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2024 am Platz der Republik

Montag, 23. Dezember 2024

Guten Morgen. Der Täter von Magdeburg passt in kein Schema, und doch gibt es wieder eines: Die deutschen Behörden bekamen Hinweise von ausländischen Diensten, nahmen sie aber in diesem Fall offenbar nicht ernst. Dabei hatte der saudische Attentäter auch hier, in seinem Gastland, mehrfach mit schwerwiegenden Straftaten gedroht. Zu den Ermittlungen und Entwicklungen hält Sie die Süddeutsche Zeitung auf dem Laufenden.


Bevor der Wahlkampf anhebt, schlossen sechs Parteien (alle im Bundestag vertretenen Parteien außer AfD und BSW) ein Fairness-Abkommen. Sie wollen transparent kommunizieren, also nicht unter falscher Flagge, sie wollen auf die falsche Wiedergabe gegnerischer Positionen verzichten und ebenso auf „persönliche Herabwürdigungen“. Das ist zum einen ehrenwert, schafft zum anderen eine weitere Möglichkeit für Vorwürfe an den Gegner: dann, wenn der wieder „Fritze“ oder „Peinlich-Kanzler“ sagt.


Wir am Platz der Republik verabschieden uns mit der heutigen Ausgabe und einem Blick auf das zurückliegende Jahr in die Weihnachtspause. Und mit der schönsten Nachricht und den herzlichsten Glückwünschen an unsere Kollegin Valerie Höhne samt Familie zur Geburt ihrer Tochter.


Am 2. Januar sind wir zurück in Ihrem Postfach. Frohe Feiertage und alles Gute!

Was wichtig war

1.

Es ist Olaf Scholz im zurückliegenden Jahr gelungen, den Nimbus des deutschen Bundeskanzlers gegen null zu reduzieren.


Auf der Weltbühne: Nicht eingeladen, wenn Emmanuel Macron, Donald Trump und Wolodimir Selenskij die Zukunft der Ukraine besprechen. Er telefoniert mit Putin – der wenige Stunden später einen Großangriff auf die Ukraine befiehlt. Er telefoniert mit Trump – und ein paar Stunden später ruft dessen engster Berater erst zur Wahl der AfD, dann Scholz zum Rücktritt auf.


In Europa: Führte Sprachlosigkeit durch eine uneinige Koalition erst zu Einsamkeit, dann dazu, dass man zunehmend nicht mehr gehört wurde.


Zuhause: Blieb vom Kanzler je weniger, desto mehr Olaf Scholz zum Vorschein kam. „Tünkram“, die Behauptung, die Union wolle Renten „kürzen“, der Wutausbruch zum Ampelende – all das konnte man dem Amte unangemessen finden.


Mit einem Amtsbonus kann Scholz laut allen Umfragen aber ohnehin nicht rechnen. Bleibt das Mittel der Authentizität. Und authentisch ist Scholz dann, wenn er auch sagt, was er denkt: dass er klüger ist als die meisten anderen auf der Welt.

2.

„Die K-Frage ist entschieden. Friedrich Merz macht’s“, sagte Markus Söder im September – und schaltete um vom Kontrahenten um die Spitzenkandidatur der Unionsparteien auf die Rolle des Garanten konservativer Politik, im Wahlkampf und später im Koalitionsausschuss, wenn es zur Regierungsbildung reicht für die Union.


Tür zu: Söder schloss zeitweise beinahe täglich einmal Schwarz-Grün aus – und nur Menschen, die fest daran glauben, dass genau diese Koalition dem Land guttun würde, konnten Abtönungen feststellen. Söders Aufgabe: Die Tür für die Grünen geschlossen zu halten. Das dient dem strategischen Ziel, nicht der AfD Zulauf zu verschaffen, deren potenzielle Wählerschaft die Grünen nicht mag und glaubt, in der Mitte (bei den „Altparteien") gebe es eh keine Unterschiede mehr.


Tür auf: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst steht wiederum dafür, den Grünen die Tür offenzuhalten, sodass Merz nicht alle Optionen bis auf Schwarz-Rot verbaut sind. Dazu gibt es noch ein paar versprengte Schwarz-Gelb-Beauftragte in den Unionsparteien.


Was denn nun? Man könnte fast glauben, die drei hätten sich klug abgesprochen in ihrer Rollenverteilung, sagte neulich ein strategischer Kopf von der Konkurrenz. Aber nein, es ist schon immer noch die Union, die wir kennen.

