Unsere Kernprodukte
Im Fokus
Weitere SZ-Produkte
Shops und Marktplätze
Media & Service
Partnerangebote
Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?
Anzeige inserierenMöchten Sie unsere Texte nachdrucken, vervielfältigen oder öffentlich zugänglich machen?
Nutzungsrechte erwerbenDie Probleme der Stahlbranche
Donnerstag, 28. November 2024Von Tim Frehler
Guten Morgen. In Brandenburg schicken sich mit SPD und BSW zwei Parteien an, eine Koalition zu bilden, die es so bislang in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Ihre Mehrheit wird zwar knapp sein, aber immerhin: Es ist eine. (Sofern nichts mehr passiert. Man weiß ja nie.)
Und während sich anderswo Mehrheiten suchen und finden, merken die Koalitionäre in Berlin, wie schwer das Leben als Minderheitsregierung ist, wenn nichts mehr aus eigener Kraft geht, Gesetzentwürfe kaum mehr das Papier wert sind, auf dem sie stehen.
Immerhin: In Brüssel nimmt die Gesetzgebungsmaschine langsam wieder Fahrt auf. Damit beginnen wir heute.
Herzlich willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Ein knappes halbes Jahr nach der Europawahl ist die EU ab Montag wieder voll arbeitsfähig. Nachdem das Europäische Parlament in Straßburg gestern Mittag die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagenen Kommissare gebilligt hat, will die neue Kommission schnell starten und in den ersten hundert Tagen – also bis Anfang März – die ersten Gesetzesinitiativen vorlegen. Von der Leyen und dem Chef der größten Fraktion, Manfred Weber, (CSU/EVP) gelang es, alle 26 Kommissare durchzubringen – allerdings um den Preis einer nur mäßigen Mehrheit (370 von 688 Stimmen). Wie die Stimmung in Straßburg war, berichtet SZ-Kollege Jan Diesteldorf.
It's the economy, stupid: Die Schwerpunkte der neuen EU-Kommission liegen auf der Wirtschaft. Während ihrer Amtszeit will sich von der Leyen von einem „Wettbewerbs-Kompass“ leiten lassen, der auf der Analyse des früheren EZB-Chefs Mario Draghi basiert. Die drei Hauptthemen: Erstens: Die Innovationslücke zu den USA und China schließen. Zweitens: Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Drittens: weniger Abhängigkeit vom Ausland und höhere Sicherheit. Als einen der ersten Schritte will die Kommission ihren Green Industrial Deal vorstellen, der den Green Deal der vergangenen fünf Jahre ergänzen, aber nicht ersetzen soll.
Chefsache Auto: Um die Autoindustrie mit ihren Millionen Arbeitsplätzen will sich von der Leyen persönlich kümmern. Schon bald will sie zu einem strategischen Dialog einladen. Damit vermeidet sie, entweder der für den ökologischen Umbau zuständigen sozialdemokratischen Vizepräsidentin Teresa Ribera oder dem für Reformen zuständigen Vize Raffaele Fitto aus der rechten Meloni-Partei die Federführung zu geben. Für die ersten hundert Tage verspricht die Kommission auch ein umfassendes Gesetz zum Bürokratieabbau und einen Plan zur Zukunft der europäischen Verteidigung.
Überall Abweichler: In der rechten ECR stimmten die Meloni-Anhänger für die Kommission, in der sich mit Fitto erstmals einer der ihren findet, der große Rest dagegen. Die spanischen Konservativen verweigerten sich dem EVP-Konsens und stimmten mit Nein, weil sie die sozialdemokratische Vizepräsidentin Ribera ablehnen. Und das, obwohl der ebenfalls sozialdemokratische spanische Regierungschef Pedro Sánchez die generell skeptischen Sozialdemokraten erst auf Linie gebracht und damit den Deal ermöglicht hat.
