerikanerinnen und Amerikaner haben dafür gestimmt. Eine Auswahl an Erkenntnissen, die überraschen.
Weiße Frauen stimmten mehrheitlich für Trump: Die Washington Post berichtet: 52 Prozent der weißen Frauen gaben Trump ihre Stimme, lediglich 47 Prozent stimmten für Harris. Auch bei Frauen mit lateinamerikanischem Hintergrund schnitt Trump überraschend gut ab: 37 Prozent der Latino-Frauen wählten ihn. Dabei hatte das Harris-Lager vor allem auf diese Frauen gesetzt, die strikten Abtreibungsregeln in republikanisch regierten Bundesstaaten hatten viele Frauen aufgeschreckt, bei den Midterms im November 2022 hatte das Thema eine entscheidende Rolle gespielt.
Offenbar hat das Thema Mobilisierungspotenzial eingebüßt. In sieben Staaten, darunter den Swing States Arizona und Nevada sowie den republikanischen Staaten Montana und Missouri wurde das Recht auf Abtreibung durch Referenden, die zeitgleich zur Präsidentschaftswahl stattfanden, gestärkt. In Nebraska, South Dakota und Florida gewannen Abtreibungsgegner.
In urbanen Zentren gewann Trump stärker als erwartet. Die meisten Wählerinnen und Wähler wollte Harris eigentlich in den Städten gewinnen. Doch eine Analyse der Washington Post zeigt, dass Trump dort um rund acht Prozentpunkte besser abgeschnitten hat als 2020. Selbst in liberalen Städten wie New York City gewann Trump stärker als erwartet.
Latino-Männer stimmten mehrheitlich für Trump: Laut den Nachwahlbefragungen wählten 54 Prozent der Latino-Männer Trump, trotz seiner rassistischen Äußerungen. Laut New York Times wählten in Wahlkreisen, in denen mehr als 25 Prozent der Menschen einen lateinamerikanischen Hintergrund haben, deutlich mehr Wählerinnen und Wähler Trump als erwartet.
Die rechten Fans unter Europas Regierenden gratulierten als erste – aber auch Emmanuel Macron nutzte ein mögliches frühes Aufmerksamkeitsfenster in Mar-a-Lago. Nach 9 Uhr an unserem Morgen begannen die Glückwünsche – wie als Morgengabe für den Sieger oft auf der Plattform X, die Elon Musk seinen Trump-Fans mit den Worten neu empfahl: „Ihr seid jetzt die Medien.“ Es waren Kunstwerke darunter, manche aus Freude, manche aus Angst, manche fürs heimische Publikum.
Größter Fan: Zum „größten Comeback der Geschichte!“ gratulierte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, einer der großen Gewinner des Wahlausgangs und also derjenige, der zuletzt lacht. „Ihre historische Rückkehr ins Weiße Haus bedeutet einen Neuanfang für Amerika und ein starkes Bekenntnis zum großen Bündnis zwischen Israel und Amerika.“
Viel zu verlieren: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, der Gefahr läuft, zum großen Verlierer zu werden, erinnerte Trump in einem langen Glückwunsch-Tweet daran, dass dessen Ansatz „Frieden durch Stärke“ sei und dies „genau das Prinzip, das uns einem Frieden in der Ukraine praktisch näherbringt“. Er lud sich ins Weiße Haus ein. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda teilte beflissen mit, sein Land gebe schon 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus: Vielleicht bleibt es ja gleich hängen.
Muss halt sein: Viele Europäer, etwa die Premierminister Dick Schoof aus den Niederlanden, Ulf Kristersson aus Schweden, deutlich später auch der Bundeskanzler, beschränkten sich auf die Gratulation an den Sieger und den Hinweis auf gute bilaterale Beziehungen zwischen den Ländern, nicht den Regierenden: Deutschland und die USA arbeiteten „seit langem erfolgreich zusammen, um Wohlstand und Freiheit auf beiden Seiten des Atlantiks zu fördern“, schrieb Scholz. Das wolle man weiter so halten.
Augenhöhe? Emmanuel Macron gratulierte als einer der ersten und zeigte sich „bereit zur Zusammenarbeit“ wie schon einmal: „Mit Ihren Überzeugungen und meinen. Mit Respekt und Ehrgeiz“, wie er schrieb, im Versuch, Augenhöhe herzustellen. Mit Scholz hatte er da schon telefoniert, um sich abzustimmen.
Eine Botschaft an die Kollegen mehr als an Trump: Diplomaten erwarten, dass der französische Präsident den EU-Staats- und Regierungschefs beim informellen Gipfel heute und morgen mit neuer Dringlichkeit seine alte Forderung präsentieren wird: nach einer größeren Rolle Europas in der Welt, unter Frankreichs Führung. Er ist politisch ausgezehrt – immerhin nicht auf dem Weg zur Tür hinaus oder gänzlich mit sich selbst beschäftigt.
Das Kabinett hat sich gestern auf den neuen Wehrdienst von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geeinigt. Junge Männer müssen künftig zum 18. Geburtstag einen digitalen Fragebogen ausfüllen, in dem sie über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst Auskunft geben. Junge Frauen bekommen den Bogen ebenfalls und können ihn freiwillig ausfüllen. Von den Männern, die sich bereit erklären, soll ein Teil verpflichtend zur Musterung eingeladen werden. Die Wehrpflicht bleibt aber ausgesetzt.
Reserve aufbauen: Es sollen zunächst etwa 5.000 Männer zusätzlich zu den derzeit rund 10.000 freiwilligen Wehrdienstleistenden eingezogen werden. Pistorius geht es vor allem darum, eine Reserve aufzubauen. „Wenn es morgen zum Verteidigungsfall käme, wüssten wir nicht, wen wir einziehen könnten, weil es keine vollständige Datengrundlage gibt“, sagte er gestern. Trotz der Aussetzung der Wehrpflicht gilt weiterhin, dass sie für Männer wieder in Kraft tritt, wenn der Bundestag den Spannungs- und Verteidigungsfall feststellt.
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Unter eins
Johannes Winkel, Vorsitzender der Jungen Union, kommentiert auf X das Ampel-Aus
Zu guter Letzt
Heute und morgen ist also EU-Gipfel in Budapest. Der Gastgeber, Premierminister Viktor Orbán, ist einer der Gewinner von Trumps Wahl zum Präsidenten, wie andere Rechtspopulisten auch.
Frage für heute, morgen, die nächsten Wochen, Monate und Jahre ist die: Lassen es die anderen EU-Mitglieder zu einer Bittprozession nach Mar-a-Lago kommen, bei der ein jeder seine Anliegen vorträgt und seinen Preis offenbart – oder, nun ja, bleibt die EU zusammen, wie unter der ersten Präsidentschaft Trumps.
Vielen Dank! Dem Team in Berlin und den Kolleginnen in Australien.