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Jetzt sind die Grünen am Zug

Montag, 10. März 2025

Guten Morgen. „Es ist halt 'ne Groko.“ So die lakonische Antwort eines SPD-Mitarbeiters am Rande der Pressekonferenz am Samstag. Die Stimmung dementsprechend: okay. „Es gibt keine Gewinner und keine Verlierer, aber neue Partner“, nannte es dann CSU-Chef Söder.


Selfies wurden keine gemacht, verriet SPD-Co-Chef Klingbeil: Lieber nicht zur Schau getragene gute Laune verbreiten wie damals die Ampel-Sondierer. Sie hielt bei keiner Partei lange.


Nachhaltig schlecht gelaunt sind die Grünen. Auf die ehemalige Koalitionspartei kommt es noch einmal an, wenn in dieser Woche der Weg für Schuldenbremse und Sondervermögen freigemacht werden soll. Für die Grünen ist aber noch „alles offen“.


Willkommen am Platz der Republik.

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Was wichtig wird

1.

Demokratie ist Kompromiss, diese Erkenntnis ist ausgelutscht. Wie wahr sie ist, zeigt sich aber nach der Sondierungseinigung einmal mehr. Nach der Einigung zwischen CDU, CSU und SPD auf ein gemeinsames Papier und auf die Verabredung, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, knirscht es in den Parteien. Die Union hat bei ihren Anhängern mit der Einigung beim Thema Migration und Bürgergeld geliefert.


Das war teuer. Die Erwartungen waren hoch, nachdem die Konservativen sich beim Thema Schuldenbremse ziemlich verbogen und die Unterstützung der SPD mit einem Infrastrukturpaket für eine halbe Billion Euro erkauft haben. Jetzt ist es an der SPD-Spitze, die Einigung den Genossinnen und Genossen als guten Deal zu verkaufen, denn in der Partei wird per Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag abgestimmt.


„Fette Kröte“ zu schlucken: War das Sondervermögen am Ende zu teuer erkauft, wenn man nun mit der Union einen solch harten Kurs in der Einwanderungs- und Asylpolitik fahren muss? „Der Migrationsteil ist eine sehr fette Kröte“, sagte die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier SZ Dossier. Kritik kommt auch von Juso-Chef Philipp Türmer. Dem Spiegel sagte er, für den SPD-Nachwuchs seien „derartige, massive und menschenrechtswidrige Verschärfungen untragbar“.


Haltungsnoten. Aber was bleibt der SPD, die sich mal eine Volkspartei nannte und deren Co-Chef Klingbeil immer wieder davon spricht, dass die Sozialdemokraten Verantwortung tragen müssten für das Land, anderes übrig? Wenn sie den Deal nicht eingeht, kann es keine Regierung geben in Deutschland, jenseits der AfD. Käme es dazu, hätte man sich im Willy-Brandt-Haus die Haltung wohl zu viel kosten lassen. Ein erstes Stimmungsbild wird es heute geben, wenn die Verhandlerinnen und Verhandler vor den Fraktionen erscheinen.

2.

Ein Großteil der Pläne, die Union und SPD in ihr Papier geschrieben haben, würde sich allerdings in Wohlgefallen auflösen, wenn sie die Grünen nicht ins Boot geholt bekämen. Hier müssen Merz, Söder und Klingbeil in den kommenden Tagen noch Überzeugungsarbeit leisten – inhaltlich und atmosphärisch. „Von einer Zustimmung sind wir heute weiter entfernt als in den letzten Tagen“, sagte Parteichef Felix Banaszak am Samstagnachmittag. Nun galt es, Kritikwürdiges zu finden.


Keine Geschenke, bitte: Die Grünen verlegten sich in ihrer Kritik darauf, wovor vier Spitzenökonomen in ihrem Papier zum Auftakt der Sondierungen gewarnt hatten. Dass nämlich die zusätzlichen Finanzmittel, die etwa per Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden sollen, nicht nur für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur genutzt würden, „sondern für Wahlversprechen“, sagte Parteichefin Franziska Brantner gestern. Als Beispiel nannte sie die Pläne von Union und SPD bei der Mütterrente und der Pendlerpauschale. Die Grünen stünden aber weiterhin zur Verfügung, um über zusätzliche Infrastrukturgelder, Verteidigungsfähigkeit und Maßnahmen für den Klimaschutz zu verhandeln.


Mehr Geld für die Länder, bitte: Die grünen Landespolitiker Mona Neubaur (Wirtschaftsministerin in NRW), Danyal Bayaz (Finanzminister in Baden-Württemberg) und Björn Fecker (Bürgermeister und Senator für Finanzen in Bremen) fordern darüber hinaus, dass Ausgaben für Verteidigung erst ab einer Höhe von 1,5 Prozent von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Der vorgeschlagene Wert von einem Prozent sei „zu ambitionslos“ und würde es ermöglichen, „einen Teil der bisherigen Verteidigungsausgaben einfach über Kredite zu finanzieren, um so neue Spielräume im Kernhaushalt zu schaffen“. Außerdem fordern sie nicht 100, sondern „mindestens 200 Mrd.“ für die Länder.