Und die Deutschen? In der SPD stimmten die meisten Abgeordneten gegen die Kommission, die Grünen hingegen wie CDU/CSU und FDP dafür. Die grünen Abgeordneten werden dabei vom Bundesvorstand unterstützt. „Entscheidend für die Grünen war, dass im Arbeitsprogramm der Kommission ausreichend grüne Politik enthalten ist. Der Green Deal wird nicht abgewickelt. Das ist auch im Interesse der deutschen Industrie“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen, Sven Giegold, SZ Dossier. Wer wie die SPD nicht akzeptiere, dass in der EU jeder geben und nehmen müsse, „der hat Europa nicht verstanden“, sagte Giegold in Richtung der Sozialdemokraten.
Der Staatsvertrag zur Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Großbritannien wird vorerst auf Eis gelegt. „Die Verhandlungen über einen bilateralen Vertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland pausieren derzeit aufgrund der angekündigten Neuwahlen in Deutschland“, sagte eine Sprecherin der britischen Botschaft in Berlin SZ Dossier. „Eine Ratifizierung des Vertrages in der laufenden Legislaturperiode erscheint mit Blick auf die vorgezogenen Neuwahlen des Deutschen Bundestags wenig aussichtsreich“, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.
Wiederaufnahme geplant: Nach der Regierungsbildung könnte es aber rasch weitergehen. „Unser gemeinsames Ziel war und bleibt es, ein Abkommen zu erarbeiten, dass unsere Beziehung über mehrere Legislaturperioden hinweg untermauert“, hieß es. SZ Dossier berichtete. In der letzten Woche hätten hochrangige Beamte eine „Bilanz der bisherigen guten Fortschritte“ gezogen und „gemeinsam Bereiche für weitere Verhandlungen im Jahr 2025“ festgehalten.
Auch Union offen: Aufgrund der Neuwahlen muss der Vertrag in der nächsten Legislaturperiode neu aufgesetzt werden. Möglicherweise wäre dann die Union an der Regierung, die laut ihres außenpolitischen Sprechers Jürgen Hardt (CDU) die Absicht begrüßt, „ein breiter gefasstes Partnerschaftsabkommen abzuschließen“.
London hat das Gespräch gesucht: „Dieser Blickwinkel würde sich nicht ändern, sollten CDU und CSU die nächste Bundesregierung tragen“, sagte Hardt SZ Dossier. Wie die britische Botschaft mitteilte, sei es gängige Praxis, dass man sich mit den großen politischen Parteien austausche. „Dazu gehört auch, dass sie in groben Zügen über die Ambitionen Großbritanniens für einen Vertrag sprechen, den der Premierminister als einen Vertrag bezeichnet hat, der nur einmal in einer Generation vorkommt.“
Das Bundeskabinett hat gestern den Entwurf des Gewalthilfegesetzes beschlossen. „Deutschland hat ein Gewaltproblem gegen Frauen und mit diesem Gesetz können wir die Gewalt bekämpfen“, sagte Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Opfer geschlechtsspezifischer oder häuslicher Gewalt sollen dadurch einen Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung erhalten. Die Bundesländer sollen verpflichtet werden, sowohl ausreichend Plätze in Frauenhäusern als auch genügend Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen. Laut Gesetzentwurf überlässt der Bund den Ländern dafür bis 2036 Steuereinnahmen in Höhe von knapp 2,6 Milliarden Euro.
Zum Scheitern verurteilt: Der Entwurf soll nun zügig in das parlamentarische Verfahren gehen. Hoffnungen auf die Unterstützung der Union braucht sich die Bundesregierung allerdings nicht zu machen. Silvia Breher (CDU), familienpolitische Sprecherin im Bundestag, hatte zwar am Montag im Deutschlandfunk gesagt: „Wir wollen das Gesetz unbedingt.“ Der Gesetzentwurf, den Ministerin Paus nun vorgelegt habe, sei allerdings „lückenhaft und nicht beschlussreif“, sagte Breher SZ Dossier. Er gebe auch keine Antwort auf die Frage, wie Frauen unmittelbar vor Gewalt geschützt werden könnten. „Der Rechtsanspruch soll erst 2030 in Kraft treten“, sagte Breher. „Wenn wir an der Situation umgehend etwas ändern wollen, brauchen wir entsprechende Maßnahmen.“ Die Union fordere daher einen Nationalen Aktionsplan, der das Thema ganzheitlich betrachtet.
