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Nutzungsrechte erwerbenZwei Kandidaten, zwei Welten
Montag, 6. Januar 2025Guten Morgen. Elon hat's genommen: Einem der europäischen Politiker, der sich Hoffnungen auf Protektion durch Donald Trump und seinen liebsten Tech-Unternehmer machte, hat letzterer die Liebe entzogen. Musk rief am Sonntag den Ober-Brexiteer und EU-Feind Nigel Farage auf, den Vorsitz seiner Reform-Partei niederzulegen; Farage hatte sich Musks Kampagne für einen inhaftierten Rechtsextremen verweigert.
Was die Frage nahelegt, wer als nächstes mit solch heiterer Hanswurstigkeit behandelt wird und wie lange Musk und Meister es miteinander aushalten werden. Vielleicht bietet es sich da in Deutschland an, nun wieder Politik zu betreiben nach all der Klage über Musk, seine Einmischung, seine politischen Positionen und Ziele und seine Algorithmen. Dass Musk es war, wenn die AfD am 23. Februar gut abschneiden sollte, wäre doch etwas bequem für die Parteien der Mitte.
Dabei ist ziemlich klar, was Musk und Trump wollen, nämlich die EU zu schwächen und auseinanderzudividieren. Genug zu tun für den nächsten Bundeskanzler, um das zu verhindern. Der Kampf ums Kanzleramt beginnt, mit dem Startschuss für die nächsten sieben Wochen gestern in Berlin und Bonn; wir schauen gleich im Tiefgang darauf. Willkommen am Platz der Republik.
Was wichtig wird
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen will heute FPÖ-Chef Herbert Kickl empfangen, um mit ihm über die künftige Regierungsbildung zu sprechen. Das ist das eine mögliche Ergebnis der Nationalratswahl im September, das Teile der ÖVP und alle Kräfte links von ihr verhindern wollten und verhindern hätten können.
Hinschauen lohnt sich: Österreich ist zeitgeistig und polit-kulturell gern so weit voraus, dass man den Versuchsaufbau in Berlin noch einmal ändern kann.
Kanzler Kickl? Die Koalitionsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und liberalen Neos aber scheiterten am Wochenende an der Unfähigkeit, Parteiideologie mit den neuen, krisenhaften Bedingungen von Wirtschaft, Politik und Weltlage in Einklang zu bringen. Er habe den Eindruck, dass die Stimmen in der ÖVP, die eine Zusammenarbeit mit Kickl ausschließen, deutlich leiser geworden seien, sagte Van der Bellen. „Das wiederum bedeutet, dass sich möglicherweise ein neuer Weg auftut.“ Die ÖVP bestätigte dies.
Vieles wird von der ÖVP abhängen: Wird sie jetzt Juniorpartner oder verweigert sie sich und geht damit das Risiko ein, bei einer Neuwahl eine Quittung zu bekommen – von Befürwortern einer Koalition der Mitte und von Fans einer Rechtsregierung gleichermaßen? Der neue Übergangsvorsitzende Christian Stocker muss die Frage moderieren, die gleichzeitig auch eine andere beantwortet: wie sehr die ÖVP immer noch an einen Retter namens Sebastian Kurz glaubt.
Robert Habeck zog folgenden Schluss: „Österreich ist ein Beispiel, wie es nicht laufen darf!“, sagte der Grünen-Spitzenkandidat der dpa, unauffällig adressiert an einen politischen Mitbewerber. „Wenn die Parteien der Mitte nicht bündnisfähig sind und Kompromisse als Teufelszeug abtun, hilft das den Radikalen.“ Unter Habeck haben die Grünen sich auf das Versprechen verlegt, die Mitte zusammenzuhalten.
Verbatim: „Wenn wir die Bereitschaft zu demokratischen Bündnissen nicht aufbringen, drohen uns Instabilität und Handlungsunfähigkeit. Das kann Deutschland sich nicht leisten und wir können es Europa nicht zumuten“, sagte er. Wobei gerade die EU von der Ampel gelernt hat, dass demokratische Bündnisse und Handlungsunfähigkeit sich nicht ausschließen.
Heute ist Wahlkampfauftakt in Lübeck. „Ich bin bereit, Verantwortung für eine bündnisorientierte Politik zu übernehmen, die nicht sich selbst, sondern unser Land im Blick hat“, sagte Habeck. Schon gestern projizierten die Grünen ihn, der neulich noch als bloßer „Kandidat für die Menschen“ antrat, in verschiedenen Großstädten als „Bündniskanzler“ an Fassaden.
Die CSU weiß schon, wen Habeck meinte, aber bei ihren Führungskräften ist, wenn wir schon einmal durch das Prisma Österreich auf die Dinge schauen, längst etwas anderes hängengeblieben: nämlich das recht unschöne Ende von Schwarz-Grün in Österreich, immerhin nicht vor der Zeit. Die Forderungen der CSU vor ihrer Winterklausur im Kloster Seeon sind allesamt geeignet, die Unterschiede zu den Grünen groß erscheinen zu lassen.
Forderungen: Wirtschaftspolitisch ist ein „Arbeitsplatz-Check“ für sämtliche Klimaschutzmaßnahmen unter den Forderungen; in der Gesellschaftspolitik sind es etwa die „Mütterrente“ auch für Erziehungszeiten vor 1992 und ein Gender-Verbot, die eine Abgrenzung erleichtern. In der Migrationspolitik, wie SZ Dossier berichtete, fordern die Bundestagsabgeordneten der CSU in ihrem Beschlusspapier mehr als das gemeinsame Wahlprogramm mit der CDU. Zum Auftakt kommt heute Parteichef Markus Söder, der eine Grundsatzrede halten soll.
Serviceeintrag: Morgen steht der „Comeback-Plan“ für die Wirtschaft im Mittelpunkt, es sind unter anderem Marie-Christine Ostermann vom Familienunternehmer-Verband und Telekom-CEO Tim Höttges zu Gast, am Mittwoch dann Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Zur Sicherheitspolitik spricht Terrorismusforscher Peter Neumann. Mit Kyriakos Mitsotakis und Luc Frieden kommen die Premierminister von Griechenland und Luxemburg. Den Abschluss macht dann Kanzlerkandidat Friedrich Merz.
Auch die Freien Demokraten wünschen sich weiter die Aufmerksamkeit der Unionsparteien. „Es sollte nicht erneut eine Koalition gebildet werden, in der unvereinbare Positionen zusammenarbeiten müssen“, sagte Parteichef Christian Lindner der Stuttgarter Zeitung. Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün seien „Ampel-light“. Heute startet die FDP bei ihrem Dreikönigstreffen im Stuttgarter Opernhaus ins Wahljahr.
Sie setzt dabei auf Klassik: „Bürokratismus abbauen, Behörden wie das Umweltbundesamt auflösen, die grüne Klimapolitik mit ihren irrealen Subventionen realistisch gestalten“. Es müsse gelten: „Bürokratie runter, Netto rauf“, sagte Lindner und mahnte zur letzten Chance: „2025 ist eine Vorentscheidung für 2029. Wenn sich die Politik nicht ändert, werden die Menschen 2029 die Systemfrage stellen.“ Das wolle er verhindern. Er peilt dafür noch immer ein zweistelliges Ergebnis an.
Von Hemd und Hose: Derzeit liegen die Liberalen laut einer Insa-Umfrage bei vier Prozent. Das Meinungsbild in der Union ist noch durchaus uneinheitlich in der Frage, ob sie der FDP auch noch diese Wähler abjagen möchte oder ihr doch über die Hürde helfen. Was beide Lager zugeben: Stünde die Union selber etwas näher an den 40 Prozent als an den 30, fiele ihr der Glaube an Schwarz-Gelb leichter.
Tiefgang
Olaf Scholz vor roter Wand mit SPD-Wahlplakaten, Friedrich Merz vor blauem Hintergrund mit Bild von Konrad Adenauer. Die ersten großen Auftritte von Kanzler und Kandidat gestern waren kein Fernduell, sondern fanden in verschiedenen Welten statt. Merz gab auf dem geschichtsträchtigen Petersberg bei Bonn den Staatsmann, Scholz gefiel sich in seiner schon vor Weihnachten eingeübten Rolle als Kämpfer statt Kanzler.
Merz – als Hauptredner der Konrad-Adenauer-Stiftung zum 149. Geburtstag des ersten Kanzlers der Bundesrepublik – versuchte sich als Urenkel des CDU-Gründungsvaters. Die kommende Bundestagswahl könne durchaus als so wichtig wie die erste Bundestagswahl 1949 im Westen oder 1990 in Gesamtdeutschland gesehen werden.
Warum? In den ersten Jahren wurde über die Westbindung der Bundesrepublik und die soziale Marktwirtschaft entschieden. Was in der Rückschau selbstverständlich erscheine, hätte auch anders entschieden werden können, sagte Merz. Nun, 2025, sei nach Zeiten der Ruhe eine „Zeit der Bewegung“ eingebrochen, die Grundlagen der Demokratie, der Freiheit und der Marktwirtschaft stünden wieder zur Debatte.
Für seine mögliche Kanzlerschaft prophezeite Merz „Entscheidungen, die sehr weit in die Zukunft reichen“. Der frühere SPD-Kanzler Helmut Schmidt habe sich bei ihm einmal beklagt, dass in seiner Regierungszeit von 1974 bis 1982 eigentlich gar keine historischen Entscheidungen zu treffen gewesen seien. „Wir werden heute wieder Entscheidungen treffen müssen. Geschichte schreibt sich nicht von selbst, sie wird geschrieben“, beschrieb Merz schon einmal die Rolle der nächsten Regierung und des nächsten Bundestages.
Sehr konkret wird Merz nicht, aber auf jeden Fall will er keine deutschen Alleingänge, sondern europäischen Schulterschluss, vor allem mit Frankreich, Polen und den baltischen und nordischen Ländern. Nur ein starkes Europa werde in der Welt bestehen.
Die Bedrohungen für Freiheit, Demokratie und Wohlstand beschreibt Merz nicht im Detail, was ihm eine erneute Auseinandersetzung mit Tech-Milliardär Elon Musk erspart. Olaf Scholz wiederum hilft in der Frage des Umgangs mit Musk eine generelle Unempfindlichkeit gegenüber Menschen, die an seiner Eignung für das Amt zweifeln.
Dafür taugt Musk aber, anders als gewöhnliche deutsche Nicht-SPD-Wähler, für Klassenkampf und Heroismus in langer Linie. „Wir sind es als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit dem 19. Jahrhundert gewohnt, dass reiche Medienunternehmer anderer Meinung sind als die sozialdemokratische Partei“, sagte Olaf Scholz am Sonntag im Willy-Brandt-Haus. „Das ist nichts Neues.“
Zum Kampagnenstart enthüllte die SPD in Berlin gestern ihre Plakatmotive, von denen meist der Kanzler schaut, vor Deutschland-Flagge, in deren rotem Streifen die SPD auftaucht. Die Partei glaubt noch an den Kanzlerbonus, auch wenn Meinungsforscher den mittlerweile in einen Scholz-Malus verwandelt sehen.
Nach der Unruhe der Ampel sollen Wählerinnen und Wähler Scholz abnehmen, dass er für Bestandswahrung und – das zentrale Stichwort der Großplakate – „Sicherheit“ stehe. Im Sinne der SPD, versteht sich: „sichere Renten“, „mehr Wachstum“ und – tatsächlich – „mehr Netto“ verspricht die Partei jeweils einzelnen Wählergruppen wie heutigen oder baldigen Rentnern.
Der Grundton bei der CDU ist auch nicht wirklich neu: Echte Stabilität gebe es im Zweifel nur mit der CDU. Oder, wie es auf den seit dem Wochenende in den Straßen zu sehenden Plakaten mit Merz-Konterfei heißt: „Für ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können.“
Merz fordert für die aus seiner Sicht nötige „grundsätzliche Wende in der Wirtschaftspolitik“ mehr Anstrengung von allen. Mehr Leistung der Arbeitnehmer, aber auch mehr Disziplin beim Regieren statt Dauerstreit wie in der Ampel. Wirtschafts- und Sozialpolitik müssten endlich wieder zusammen gedacht werden.
Merz’ Gedankenwelt an diesem Tag ist eine, die von einer zutiefst unsicheren Lage ausgeht, deshalb die Vergleiche mit der unmittelbaren Nachkriegszeit. Adenauers Nachfolger an Spitze von CDU und Regierung, etwa Helmut Kohl, haben sich oft eher am späten Adenauer und seinem Wahlslogan „keine Experimente“ orientiert. Ein Gedanke, der auch Scholz in seiner Hoffnung nicht fern liegt. Peter Ehrlich, Florian Eder
Fast übersehen
In Deutschland wird Europas Tech-Krise greifbar: Über die Aufregung über Musks Einmischung in den Wahlkampf mittels seiner eigenen Meinungsplattform (und die anderer Leute) riskiert die deutsche Politik, eine weitreichendere technologische Abhängigkeit Europas in technologischer Infrastruktur zu übersehen. Externe Akteure nutzten die Schwachstellen Europas aus, schreibt die italienische Ökonomin Francesca Bria, eine renommierte Digitalexpertin, in einem Gastbeitrag für SZ Dossier. „Deutschland ist der Ground Zero dieser Krise.“
Eigene Infrastruktur: Sie fordert weniger Petitionen oder Statements denn politisches Handeln zum Aufbau eines „Euro Stack“, also einer europäischen IT-Grundstruktur. „Die Priorisierung strategischer Investitionen in fortschrittliche Halbleiter, öffentliches Supercomputing, Cybersicherheit, souveräne KI und Cloud-Infrastruktur sind von entscheidender Bedeutung“, schreibt sie. „Ebenso wichtig ist die Rolle Europas bei der Förderung einer multipolaren digitalen Ordnung.“
Augen auf in der Wahlkabine: „Die Wahl in Deutschland wird einen Wendepunkt markieren – nicht nur für das Land, sondern für den gesamten Kontinent“, schreibt Bria. „Werden wir eine technologische Kolonie sein oder werden wir als unabhängige, demokratische Supermacht führend sein?“ Ihren Beitrag lesen Abonnentinnen und Abonnenten im Dossier Digitalwende, wo er zuerst erschien.
Blitzbesuch: Giorgia Meloni machte sich am Samstag auf den Weg nach Mar-a-Lago. Am Samstagnachmittag landete Italiens Premierministerin in Florida, sie traf die führenden Mitglieder der neuen außenpolitischen Mannschaft des designierten US-Präsidenten, aß dann mit Donald Trump selbst zu Abend. Der lobte Meloni in den höchsten Tönen. Sie sei „eine fantastische Frau“, die „Europa im Sturm erobert hat und alle anderen auch“. Anschließend flog Meloni, ohne zu übernachten, wieder nach Italien zurück.
Meloni steht Trump politisch nahe. „Meloni hat mit diesem Treffen womöglich einen weiteren Schritt gemacht, um Trumps bevorzugte Ansprechpartnerin in Europa zu werden“, berichtet Marc Beise aus Rom. „Sie zeigt aber auch gegenüber anderen Regierungschefs einen Pragmatismus, der für Rechtsaußen-Politiker eher unüblich ist.“
China-Falke: Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Roderich Kiesewetter ist den Bundeskanzler nicht nur wegen seiner Russland-Politik scharf angegangen; eine Provokation dahingehend wies dieser gestern ebenso scharf zurück. Im Interview mit SZ Dossier wirft er Scholz auch im Umgang mit China „Fehlsicht“ vor. Er befürchtet, selbst in einer unionsgeführten Koalition mit der SPD werde dieser Kurs „leider“ beibehalten werden. Er warb stattdessen für Schwarz-Grün.
Anfixen als Strategie: Die Führung in Peking betreibe eine gezielte Politik, den Westen vom Handel mit China abhängig zu machen, warnte Kiesewetter. „Unsere Fehlsicht auf die zunehmende Aggression Chinas versperrt den Blick auf die zunehmende Wahrscheinlichkeit eines Angriffs, der auch nicht klassisch-konventionell verlaufen kann.“ Die SPD halte dennoch „konsequent an ihrem China-Schmusekurs fest“, sagte Kiesewetter Felix Lee und Michael Radunski vom Dossier Geoökonomie.
Unter eins
Bundeskanzler Olaf Scholz fährt nun also auf keinen Fall mehr nach Moskau vor der Bundestagswahl
Zu guter Letzt
„Aus dem Koalitionsausschuss wollen wir die Schaltzentrale der Koalitionsarbeit machen“, heißt es im Seeoner Beschlusspapier, das zwischen den Jahren in täglich mehrstündigen Telefonkonferenzen entstand. Wenn die CSU sich durchsetzt, erwächst daraus nicht nur Markus Söder die Rolle, die er für sich vorsieht, als Mitglied des einflussreichsten Zirkels, aber der operativen Verantwortung für das Regierungshandeln enthoben.
Es entstünde damit auch im Kanzleramt ein attraktiver neuer Job: zur Beratung, aber auch erstinstanzlichen Kontrolle dessen, was der Kanzler und sein Team dort tun; untergeordnet im Sinne des Dienstwegs und doch mit enormem Hebel ausgestattet. „Der Koalitionsausschuss soll künftig über ein eigenes Büro verfügen, das die Beschlusspapiere koordiniert und vorbereitet“, steht im Papier. „Dieses Büro werden wir im Bundeskanzleramt ansiedeln.“
Danke! An Gabriel Rinaldi in Seeon, Peter Ehrlich auf dem Petersberg und die Kolleginnen in Australien.