Unsere Kernprodukte
Im Fokus
Weitere SZ-Produkte
Shops und Marktplätze
Media & Service
Partnerangebote
Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?
Anzeige inserierenMöchten Sie unsere Texte nachdrucken, vervielfältigen oder öffentlich zugänglich machen?
Nutzungsrechte erwerbenWie wir die Wahl verfolgen
Freitag, 21. Februar 2025Guten Morgen. Zeit wird’s, dass aus dem Was-wäre-wenn des Wahlkampfs der Wirklichkeitsfall wird: Nun fing auch Robert Habeck noch an, Bedingungen zu stellen – das Verbrennerverbot müsse stehen – für den Fall, dass jemand mit ihm regieren wolle. Wir bewegen uns an die Grenzen des politisch Vorstellbaren.
Aber wer weiß heute schon, was sich der Wähler für Aufgaben ausdenkt für die Herrschenden und die, die es sein möchten. Die Welt hält ja auch noch welche bereit. Nicht zuletzt wird wieder ein Anführer des freien Westens und seiner Werte gesucht, nachdem US-Präsident Donald Trump gerade die Werte von der Geographie entkoppelt hat.
Wir wollen heute wieder mit Ihnen teilen, wie wir uns der Bundestagswahl nähern und worauf wir achten am Sonntag ab 18 Uhr. Willkommen am Platz der Republik.
ANZEIGE
Was wichtig wird
In den letzten Stunden des Wahlkampfes geht es den Parteien darum, diejenigen zu erreichen, die noch unentschlossen sind. Laut dem ZDF-Politbarometer war das in der vergangenen Woche immerhin fast jeder Dritte.
Frische Zahlen: Einer YouGov-Umfrage zufolge, die gerade erst erschienen ist, wenn Sie das lesen, hat gut jeder Fünfte sich nicht final entschieden. Darunter sind vor allem Befragte, die angeben, für die Grünen oder das BSW stimmen zu wollen, wenn ihnen nichts dazwischenkommt: Jeweils knapp drei von zehn Befragten (Grüne: 29 Prozent, BSW: 33 Prozent) sagten, sie schwankten aktuell noch bei ihrer Wahlentscheidung.
Tendenz zur Mitte: Wer kann sich Hoffnungen machen, die Unentschlossenen noch auf seine Seite zu ziehen? Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen beobachtet, dass Unentschlossene in der Regel zwischen zwei Optionen schwanken. Fast immer gäben sie ihre Stimme am Ende einer Partei aus der politischen Mitte. Noch ein Faktor spiele in ihrem Kalkül eine Rolle: „Aus Unentschlossenen werden oft taktische Wähler, die eine Koalition stärken wollen“, sagte Korte.
Heißt: Das eigentliche Rennen spielt sich auf den letzten Metern im Zentrum ab. Also: Wie stark werden Union, SPD, Grüne und FDP – und wie viele Wähler werden sie sich gegenseitig wegnehmen? Dagegen gilt die Kernwählerschaft der AfD, die Gruppe der absolut Überzeugten, verglichen mit anderen Parteien als besonders groß. Viele, die ihr Kreuz bei der in Teilen rechtsextremen Partei machen wollen, dürften sich schon entschieden haben. Die Frage ist eher, ob sie es auch in Umfragen angeben, aber dazu gleich mehr.
Die Lage der SPD mag ernst bis furchtbar sein, aber angesichts der Selbstbeschränkung der Union, was akzeptable Koalitionspartner angeht – wer will es den Führungskräften einer Post-Scholz-Partei verdenken, dass sie schon Ministerposten unter sich verteilen.
Rache der Kleinen: Allerdings hängen Ministerträume an der Frage, wie viele Parteien in den Bundestag kommen; die wichtigste Größe für die Mehrheitsfähigkeit, also die Frage, wie viele Parteien einer Regierung angehören. Vielleicht – bei allem Respekt – noch bedeutsamere Fragen entscheiden sich damit ebenso an der Fünfprozenthürde.
Balken zählen: Wie schnell können Koalitionsverhandlungen beginnen und beendet werden; wie groß ist das Lieber-nicht-als-schlecht-regieren-Drohpotenzial? Wie links wird eine Regierung, womöglich eine unter dem Linkenschreck des Jahres? Nicht zuletzt: Wie bald hat das Land wieder einen Bundeskanzler, der Entscheidungen treffen kann.
Die „Koalitionsstrategie“ der CDU steht. Wie es in Stichpunkten aus dem Konrad-Adenauer-Haus heißt, sollen „ab Sonntagabend keine negativen Worte gegen potenzielle Partner“ fallen. Um 18:01 Uhr wird also die Charmeoffensive starten. Kanzlerkandidat Friedrich Merz wolle geordnete und schnelle Verhandlungen, berichtet Gabriel Rinaldi. Dafür hat der CDU-Chef Vorkehrungen getroffen – so weit sein Arm halt reicht: Mal sehen, ob Markus Söder mitspielt.
Gleich reinstarten: Beginnen sollen Sondierungen schnellstmöglich, im kleinsten Kreis, also unionsseitig Merz, Carsten Linnemann, Thorsten Frei; Söder, Alexander Dobrindt und Martin Huber (den kennen Sie nicht, er ist CSU-Generalsekretär). Erste Gespräche sollen „via SMS“ schon vorher stattfinden. Table.Briefings berichtete zuerst über die Pläne. Sonntagabend also: Augen und Ohren auf für erstes konkretes Anbandeln.
Angebot ist raus: Der SPD soll ein „neues Sozialministerium“ angeboten werden, mit den Themen Rente, Familie und Gesundheit. Schon länger bekannt sind Pläne, die Arbeitsmarktpolitik dafür ins Wirtschaftsministerium zu holen. Klimaschutz soll ins Umweltministerium wandern. Ein größeres Infrastrukturministerium soll neben Verkehr auch Energienetze und Bau übernehmen. Als „Verhandlungsmasse für Koalitionspartner“ sollen zudem das Auswärtige Amt und dazu der Bereich Entwicklungshilfe dienen.
Personaltableau: Priorität der CDU ist es, Wirtschafts- und Innenministerium mit eigenen Leuten zu besetzen. Da werden wir also schön achtgeben, wofür die Herren Linnemann, Frei und Jens Spahn sich am Wahlabend gleich ins Spiel bringen. Auch Dobrindt soll, wenn es nach der CSU geht, ein „großes Ministerium“ bekommen, also Innen, Finanzen oder Verteidigung.
Selbst wenn die Sozialdemokraten doch noch die 20-Prozent-Marke – eh kein sehr triumphales Ergebnis – knacken, dann trotz, nicht wegen Scholz. Das sagen Demoskopen und, entscheidender für den Kanzler: Seine Partei denkt es auch, berichtet Elena Müller. Scholz ist der unbeliebteste Kanzler seit 1949. Die aktuellen Umfrageergebnisse der SPD sind die niedrigsten seit fast 140 Jahren.
Wer kommt nach Scholz? Beliebtere, machtbewusste Männer stehen bereit: Verteidigungsminister Boris Pistorius etwa – und auch Lars Klingbeil wird nach allgemeiner Einschätzung in seiner Partei eine krachende Niederlage mit traurigen Augen betrachten und in analytischer Tiefe kommentieren, aber nichts damit zu tun haben.
Er ist ja bloß Parteivorsitzender. Und hat vor einer ganzen Woche schon Distanz zu Scholz gesucht, der Visionär. Da kann Co-Parteichefin Saskia Esken nicht mithalten. Der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich (65) wird Forderungen nach einem Generationswechsel – zum Beispiel zugunsten Klingbeils (er wird am Sonntag 47) oder Hubertus Heils (52) – zu Recht auf sich beziehen.
Doch lieber Opposition? Achten werden wir auf die Forderungen, dass sich die Partei lieber in der Opposition neu sortieren und erfinden sollte. Sie wurden noch jedes Mal nach einem schlechten Abscheiden laut. Argument der Ehrgeizigen und Gestaltungswilligen wird diesmal nicht nur Münte sein. Die SPD wird nämlich gebraucht! Aus staatspolitischer Verantwortung, wird es heißen. Gemeint ist: Um Merz zum Kanzler zu machen. Andere Partner hat er ja entweder ausgeschlossen oder abgeschossen.
ANZEIGE
Der Brauch will es, dass am Wahlabend drei Reden bereitzuliegen haben. Eine feiert, dass alle Wahlziele erreicht wurden, zwei sind zum Abschichten da. Bei manchen wird es reichen, sich auf ein Tschö mit ö vorzubereiten.
Tag der Abschiede: Den Bundeskanzler wird man so oder so noch ein paar Wochen sehen, wie die anderen, die noch ein Amt haben, aber vielleicht keines mehr bekommen. Der Abschied tritt plötzlicher bei jenen ein, die selbst und mit ihrer Partei dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören. Immer aufschlussreich: Wie sie den Abgang aufnehmen und ankündigen.
In der Abstiegszone: Olaf Scholz, die SPD-Führung, Christian Lindner, Sahra Wagenknecht. Die besonders gern Respekt predigen, schicken vielleicht noch einen Dank dafür hinterher, dass sie Land und Partei dienen durften.
Union 30 Prozent, SPD 15 Prozent, die Grünen bei 14, FDP und Linke jeweils vier, BSW fünf und die AfD 19 Prozent. Das sind die Politbarometer-Umfragewerte der Forschungsgruppe Wahlen – veröffentlicht am 23. Februar 2024, auf den Tag genau ein Jahr vor der Bundestagswahl. Eine zerbrochene Regierung und einen Wahlkampf später hat sich an den Zahlen kaum etwas geändert, vom Comeback der Linken einmal abgesehen.
Stabil statt volatil: Die ganz großen Wählerwanderungen sind also – Stand jetzt – ausgeblieben. Was die Werte aber auch zeigen, berichtet Tim Frehler: Selbst, wenn die FDP, das BSW oder die Linke den Einzug in den Bundestag verpassen, ihre Nische, die Menge an Personen, die sich potenziell für sie begeistern können, ist da. Es geht also hauptsächlich darum, diese Sympathisanten zu mobilisieren.
Beton vs. Bewegung: Weil sich das Parteiensystem so weit ausdifferenziert hat, reichen schon kleinste Veränderungen, damit ein Momentum entsteht und sich selbst verstärkt. Trotz der lange einbetonierten Umfragen ist also Bewegung möglich – und war gestern Abend nun auch messbar. Deutliche Verschiebungen maß das ZDF-Politbarometer in der letzten Umfrage vor der Wahl: Bei der Linken ging es nochmals nach oben, auch die AfD steht bei plus einem Punkt. Die Union bei minus zwei und damit bei 28: So viel Bewegung war lange nicht.
Annahmen über die Wirklichkeit. Das alles auf Basis der gemessenen Umfragen. Bleibt die Frage, was ist Schein, was trügt, was hält. „Mir kommen die seit zwölf Monaten im Packeis gefrorenen Werte unheimlich vor“, sagte Politikwissenschaftler Korte. „Ich hoffe nicht, dass uns ein Demoskopie-Desaster wie 2005 droht.“
Was auch diskutiert werden wird: Sollten alle drei Wackelkandidaten den Einzug in den Bundestag verpassen, wären zwölf, 13 oder gar mehr Prozent der abgegebenen Stimmen nicht im Parlament repräsentiert. Nimmt man den Anteil der Sonstigen hinzu, bewegt sich der Wert Richtung 20 Prozent. Die Fragen danach, wie zeitgemäß die Fünf-Prozent-Hürde noch ist, werden kommen.
Eine „neue Dimension“ des Versuchs, über Propaganda Einfluss auf den Wahlkampf zu nehmen, brachte die russische Kampagne „Storm-1516“, sagte Sophie Timmermann von Correctiv. Von Fake-Seiten über KI-Inhalte bis hin zu einem Netzwerk aus prorussischen Influencern: Die Kampagne bündelte verschiedene Taktiken. Sie einzudämmen, fiel den Behörden schwer.
Kurzfristigkeit hat starken Effekt: In den vergangenen Tagen gab es zudem einen „signifikanten Anstieg der Aktivitäten zur Anzweiflung der Wahlintegrität“, sagte Hannah Schimmele von der Politikberatung Polisphere. Sie nannte aktuelle Fake-Videos zu gefälschten Stimmzetteln aus Leipzig und Hamburg zwar „billige Fälschungen“ – aber welche mit großer Wirkung, weil Gegenkommunikation so kurz vor dem Wahlgang oft nicht mehr durchdringe. In den letzten Tagen des US-Wahlkampfs tauchten ähnliche Videos auf.
Warum die Mühe! „Mit X machte Elon Musk Wahlkampf für die AfD”, sagte Felix Kartte, Fellow der Mercator-Stiftung, und mit oder ohne X tut es auch der Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika. „Parallel dazu konnte die AfD – ähnlich wie Trump in den USA – ihre Narrative über Podcasts und Influencer verbreiten, abseits klassischer Medienkanäle“, sagte Kartte (ihn kennen Sie, als Autor bei SZ Dossier). Vor diesem Hintergrund wirkten einzelne russische Kampagnen wie „Doppelgänger“ oder „Storm-1516“ fast lapidar, sagte er: für Breitenwirkung gar nicht nötig.
Unter eins
Polens Ministerpräsident Donald Tusk schickt via X einen Appell an seine europäischen Amtskollegen.
Was darf bleiben, was kann gehen?
Es war eine recht deutsche Debatte, die sich Scholz und Merz am 9. Februar bei ARD und ZDF lieferten. Bisschen bieder, etwas steif, wenig Glamour, viel Detail: ein Duell wie ein Bausparvertrag. Scholz und Merz stritten überwiegend in der Sache. Wo sich gerade allerorten die Schreihälse übertönen, fanden wir das wohltuend. Das Duell darf bleiben.
In keinem Wahlkampf zuvor konnte man den Kandidatinnen und Kandidaten so oft zuhören und zusehen. Hier noch ein Duell, da ein „Quadrell“, gestern Abend noch eine letzte Debatte zu acht. Mal stellten Kinder die Fragen, mal Leute aus dem Publikum, die ihre eigene schlechte Kreditwürdigkeit der Ampel anlasteten. Mit dem Titel eines Podcasts gesprochen, in dem Bewerber stundenlange Wortspenden gaben: War nicht längst „Alles gesagt?“
Am Sonntag: Wählen gehen. Das bleibt.
Danke! Dem Team in Berlin, den Kolleginnen in Australien.