Ab in den Wahlkampf: Befürchtungen darüber, dass sich an der Situation gewaltbetroffener Frauen nun auf längere Zeit nichts ändere, entgegnete Breher: „Wenn wir unseren Vorschlag in der nächsten Legislaturperiode beschließen, würde sich für die Betroffenen die Situation schneller verbessern.“ Außerdem sei es die Bundesregierung selbst, die das Thema zum Wahlkampfthema mache. „Es wäre die Aufgabe der Bundesfrauenministerin gewesen, sich für das Vorhaben innerhalb der Bundesregierung einzusetzen und einen gangbaren Weg zu finden“, sagte Breher.
Und jetzt Stillstand? Ein ähnliches Schicksal wie dem Gewalthilfegesetz droht dem Tariftreuegesetz, welches das Kabinett gestern ebenfalls beschlossen hat und sowohl Unionspolitiker als auch Vertreterinnen und Vertreter der FDP kritisch sehen. Geeinigt hat sich die Bundesregierung auch auf den Standort für ein NSU-Dokumentationszentrum: Berlin soll es sein. Doch auch dafür brauchen SPD und Grüne noch eine Mehrheit im Bundestag.
Die FDP liegt bei ihren Wahlkampfvorbereitungen „gut im Zeitplan“. Das sagte Gyde Jensen, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, gestern SZ Dossier. „Wir stellen unsere Landeslisten auf und erarbeiten die Kampagne“, sagte Katja Hessel, Landesvorsitzende der FDP in Bayern. Das Dreikönigstreffen in Stuttgart werde dann die heiße Phase des Wahlkampfs einläuten.
Wahlprogramm: Informationen aus dem Parteivorstand zufolge soll bis zum 17. Dezember intern alles stehen, die öffentliche Vorstellung dann zeitnah folgen. Ein fixes Datum gibt es aber noch nicht, im Raum steht das Dreikönigstreffen. Das Wahlprogramm soll „bewusst kompakt gehalten“ werden und voraussichtlich nicht länger als 20 Seiten sein. Aus „Zeitgründen“ werde der Bundesvorstand das Wahlprogramm federführend erarbeiten und verabschieden. Der Bundesparteitag kommt erst am 9. Februar zusammen, zwei Wochen vor der Wahl.
Lindner-Papier als Vorlage: „Nach aktuellem Stand wird es eine Schwerpunktsetzung zugunsten der Themen Wirtschaftswende, Migrationspolitik und Meinungsfreiheit geben“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki SZ Dossier. „Gift für den Standort Deutschland wären jetzt höhere Steuern und höhere Schulden“, sagte Katja Hessel weiter. Stattdessen: Wachstum und solide Finanzen. Gyde Jensen sagte, die FDP wolle die Wirtschaft aus einer „ganzheitlichen Perspektive“ angehen und den Fokus etwa auf Kinderbetreuung, Arbeitsanreize und eine stabile Altersvorsorge legen.
Koalitionsoptionen: Nicht besonders beliebt ist die Ampel. „Auf absehbare Zeit ist mein Bedarf nach einer Koalition mit den Grünen gedeckt“, sagte Kubicki. Ziel ist eine Regierungsbeteiligung der FDP – am liebsten mit der Union. „Ob Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün: beides wäre eine Ampel light“, sagte Hessel. Eine Zusammenarbeit mit AfD, BSW oder Linken schließt die FDP grundsätzlich aus.