3.

Ob sie im Parteivorstand nun gebrieft waren oder nicht, das „D-Day“-Papier beschäftigt die Freien Demokraten noch bis über den Wahlkampf hinaus, so wie das Ampel-Aus selbst. Am Ende wurde Christian Lindner vom Bundeskanzler zwar gefeuert, anstatt selbstbestimmt das ungeliebte Bündnis zu verlassen. Scholz musste zur Wutrede greifen, um als Akteur, nicht Getriebenener, dazustehen. Und die Neuwahlen kommen.


Richtungsfragen: Der „Herbst der Entscheidungen“ katalysierte die unzufriedenen Stimmen in der FDP, die spätestens nach der katastrophalen Landtagswahl in Brandenburg auch nicht mehr nur intern auftraten. Als Knackpunkt nannten viele Liberale bereits das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die im Anschluss ausgebrochenen Verteilungskämpfe.


Wahlentscheidungen sind nach vorne gerichtet, nicht zurück. Die Partei verspricht daher, mit Schwarz-Gelb werde alles anders. Aber was auch bleibt, ist der Eindruck der Unernsthaftigkeit. Nördlich der Fünf-Prozent-Hürde beginnt für die FDP erst das Fegefeuer. Zum Glück braucht es mehr: einen großen Partner, der sie wieder in die Reihen der Verlässlichen aufnimmt.

4.

Aber womöglich tat sich Größeres in der deutschen Politik als eine auf Berlin und die alten Verhältnisse zentrierte Sicht es Akteuren und Beobachtern nahelegt: Es wurden so viele Leitartikel über die taktischen Überlegungen der FDP geschrieben, dass dieser Vorrat an Weisheit, so unschätzbar er auch ist, eine Weile reichen sollte.


Willkommen in Neuland. Zwei unerhörte Entwicklungen passierten zur selben Zeit wie nebenbei (mal abgesehen davon, dass die SPD ihren Kanzler fast nicht zum Kandidaten gemacht hätte). Die Union koaliert nach den Landtagswahlen des Herbstes 2024 nun erstmals mit früheren Kommunisten; es brauchte ein Schisma der Linken dafür, es war also eine Frage der Zeit. Und auf Minderheitsregierungen, die bislang stets als „instabil“ gefürchtet wurden, wird nun eine ganze Brandmauer zur AfD gebaut.

5.

Der bemerkenswerteste Rücktritt des Jahres war der Ricarda Langs. Nicht, weil die Grünen-Chefin sich, wie der gesamte Parteivorstand, nach der Serie von Niederlagen im Osten zurückzog, sondern weil sie eine ganz neue öffentliche Persona entwickelte: Mal launig, mal lustig, mal ein bisschen daneben, wie es einem eben so geht, kommentiert sie nun Geschehnisse, deren Teil sie soeben noch war.


Geschichte einer Befreiung: Die Distanz eröffnete Raum, nicht zuletzt dafür, sich nicht ganz so wichtig zu nehmen, wie es sich in der Spitzenpolitik gehört, und für einen neuen Nebenjob als Kolumnistin für den Focus. Als Parteivorsitzende habe sie versucht, so „ernsthaft, glatt und perfekt wie möglich zu sein“, sagte Lang, von der Zeit eingeladen zur Selbstreflexion. Das sei ein Fehler gewesen, weil sie dadurch „die Deutungshoheit über sich“ anderen Menschen überlassen habe.


Für die Partei war der Rücktritt weniger befreiend: Team Habeck übernahm, ernsthaft, mit perfekten Löchern in den Socken, wobei der Anspruch noch von der Wirklichkeit entfernt ist. Die Deutungshoheit über den Kandidaten und seine Partei lassen sich, laut Umfragen, die Wählerinnen und Wähler auch nicht nehmen.

6.

Die Europawahl im Juni war eine Vorschau auf das, was sich bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst erneut zeigte: Erstwählerinnen und Erstwähler, aber auch junge Menschen insgesamt, wählten ganz anders als noch 2019. Besonders beliebt im Sommer: Union, AfD, Kleinparteien. Bei den Landtagswahlen war es dann die AfD, die bei der Jugend gewann.


