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Teure Wahlversprechen treffen auf knappe Kassen

Donnerstag, 16. Januar 2025
mit Peter Ehrlich, Tim Frehler und Gabriel Rinaldi

Guten Morgen. Kaum jemand hatte es zu hoffen gewagt, doch nun gibt es auf beiden Seiten des Nahost-Konflikts Grund zu feiern: In Israel und im Gazastreifen tanzten die Menschen nach der Einigung zur Waffenruhe auf den Straßen. Nach Angaben der Vermittler Katar, USA und Ägypten sollen nach 15 Monaten blutiger Auseinandersetzungen die Waffen für sechs Wochen schweigen. Vorgesehen ist weiterhin ein komplexer dreistufiger Prozess zur Freilassung der Geiseln, dem die israelische Seite heute zustimmen soll.


Während der künftige US-Präsident Donald Trump diesen Erfolg quasi allein seinem Wahlsieg zuschrieb, zeigte sich der noch amtierende Präsident Joe Biden diplomatischer: Seine Leute und die von Trump hätten in den vergangenen Tagen bei den Verhandlungen „als ein Team gesprochen“. Die Einigung folgt den Linien, die das Weiße Haus vor Monaten skizzierte.


In Deutschland war man vorsichtig hoffnungsvoll. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) teilte am Abend mit: „Heute ist ein Tag der Erleichterung. Erleichterung darüber, dass das Leid auf allen Seiten nun ein Ende finden kann.“ Bundeskanzler Olaf Scholz sah „eine Chance auf ein dauerhaftes Kriegsende“. Die aktuellen Entwicklungen können Sie im SZ-Liveblog nachlesen.


Mein Name ist Elena Müller, seit dieser Woche bin ich Autorin für dieses Briefing. Vorher habe ich für das Dossier Nachhaltigkeit geschrieben. Willkommen am Platz der Republik.

Was wichtig wird

1.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit spielen in diesem Wahlkampf zwar eigentlich keine große Rolle, zu viel Raum nimmt unter anderem die strauchelnde Wirtschaft ein. Das Statistische Bundesamt meldete gestern, dass die deutsche Wirtschaft im vierten Quartal 2024 erneut geschrumpft ist. Das Bruttoinlandsprodukt ging im Vergleich zum Vorquartal um 0,1 Prozent zurück.


Der Stahl muss bleiben: Doch beim Thema Stahl ging es im Wahlkampf am Mittwoch dann doch um CO₂-Neutralität: Bundeskanzler Olaf Scholz sagte bei seinem Besuch beim Deutschen Gewerkschaftsbund, wenn man sicherstellen wolle, dass Stahlproduktion in Deutschland weiterhin eine zentrale Rolle spiele, müsse man den Unternehmen dabei helfen, Stahl CO₂-neutral herzustellen.


Keine Zukunft ohne grüne Energie: „Wir müssen dafür sorgen, dass man zunächst mit Gas und später dann mit Wasserstoff arbeiten kann“, sagte Scholz. Die Unternehmen selbst wollten diesen Weg gehen, sie hätten die Investition entsprechend vorbereitet, zitiert die SZ den Kanzler. Wer nicht auf grünen Stahl umstelle, könne sein Geschäft möglicherweise „nicht mehr fortsetzen“. Ähnlich argumentierte DGB-Chefin Yasmin Fahimi: „Für uns ist klar, dass die Zukunft des deutschen Stahls grün sein muss.“


Skepsis, keine Kritik: Mit kritischen Anmerkungen zu sogenanntem grünem Stahl hatte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz eine Debatte darüber entfacht, wie schnell die Industrie klimafreundlich werden soll. Am Mittwoch stellte Merz die Kritik als unberechtigt dar. Er habe lediglich „seine Skepsis zum Ausdruck gebracht, dass wir sehr schnell auf grünen Stahl umstellen können“, sagte er in der DGB-Zentrale, wo er sich ebenfalls mit Fahimi traf. Dies gelte vor allem, wenn die Rahmenbedingungen so blieben, wie sie derzeit seien.

2.

Die Sorgen um die Weltlage sind Mirek Dušek deutlich anzumerken. „Es stand noch nie so viel auf dem Spiel“, warnte der Direktor des Weltwirtschaftsforums (WEF) bei der Vorstellung der jährlichen Umfrage zum Zustand der Welt kurz vor der Jahrestagung in Davos. Das Weltwirtschaftsforum mit rund 900 Wirtschaftsfachleuten, Risikoanalysten und politischen Entscheidungsträgerinnen beginnt am Montag.


Wachsender staatlicher Egoismus: Bei der diesjährigen Umfrage gab ein Viertel der Befragten an, dass zwischenstaatliche Konflikte das größte Risiko darstellten, berichtet Felix Lee im Dossier Geoökonomie. Immer mehr Staatsführungen setzen auf Alleingänge statt auf Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Das bedrohe die globale Stabilität und verhindere Fortschritt bei den anstehenden Problemen, schlussfolgert das WEF.


Zweitgrößtes Risiko: Extremwetter infolge des Klimawandels (genannt von 14 Prozent), gefolgt von Handelskonfrontationen (acht Prozent) sowie Fehl- und Desinformation (sieben Prozent). In diesem Zusammenhang werden auch Cyber-Spionage und der Missbrauch von Künstlicher Intelligenz genannt – aber eher als langfristige, denn als akute Bedrohung.


Donald Trump als eigentliches Thema: Die meisten Podien werden sich mit Themen wie Künstlicher Intelligenz oder nachhaltiger Energieversorgung beschäftigen. Zumindest auf den Fluren in Davos dürfte aber die Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump das dominierende Thema sein. Er selbst will sich irgendwann am Ende der viertägigen Tagung online zuschalten.

3.

Die österreichische Krypto-Plattform Bitpanda hat 1,75 Millionen Euro an deutsche Parteien gespendet und mischt damit ordentlich mit im deutschen Wahlkampf: Es handelt sich bislang um den höchsten Spendenbetrag eines einzelnen Unternehmens. Dabei werden jeweils 500 000 Euro an CDU, SPD und FDP gespendet, die CSU erhält 250 000 Euro. Wie der deutsche Bitpanda-Gründer und CEO Eric Demuth im Gespräch mit SZ Dossier sagte, wolle er die Parteien stärken, damit sie sich „aus der eigenen Stärke heraus Zukunftsthemen widmen können“.


Hilfe zur Selbsthilfe: „In den letzten 20 Jahren sind sehr viele Reformen verschlafen worden. Die Parteien sollten finanziell gut ausgestattet sein, damit sie sich intern genügend Ressourcen aufbauen können“, sagte er Gabriel Rinaldi. Das sei wichtig, um bei Zukunftsthemen wie Infrastruktur eine proaktivere Politik zu machen – über die nächsten zehn Jahre hinaus. Er sei auch nicht dagegen, die Schuldenbremse zu lockern, wenn das neue Geld neue Dinge finanziere. Als weitere Prioritäten nannte der Initiator der Spenden den Bürokratieabbau und, freilich, einen attraktiven Kapitalmarkt.


Personelle Verstärkung: Demuth vertraue darauf, dass die Parteien das Geld effizient einsetzen. „Idealerweise wünsche ich mir, dass die Parteien sich personell verstärken, damit sie genügend Ressourcen und Kompetenzen haben, um sich sämtlichen Themen widmen zu können, ohne Abhängigkeiten zu haben“, sagte er. Die aktuelle Situation in Deutschland habe ihn zu der Aktion motiviert: „Die Wirtschaft sollte politisch aktiver werden, anstatt sich nur zu beschweren.“


Auffällig ist, dass die Grünen nicht dabei sind. Wie Demuth sagte, habe er sie früher auch mal gewählt, könne sich mit vielen Themen, etwa Tierschutz, identifizieren. „Jetzt ist aber Wirtschaftskompetenz gefragt“, sagte er. Er schließt also nicht aus, dass die Grünen wieder wichtig werden, sieht aber nicht das Thema Wirtschaft als deren Stärke. „Momentan, muss man ganz ehrlich sagen, sind andere am Zug.“ Die vier Einzelspenden wurden gestern von der Finanz-Firma auf den Weg gebracht, hieß es.

4.

Drei Bereiche im Kampf gegen digitale Gewalt bedürfen einiger Nachbesserungen in den Augen der Expertinnen und Experten, die gestern in Berlin eine Studie dazu vorgestellt haben: Politische Parteien müssten demnach niedrigschwellige Hilfsangebote für Opfer solcher Gewalt schaffen, die Strafverfolgung müsse ambitionierter werden und EU-Gesetze wie der Digital Services Act (DSA) müssten konsequent umgesetzt werden. Andernfalls wachse die Gefahr für die Demokratie, da politisch Engagierte sich zurückzögen, um nicht länger den Angriffen im Netz ausgesetzt zu sein, wie Laurenz Gehrke im Dossier Digitalwende berichtet.


Einfluss auf die Demokratie: „Der Hass, die Lügen, die Bedrohungen, die Diffamierungen, die Anfeindungen, die politisch engagierte Menschen digital erfahren“, könne letztlich sogar die Entscheidung darüber beeinflussen, wie und ob sich Menschen „politischen Situationen zur Verfügung stellen“, warnte Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin von Hate Aid, der NGO, die die Studie in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München angefertigt hat. „Digitale Gewalt beeinflusst, wie in diesem Land Politik passiert“, setzte sie hinzu.


Dringender Handlungsbedarf: Parteivorsitzende müssten Kandidierende „ernsthaft unterstützen“, sagte von Hodenberg, und forderte „institutionelle, innerparteiliche Anlaufstellen“. Für die konsequente Strafverfolgung sei es nötig, dass die entsprechenden Behörden mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden. Es mangle dort an Personal und der technischen Ausrüstung. Zudem sei ein streng umgesetzter DSA unerlässlich, denn: „Wie unsere öffentlichen Kommunikationsräume aussehen, darf doch nicht von den persönlichen Ansichten von Herrn Zuckerberg und Herrn Musk abhängen.“


Der Ernst der Lage wird auch klar, wenn man mit der betroffenen Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) spricht, wie mein SZ-Kollege Christoph Koopmann diese Woche. „Das raubt unglaublich viel Kraft“, sagte sie ihm während eines Telefonats. „Du fragst dich irgendwann, warum du dir das noch antun solltest. Die Frage habe ich mir immer häufiger gestellt, vor allem, seit ich Familie habe.“ Mit der wolle sie ohnehin mehr Zeit verbringen, als sie das jetzt könne, als Abgeordnete. Im Juli vergangenen Jahres gab sie bereits bekannt, nicht mehr kandidieren zu wollen.

Tiefgang

Während die Parteien mit mehr oder weniger kostspieligen Wahlversprechen werben, werden die finanziellen Spielräume aller staatlichen Ebenen deutlich kleiner. Die Kommunen haben nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes die ersten neun Monate des vergangenen Jahres mit einem Defizit von 25,9 Milliarden Euro abgeschlossen. Der Bund und viele Länder brauchen gerade ihre Rücklagen auf.


Das strukturelle Defizit – also die Lücke zwischen den Staatseinnahmen wie etwa Steuern und den Staatsausgaben – beträgt laut Bundesbank zwei Prozentpunkte und wird 2027 sogar darüber liegen. Die Staatsausgaben, auf Basis der aktuellen Haushaltsplanungen und Gesetze gerechnet, werden demnach 2027 über die 50-Prozent-Marke steigen, also auf über die Hälfte der Wirtschaftsleistung.


Was ist passiert? In den 2010er-Jahren wurden mehr Schulden abgebaut als neue gemacht, allerdings auch die Investitionen vernachlässigt. Erst in der Corona-Pandemie und dann in der Energiekrise nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden die Haushaltsregeln ausgesetzt, neue Fonds und Sondervermögen kreiert. Die Inflation bescherte im Jahr 2022 erhebliche zusätzliche Steuereinnahmen. Seit 2023 aber steigen viele Ausgaben schneller als die Einnahmen, etwa für Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst, aber auch für neue Leistungen und Investitionen.


Viele Landesregierungen haben bereits die Haushalte für dieses oder die kommenden beiden Jahre als Sparhaushalte angelegt. Am deutlichsten das Land Berlin, das nun wegen Kürzungen bei der Kultur kritisiert wird, seinen Ruf als Kulturhauptstadt aufs Spiel zu setzen.


In Thüringen muss die neue Landesregierung die Löcher erst noch schließen. Die alte Regierung unter Bodo Ramelow (Linke) habe für Gesamtausgaben von 13,8 Milliarden Euro die Reserven von 825 Millionen Euro komplett verplant, die Investitionen um 200 Millionen gekürzt und es fehlten immer noch 300 Millionen, sagte Finanzstaatssekretär Birger Scholz SZ Dossier.


Eine komplette Übersicht über die Länderfinanzen gibt es nicht. Reserven, Nebenhaushalte und der Umgang mit den Detailregeln zur Schuldenbremse sind in jedem Land unterschiedlich. Die Bundesbank beklagt hier schon länger „Intransparenz“. Insgesamt dürfte es bei den Ländern 2025 auf eine „rote Null“ hinauslaufen, sagte Ökonom Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel. Bei den Kommunen herrsche bereits Alarmstimmung. Der von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau abgefragte Investitionsrückstand beträgt 186 Milliarden Euro.


Auf Bundesebene ist die aktuelle Finanzlage etwas entspannter, weil 2024 weniger Geld etwa aus dem Klima- und Transformationsfonds abgeflossen ist und der Bund mit seiner vorläufigen Haushaltsführung zumindest so lange zurückhaltend bei den Ausgaben sein wird, bis vielleicht Mitte des Jahres ein Haushalt für 2025 verabschiedet ist. Dank der Rücklagen kann die Schuldenbremse eingehalten werden.


„Insbesondere 2026 und 2027 wird die Kreditgrenze aber spürbar überschritten“, analysierte die Bundesbank in ihrem Dezember-Monatsbericht. Der basiert auf der aktuellen Gesetzeslage und der Finanzplanung. Verteidigungsausgaben von mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder Steuersenkungen jenseits der Vermeidung der kalten Progression sind darin nicht enthalten.


Ökonomen rechnen daher mit heftigem Widerstand der Länder, wenn es um Steuersenkungen geht, die wie bei der Einkommens- und Körperschaftsteuer auch die Einnahmen der Länder und Kommunen verringern. „Bei allen Steuersenkungsvorschlägen mit Ausnahme des Soli wird es immer ein Veto der Länder geben“, sagte Boysen-Hogrefe voraus. „Übermäßigen Steuersenkungen werden wir im Bundesrat geschlossen entgegentreten“, meinte der Thüringer Staatssekretär Scholz dazu.


Auch die Schuldenbremse wird nach der Wahl Thema werden, zumindest in Form einer Flexibilisierung unterhalb einer sonst nötigen Verfassungsänderung. „Wenn die Schuldenbremse notwendige Zukunftsinvestitionen verhindert, muss sie reformiert werden“, erklärte kürzlich Markus Lewe, Präsident des Städtetages und CDU-Oberbürgermeister von Münster. „Die Schuldenbremse ist kaum zu halten“, sagte auch Boysen-Hogrefe. Er stimmt seinem Kollegen Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu, der schon vor Veröffentlichung der Wahlprogramme analysiert hatte: „Die Schuldenbremse ist auch eine Steuersenkungsbremse.“


Noch basieren alle Finanzplanungen darauf, dass zumindest im kommenden Jahr die Wirtschaft wieder anfängt zu wachsen. Die Bundesbank rechnet derzeit mit 0,8 Prozent Wachstum. Das könnte aber, so die Frankfurter Ökonomen in einer Berechnung, fast komplett aufgezehrt werden, wenn der neue US-Präsident Donald Trump seine Pläne für Zölle auf alle Waren aus China und Europa wahr macht. Dann könnte der nächste Kanzler schnell das tun, was die Regierung Merkel während Corona und die Regierung Scholz am Anfang des Ukraine-Krieges getan haben: eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen. Peter Ehrlich

Fast übersehen

5.

Stromaufwärts: Im Vergleich zu seinen Konkurrenten Friedrich Merz und Olaf Scholz ist der grüne Kanzlerkandidat ein Viel- und Spontanredner, der gerne vom konkreten Beispiel zu aktuellen Gesetzen und dann zum großen Ganzen wechselt und zurück. Ab heute kann man das auch in schriftlicher Form genießen – als Buch für 18 Euro mit dem Titel „Den Bach rauf“ (Kiepenheuer & Witsch). Was gesprochen oft virtuos klingt, auch wenn nicht jeder Satz zu Ende gebracht wird, wirkt in Schriftform ein wenig atemlos. Immer wieder zählt er „die dichte Taktung der Krisen“ auf, die seine Leser alle kennen. Dann kommt er zu seinen Hoffnungen (wie etwa, „dass mehr Menschen den Optimismus wollen als im Pessimismus zu versinken“).


Vertrauen verloren: Munter wechselt das Buch von den Herausforderungen, die Habeck als Minister zu bestehen hatte, zu grünen Kernforderungen des aktuellen Wahlkampfs. Und immer wieder geht es natürlich um das Gebäudeenergiegesetz: Habeck verteidigt das Vorhaben, aber weniger sich selbst. Er habe über Häuser geredet, den Wirkungsgrad von Wärmepumpen, die Technik. „Ich habe nicht über die Menschen in den Häusern geredet.“ Das Gesetz sei einer der Gründe, warum er viel von dem Vertrauen verloren habe, das die Wähler 2021 in ihn gesetzt hätten. Der Vertrauensverlust habe wahrscheinlich auch mit der Ampel zu tun: „Vielleicht aber auch mit mir“, schreibt Habeck. Genauer erklärt wird das nicht.


Gegen den Strom: Das alles wirkt, als sei für ein kritisches Lektorat die Zeit zu kurz gewesen. Die grundsätzlichen Überlegungen zu Demokratie, Desinformation oder der Bedeutung Europas sind konsensfähig – auch bei vielen Politikern von SPD und CDU. Aber da ist viel „Team Robert“, wie sich die Grünen gerade nennen – und wenig thematische Zuspitzung. Manches klingt mehr nach Bundespräsident als nach Bundeskanzler. Bleibt noch die Frage: warum der Titel? Wenn sich der allgemeine Pessimismus durchsetze, schreibt der Vizekanzler, geht Deutschland den Bach runter. Er wolle das Gegenteil anbieten. Also doch irgendwie gegen den Strom?

6.

Kontrolle des Verfassungsschutzes: Der AfD-Landtagsabgeordnete und Bundesschatzmeister der Partei, Carsten Hütter, ist gestern in die sächsische Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) gewählt worden. Das Gremium kontrolliert einerseits die Aktivitäten der Landesregierung bei der Aufsicht über den Landesverfassungsschutz und andererseits den Verfassungsschutz selbst. Die AfD in Sachsen gilt als gesichert rechtsextrem. Hütter war zwar bereits in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied des Gremiums, als er gewählt wurde, galt die AfD in Sachsen aber noch nicht als gesichert rechtsextrem.


Sorgen bei den Grünen: Der AfD-Politiker kam mit den Stimmen von AfD und CDU in das Gremium. Die SPD, Koalitionspartner der CDU in Sachsen, stimmte nicht dafür. Die Fraktionschefin der Grünen, Franziska Schubert, kritisierte Hütters Wahl scharf. Meiner Kollegin Iris Mayer sagte sie: Ein Vertreter einer Partei, die die freiheitliche demokratische Grundordnung angreife und schädige, bekomme auch noch Zugang zu hochsensiblen Informationen. Sie sei sicher, dass die AfD das nutzen werde, das bereite ihr Sorgen.


In Brandenburg durchgefallen: Dominik Kaufner, AfD-Landtagsabgeordneter in Brandenburg, wird nicht Vorsitzender des Bildungsausschusses. Er fiel bei der Wahl durch. Im Vorfeld hatten SPD und CDU angekündigt, gegen ihn stimmen zu wollen. Sie halten ihm Nähe zum Rechtsextremismus vor, etwa zum „Institut für Staatspolitik“, das der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft. Das BSW hatte erklärt, sich enthalten zu wollen. Der AfD-Abgeordnete Lars Hünich wurde indes zum Vorsitzenden des Agrarausschusses gewählt.

7.

Wenn Unglück droht: Die Bundeswehr soll künftig illegal fliegende Drohnen abwehren dürfen, wie das Bundeskabinett gestern beschlossen hat. Die Truppe soll dann eingreifen dürfen, wenn ein schwerer Unglücksfall droht und die zuständige Länderpolizei ihre technische Unterstützung anfordert. Der Entwurf muss dem Bundestag noch vorgelegt werden, berichtet Selina Bettendorf im Dossier Digitalwende.


Putin späht aus der Luft: In der Vergangenheit waren Drohnen immer wieder über kritischen Infrastrukturen oder militärischen Liegenschaften gesehen worden – die Bundesregierung befürchtet Spionage und Sabotage. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte in einem Pressestatement: „Wir sehen vor allem seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, dass immer häufiger Drohnen zum Einsatz kommen, die für die Polizei und ihre aktuelle Technik eine zunehmende Herausforderung darstellen.“

8.

Eine „Agenda klimaneutraler Luftverkehr“ – das fordern mehrere Umweltverbände von der neuen Bundesregierung für die nächste Legislaturperiode. Zum einen sollen dafür klimafreundliche, technische Lösungen wie Power-to-Liquid-Kerosin vorangetrieben werden. Dabei handelt es sich um die Erzeugung von Kraftstoffen mithilfe von grünem Strom. Zum anderen soll der Flugverkehr durch ein attraktiveres, europäisches Bahnnetz reduziert werden. Das geht aus einem Papier hervor, das dem SZ Dossier Nachhaltigkeit vorab vorliegt.


We need a strategy: „Wir fordern von der neuen Bundesregierung eine Strategie und schnelle Maßnahmen für klimaneutrale Luftfahrt auf Basis unserer Klimaziele ein“, sagte Anja Köhne, Referentin für Mobilität bei Germanwatch. Zu den Unterzeichnenden gehören neben der NGO auch der Verkehrsclub Deutschland, die Bundesvereinigung gegen Fluglärm, der Deutschen Naturschutzring und Transport&Environment (T&E) Deutschland.


Unter eins

Wir werden unseren X-Kanal bis auf weiteres ruhen lassen und vorerst nichts mehr aktiv posten.

Als erstes Ressort der Bundesregierung will das Verteidigungsministerium nichts mehr auf der Plattform des umstrittenen US-Multimilliardärs Elon Musk publizieren

Zu guter Letzt

Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist die Räumung des Protestcamps in Lützerath nun her. Für die Klimabewegung war der Weiler ein Symbol: Ein großer Konzern lässt ein kleines Dorf abbaggern, um weiter Kohle zu verfeuern – und die Staatsmacht reist mit ihren Polizeiknüppeln an, um es zu ermöglichen. Zimperlich gingen aber auch die Klimabewegten nicht vor, sie verschanzten sich in Baumhäusern und unterirdischen Tunneln, um die Räumung zu verhindern, es flogen Steine in Richtung der Einsatzkräfte.


Zu großer Bekanntheit brachte es ein als Mönch verkleideter Demonstrant. Während zahlreiche Polizisten im Schlamm steckenblieben, bewegte er sich fast mühelos über das schwere Terrain – und soll dabei einen Polizisten getreten haben. Ein Video im Internet zeigt auch, wie er einen feststeckenden Beamten umstößt. In gut einer Woche muss sich der „Mönch“ – ein französischer Klimaaktivist – vor Gericht verantworten.


Ihn zu identifizieren, war nicht leicht, er selbst war es, der sich outete – mittels Interviews im Stern. Irgendwie habe es ja auch Spaß gemacht, sagte er. Na dann. Der erste Verhandlungstag ist für den 22. Januar angesetzt.


Lieben Dank! Den Teams in Berlin und Australien.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier