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Nutzungsrechte erwerbenDie Bürokratie-Falle
Freitag, 29. November 2024Von Peter Ehrlich
Schnelldurchlauf:
FDP-Papier: Von Märchen und Narrativen +++ Australien verbietet Social Media für Jugendliche unter 16 +++ Des Kanzlers Wahlkampfmanöver mit den Altschulden +++ Wie klappt die Aufnahme der Flüchtlinge in den Kommunen? +++ Tiefgang: „Die Politik bedenkt oft nicht, was sie da beschließt“
Guten Morgen. Da sind sie wieder, die Geschichten, die man als völlig unglaubwürdig abtun würde, wenn sie denn nicht wahr wären. Da hat die FDP gestern „zur Herstellung der Transparenz“ ihren internen Kommunikationsplan zum Ampel-Ausstieg vorgestellt, über dem tatsächlich „D-Day“ steht.
Die FDP wollte in der ersten Novemberwoche raus aus der Ampel, hatte aber ein Problem: die US-Wahlen. Im Falle von Ungewissheit oder chaotischen Zuständen nach einer knappen Niederlage Trumps wäre es riskant gewesen, die Bundesregierung handlungsunfähig zu machen. Trumps klarer Sieg hat also offenbar das Ampel-Aus erleichtert. Nur, dass entgegen dem (un)schönen Plan Olaf Scholz am Ende schneller war.
Fall Nummer zwei: Jan Marsalek, der Österreicher, der bis 2020 beim angeblichen Vorzeigekonzern Wirecard mit erfundenen Milliarden hantierte. Marsalek, der unter dubiosen Umständen flüchten konnte, bevor eine Staatsanwaltschaft auf die Idee kam, den mutmaßlichen Großbetrüger zu verhaften. Marsalek, der reichlich Kontakte hatte, vor allem ins österreichische Geheimdienstmilieu. Nun gibt es neue Beweise dafür, dass er kurz nach seiner Flucht einen Spionagering organisierte und steuerte.
In einem Spionageverfahren in London gestand nun der Bulgare Orlin Roussev, gemeinsam mit Komplizen jahrelang für einen russischen Agenten russlandkritische Akteure in Großbritannien, aber auch Deutschland ausspioniert zu haben. Laut Spiegel ist Marsalek gemeint. Dieser Fall klingt immerhin nach James Bond. Das D-Day-Papier dagegen könnte auch vom FDP-Praktikanten oder der Redaktion der Heute Show verfasst worden sein. Aber dazu gleich mehr.
Herzlich willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Die FDP hat einen internen Ablaufplan für ihren „D-Day“ veröffentlicht, der verschiedene Optionen für einen Ampel-Exit en detail skizziert. Konkret geht es um Timing, Ablauf und Kanäle. Zuvor hatten führende Liberale dementiert, den Begriff verwendet zu haben. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sprach von „Märchen“, die von SZ und Zeit verbreitet worden seien. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte, der Begriff „D-Day“ sei nie benutzt worden. Im achtseitigen „Arbeitspapier“ kommt er aber gleich neun Mal vor.
Regieren als Feldzug: Den Kern der Recherchen, die FDP habe den Koalitionsbruch systematisch vorbereitet, dementierten die Liberalen von Anfang an nicht, wohl aber die martialische Sprache. Das Papier zeigt nun, dass die Partei das Szenario allgemein recht militärisch angegangen ist: Eine Pyramide, die den „D-Day“ in vier Phasen untergliedert, mündet in einer „offene[n] Feldschlacht“. Es ist von einem „Schlachtruf“ die Rede – einer „Kern-Line“, die in der Kommunikation wiederholt werden müsse.
Der Schlachtruf: „Alles außer unentschieden – Richtungsentscheidung jetzt“, heißt es im Papier. Und konkreter: „Planwirtschaft oder Soziale Marktwirtschaft.“ Die Liberalen schreiben: „Es ist entscheidend, die ersten Sätze und Bilder zu einem Aus der Koalition zu setzen.“ Über Inhalte des Papiers soll laut SZ-Informationen zumindest in Teilen bei einem Treffen von Bundesministern und Führungsfiguren von Partei und Fraktion am 6. Oktober in Potsdam diskutiert worden sein. Mehr hier von den SZ-Kollegen.
Druck durch Presseanfragen: Das Papier sei am 24. Oktober erstellt und bis zum 5. November bearbeitet worden – einen Tag später ging die Koalition zu Bruch. Es befasse sich „mit den Fragen, wie ein Ausstieg der FDP aus der Bundesregierung kommuniziert werden könnte“, teilte die Partei gestern mit. Zuvor hatten die SZ und andere Medien Fragen zu dem Papier an die FDP geschickt. Man bat darum, diese erst am Abend beantworten zu können und veröffentlichte am Nachmittag das Papier mit einer Erklärung. Es sei „kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern“ gewesen, nur eine rein interne Vorbereitung.
Vorbereitete Rede: Enthalten ist auch ein Statement für Parteichef Christian Lindner. Es beschreibt ein Szenario, in dem SPD und Grüne die von der FDP geforderten Wirtschaftsreformen nicht mittragen – und diese deshalb den „Weg frei“ macht zu „vorgezogenen Neuwahlen“. Lindner war es, der dem Bundeskanzler vehement vorgeworfen hatte, seine Rede vorbereitet zu haben. In dem Papier geht es aber auch darum, ob und wie die Parteigremien einbezogen werden sollen: Das Aus vor der Gremiensitzung zu kommunizieren, biete die „beste Kommunikationshoheit“ und den höchsten Überraschungseffekt.
Circle of Ampel: Unter anderem heißt es: „Der avisierter [sic!] Ausstieg zur Mitte der KW 45 (04.11. – 10.11.) birgt Risiken wegen der US-Präsidentenwahlen“. Diskutiert wird auch, das Ampel-Ende via Social Media zu verkünden – explizit genannt wird ein Selfie, da die Ampel so begann. Alternativ seien auch ein Pressestatement, ein TV-Interview oder ein „Gastbeitrag [in der] FAZ“ denkbar. Die Bilder, schreiben die Liberalen, „müssen eine Position der Stärke, Entschlossenheit und Überzeugung ausdrücken“, die Atmosphäre müsse „ernsthaft, aber nicht getrieben“ wirken. Am Ende kam alles anders.
Australien untersagt Kindern und Jugendlichen die Nutzung sozialer Medien ab Ende nächsten Jahres. Die weltweit erste Gesetzgebung dieser Art hat das Parlament in Canberra mit überparteilicher Unterstützung passiert, berichtet mein Kollege Laurenz Gehrke vom Dossier Digitalwende. Das bedeutet: Alle Personen unter 16 Jahren werden für die Nutzung von Plattformen wie Tiktok, Instagram, Snapchat und Facebook gesperrt.
Welche Strafen drohen: Die Social-Media-Unternehmen müssen „angemessene Maßnahmen“ ergreifen, um die jungen Menschen vom Zugang zu ihrer Plattform abzuhalten, andernfalls drohen ihnen Strafen von bis zu 50 Millionen australischen Dollar, berichtet der australische Sender ABC. Hintergrund des Vorstoßes ist die Überzeugung einer Mehrheit im Parlament, dass die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder andernfalls in Gefahr seien.
Kritik der Konzerne: Die großen Tech-Konzerne hatten zuvor einen Aufschub beim geplanten Verbot für Unter-16-Jährige gefordert (SZ Dossier berichtete). Mehrere Unternehmen kritisierten, dass das Gesetz überhastet durchs Parlament gehe. Google und Meta schlugen vor, die Ergebnisse eines Pilotprojekts zur Altersverifikation im Netz abzuwarten, um die Praxistauglichkeit des Vorschlags zu überprüfen. Der Gesetzesentwurf sei inkonsistent und ineffizient, hieß es.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat seinen Finanzminister Jörg Kukies gebeten, einen Vorschlag zur Lösung der Altschuldenfrage der Kommunen und der dazu nötigen Grundgesetzänderung vorzulegen. Das sagte Scholz gestern in Bochum, wo er beim Festakt zum Jubiläum 125 Jahre Emschergenossenschaft sprach. Scholz hatte bereits vergangene Woche angekündigt, er wolle dafür Sorge tragen, dass es einen Antrag der Bundesregierung zu dem Thema gibt, über den dann im Deutschen Bundestag verhandelt werden könne.
SPD zeigt auf Union: Dass Scholz diesen Schritt nun in Bochum verkündet, ist sicherlich kein Zufall. Es sind vor allem Städte im Ruhrgebiet, die hohe Altschulden in ihren Haushaltsbüchern stehen haben. In der SPD sieht man nun die Union in der Pflicht. Bernhard Daldrup, kommunalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, sagte, CDU und CSU seien nun gefordert, „die notwendige Grundgesetzänderung mitzutragen“. Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) sagte, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sei nun gefragt, „für die gemeinsame Altschuldenlösung mit dem Bund vor allem bei CDU und CSU zu werben“.
Es ist halt Wahlkampf: Momentan deutet aber nichts darauf hin, dass Union und Vertreter der Bundesländer bereit sind, dieses milliardenschwere Vorhaben des Kanzlers noch kurz vor der Bundestagswahl umzusetzen. Zu einer Lösung der Altschuldenfrage wird es also so schnell nicht kommen. Das dürfte auch Olaf Scholz wissen.
Bei der Unterbringung von Geflüchteten sehen sich aktuell fünf Prozent der befragten Kommunen „im Notfallmodus“. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter knapp 600 Kommunen, die das Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (Desi) in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung durchgeführt hat. 34,6 Prozent der teilnehmenden Kommunen sehen sich „im Krisenmodus“. Vielerorts stoße die Infrastruktur zur Aufnahme von Geflüchteten an ihre Grenzen, schreiben die Autoren der Studie, Frank Gesemann und Lea Freudenberg. Das betreffe etwa die Bereiche Wohnen, Bildung, Arbeit und Gesundheit.
Heterogene Landschaft: Die Befragung zeigt allerdings auch: die Kommunen gibt es nicht, die Situation unterscheidet sich vielmehr von Ort zu Ort. Knapp die Hälfte sagte nämlich, die Situation sei herausfordernd, aber machbar. Von einer noch entspannten, aber teilweise belastenden Situation berichtete gut ein Zehntel. 2,7 Prozent sagten, ihre Situation sei entspannt. Als größte Herausforderung bezeichneten die Befragten die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Danach folgen die Versorgung mit Integrations- und Sprachkursen sowie die gesundheitliche Versorgung und die psychosoziale Betreuung der Geflüchteten.
Ermüdungserscheinungen: Ein zentrales Element, damit Aufnahme und Integration von Geflüchteten gelingen, sei das ehrenamtliche Engagement. Wie man aus den Antworten der befragten Kommunen wisse, sei dieses in den Jahren 2015 und 2016 extrem hoch gewesen. Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine habe es erneut einen Höhepunkt erreicht. „Mit großen Unterschieden zwischen den einzelnen Gemeinden machen sich im ehrenamtlichen Engagement aber gerade große Ermüdungserscheinungen bemerkbar“, sagte Studienautor Frank Gesemann.
Die Methode: Die Befragung richtete sich an alle 2.961 Städte und Gemeinden in Deutschland mit mehr als 5.000 Einwohnern sowie die 294 Landkreise. Außerdem haben die Fachleute die 19 Bezirksverwaltungen in Berlin und Hamburg einbezogen. 567 Kommunen haben letztendlich teilgenommen und wurden zwischen dem 19. August und dem 30. September dieses Jahres befragt. Gefördert wurde die Studie vom Bundesinnenministerium.
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Tiefgang
Bürokratieabbau wird zu einem der großen Themen des Wahlkampfs. Nachdem laut Normenkontrollrat der Zuwachs an Bürokratiekosten zuletzt bereits gestoppt wurde, arbeiten nun CDU, SPD, FDP und Grüne an dem Thema. „Es gibt erstmals einen Mentalitätswandel in den meisten Parteien“, sagte Thorsten Alsleben von der wirtschaftsfinanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) SZ Dossier. „Die Politik kann das Thema nicht mehr wegschieben.“
Auch Jörg Bogumil, Verwaltungswissenschaftler an der Ruhr-Uni Bochum, sieht Bewegung: „Die Voraussetzungen für Veränderungen sind günstig“, so Bogumil im Interview mit SZ Dossier. Dabei gehe es aber nicht nur um die Reduzierung von Vorschriften, sondern auch um einen Kulturwandel in der Verwaltung. Die brauche mehr Freiheit bei der Anwendung der vielen Vorschriften.
Alsleben verweist auf Umfragen, nach denen die Unternehmen die Bürokratie als Standortnachteil Nummer eins sehen. Als „politisches Signal“ fordert die INSM die Abschaffung von vier Ministerien (wirtschaftliche Zusammenarbeit, Familie, Arbeit und Bau). Deren Aufgaben sollen auf andere Häuser verteilt werden. Dahinter steht das Gefühl vieler Bürger, dass die Verwaltung immer größer wird.
Auf den gesamten öffentlichen Dienst bezogen ist dieser Eindruck allerdings falsch. Wenn man auf die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst pro 1000 Einwohner schaue, sei 1990/91 ein Höhepunkt erreicht worden, danach wurde stetig reduziert. „2018 waren wir auf dem Level von 1970“, so Verwaltungswissenschaftler Bogumil, seitdem gehe es wieder etwas nach oben. Dem Statistischen Bundesamt zufolge arbeiten zwölf Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Für jenen Teil dieser Arbeitnehmer, der tatsächlich für die Anwendung der vielen Vorschriften zuständig ist, gibt es seit Jahren ein Problem: „Der Staat reguliert unendlich viel mehr, als er überhaupt verwalten kann.“ Diesem Satz des früheren bayerischen Ministerpräsidenten und EU-Entbürokratisierungsbeauftragten Edmund Stoiber (CSU) schließt sich Bogumil an. „Die Politik bedenkt oft nicht, was sie da beschließt. Allein das Aufenthaltsgesetz ist zwischen 2015 und 2017 50-mal geändert worden, und das sollen die über 500 kommunalen Ausländerbehörden dann umsetzen. Was die Mitarbeiter in ihrer Ausbildung gelernt haben, können sie wegwerfen. Die sind nicht in der Lage gewesen, die neuen Regelungen rechtssicher umzusetzen.“
Selbst eine Partei wie die FDP, die mit dem Image als Bürokratiegegner wirbt, tappt in diese Falle. So hatten die Liberalen vorgeschlagen, dass sich Bürgergeldempfänger künftig einmal pro Monat mit ihrem zuständigen Berater treffen sollen. „Irrsinn“, sagte Bogumil, die Mitarbeiter hätten dann keine Zeit mehr für Beratung für diejenigen, die sie wirklich brauchen.
Zusammen mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat Bogumil kürzlich in der FAZ vorgeschlagen, Kommunen zu ermöglichen, „praxisferne Vorschriften einfach auszusetzen“. Die Ausbildung der Sachbearbeiter müsse mehr von der Praxis geprägt sein. „Es geht nicht, dass Rechtssicherheit wichtiger ist als Bürgerorientierung“, sagte Bogumil. Allerdings müssten die Vorgesetzten die Sachbearbeiter unterstützen und hinter ihnen stehen, wenn mal etwas schiefgehen sollte. „Wir sollten den Beschäftigten mehr Vertrauen schenken“, sagte auch der Kölner Regierungspräsident Thomas Wilk kürzlich bei einer Veranstaltung des Normenkontrollrates.
Für Bogumil geht es um nicht weniger als um das Ende dessen, was er „Misstrauensverwaltung“ nennt: „Wir vertrauen weder den Bürgern noch den Unternehmen.“ Auch die „Ideologie der Einzelfallprüfung“ müsse weg, Behörden könnten viel mehr mit Pauschalierungen arbeiten.
Dass es auch anders geht, hat der Gesetzgeber 2017 bewiesen, als er die Pflicht zur Einreichung aller Belege bei der Steuererklärung abschaffte und nun darauf vertraut, dass die Bürger sie für den Fall einer Prüfung aufbewahren. Nur zehn statt hundert Prozent aller Fälle zu prüfen, sei in vielen Bereichen möglich, sagte Bogumil.
Mit dem von der Bundesregierung neu eingeführten Praxis- und Digitalcheck für Gesetze soll unnötige Bürokratie in Zukunft vermieden werden. Die verschleppte Digitalisierung der Verwaltung erschwert allerdings, dass alle Behörden Zugriff auf bestimmte Informationen erhalten und diese somit nicht umständlich neu beschaffen müssen.
Eine bessere und bürgernähere Verwaltung würde auch die Demokratie stärken, meint jedenfalls die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“, zu deren Mitgründern Voßkuhle gehört. Jetzt müssen nur noch alle mitmachen, die ein Einzelinteresse an bestimmten Vorschriften haben. „Bürokratieabbau ist immer schwierig, auch wegen der vielen Interessengruppen“, sagte Bogumil.
Fast übersehen
So viele antisemitische Vorfälle wie noch nie: „Der militante Judenhass in Berlin ist reell geworden“, sagte Sigmount Königsberg, der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Nach dem islamistischen Terrorangriff auf Israel vor einem Jahr und dem Krieg in Gaza hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias) im ersten Halbjahr 2024 mehr antisemitische und antiisraelische Vorfälle gezählt als je zuvor: 1.383 waren es allein zwischen Januar und Juni. Das sind mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Dokumentation 2015.
Keine rückläufige Tendenz: Es geht in dem gestern veröffentlichten Bericht vor allem um Beleidigungen, antiisraelische Anfeindungen im Internet, antisemitische Schmierereien im öffentlichen Raum – aber auch um Gewalt gegen Jüdinnen und Juden. Rias dokumentierte insgesamt 23 Angriffe, bei denen Personen geschlagen, bespuckt oder an den Haaren gezogen wurden. Der monatliche Durchschnitt von 230 Vorfällen zeige, dass sich der starke Anstieg antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 auf einem hohen Niveau verstetigt hat. Auf 96 Versammlungen hat Rias antisemitische Parolen, Transparente oder Äußerungen festgestellt.
Wechsel beim Städtetag: Christian Schuchardt wird neuer Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Der Hauptausschuss des Verbandes stimmte gestern einstimmig für den 55-Jährigen, der damit zum 1. Juli 2025 die Nachfolge von Helmut Dedy (SPD) antreten wird. Nach dann neun Jahren im Amt geht Dedy im kommenden Jahr in den Ruhestand. Mit Schuchardt wird somit wieder ein CDU-Mann die Geschäfte des Städtetages führen. Derzeit ist Schuchardt noch Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, wird sein Amt aber im kommenden Jahr aufgeben. Auf die Stadt kommt daher wohl eine vorgezogene Wahl ihres Oberbürgermeisters zu, die eigentlich erst 2026 geplant war.
Unterschiedliche Laufbahnen: Nicht nur politisch hat Schuchardt einen anderen Hintergrund als sein Vorgänger. Dedy ist Verwaltungsjurist und hatte während seiner Laufbahn sämtliche Positionen bei kommunalen Spitzenverbänden inne. Schuchardt hingegen kommt als Oberbürgermeister direkt aus dem operativen Geschäft. Bevor er 2014 ins Amt gewählt wurde, war er bereits Stadtkämmerer in Würzburg. Schuchardt ist in Frankfurt am Main geboren, stieg in Hessen bei der CDU in die Politik ein – und war der erste CDU-Politiker in Bayern in der Position des Oberbürgermeisters.
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Unter eins
CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter im Gespräch mit der Rheinischen Post
Deutschland in Daten
Zu guter Letzt
Will die EU das Rauchen ganz verbieten, also auch im Freien, etwa in Biergärten, auf Außenterrassen oder den Weihnachtsmärkten? Will sie nicht, jedenfalls ist eine Resolution mit entsprechenden Forderungen gestern im Europaparlament gescheitert.
„Europa ist überhaupt nicht zuständig“, sagte der CDU-Politiker Daniel Caspary, und man wolle auch keine Bevormundung. Eine Zustimmung hätte auch schlecht in eine Woche gepasst, in der die Kommissionschefin Ursula von der Leyen als eines der 100-Tage-Projekte der neuen Kommission ein großes Gesetz zum Bürokratieabbau angekündigt hat.
Die stets gut organisierten Lobbyisten der Tabakbranche werden sich allerdings freuen. Die Idee der EU-Kommission, dass es 2040 eine ganze rauchfreie Generation in Europa geben soll, kann ihnen nicht gefallen.
Danke! Den Kolleginnen und Kollegen in Berlin und Australien.