Der Einfluss von Tiktok: Der Politikwissenschaftler Roland Verwiebe von der Universität Potsdam sagte der Deutschen Welle, dass die Hälfte der 16- bis 24-Jährigen ihre politischen Informationen ausschließlich von Tiktok beziehe. „Wir gehen davon aus, dass der Erfolg der AfD auf Tiktok sehr wahrscheinlich zum Wahlerfolg der Partei beigetragen hat“, sagte Verwiebe. Seine Forschungsgruppe stellte durchschnittlich neun Videos pro Woche mit AfD-Inhalten fest.


Verpuffter Scholz-Effekt: Im Vergleich dazu wurden nur etwas mehr als ein Video mit Bezug zur CDU oder dem BSW gezeigt und noch deutlich weniger zu anderen Parteien. Dabei hatte sich im April der Bundeskanzler ein Profil zugelegt, es folgten Abgeordnete und Ministerien. Geholfen hat es wenig: Die AfD ist mit mehr als 500.000 Followern und über acht Millionen Likes noch immer am erfolgreichsten, die SPD landet mit insgesamt rund 160.000 Followern auf Platz zwei. Was aber bei Tiktok noch wichtiger ist: Der Algorithmus begünstigt extremere Inhalte, sagen die Potsdamer Forscher.

7.

Das kann heiter werden, vielleicht erfrischend, oder auch das Ende internationaler Politik, so wie wir sie kennen: Donald Trump sprengt das System. Er spricht anders, handelt anders: ungefiltert, so wie es heutzutage auch auf X zugeht. Auch bei uns – nicht nur unter jungen Männern – gibt es Leute, die das nicht als Clownerei verachten, sondern aufrichtig gutheißen. Ein Kulturwandel?


Vibe Shift: In den USA hat sich etwas verschoben. Kulturwandel liegt „stromaufwärts von Politik und Geopolitik", schrieb der konservative Historiker Niall Ferguson neulich in The Free Press. Der Wandel gehe, mit Trump, gerade in diese Richtung: Frieden durch Stärke und nicht durch Warnungen vor Eskalation an alle Seiten; eine Ansage aus dem Weißen Haus, nicht die gute alte freiheitliche Weltordnung.


Trump, Trump, Trump: Obwohl noch gar nicht wieder ins Amt eingeführt, ist schon alles anders. Trump bestimmte jeden einzelnen Punkt der Agenda des EU-Gipfels vergangene Woche. China, Ukraine, Handelspolitik, Nahost, europäische Verteidigung – es dämmerte Teilnehmern, dass der Begriff der „europäischen Souveränität“ nun mit Leben gefüllt werden muss.


Die Sache ist die: Viele Chancen wird die demokratische Mitte nicht mehr bekommen, um zu zeigen, dass sie es immer noch besser kann. Aus Deutschland gingen in diesem Jahr Regierungen hervor, die Unvereinbarkeitsbeschlüsse (mit der Linken) obsolet machen. In Frankreich haben Rechts- und Linksaußen gemeinsam die Regierung gestürzt. In anderen EU-Ländern, Italien vorneweg, koalieren Zentristen längst mit den Extremen.

8.

Jetzt, so dachten viele Anfang des Jahres, endet der Höhenflug der AfD. In unzähligen deutschen Städten gingen Menschenmassen auf die Straße, um gegen die in Teilen rechtsextreme Partei zu demonstrieren. Anlass waren die Correctiv-Recherchen über ein Treffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremisten in Potsdam. In der Tat sackten die Umfragewerte der Partei daraufhin ab, sie blieb den Meinungsforschungsinstituten zufolge aber zweitstärkste Kraft.


Das zeigt: Die AfD verfügt mittlerweile über einen harten Kern von Wählerinnen und Wählern, die sich kaum davon abbringen lassen, für sie zu stimmen, und die der Partei nicht aus Protest anhängen, sondern aus Überzeugung. Selbst bei der Europawahl, als die AfD versuchte, ihren Spitzenkandidaten im Wahlkampf zu verstecken, erreichte sie mit 15,9 Prozent ihr bundesweit bestes Ergebnis.


Das Problem: Das Jahr 2024 zeigt aber auch, vor welchem Problem die AfD steht. Sie fährt gute Wahlergebnisse ein, wurde bei der Landtagswahl in Thüringen gar stärkste Kraft – und hat trotzdem keinerlei Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung. Auch vor diesem Hintergrund treibt die Parteispitze die Professionalisierung ihrer Organisation voran, sie versucht mehr Steuerung von oben statt Basisdemokratie. In Einklang mit dieser Strategie der Professionalisierung steht der Plan, die Jugendorganisation enger an die Partei zu binden. Auch der Parteitag in Essen kann als Beweis dafür dienen. Die AfD war dort sichtlich bemüht, ein Bild der Harmonie zu inszenieren. Inhaltlich weniger radikal ist sie trotz alldem aber nicht.