ANZEIGE
Tiefgang
Politikerinnen und Politiker sind schnell zur Stelle, wenn es darum geht, die Schuld für wirtschaftliche Probleme in fernen Ländern zu suchen: Robert Habeck sieht den Grund für die Entlassungen bei Thyssenkrupp in den Überkapazitäten in Fernost und will die Branche möglichst retten. Doch Ökonominnen und Ökonomen widersprechen: Dauerhafte Förderung einer wenig wettbewerbsfähigen Branche kostet Geld, ohne viel zu bringen. Zudem droht Deutschland keine Stahlabhängigkeit von China. Derzeit kann es seinen Eigenbedarf nämlich locker selbst decken.
Nachfragemangel wegen Rezession: Der Hauptgrund für die Probleme der Stahlbranche liegt in der allgemeinen Wirtschaftsschwäche. Schon vor der Ankündigung der Entlassungen durch Thyssenkrupp erwartete die Branche einen Absatzrückgang. Im laufenden Jahr sank die Nachfrage erneut. Sie liegt sogar rund zehn Prozent unter dem Pandemie-Tief. Grund ist die Multi-Krise mehrerer in Deutschland so großer Branchen wie Auto und Maschinenbau. „Nahezu alle stahlverarbeitenden Branchen befinden sich gegenwärtig im Rückwärtsgang“, sagte Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, dem Handelsblatt.
Es ist also nicht so, dass in Deutschland kräftig Stahl verbraucht wird, sich die Kunden aber Billigangeboten aus Asien zuwenden. Tatsächlich ist es umgekehrt: Mit 35 Millionen Tonnen haben die deutschen Stahlhersteller im vergangenen Jahr mehr produziert als die 29 Millionen Tonnen, die hierzulande nachgefragt wurden. Das bedeutet nicht, dass Deutschland sich selbst versorgt hat, es findet viel Handel verschiedener Stahlsorten statt. Die deutsche Stahlhandelsbilanz ist aber in der Regel ausgeglichen.
Stahl ist ein regionales Geschäft: „Die Stahlindustrie ist immer noch sehr stark dort, wo die Kunden sind“, sagte Stefan Lechtenböhmer, Experte für wirtschaftliche Transformation an der Universität Kassel, SZ Dossier. Viele Produkte entwickelt die Branche zusammen mit ihren Abnehmern in der Industrie. Er sieht die deutschen Hersteller nicht in erster Linie von günstigen Importen bedrängt.
Das bestätigt Clemens Fuest vom Ifo-Institut. Die Industrie leide unter „stark steigenden Kosten, vor allem Energiekosten, strengen Umweltauflagen und sinkender Nachfrage, vor allem aus der Autoindustrie, am Standort Deutschland“.
Das heißt nicht, dass China keine Rolle bei dem Dilemma spielt. Das Land leistet sich weiterhin gigantische Überkapazitäten und schiebt seine Produkte günstig auf den Weltmarkt. Das ist für kleinere Herstellerländer wie Deutschland eine laufende Belastung. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl fordert daher, den europäischen Markt mit Handelsinstrumenten vor dem Verdrängungswettbewerb zu schützen.
Subventionen bringen wenig. Langfristige staatliche Förderung für konventionellen Stahl gelten aber als wenig zielführend. „Industrien, die man dauerhaft subventionieren muss, zerstören Wohlstand. Industrieunternehmen sollten Steuern zahlen, nicht Subventionen empfangen“, sagte Fuest SZ Dossier.
Transformationsschmerzen lindern: Andere Ökonomen sehen Subventionen dagegen als sinnvolles Instrument, wenn es darum geht, den Übergang zu umweltfreundlicher Stahlerzeugung zu unterstützen. „Gerade für die Erschließung von absolut neuen Technologien wie der Verwendung von grünem Wasserstoff sollte die Regierung unterstützende Instrumente nutzen“, sagte Lechtenböhmer.
Industriepolitik sollte klug gemacht sein, dann bringt sie langfristig einen Wettbewerbsvorteil – da sind sich Ökonominnen und Ökonomen unterschiedlicher Richtungen einig. Früher oder später muss auch die Stahlbranche anderer Länder auf emissionsneutrale Verfahren umsteigen.
Was tun? Die deutsche Stahlbranche braucht massive Förderung zur Umstellung auf klimaneutrale Herstellung und dazu eine Versorgung mit günstigem, anfangs subventioniertem Wasserstoff. So kann sie ihre Nische für die Zukunft finden. Zudem sollte eine Basisproduktion in der Größenordnung des deutschen Stahlverbrauchs erhalten bleiben. Dafür sind bessere Rahmenbedingungen nötig, hier fallen die üblichen Stichworte wie Energiepreise und Bürokratie.
Einen von der Idee her eleganten Mechanismus zum Schutz der europäischen Hersteller vor der chinesischen Konkurrenz hat sich die EU ausgedacht: den Emissionsgrenzausgleichsmechanismus CBAM. Das steht für „Carbon Border Adjustment Mechanism“. Importe einer Reihe von Produktgruppen, darunter Stahl, werden an der Grenze besteuert. Die Höhe der Abgabe richtet sich danach, wie viel Emissionen im Herkunftsland bei der Produktion angefallen sind.
Stahlverband befürwortet Handelshürde. Andere Branchen sehen CBAM als neuen Bürokratie-Horror, denn ihre Zulieferer in China und anderswo müssen nachweisen, wie viel Emissionen in den Waren stecken. Deren Motivation dazu ist gleich null – und China sieht in CBAM vor allem ein neues Handelshemmnis. Doch die Wirtschaftsvereinigung Stahl befürwortet den Mechanismus – gerade, weil er für Importe aus China eine neue Hürde aufstellt.
CBAM ist zudem insofern fair, da es wirklich um den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen geht. Je sauberer die europäische Stahlbranche wird, desto höher die Ausgleichszahlungen an der Grenze. Auch das könnte ein Anreiz sein, schneller grün zu werden als die Konkurrenz. Finn Mayer-Kuckuk, Felix Lee
Mehr zu den Themen Wirtschaft, Wettbewerb, Weltordnung finden Sie in unserem neuen Dossier Geoökonomie, das Sie hier vier Wochen lang kostenlos testen können.
Fast übersehen
Einigung in Potsdam: „Manchmal kommt’s dann eben unverhofft und manchmal kommt’s schnell“, sagte Brandenburgs BSW-Landeschef Robert Crumbach gestern. Seine Partei und die SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) könnte damit am 11. Dezember in seinem Amt wiedergewählt werden.
Steht die Mehrheit? SPD und BSW kommen im Potsdamer Landtag zusammen auf 46 von 88 Abgeordneten, verfügen also über eine sehr dünne Mehrheit. Kritisch beobachtet wurden daher die Aussagen des BSW-Abgeordneten Sven Hornauf, der angedroht hatte, Woidke nicht wählen zu wollen. Grund: die Stationierung des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 auf dem Militärflughafen Schönewalde/Holzdorf.
Zwei Möglichkeiten: BSW-Chef Crumbach kündigte gestern allerdings an, seine Fraktion werde geschlossen für Woidke stimmen. Auf die Nachfrage eines Journalisten, ob das bedeute, dass der Abgeordnete Hornauf bis zur Wahl des Ministerpräsidenten umgestimmt werde oder dann nicht mehr Teil der BSW-Fraktion sei, sagte Crumbach: „Sie haben die beiden Möglichkeiten aufgezählt.“ Der Spiegel berichtete später, Crumbach habe Hornauf aufgefordert, sein Mandat niederzulegen.
Die Verteilung der Posten: Die SPD wird laut Koalitionsvertrag sechs Ministerien sowie die Staatskanzlei erhalten, das BSW drei. Er hätte das Bildungsministerium sehr gerne gehabt, sagte Robert Crumbach gestern, aber es gingen nicht alle Wünsche in Erfüllung. Bildung geht nun an die SPD, ebenso wie das Innenministerium, das Justizministerium, das Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt- und Verbraucherschutz, das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur sowie das Ressort für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klima. Das BSW soll dafür Finanzen und Europa, Infrastruktur sowie Gesundheit und Soziales übernehmen.
Corona-Politik: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verwehrte dem Robert-Koch-Institut monatelang, das Corona-Risiko herabzustufen. Das zeigen Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR. Demnach hat das RKI Anfang 2022 über Wochen versucht, die Risikobewertung des Coronavirus von sehr hoch auf hoch zu ändern – scheiterte damit aber am Widerstand aus Lauterbachs Ministerium. In den Protokollen des Corona-Krisenstabes am RKI stand beispielsweise am 25. Februar 2022: „Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt.“
Welche Rolle spielte Lauterbach? E-Mails belegen nun, wie sehr Lauterbach selbst in die Vorgänge eingegriffen hat. So schrieb der damalige RKI-Präsident Lothar Wieler am 3. Februar 2022 an Lauterbach: „Wir sehen in naher Zukunft eine Reduktion von ,sehr hoch‘ auf ,hoch‘ vor, da die Krankheitsschwere von Omikron geringer ausfällt als die von Delta.“ Lauterbach antwortete, er halte das für problematisch. Eine Herabstufung sei vor der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am 16. Februar außerdem „das falsche Signal“.
Was sagt der Minister? Im Gespräch mit SZ, NDR und WDR betonte Lauterbach nun, sein Vorgehen sei keine politische Beeinflussung „durch sachfremde Überlegungen“. Sein Ministerium habe die Fachaufsicht über das RKI. „Und Fachaufsicht bedeutet nicht Abnicken“, sagte Lauterbach. Hätte er kurz vor der MPK eine Herabstufung gemacht, hätte es so gewirkt, als wolle er die MPK beeinflussen, sagte er. Er habe damals aber auch widersprochen, weil ihm Fachleute aus dem Corona-Expertenrat von einer Herabstufung abgeraten hätten. Mehr hier.
CSU-Account gehackt: Gestern Nachmittag wurde der Instagram-Account der CSU im Bundestag gehackt. Das bestätigte die CSU-Landesgruppe. Demnach haben Unbekannte die Seite gekapert, Inhalte verändert, Beleidigungen angefügt und „Free Palestine“-Bilder eingestellt. Die Landesgruppe schrieb: „Der Angriff steht offenbar in Zusammenhang mit der Israel-Reise des Vorsitzenden der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt.“
Schnelle Reaktion: Am Montag hatte Dobrindt den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu zu einem politischen Gespräch in Jerusalem getroffen. Wie es heißt, habe man den Hacker-Angriff nach kurzer Zeit „korrigieren“ können. Erst vergangene Woche wurden Angriffe auf Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt öffentlich. Dazu hatten sich propalästinensische Aktivistinnen und Aktivisten bekannt.
ANZEIGE
Unter eins
SPD-Außenpolitiker Michael Roth kommentiert auf X ein Foto des NB-8-Ostseegipfels in Stockholm, zu dem Deutschland, anders als Polen, nicht eingeladen war – Frankreich schaltete sich digital zu
Zu guter Letzt
Klar, alle Parteien bereiten sich auf die anstehende Bundestagswahl vor. Bei manchen läuft es besser, bei manchen schlechter. Und auch in den Verwaltungen rüstet man sich für den 23. Februar 2025. In Berlin, wo sie ja durchaus Erfahrung mit Wahlen (und deren Tücken) haben, werden beispielsweise noch Tausende ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer gesucht. Rund 30.000 würden am Ende insgesamt benötigt, sagte Landeswahlleiter Stephan Bröchler.
Einen kleinen finanziellen Anreiz gibt es dafür auch, ein sogenanntes Erfrischungsgeld. Beisitzer in Urnenwahllokalen erhalten zum Beispiel 100 Euro, in Briefwahllokalen sind es 80. Wer mehr Verantwortung übernimmt, etwa als Vorsteher oder Schriftführer, kann sogar 120 Euro einstreichen. Wer noch dazu in Präsenz an einer Schulung teilnimmt, erhält weitere 40 Euro.
Da wird sich doch noch jemand finden lassen. In diesem Sinne: bitte melden!
Danke! An das Team in Berlin und in Australien.