Mehr Stil, bitte. Es sei ja normalerweise so, sagte Banaszak: „Wenn all meine Versprechen darauf aufbauen, dass ein Dritter zustimmt, spreche ich vielleicht vorher mit dem Dritten, bevor ich die Öffentlichkeit über das informiere, was ich vorhabe.“ Stil sei in der Politik nicht zu unterschätzen. „Friedrich Merz hat da noch sehr viel Luft nach oben.“ Der CDU-Chef wiederum kündigte gestern im Interview mit dem Deutschlandfunk an, in dieser Woche „umfassend mit den Grünen, mit der Fraktions- und Parteispitze“ zu sprechen.

3.

Söder wollte ja keine Gewinner und Verlierer kennen, aber natürlich kehrte der CSU-Chef hervor, was er alles ins Sondierungspapier hineinverhandelt hatte: Mütterrente, Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie, bessere Verkehrsanbindungen nach Tschechien. Und vielleicht kommt eine Reform der Wahlrechtsreform, die besonders die CSU traf.


Schelte vom Altvorderen: Aber da hat der bayerische Landesvater die Rechnung ohne seinen Vorgänger gemacht. Horst Seehofer, der Erfinder der „Obergrenze“ meldete sich aus dem Ruhestand via Bild am Sonntag zu Wort und stellte der Union ein schlechtes Sondierungszeugnis aus. Mit den Plänen für neue Schulden begingen CDU und CSU „Wortbruch“. Es sei das „Gegenteil dessen, was wir vor der Wahl gesagt haben“, so Seehofer.


Aiwanger nicht vergessen: Neben ehemaligen Parteifreunden muss Söder auch noch seine Koalitionspartner dahoam zufriedenstellen. Denn ohne Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, könnte Bayern im Bundesrat nicht für die Gesetzesänderung zur Reform der Schuldenbremse stimmen; er muss also auch noch etwas bekommen. Sonst würde die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat wanken und das ganze Projekt stünde auf der Kippe.

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Tiefgang

Deutschland muss mehr für seine Verteidigung ausgeben. Das wird teuer – und entsprechend werden die Pläne als Belastung angesehen. Ein Fehler. Denn damit übersieht man die sich bietenden Chancen: Richtig angewendet können höhere Verteidigungsausgaben in vielen Bereichen eine neue Dynamik entfachen.


Die Chancen sind Wachstum, Arbeitsplätze bis hin zu Innovationen. Mehr noch: Die genannten Effekte wären nicht auf die Rüstungsindustrie begrenzt, sondern würden der gesamten Volkswirtschaft nutzen.


Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat errechnet, dass das gesamteuropäische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,9 bis 1,5 Prozent im Jahr steigen könnte, wenn die EU-Staaten ihre Militärausgaben auf 3,5 Prozent des BIP anheben und dabei verstärkt auf heimische Hightech-Waffen setzen.


Die Beratungsgesellschaft EY und die Dekabank kommen in eigenen Studie zu dem Schluss: Die Steigerung der Verteidigungsausgaben allein auf drei Prozent des BIP schaffe beziehungsweise sichere zusätzliche 660 000 Arbeitsplätze in Europa. Die Länder mit den höchsten Beschäftigungseffekten wären Deutschland, Polen und das Vereinigte Königreich. „Allein in Deutschland sichern diese Investitionen unmittelbar mehr als 137 000 Arbeitsplätze“, stellt Deka-Vorstand Matthias Danne fest.


In einem ersten Schritt würde vor allem die Rüstungsindustrie profitieren. Aber: Während in anderen industriellen Branchen Beschäftigung abgebaut wird, kann eine wachsende Sicherheitsindustrie auch Arbeitskräfte aus Branchen aufnehmen, die sich im Umbruch befinden – etwa aus der Automobilzulieferindustrie oder dem Maschinenbau.


Erste Beispiele dafür gibt es bereits. Die Firma Hensoldt aus Taufkirchen bei München baut Hochleistungsradare, die auch in der Ukraine eingesetzt werden. Aktuell diskutiert man mit den Autozulieferern Bosch und Continental, ob man deren Beschäftigte übernehmen könne. Rheinmetall ist in ähnlichen Verhandlungen. Und der deutsch-französische Panzerbauer KNDS will in Görlitz Mitarbeitende des Bahntechnik-Konzerns Alstom übernehmen.