9.

Mit dem BSW ist der AfD 2024 noch ein weiterer Gegner im politischen Spektrum erwachsen. Wagenknechts neu gegründete Partei hat ein beachtliches erstes Jahr hingelegt und den Einzug ins Europaparlament und in zwei Landesregierungen geschafft. Um den Erfolg nicht zu gefährden, legt die Parteichefin größten Wert auf Kontrolle – über den Kurs des BSW und darüber, wer Teil davon sein darf. Noch folgt die Partei ihrer Linie. Und was denjenigen droht, die sich trauen, davon abzuweichen, konnte Thüringens Landeschefin Katja Wolf in diesem Jahr erleben. Wagenknechts Getreue legten ihr kurzerhand und per Gastbeitrag einen Parteiaustritt nahe.


Hoffen auf drei ältere Herren: In Wagenknechts früherer politischer Heimat, der Linken, bestand derweil die Hoffnung, dass sich die Partei neu aufstellen kann, wenn Wagenknecht erst einmal weg ist. Die Linke ist darum bemüht, doch ihr läuft die Zeit davon. Die neuen Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken setzen auf Themen, die die Menschen in ihrem Alltag abholen sollen. Eine Trendwende ist allerdings nicht in Sicht. Richten sollen es nun die drei älteren Herren der Aktion Silberlocke. Ausgang ungewiss.

10.

In diesem Jahr sind inklusive der heutigen Ausgabe 182 Ausgaben vom Platz der Republik erschienen. Sie umfassten, diese Ausgabe ausgeschlossen, insgesamt 3.302.174 Zeichen, durchschnittlich 18.244. Heißt: Man bräuchte rund 30 Stunden, um alle Ausgaben zu lesen.


Die Köpfe des Jahres: Bundeskanzler Olaf Scholz, hier berücksichtigen wir nur die Nachnamen und nicht die Titel, wurde 831 Mal erwähnt – sein Herausforderer Friedrich Merz 448 Mal. Wirtschaftsminister Robert Habeck fand 382 Erwähnungen, Finanzminister Christian Lindner 343. Außenministerin Annalena Baerbock kam auf 183 Erwähnungen, Innenministerin Nancy Faeser auf 151, Verteidigungsminister Boris Pistorius auf 125. Sahra Wagenknecht wurde 199 Mal erwähnt.


International: Trump kam auf 215 Erwähnungen, Emmanuel Macron auf 153, Ursula von der Leyen auf 144.

Wer 2024 wichtig war

Die Themen: „Deutschland“ haben wir 1048 Mal erwähnt, Berlin 496. Ebenfalls weit oben: Ukraine (559), Bundestag (381), China (306), Europa (305), USA (256), Thüringen (214), Russland (200), Sachsen (171), Israel (154), Brüssel (118), Brandenburg (110). Thematische Dauerbrenner waren Sicherheit (211 Erwähnungen), Wirtschaft (208), Nato (176), Haushalt (132), Bundeswehr (127), Schuldenbremse (115), Kommunen (114) und Frieden (109).


Die Parteienlandschaft: Besonders häufig haben wir über die Ampel-Parteien berichtet. Die SPD wurde 1276 Mal erwähnt, die Grünen 1089 Mal, die FDP 837 Mal. Hier zählen wir nur den Parteinamen und keine Bezeichnungen wie „Liberale“ oder „Sozialdemokratinnen“. Auch über die Opposition gab es am Platz der Republik viel zu berichten. Die Union, also auch CDU und CSU, fand 1428 Erwähnungen, die AfD 862, das BSW 414 und die Linke 292.


Übrigens: „Ampel“ kam 452 Mal vor – „Bundestagswahl“ 113 Mal.

Unter eins

Es ist wichtig zu realisieren, in welch schönem Land wir leben (…) Was wir für Möglichkeiten haben, wenn wir alle zusammenhalten und nicht alles extrem schwarz malen, dem Nachbarn nichts gönnen und von Neid zerfressen sind.

Bundestrainer Julian Nagelsmann nach dem EM-Aus im Juli

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier