Wie die AfD-Guerilla Tiktok manipuliert
Süddeutsche Zeitung Dossier
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Freitag, 24. Mai 2024
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Von Felix Kartte

mit Christina Brause und Benjamin Läpple

Schnelldurchlauf:

Wie eine AfD-Guerilla Tiktok manipuliert +++ EU-Kommission warnt TikTok +++ Exklusiv: Welches Medium die AfD am meisten liebt +++ Was Politikerinnen gegen digitale Gewalt tun können



Guten Tag. Erst musste sich der Europa-Spitzenkandidat der AfD Maximilian Krah aus dem Bundesvorstand seiner Partei verabschieden, dann wurde seine Partei gestern aus der Rechtsaußen-Fraktion ID im Europaparlament ausgeschlossen, denn vor allem Frankreichs extreme Rechte sieht Krah inzwischen als Wahlkampfrisiko.


Dennoch – oder gerade deshalb – bleibt Krah das Zugpferd der AfD im Netz. Unsere Analyse zeigt: Auf Tiktok hat sich um ihn herum eine selbst ernannte Guerilla formiert – ein gut organisiertes Netzwerk von AfD-nahen Aktivisten und Sympathisanten, die ihren Helden mit allen Mitteln verteidigen. Auch gegen Tiktoks eigene Content-Moderatoren.


In den kommenden fünf Wochen informieren wir hier jeden Freitag über den Infokrieg im Internet rund um die Europawahl. Wenn Ihnen diese E-Mail weitergeleitet wurde, hier entlang zur kostenfreien Registrierung.

Angriff

1.

Die Woche im Infokrieg

Vor den Wahlen in Indien wurden Wähler mindestens 50 Millionen Mal zur Zielscheibe so genannter Robocalls – Anrufen also, in denen die Stimmen von Politikern mittels KI gefälscht wurden.


Analysten haben eine prorussische E-Mail-Kampagne aufgedeckt, die darauf abzielte, Faktenprüfer und Nachrichtenredaktionen in die Irre zu führen.


Auf TikTok und X kursieren weiter Falschinformationen, die Wähler davon abhalten sollen, bei der Europawahl ihre Stimme abzugeben.


Gemeinsam mit 15 weiteren EU-Staaten hat Deutschland 20 Vorschläge gemacht, um die europäische Demokratie besser vor Desinformation zu schützen.


Auf Facebook richtet sich prorussiche Kampagne vor der Europawahl unter anderem gegen Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron.

2.

Wie die AfD Tiktok manipuliert

Ende März schränkte Tiktok Krahs Account ein. Seine Videos sollten Nutzern nicht mehr im zentralen „For You“-Feed angezeigt werden. Außerdem löschte das Unternehmen mehrere Beiträge des AfD-Politikers mit Verweis auf die eigenen Richtlinien: Krah habe wiederholt die Mär vom „Great Replacement“ verbreitet, jener rassistischen Erzählung, derzufolge finstere Eliten Europas weiße Mehrheit gegen Menschen anderer Hautfarbe austauschen wollten.


Tiktoks Durchgriff wirkte, zumindest schien es so. Zwei Monate nachdem die Plattform Krah aus den Feeds verbannt hatte, ist die Reichweite seiner Videos implodiert. Hatten seine Beiträge vorher teils noch über eine Million Aufrufe erzielt, lagen die Zugriffszahlen nun oft unter Zehntausend.


Doch so schnell gibt sich die AfD nicht geschlagen, schon gar nicht auf der Plattform, der sie so viel Reichweite zu verdanken hat. In einem Video, das auf einem Telegram-Kanal namens „TikTok-Guerilla“ veröffentlicht wurde, fordert Krah seine Anhänger auf, seine Videos herunterzuladen, zu schneiden und über ihre persönlichen Accounts wieder auf die Plattform zu stellen. So könnten Fans TikToks vermeintlicher Zensur trotzen.


Tiktok-Guerilla: Wie AfD-nahe Aktivisten Tiktok manipulieren

Aus dem Aufruf erwuchs schnell eine Kampagne: „Wir bilden gerade eine rechte TikTok-Armee aus“, schreibt ein bekannter AfD-naher Aktivist auf der Plattform X. Über den Kanal wird Videomaterial zum Download bereitgestellt. Gut sortiert finden sich dort Tutorials, etwa zum Thema „Virale Videos schneiden“. Nutzer, die Krah so besonders hohe View-Zahlen bescheren, können Smartphones gewinnen. Am 26. Mai wird wieder ein neues Samsung-Modell verlost.


Die Guerilla-Taktik geht auf: „Trotz offener Zensur hunderttausende und Millionen Views auf TikTok“, freute sich der AfD-nahe Aktivist, der als Organisator der Kampagne auftritt, auf X. Unsere eigene Datenanalyse gibt ihm recht: Knapp 500 Krah-Videos, die von der selbst ernannten Guerilla unter dem Hashtag #Krahtok ins Netz gestellt wurden, verbuchen bislang mehr als zehn Millionen Aufrufe.


Der nächste rechte Schmarrn: Zuletzt verbreiteten seine Anhänger ein Video, in dem Krah anlässlich des anstehenden Monats Juni, den LGBTIQ-Gruppen auf der ganzen Welt als „Pride-Monat“ feiern, die Regenbogenflagge als Symbol für die „Vernichtung der Familie“ bezeichnet. Ob es sich dabei um einen weiteren Regelverstoß handelt, ist aktuell nicht klar. Tiktok hat bislang nicht auf unsere Nachfrage geantwortet.

3.

Wie die EU-Kommission reagiert

Die EU-Kommission betrachtet das Treiben der AfD auf Tiktok mit einigem Argwohn. Věra Jourová ist als Vizepräsidentin zuständig für den Kampf gegen Desinformation. „Fälle wie dieser zeigen, dass ständig versucht wird, die Plattformen auszutricksen und zu missbrauchen“, sagte sie SZ Dossier. Seit Inkrafttreten des Digital Services Act, des Gesetzes für Digitale Dienste, wacht die Kommission über Tech-Konzerne wie Tiktok und Google – hiermit fordert sie sie heraus.


Jourová hat den Schutz der Europawahl zur Priorität erklärt. Nächste Woche fliegt die tschechische Politikerin in die USA. Sie wolle von den Tech-Konzernen selbst hören, wie gut sie vorbereitet seien auf die vielfachen Manipulationsversuche vor der Europawahl. „Meine Botschaft wird deutlich sein: Die Plattformen müssen sehr genau aufpassen und ihre Bemühungen verstärken, sich an das Gesetz zu halten und ihre eigenen Richtlinien durchzusetzen, ganz besonders vor einer Wahl“, sagte sie uns.


Einen Aufruf richtete Jourová auch an die AfD selbst: „Alle politischen Parteien, auch die ID-Fraktion, zu der die AfD gehörte, haben kürzlich einen Verhaltenskodex für den Europa-Wahlkampf unterschrieben“. Dazu gehört auch das Versprechen, im Netz nicht mit schmutzigen Tricks zu spielen. „Ich fordere alle Parteien und Kandidaten auf, diese Selbstverpflichtung einzuhalten“, sagte sie SZ Dossier.

4.

Wen die AfD am meisten liebt

Der Kampf um Reichweite polarisiert in Deutschland nicht nur die Politik, sondern zunehmend auch die Medienlandschaft. Das Online-Portal Nius, gegründet vom ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, hat sich der Mission verschrieben, den vermeintlich linksgrünen Mainstream in den Medien zu bekämpfen. Das gab Nius-Finanzier Frank Gotthardt im Gespräch mit T-Online an. Die Datenanalyse von Benjamin Läpple zeigt, dass das Konzept von Nius aufgeht, zumindest den Zahlen nach.


Die Zahlen: Reichelts Redaktion hat seit Juli vergangenen Jahres mehr als 3000 Youtube-Videos veröffentlicht und damit mehr als 265 Millionen Views gesammelt. Auch auf Tiktok verbucht das Angebot von Nius fast 200 Millionen Aufrufe. Allein in diesem Jahr erreichten die Videos des Nius-Hauptkanals auf Tiktok mehr als 26 Millionen Views. Das Flaggschiff-Format „Achtung Reichelt“ verzeichnete sogar mehr als 33 Millionen Aufrufe. Zum Vergleich: Das populäre öffentlich-rechtliche Format Funk kommt im selben Zeitraum auf nicht einmal ein Drittel der Views.


Wechselseitige Ablehnung: Nius zahlt auch auf ein Phänomen ein, das Forscher „affektive Polarisierung“ nennen. Gemeint ist damit eine Spaltung der Gesellschaft nicht nur entlang unterschiedlicher Meinungen oder Weltbilder. Sie speist sich aus Ablehnung, Misstrauen oder sogar Hass gegenüber politisch andersdenkenden Gruppen. In Deutschland ist die gegenseitige Ablehnung laut Umfragen am stärksten zwischen Anhängern von AfD und Grünen ausgeprägt.


Genau sein Ding: Keine andere Partei wird auf Nius auch nur annähernd so häufig thematisiert wie die Grünen und ihr Spitzenpersonal. So wurde in Video-Titeln von Nius-Kanälen die Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang knapp 50-mal erwähnt. Annalena Baerbock taucht 63-mal, Robert Habeck sogar 198-mal auf. Die Grünen als Partei kamen bei Nius bislang über 300-mal vor. Die FDP wurde hingegen nur 31-mal genannt, die CDU 36-mal, die AfD 40-mal und die SPD 57-mal.


Die Grünen als Trigger-Thema: Das verfängt besonders bei der AfD. Kein anderes Medium haben die Bundestagsabgeordneten der Partei auf X/Twitter in diesem Jahr bislang so oft geteilt wie Nius, das zeigt unsere Analyse. Unter Accounts von Unions-Abgeordneten ist hingegen Bild das meistgeteilte Medium, gefolgt von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Welt. Die beiden letzteren führen auch bei der FDP. Bei SPD und Grünen dominieren hingegen der Spiegel und das Online-Angebot der Tagesschau. Auch unser Mutterschiff, die Süddeutsche Zeitung, kommt vor.


Dass Nius vor allem auf negative Gefühle setzt, um sein Publikum zu binden, zeigt auch eine Analyse der Emojis, die Facebook-Nutzer bei Nius hinterlassen haben: Unter den letzten 32 Posts machten Wut-Emojis knapp 60 Prozent aus.

Verteidigung

5.

Was Frauen gegen digitale Gewalt tun können

Die schmutzigen Tricks im Wahlkampf richten sich besonders häufig gegen Frauen. Wenn Frauen nach der Macht greifen, müssen sie sich viel gefallen lassen – oft zu viel, findet Jiore Craig, die als Digitalexpertin schon Kampagnen der US-Demokraten beraten hat. Craig hilft Frauen, sich auf Wahlkämpfe vorzubereiten, sich besser vor digitaler Gewalt, Hass und sexualisierten Angriffen zu schützen. „Gewaltandrohungen gegen Frauen in Führungspersonen sind viel persönlicher, viel sexueller“, sagte die Expertin SZ Dossier.


In den USA kämpft dagegen die linke Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Sie will die Verbreitung pornographischer Deep Fakes unter Strafe stellen, also nicht-einvernehmlicher, sexualisierte Darstellungen einer Person, die mit technischen Mitteln manipuliert, oder gänzlich fabriziert wurden. Im April hatte Ocasio-Cortez in einem Interview erklärt, selbst immer wieder Zielscheibe solcher Porno-Fakes zu werden – eine für sie traumatische Erfahrung, weil sie selbst auch schon körperliche sexuelle Gewalt erlebt habe, erzählte die Politikerin dem Rolling Stone.