Ein größerer Anteil der Verteidigungsausgaben sollte zudem in Forschung und Entwicklung fließen, um ein Ökosystem für eine moderne Rüstungsindustrie zu schaffen. Gerade die Spitzenreiter wie die USA oder Israel zeigen, dass Investitionen in die Rüstungsbranche auch positive Effekte auf die gesamte Volkswirtschaft haben können.


In den USA fungiert die 1958 gegründete „Defense Advanced Research Projects Agency“ (Darpa) als zentraler Treiber industriepolitischer Erfolge. Ihre technologischen Durchbrüche im militärischen Bereich haben immer wieder auch im Zivilen ihren Nutzen entfalten können. Die Liste der Erfolge ist lang: von Internet und Düsenantrieb über die Satellitennavigation via GPS bis hin zu Digitalkameras, Nylonstrümpfen oder mRNA-Impfstoffen.


Doch Deutschland hinkt hier hinterher. Von den zuletzt 52 Milliarden Euro im Ver­teidigungsetat wurden gerade einmal zwei Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung gesteckt. Das muss deutlich mehr werden.


Die europäischen Regierungen sollten dafür sorgen, dass ein größerer Teil ihrer Militärausgaben in Europa bleibt. Derzeit stammen rund 80 Prozent ihrer Beschaffungen von Unternehmen außerhalb der Europäischen Union. Doch vor allem eine heimische Produktion kann die technologischen Spillover-Effekte auf andere Industrien erzeugen – und dort Produktivitätsgewinne möglich machen. Michael Radunski


Dieser Text erschien zuerst in unserem Dossier Geoökonomie, das Sie zwei Wochen lang kostenlos testen können.

Fast übersehen

5.

Die ersten sagen schon nein: Die Regierung in Wien begrüßt zwar grundsätzlich die von den deutschen Sondierern angekündigte restriktive Zuwanderungspolitik – aber nicht deren Folgen. Österreich werde von Deutschland zurückgewiesene Asylbewerber nicht annehmen, teilte das Innenministerium in Wien der Deutschen Presse-Agentur mit; nun ja.


Zur Not die Notfallklausel: Gleichzeitig kündigte das Kanzleramt des ÖVP-Regierungschefs Christian Stocker Maßnahmen an, falls deutsche Zurückweisungen den Migrationsdruck auf Österreich erhöhen würden. Sollten die zuletzt sinkenden Asylzahlen wieder steigen, werde Österreich die EU-Notfallklausel auslösen und gar keine neuen Anträge mehr annehmen.

6.

Nicht nur fast, sondern ganz übersehen: Der Globale Süden und dessen Herausforderungen waren absolut kein Thema in der Berichterstattung zum Bundestagswahlkampf. Wie eine Auswertung der European Journalism Observatory zeigt, fanden die Kriege und die humanitäre Lage in den Bürgerkriegsländern Jemen, Sudan und der Demokratischen Republik Kongo und auch der Nahostkonflikt in fast allen wichtigen Wahlsendungen keinen Platz.


Außenpolitik spielte keine Rolle: Die dominierenden Themen waren der Analyse zufolge Migration und innere Sicherheit, die wirtschaftliche Lage, der Ukraine-Krieg, das Gesundheitssystem und die Pflege sowie die Zusammenarbeit mit der AfD. Allen Sendungen war ein übergroßer innenpolitischer Anteil gemein, fast 90 Prozent der Sendezeit bezog sich auf die Bundesrepublik.

Unter eins

Die Politik muss endlich in der Praxis liefern, was sie seit Jahren verspricht: Humanität und Ordnung gleichzeitig zu gewährleisten.

Der Migrationsexperte und Forscher Daniel Thym warnt im SZ-Interview davor, Asylbewerber pauschal zurückzuweisen

Zu guter Letzt

Die Europäer haben zu lange geschlafen. Jetzt sind sie aufgewacht und werden beim Blick aufs Smartphone überrollt von Katastrophennachrichten, Rechtsruck und bullshit terror aus dem Weißen Haus: Herfried Münkler seziert im SZ-Interview die Verfehlungen der Politik, angemessen auf die neuen Realitäten zu reagieren, wie auf eine zweite Amtszeit unter US-Präsident Donald Trump.


„Aber abgesehen vom Problem Trump hat Europa es auch versäumt, sich innere Strukturen zu geben, um im Widerstreit großer Mächte ein Akteur sein zu können“, sagte Münkler.


Man kommt in den Genuss der Gedanken des erfolgreichen Politikerklärers Münkler, der es auch versteht, trotz allem nicht zu pessimistisch zu werden. „Demokratie ist ein dauerhaftes Experiment. Man muss regieren mit Leuten, die möglicherweise weder Empathie noch Verstand haben.“


Wer noch mehr Münkler will: In dieser Woche erscheint sein neues Buch „Macht im Umbruch“ bei Rowohlt.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier