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Nutzungsrechte erwerbenWas 2024 wichtig wird
Freitag, 5. Januar 2024Von Florian Eder
Schnelldurchlauf:
Globales Superwahljahr +++ KI wird konkret +++ Die zwei Kriege +++ Ampeleien +++ Subventionswettlauf vs. Schuldenbremse +++ Neue Nachbarn, alte Prioritäten +++ Wer möchte da nicht Opposition sein +++ Aufwärts, vorwärts, seitwärts? +++ Wie die Justiz Trump aufhalten könnte
Guten Morgen! Willkommen zum ersten Platz der Republik 2024, und ein frohes neues Jahr. Wie wird es werden? Schauen wir uns das Jahr in neun Wegmarken an, die uns helfen werden, diese Frage zu beantworten.
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und Sie selbst dabeisein mögen: Hier entlang zur kostenlosen Registrierung. Der Platz der Republik erscheint derzeit jeden Freitag, bald täglich und mit dem Ziel, Ihre liebste Morgenroutine im Politikbetrieb zu werden – für mich und uns alle bei SZ Dossier noch eine Wegmarke dafür, wie das Jahr wird.
Was 2024 wichtig wird
Im Superwahljahr 2024 sind rund zwei Milliarden Menschen aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, darunter die in den größten Demokratien der Welt: In Indien wird das Parlament gewählt, in Indonesien sind Präsidentschaftswahlen. In einem Drittel der EU-Länder werden Regierung oder Staatsspitze neu bestimmt. Die Wahlen zum Europaparlament im Juni eröffnen den nächsten institutionellen Zyklus in der EU und die Aussicht auf die Landtagswahlen im Herbst bestimmt heute schon die Berliner Agenda; viel mehr als die Präsidentschaftswahl in den USA, trotz deren potenziell dramatischeren Auswirkungen.
Die Attraktion der Wahl: Die Kraft der demokratischen Übung wird auch dadurch deutlich, dass selbst Autokraten, Diktatoren und Verbrecher in höchsten Staatsämtern darauf Wert legen, Wahlen vorzutäuschen: Mitte März wählt Russland einen alten Präsidenten und sogar Nordkoreaner müssen tun als ob. Wer sich der Kraft der Unterdrückung allein nicht mehr sicher sein kann, hat neue Möglichkeiten der Manipulation – eigener und fremder Wahlen.
Worauf wir achten: Wahlkämpfe werden hart und schmutzig, das ist erwartbar. Die Kraft generativer KI dabei wird erstmals im großen Stil eine entscheidende Rolle spielen – Regeln zur Moderation von Inhalten kommen aber zum ersten Mal zum Einsatz, und die Teams dafür bei den Unternehmen sind noch eher klein: Es wird ein Experiment am offenen Herzen der Demokratie.
2023 war ein Jahr des Experimentierens oft spielerischer Art – mehr als 100 Millionen Nutzer probierten KI-Anwendungen wie ChatGPT von OpenAI aus – für Gags, Seminararbeiten und Bilder wie den Papst in einer Rapper-Jacke. Aber noch gibt es wenige kommerziell erfolgreiche Anwendungen: Datensicherheit, Urheberrechtsfragen, die erst werdende EU-Regulierung und die ungute Angewohnheit der Bots, sich Fakten einfach zu erfinden, stehen dagegen.
Warum das wichtig wird: Das Experimentieren wird in diesem Jahr zugunsten von Anwendungen abnehmen, allein, weil der Rechtsrahmen beginnt zu stehen. Der neue AI Act der EU beschränkt die Anwendung in Hochrisikobereichen. In diesem Jahr liege der Fokus auf seiner Implementierung, um einen „rechtssicheren Rahmen für vertrauenswürdige KI ‚Made in Europe‘ zu schaffen“, sagte Franziska Brantner SZ Dossier, die Grüne Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium – wobei eine einheitliche Umsetzung für ein europäisches level playing field besonders wichtig sei.
Blick in die USA: Die US-Regierung muss erst noch überzeugt werden, dass eine so einflussreiche Technologie bei ihren nationalen Champions in guten Händen ist und schaut ebenfalls auf die Anwendung. Gerichte werden das ihre dazu tun, die Governance Künstlicher Intelligenz zu schärfen.
Worauf wir achten: Die New York Times hat OpenAI und Microsoft wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt. Manche Anbieter lassen Bereitschaft erkennen, für Inhalte zu zahlen, mit denen sie ihre Modelle trainieren, siehe den im Dezember für einen zweistelligen Millionenbetrag geschlossenen Deal zwischen Open AI und Axel Springer. So oder so, noch braucht die KI Medien und ihre Inhalte.
Neue Taste: Microsoft ist so überzeugt davon, dass KI die Zukunft ist, dass es auf der Tastatur von Windows-PCs eine Taste für seinen KI-Assistenten Copilot einrichtet. Das teilte das Unternehmen gestern mit. Auf der CES nächste Woche geht es los, zum Jahresende werden die neuen Maschinen überall im Handel sein.
Russland testet die Bereitschaft der USA, dem Verbündeten Ukraine beizustehen. Iran und seine Proxies testen die Bereitschaft der US-Regierung, dem Verbündeten Israel beizustehen; China könnte auf die Idee kommen, die Bereitschaft der USA zu testen, dem Verbündeten Taiwan beizustehen – das alles bei rapide schwindendem Interesse an außenpolitischen Dingen in Amerika selbst, jedenfalls bei einer zunehmenden gesellschaftlichen Überlagerung von globalen Interessen durch Haltung.
Historische Flughöhe: Niall Ferguson, der Weltgeschichte als Geschichte der Imperien betrachtet, diagnostizierte diese Woche das Ende der pax americana, elf Monate vor und unabhängig von der Präsidentenwahl. Bundeskanzler Olaf Scholz kommt zum konkreten, weniger weitreichenden Schluss, Putin setze darauf, dass die internationale Unterstützung der Ukraine nachlasse. „Die Gefahr, dass dieses Kalkül aufgehen könnte, ist nicht von der Hand zu weisen“, sagte er im Dezember.
Wir sind weit gekommen, gemessen an den Anfängen: Das Unterstützungsangebot für das überfallene Land begann mit 5000 Helmen; nach Waffen, Fahrzeugen und Munition liegt der Bedarf bei heutiger Frontlage bei Marschflugkörpern, die zu liefern die Bundesregierung nach Auskunft des Regierungssprechers lieber weiter abwägen möchte.
Se vis pacem: Allein, Anfang 2024 ist die Lage damit wieder dieselbe wie seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine: Die Leitlinien der Außenpolitik gibt die sozialdemokratische Hoffnung vor, dass Russland irgendwann noch gebraucht werde – nicht, dass Russland eines Tages weitere Ziele in Europa, weiter westlich, angreifen könne.
Innenpolitisch hat die Koalition große Baustellen weiter offen: Klima, Infrastruktur, Digitalisierung, Bürokratie. Die Lust darauf scheint gedämpft; es mussten auch im neuen Jahr zunächst Beschlüsse von vor wenigen Wochen zurückgenommen werden, die geplanten Kürzungen von Subventionen für Landwirte diesmal. Wie die Bundesregierung gestern mitteilte, soll es doch keine Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft geben.
Zustand der Debatte: Vertreter von SPD und Grünen nutzten die erste Gelegenheit des jungen Jahres, zu der man beispielsweise eine Debatte über Klimafolgenabschätzung hätte beginnen können – das Hochwasser in Niedersachsen – um die Aussetzung der Schuldenbremse zu fordern. Die FDP hat damit nicht nur eine knappe Mehrheit ihrer Mitglieder, sondern zu Beginn des Jahres und ihres Dreikönigstreffens vorerst weiterhin ein Argument für ihren Verbleib in der Koalition.
Hält die Ampel? Wer weiß das schon? Und wenn nicht, ja mei: Wer wäre ganz arg traurig? Nicht sehr viele Bundesbürger, glaubt man den Umfragen. Daraus Legitimation oder deren Fehlen abzuleiten, wäre überheblich, weil nichts aus ihnen folgt. Sie zu ignorieren ist gefährlich, deswegen tut es ja trotz aller gegenteiligen Beteuerungen kein einziger Profi, den wir kennen. Die Ampelparteien haben derzeit zusammen genau so viel Zustimmung wie die CDU/CSU; die Kanzlerpartei ist abgeschlagen dritte Kraft, weit hinter der AfD.
🙃 „Sozialdemokratisches Jahrzehnt“? Der Zufriedenheitswert von Scholz erreichte im gestern Abend veröffentlichten ARD-Deutschlandtrend ein weiteres Rekordtief: nur 19 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit des Kanzlers zufrieden. Die Union hat es aber beim letzten Mal auch verstanden, entscheidend ihren Beitrag dazu zu leisten, wer Kanzler wurde – es ist eine dünne Decke der Hoffnung auf ein zweites Mal, in die Scholz sich kuschelt.
Ora si sussurra: Dass die Repubblica die Räuberpistole von einem Kanzlertausch von Scholz zu Boris Pistorius aufschreibt, geschenkt. Dass außer Bild niemand die Geschichte aufnahm, liegt nicht an mangelnder Freude im Berliner Pressecorps, sich randständige und launige Szenarien erzählen zu lassen. Hierzulande wäre es halt doch immer noch verwegen, was in Rom übliche Praxis ist: als Quellenangabe bloß ein „flüstert man in Berlin“ zu schreiben.
Die USA starten mit dem Inflation Reduction Act das größte Subventionsprogramm seit Generationen: Steuervergünstigungen, günstige Kredite und Zuschüsse sollen neue Fabriken für Solarpaneele, Windkraftanlagen, Halbleiter, Elektroautos, Batterien und vieles mehr entstehen lassen.
Wer ist betroffen? Das hat Auswirkungen auf andere Regierungen – wie die deutsche, die mithalten möchte, aber nicht kann, wie sie will. Hier eine grafische Idee davon, wo in Deutschland und Europa ansässigen Unternehmen neuer Wettbewerb besonders schaden könnte.
Polens neue Regierung ist im Amt und schon der Streit um die Rückabwicklung der zu Propagandainstrumenten verkommenen einstigen öffentlichen Medien und damit verbunden, um das Haushaltsgesetz 2024 zwischen Regierung und Präsident, sollte ausreichen, um in Berlin zu verdeutlichen, dass es knapp 600 km weiter östlich um eine Bemühung zur Wiederherstellung der Demokratie geht und nicht bloß um einen Regierungswechsel.
Warten auf ein Zeichen: Donald Tusk war noch nicht in Berlin zum Antrittsbesuch; von Aufbruch, neuer Zeit und neuem Leben für eine so wichtige Partnerschaft ist in Berlin nirgendwo die Rede, nicht mal ein Flüstern. Geschweige denn von einem großzügigen Zeichen wie es eines wäre, über Polens Reparationsforderungen zu sprechen, jetzt, da man endlich wieder mit den Nachbarn sprechen kann.
Warschau statt Paris? Es wäre nebenbei eine Gelegenheit für eine neue Erzählung im Jahr der Europawahl, und wer könnte glaubwürdiger aufstehen gegen Russland und für Kyiv als Berlin und Warschau zusammen. Die Erzählung mit der deutsch-französischen Achse droht eh zur Folklore zu verkommen, wenn nur uneigentlich über sie gesprochen wird, wenn so deutlich zutage tritt, dass sich die Führungskräfte nichts zu sagen haben.
Worauf wir achten im Jahr der Europawahl: Die Fähigkeit des Bundskanzlers zu großen europäischen Zeichen hat sich bisher in Fischbrötchen für Emmanuel Macron erschöpft.
Wertegeleitet, digital, wer hätte da sonst noch Wünsche an die Außenpolitik? Der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres werde im Herbst 2024 zu einem Zukunftsgipfel einladen, sagte Deutschlands Cyber-Botschafterin Regine Grienberger. Globale Digitalpolitik soll dabei eine wichtige Rolle spielen: „Das Auswärtige Amt trägt aktiv zu einem Globalen Digitalpakt bei, der Chancen der digitalen Transformation und Verpflichtungen der Staaten beschreiben wird“, sagte Grienberger SZ Dossier.
Zur Opposition. Die fordert, Kernenergie weiterzunutzen und Klimakleber schneller ins Gefängnis zu stecken. Nehmen wir ein Beschlusspapier der CSU-Landesgruppe im Bundestag, die am Wochenende in Seeon tagt: Demnach wird sich die Union vor allem mit der Energieversorgung, der Wirtschaftslage und innerer Sicherheit beschäftigen. (Sonst eher damit, wie lieb die SPD sich am CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz abarbeitet.)
Was nicht in Programmen steht: Migration will die Union nicht aktiv zum Thema kommender Wahlkämpfe machen – die EU-Einigung auf ein Migrationspaket kurz vor Weihnachten erlaubt vielleicht eine zivilisierte Debatte der politischen Wettbewerber – wenn es denn um Gesetzgebung ginge, nicht um Identitätsfragen.
Deutschland 2024: Caren Miosga, die neue Moderatorin der wichtigsten Politik-Talkshow in der ARD, machte diese Woche Schlagzeilen mit der Ankündigung, sie werde auch Politikerinnen und Politiker der AfD einladen, der zweitgrößten Oppositionsfraktion im Bundestag und deutschlandweit in Umfragen zweitgrößten Partei. Ein Elefant? Ist hier keiner zu sehen.
Trumpf oder kritisch: Während die Linke versucht, sich neu aufzustellen, hat Sahra Wagenknecht für Montag in die Bundespressekonferenz eingeladen – sie stellt die Spitzenkandidaten zur Europawahl vor, darunter wohl Fabio de Masi. Der ehemalige Bundestags- und Europaabgeordnete hat sich einen guten Ruf als Aufklärer diverser Schmutzeleien in des Kanzlers, nun, engem Umfeld erarbeitet, sowohl was Cum-Ex angeht als auch Wirecard. Er wäre ein Trumpf gegen die Regierung und ihren Chef, jedenfalls war er das, bis gestern bekannt wurde, dass er sich Wagenknecht anschließt.
Meine Kollegen vom Dossier Digitalwende haben Entscheiderinnen und Entscheider gefragt, was sie 2024 erwarten. Geantwortet hat unter anderem auch Digitalminister Volker Wissing.
Weiter, immer weiter: In seinem Bereich sei 2024 eine ruhige Hand bei der Umsetzung der Digitalstrategie angesagt, sagte Wissing SZ Dossier. „Wir als Bundesregierung halten Kurs und arbeiten gemeinsam mit vereinten Kräften daran“, sagte Wissing. Ziel sei, dass die Bürger die „vielfältigen Vorteile des digitalen Wandels – von leistungsfähigerer Internetverbindung bis hin zu Anwendungen von Künstlicher Intelligenz“ stärker nutzen können.
Plausibilitätsprüfung: Der Branchenverband Bitkom rechnete die Woche vor, dass erst 60 von 334 Digitalprojekten dieser Legislaturperiode umgesetzt wurden, 22 davon im zweiten Halbjahr 2023. Wissings Haus, so der Branchenverband, hat im letzten Quartal kein einziges Projekt abgeschlossen. Da ist noch etwas Luft nach oben.
Wir bleiben dran, und Sie können hier unser Dossier Digitalwende kostenlos testen.
Die Frage der Fragen des Jahres: Schafft Donald Trump ein Comeback und setzt sich durch im Kampf der alten Männer um das Amt, das frühere Inhaber zu Anführern der freien Welt machte? Die Kommentarseiten sind seit Monaten voll mit unzulänglichen Antwortversuchen; am Ende werden diese Antwort doch Wählerinnen und Wähler in den USA geben müssen, im Wissen um das gelegentlich auch in Amerika als bizarr empfundene indirekte Wahlsystem.
Worauf wir bis zum 5. November achten: Trump ist Angeklagter in vier Strafprozessen, die im Laufe des Jahres zur Verhandlung angesetzt sind; das wichtigste davon ist das von Sonderermittler Jack Smith wegen versuchten Wahlbetrugs 2020 nach Bundesrecht angestrengte Verfahren. Trump liegt in etlichen Umfragen vorn, könnte aber deutliche Einbußen verzeichnen, sollte er am Wahltag vorbestraft sein. Das ist das eine Ergebnis, das viele jüngere Umfragen nahelegen (für die NYT, Reuters und, mit geringerem Ausschlag, auch das WSJ).
Wie kommt’s? Trump und MAGA-Republikaner haben versucht, den Freiheitsbegriff zu kapern. (In geringfügig weniger ordinärer Form passiert so etwas auch in Deutschland.) Die verfassungsmäßige Freiheit der Stimmabgabe aber lässt sich auch ein gespaltenes Amerika nicht nehmen; das zeigte unter anderem die hohe Wahlbeteiligung in den Midterms 2022 dort, wo Trump-Fans kandidieren. Ins höchste Amt gewählt zu werden als jemand, der diese Freiheit versucht zu untergraben, wird schwer – und die Justiz, die auch wegen des Jury-Systems hohe Glaubwürdigkeit genießt, spielt eine tragende Rolle dabei, einen solchen Verdacht zu beweisen.
Bidens Sprechzettel: Präsident Joe Biden wird den Sturm auf das Kapitol ins Zentrum seines Wahlkampfs stellen, berichten US-Medien (hier etwa Axios). Bidens Wahlkampfmanagerin Julie Chávez Rodríguez sagte Reportern bei einem Call, in dem sie auf eine große Rede heute vorausschaute: „Wir führen einen Wahlkampf, als ob das Schicksal unserer Demokratie davon abhängt – weil es so ist.“
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