Jiore Craig hat oft mit Frauen zu tun, die das Schicksal von Ocasio-Cortez teilen, trotzdem weiter Politik machen wollen. Die Schuld sieht Craig auch bei Social-Media-Unternehmen: „Sie zeigen konsequent, dass ihre Geschäftsinteressen wichtiger sind als die Sicherheit von Frauen oder sogar der Schutz der Menschenrechte.“ Gerade der Einzug der sogenannten generativer KI, Tools wie ChatGPT also, habe das Volumen sexualisierter Angriffe auf Frauen und selbst auf Kinder im Netz noch einmal erhöht.


Wirksamen Schutz gebe es bislang weder in den USA noch in Europa – auch in Hochphasen von Wahlkämpfen, wenn es also besonders dreckig wird im Netz, seien Frauen weitgehend auf sich allein gestellt. Insgesamt sei die Lage in Europa aber etwas besser als in den USA. Das liege einerseits daran, dass die EU etwa mit dem Digital Services Act inzwischen Gesetze erlassen habe, die Plattformbetreiber wie TikTok oder Instagram dazu zwingen, Nutzerinnen besser zu schützen. Verschlechtert werde die Lage in den USA indes dadurch, dass die Geldsummen, die in digitale Wahlkämpfe fließen, um ein Vielfaches höher seien, als in Europa. Geld, das eben auch in frauenfeindliche Hetzkampagnen finanziere.


Expertin Craig hat drei Tipps für Frauen, die Wahlkampf machen oder einfach öffentlich für ein Thema streiten. Erstens sollten sie physische und psychische Gesundheit gemeinsam denken: So sollten etwa Hass oder Morddrohungen sofort mit Screenshots dokumentiert werden, denn oft löschten die Verfasser diese Inhalte später. Genauso wichtig sei aber, sich schon vorsorglich Online-Communities zu suchen, in denen Menschen sich austauschen über ihre Erfahrungen mit dem Hass. Auch psychologische Unterstützung sei aber in vielen Fällen ratsam.


Zweitens sei es wichtig, in der Offensive zu bleiben, sich nicht in die Ecke drängen zu lassen: „Wenn irgendwie möglich, werden Sie nicht starr oder defensiv, egal wie niederträchtig, wie brutal der Angriff ist.“ Stattdessen solle die Attackierte versuchen, Gelassenheit zu demonstrieren, die Aufmerksamkeit, die durch die Schmutzkampagne entsteht, nutzen, um über die eigenen politischen Themen zu sprechen.


Drittens solle die Kandidatin verdeutlichen, dass sie kein Mitgefühl braucht, denn davon habe die Öffentlichkeit eh wenig übrig für Politiker: „Sagen ihren Wählern: Ich bin nicht das Hauptopfer. Das eigentliche Opfer ist die Demokratie als Ganzes, weil unser Diskurs verroht.“

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Atlantikwelle

6.

Bald auch bei uns

Elon Musks Vorliebe für Rechtsaußen-Politiker sei nicht nur ideologischer, sondern auch geschäftlicher Natur, schreibt die New York Times. Er behandle die Modis und Melonis dieser Welt auf seiner Plattform X mit zwei zugedrückten Augen und erhoffe sich im Gegenzug Marktzugang für seine Produkte Tesla, Starlink oder Space X.


Russlandtreue Internet-Krieger nutzen im US-Wahlkampf einige der alten Erzählungen und Taktiken von 2016 und 2020 – mit Verfeinerungen, berichtet ebenfalls die New York Times.


Die Washington Post schreibt, dass auch China seine Propagandakanone auf die USA gerichtet habe, sich aber noch nicht recht entscheiden könne, ob es sich auf Trump oder Biden einschießt.


Eine hart rechte indische Webseite verbreitet Desinformation, teils ungehindert, teils sogar unterstützt von den großen Plattformen, berichtet Wired.


Die Hälfte der Weltbevölkerung kann ihre Meinung laut einem neuen Bericht nicht frei äußern. Der Guardian über die Verschlechterung der Lage unter anderem in Indien.


Danke: Dieses Dossier wurde produziert und unterstützt von Tim Frehler, Matthias Punz und Gabriel Rinaldi; redigiert von Florian Eder.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier