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Wie Volt aus Daten Wählerstimmen machte

Freitag, 14. Juni 2024
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Von Felix Kartte

mit Tim Frehler, Christina Brause und Benjamin Läpple

Schnelldurchlauf:

Die Woche im Infokrieg +++ Nach der EU-Wahl ist vor Thüringen +++ Trump und Musk: Ein toxisches Tandem +++ Wie Volt aus Daten Wählerstimmen machte +++ Wagenknechts muslimische Wähler



Guten Tag. Aus Asien fand das Schattenspiel einst seinen Weg nach Europa, etablierte sich bald als Kunstform – als Theater für die kleinen Leute, lange bevor es Kinos gab. Mit einfachen Schablonen, oder den bloßen Händen, wurden monströse Figuren an die Wand geworfen, vergrößert und verzerrt, dazu Gruselgeschichten erzählt.


So ungefähr funktioniert Desinformation. Politiker sind nie einfach Politiker: Desinformation vergrößert und verzerrt sie zu gierigen, korrupten Eliten. Medien werden zu Organen der Zensur, hinter jedem Fehltritt stecken Absicht und System. Allein der Kreml pumpt jedes Jahr hunderte Millionen Euro in diese Erzählungen, verbreitet sie über sein globales Propaganda-Netzwerk.


Erzählungen, die auch die Kampagnen von AfD und BSW prägten. Die Wahlerfolge von Rechtsaußen und Linksaußen – sind sie auch ein Meisterstück der russischen Propaganda? Welche Rolle spielte Desinformation bei der Europawahl, das schauen wir uns heute an.

Angriff

1.

Die Woche im Infokrieg

Künstlich ohne Kennzeichnung: Laut DFRLab benutzten Parteien der europäischen Rechtsaußen-Parteienfamilie Identität und Demokratie mindestens seit Herbst 2023 KI-generierte Bilder zur Stimmungsmache. Nahezu alle Beiträge verstießen jedoch gegen einen freiwilligen Verhaltenskodex, den auch Identität und Demokratie unterschrieben hatte.


Digitale Mündigkeit: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron plädierte am Mittwoch dafür, Mobiltelefone für Kinder unter elf Jahren zu verbieten und den Zugang zu sozialen Netzwerken erst ab 15 zu erlauben – als Mindestalter, so Macron, für die „digitale Mündigkeit“.


Keine Maßnahmen: In einer Untersuchung der Fundación maldita.es schneiden die Plattformen nicht gut ab. Facebook, Instagram, Tiktok, X/Twitter und Youtube hätten bekannte Falschinformationen rund um die EU-Wahlen oft nicht gekennzeichnet: Insgesamt wurden bei 45 Prozent der Inhalte keine sichtbaren Maßnahmen getroffen, befindet die NGO.


Falsche Flaggen: Erneut hat Democracy Reporting International zahlreiche Konten mit vagen Selbstbeschreibungen aufgedeckt, die Partei- oder Kandidatennamen, Logos, Symbole oder Fotos verwenden. Zugehörigkeit unklar – zuletzt hat Tiktok daraufhin Konten gesperrt.


Tendenz steigend: Veraltete Sicherheitssysteme, wertvolle Daten und die finanziellen Mittel, Lösegeld zu zahlen – das sind einige Gründe, die laut Nature dafür sorgen, dass Hacker es mit Ransomware häufig auf Universitäten und Forschungseinrichtungen absehen.

2.

Nach der EU-Wahl ist vor Thüringen

Russische Desinformation spielte bei der Europawahl gar keine so große Rolle – und dennoch lief für den Kreml alles nach Plan.


Kreml, KI, Krah: Der eine große digitale Anschlag auf die EU-Wahl blieb offenbar aus – es gab etwa kein Fake-Video, in dem Ursula von der Leyen sich zum Islam bekennen würde. Die virale Lüge vom Wahlbetrug, mit der etwa Donald Trump nach seiner Niederlage im Januar 2021 einen Gewaltmarsch auf das US-Kapitol entfachte, hatte hier auch kein Echo. „Kurz vor der Wahl haben wir keine nennenswerten Vorkommnisse im Zusammenhang mit Desinformation festgestellt“, schreibt Tommasso Canetta, der Koordinator des Experten-Netzwerks European Digital Media Observatory.


Geplant aber hatte der Kreml: Vergangene Woche zitierte die Zeit aus Redaktionsplänen des russischen Staatssenders RT DE aus dem Jahr 2021, in denen Journalisten unter anderem dazu angewiesen wurden, die Grünen in ein schlechtes Licht zu rücken. Vor über einem Jahr waren der Washington Post interne Kreml-Dokumente zugespielt worden, aus denen hervorging, dass Russland durch Social-Media-Kampagnen und direkte Kontakte versuchte, eine kremlfreundliche Front aus AfD und Sahra Wagenknecht zu züchten.


Und heute: Die Grünen sind nach der Wahl schwer beschädigt. Als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij diese Woche im Bundestag um westliche Unterstützung bat, blieben sowohl AfD- als auch BSW-Politiker seiner Rede fern. Die Bilder, die dabei entstanden, dürften keine Wünsche offen lassen bei Putins Propagandisten. Vielleicht sah der Kreml also schlicht keinen Bedarf, aggressiv einzugreifen in den Endspurt des Europawahlkampfes.


Unter dem Radar: Zurückhaltung könne man Moskau trotzdem nicht vorwerfen, sagte Julia Smirnova, die beim Thinktank Institute for Strategic Dialogue Russlands Desinformation analysiert. Kreml-nahe Quellen hätten in sozialen Netzwerken, etwa über bezahlte Werbeanzeigen, Wahlaufrufe für das BSW und die AfD verbreitet, sagte Smirnova. Mit Voice of Europe hatten europäische Geheimdienste im April zudem ein Propaganda-Netzwerk ausgehoben, das einen Europaabgeordneten der AfD offenbar sogar dafür bezahlt hatte, die Kreml-Narrative zu verbreiten.


Problematisch: Die Öffentlichkeit gewöhne sich zunehmend an Russlands Einfluss. „Früher ging der Kreml sehr verdeckt und subtil vor, etwa als er versuchte, die US-Wahl von 2016 durch Hacker-Angriffe auf die Demokratische Partei, manipulierte Tweets und Facebook-Anzeigen zu beeinflussen“, sagte Smirnova. Die Strategie habe sich geändert: Nach den Taurus-Leaks etwa, als die Bundeswehr im März durch ein mitgeschnittenes Webex-Gespräch international blamiert wurde, habe der Kreml gar nicht erst versucht zu verheimlichen, dass er es war, der das vertrauliche Gespräch abgehört und ins Netz gestellt hatte, sagte Smirnova. „Russland will zeigen, dass es unsere Meinungen, unsere Wahlen beeinflussen kann.“


Auch die kommenden Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern dürfte Russland einmal mehr ins Visier nehmen. In der Vergangenheit hätten sich etwa russische Staatsmedien schon auf Wahlen in den Ländern eingeschossen, sagte sie, etwa auf die bayerische Landtagswahl von 2018.

3.

Trump und Musk: Ein toxisches Tandem

Dass wir uns an extreme Positionen gewöhnen: Dazu leistet auch Elon Musk einen Beitrag. „Die politischen Positionen der AfD, von denen ich gelesen habe, klingen nicht extremistisch“, schrieb er am Tag der Europawahl auf seiner eigenen Plattform X. Schon zuvor hatte er AfD-Positionen zu Extra-Reichweite verholfen. Einmal etwa, als er Inhalte teilte, die scharfe Kritik an der deutschen Seenotrettung im Mittelmeer übten. Ein andermal kommentierte er einen Beitrag des rechtsextremen AfD-Politikers Björn Höcke. Kritik hatte Musk sich auch eingefangen, als er nach Übernahme von X (vormals Twitter), die Sperrungen zahlreicher extremistischer Accounts aufhob – auch die Reichweite russischer Propaganda-Accounts vervielfachte sich unter seiner Führung.


Fast forward: Die EU-Kommission führt seit einiger Zeit gesetzliche Aufsicht über Tech-Konzerne, hat schon im Dezember ein Verfahren gegen X wegen der Verbreitung von Desinformation und strafbarer Inhalte eingeleitet. Das EU-Gesetz, der Digital Services Act, könnte bald noch im Zentrum geopolitischer Spannungen stehen, zumindest wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl im Herbst gewinnen sollte.


Berater Musk? Denn Trump selbst, dessen eigene Social-Media-Accounts in der Vergangenheit schon gesperrt wurden, wird kein Freund der neuen europäischen Plattformregulierung sein. Bekannt wurde zuletzt außerdem, dass Musk im Weißen Haus eine offizielle Rolle als Trump-Berater übernehmen könnte. So zitierte das Wall Street Journal das Umfeld der beiden Männer.


Reine Spekulation: Unklar ist, ob ein Gespann Trump-Musk Erfolg damit hätte, Druck auszuüben auf die EU, um die eigenen Regeln für den US-Konzern X aufzuweichen. Die Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, Tabea Rößner von den Grünen, jedenfalls findet, dass die EU-Kommission möglichem politischem Druck standhalten müsse. „Die Maßnahmen gegen X müssen konsequent weitergeführt und bei weiteren Verstößen ausgeweitet werden – unabhängig vom Ausgang der US-Wahl. An der Durchsetzung des Rechts auf Plattformen wie X bemisst sich heute letztlich auch die Stärke von Demokratie und Rechtsstaat“, sagte sie SZ Dossier.


Auch sonst sieht die Digitalpolitikerin eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Trump und Musk kritisch: „Die Konzentration von Macht und Einfluss und die Möglichkeit zur algorithmischen Manipulation bedeutet immer eine Gefahr für den demokratischen Diskurs und den freiheitlichen Meinungsbildungsprozess“, sagte Rößner. Zu befürchten wäre außerdem, dass die Plattform X in diesem Fall mehr als schon jetzt zu Propagandazwecken missbraucht würde. „All dies würde den Regelungen des DSA widersprechen. X ist danach verpflichtet, systemische Risiken, die mit gezielter Manipulation, Hasskriminalität und unzureichender Inhaltemoderation zusammenhängen, zu mindern und Sicherungsmechanismen wieder aufzubauen“, sagte uns Rößner.


Das wird X: Dass Propaganda und Desinformation auf X auch in Deutschland ein massives Ausmaß angenommen haben, belegt unsere Datenanalyse. Benjamin Läpple hat sich eine Werbekampagne angesehen, die das Portal Epoch Times – das für propagandistische und rechtspopulistische Inhalte bekannt ist – seit einiger Zeit auf der Plattform fährt. Seit Jahresbeginn hat Epoch Times mehr als 358 Anzeigen auf X veröffentlicht und damit mehr als 61 Millionen Views und knapp 100.000 Likes erzielt.


Verschwörungserzählungen: Einzelne Anzeigen, die auch im Vorfeld der Europawahl ausgespielt wurden, leugnen den menschengemachten Klimawandel, andere verbreiten Verschwörungserzählungen wie den „Great Reset“, der angeblich vom WEF geplant werde.

Verteidigung

4.

Wie Volt aus Daten Wählerstimmen machte

Nein, Social Media allein entscheidet keine Wahlen. Inhalte müssen aber nun einmal bis zum Wähler durchdringen, am besten auch zu Neu- und Jungwählern. Neben der AfD gelang das im Europawahlkampf vor allem Volt.


Fast schon oldschool: Beim digitalen Teil des Wahlkampfes hat sich die Partei auf Youtube und Instagram konzentriert. Unsere Datenanalyse zeigt, dass sie damit erfolgreich war. So hat Volt mit fast mehr als 520.000 Aufrufen den zweiterfolgreichsten Wahlwerbespot auf Youtube produziert, nach der AfD. Das brachte der Jungpartei mehr als doppelt so viele Aufrufe wie SPD, FDP, CSU und Grüne ein. Auch Jasmin Riedl kann den Erfolg mit Zahlen belegen. Die Professorin leitet das SPARTA-Projekt der Universität der Bundeswehr München, in dem sie zusammen mit Kollegen zur Rolle der sozialen Medien in Wahlkämpfen forscht. Auf Instagram konnte Volt seine Follower-Anzahl seit Februar um 65 Prozent auf nun knapp 50.000 steigern, so Riedl.


Erfolg hat seinen Preis, das zeigen unsere Analysen: In den letzten 90 Tagen hat Volt knapp 310.000 Euro auf den Meta-Plattformen in 366 Anzeigen investiert. Allein in den sieben Tagen vor der Wahl steckte Volt mehr als 130.000 Euro in Meta-Ads. Auch auf Youtube und der Suchmaschine Google gab Volt in den letzten vier Wochen vor der Wahl mehr als 233.000 Euro aus. Unsere Datenanalyse des Google Ad Transparency Center zeigt, dass Volt damit sogar mehr in Bild-, Text- und Video-Werbung auf Google Plattformen investiert hat als alle anderen Parteien.


Big Spender: Volt konnte sich in der jüngeren Vergangenheit über einige Großspender freuen. Laut der eigenen Website, auf der die Partei nach eigenen Angaben alle Spenden ab 3000 Euro publik macht, erhielt sie 2024 mehrere Einzelspenden mit Beträgen über 10.000 Euro. Der höchste Betrag für eine Einzelspende lag bei 125.000 Euro. Im vergangenen Jahr waren es einmal sogar 250.000 Euro.


Mit Google und Youtube zum Erfolg? Wie Volt Reichweite erzielte

In God we trust. All others must bring data: Auf Nachfrage von SZ Dossier gab Volt an, das Wahlkampfbudget komplett ausgegeben zu haben – zum Großteil für den Wahlkampf auf Social Media, für Personal und für Materialien wie Flyer und Plakate. Laut eigener Aussage spielten die zwei angestellten Data Scientists im Wahlkampf eine entscheidende Rolle, da Volt „in jeder Hinsicht datengetrieben“ arbeite. Diese seien von einem Team aus Freiwilligen europaweit unterstützt worden. Zehn bis 20 Personen seien involviert gewesen, von einmaliger Hilfe bis hin zur studentischen Hilfskraft.


Für eine ordentliche Datenstrategie braucht man, wer ahnt es, erst einmal Daten. Diese habe das Team umfassend gesammelt – aus verschiedenen Quellen wie Umfragen, Wählerregistrierungsdaten, sozialen Medien und historischen Wahldaten. Einmal gesammelt und bereinigt, habe man sie benutzt, um demografische Trends und Wählerverhalten zu verstehen. Darauf aufbauend habe man dann Schlüsselwählergruppen identifiziert, samt spezifischen Präferenzen und Anliegen: die Grundlage für die Kampagnenstrategie.


Das ist auch von außen durchaus erkennbar. So fällt Jasmin Riedl beim Blick auf die erfolgreichsten Posts der Partei über verschiedene Plattformen hinweg besonders auf, wie stringent die Kampagne auf sie wirke. Eigentlich, so Riedl, zeichne sich die aktuelle Ära politischer Wahlkämpfe unter anderem dadurch aus, dass Content plattformspezifisch platziert werde. Heißt: Je nach Plattform werden andere Themenschwerpunkte oder Formate ausgespielt.


Nicht so bei Volt. „Auf allen Plattformen geht es um Europa, Integration, Klima, Energie, Frieden nach innen und außen“, sagt Riedl. Außerdem werde überall stark deutlich gemacht, dass die Partei gegen Rechtsextremismus ist. „Darüber hinaus ist die Message immer: Volt ist Europa, Volt ist eine Partei junger Menschen für junge Menschen – und ein Gefühl von ‘Volt, das seid ihr’“, so Riedl weiter. Und noch etwas fällt ihr auf: Die Partei habe das Thema Mobilisierung konsequent damit verknüpft, dass es in Deutschland keine Sperrklausel gibt und man diesmal schon ab 16 Jahren wählen durfte. Quasi ein Wink mit dem digitalen Zaunpfahl für Neuwähler.

5.

Wagenknechts muslimische Wähler

Für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ziehen sechs Abgeordnete ins neue Europaparlament – getragen hauptsächlich von einer Person: Sahra Wagenknecht. Auf der Wahlparty im Berliner „Kosmos“, war sogar das WLAN-Passwort nach ihr benannt. Doch wer genau hat für die neu gegründete Partei gestimmt? Schauen wir uns die Analysedaten an.


Ungeahnte Anhängerschaft: Bekannt ist der Erfolg im Osten. Ein Bericht von Infratest Dimap, der SZ Dossier vorliegt, deutet aber auf eine weitere Stärke der Partei hin: Anhand von Nachwahlbefragungen haben die Fachleute ermittelt, dass unter befragten Muslimen 19 Prozent für das BSW stimmten. So hoch ist der Wert bei keiner anderen Partei. Zum Vergleich: Bei der SPD liegt er bei 17 Prozent, bei der Union bei zwölf. Sechs Prozent der muslimischen Befragten stimmten für die AfD, mehr als für die Grünen, die Linken und die FDP.


Sanfte Abtönung: Wie aussagekräftig die Zahlen sind, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Das hänge unter anderem damit zusammen, wie hoch der Anteil der Muslime an der Gesamtzahl der Befragten war, sagte der Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek von der Universität Potsdam, der sich in mehreren Arbeiten mit Wagenknechts Partei beschäftigt hat. Zudem ist einerseits nur ein Teil der Muslime wahlberechtigt: Laut Angaben der Deutschen Islamkonferenz leben in Deutschland rund 5,5 Millionen Muslime, knapp drei Millionen besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft, dürfen also wählen, sofern sie das entsprechende Wahlalter erreicht haben. Hinzu kommt zweitens: Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gehen Menschen muslimischen Glaubens seltener zur Wahl. Das zeigte etwa eine Allensbach-Studie für die FAZ im Jahr 2021.


Auffällig ist der hohe BSW-Wert dennoch. Wie lässt er sich erklären? Thomeczek verweist einerseits auf die vielen Politiker mit Migrationshintergrund in den vorderen Reihen des BSW. Wagenknechts Vater ist Iraner, Amira Mohamed Ali, Co-Chefin des BSW, war einst die erste Muslimin an der Spitze einer Bundestagsfraktion. Shervin Haghsheno, stellvertretender Parteivorsitzender, wurde in Teheran geboren und kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Und mit Amid Rabieh kommt ein weiterer stellvertretender Parteivorsitzender gebürtig aus dem Iran. „Das sieht man einfach nicht bei anderen Parteien“, sagte Thomeczek.


Kritisch aus Erfahrung: Der Politologe hält neben dem Personal des BSW auch die Einstellung unter einigen Muslimen für einen Erklärungsfaktor: Schließlich gebe es auch in dieser Gruppe „konservative Wertvorstellungen“, sagte Thomeczek. Wer etwa nach Deutschland eingereist sei, würde sich noch gut an diese Erfahrung erinnern, daran, wie schwer es gewesen sei, die Sprache zu lernen – und es nun als ungerecht empfinden, wenn „andere diesen harten Weg nicht gehen müssen“, sagte Thomeczek. Eine migrationskritische Einstellung, die zu Wagenknechts Programm passt. Und die vor allem in Kombination mit dem Aspekt Gerechtigkeit – ebenfalls ein wichtiger Pfeiler im Programm des BSW – gut bei muslimischen Menschen ankommen könnte, sagte Thomeczek.


Als Erklärung könnte aber noch ein weiterer Grund taugen: SZ Dossier berichtete Anfang Mai über einen Vortrag der Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan im Willy-Brandt-Haus. Es ging um das Wahlverhalten von Menschen mit Migrationsgeschichte. In diesem Zusammenhang berichtete Foroutan von einem Treffen mit muslimischen Akteurinnen und Akteuren. Grüne und SPD seien dort kein Thema gewesen, sagte Foroutan. Stattdessen habe einer, der sie eingeladen hatte gesagt, er wolle alle von der Strategie überzeugen, das BSW zu wählen – aufgrund der Haltung der Partei im Gaza-Krieg. Das BSW fordert etwa ein Waffenembargo gegen Israel, beantragte im April im Bundestag auch, Deutschland solle seine Rüstungsexporte an Israel stoppen.

Atlantikwelle

6.

Bald auch bei uns

Transatlantische Hilfe: Am Montag haben die USA und Polen die Ukraine Communications Group (UCG) gegründet. Die UCG mit Sitz in Warschau soll die Ukraine gegen „russische Aggression im Informationsraum“ unterstützen, so die etwas steife Formulierung der US-Regierung. Und weil mehr manchmal besser ist, wollen sich mehrere Länder – darunter auch Deutschland – sowie die NATO der Initiative anschließen, wie Kyiv Post berichtet.


Bitte spenden: Die USA zählen auch zu den wichtigsten Unterstützern Israels, generell und im Kampf gegen die Terrororganisation Hamas im Besonderen. Laut der New York Times wollte sich die israelische Regierung dieser Unterstützung aber offenbar speziell versichern – und organisierte und bezahlte im vergangenen Jahr eine Social-Media-Kampagne, bei der gefälschte Konten vermeintlicher US-Bürger ihre Gesetzgeber aufforderten, das israelische Militär weiterhin zu finanzieren.


Hase und Igel: Schon im vergangenen Jahr hat Meta Whatsapp Channels eingeführt, also öffentliche Kanäle, über die Nutzer Informationen von Organisationen, Vereinen, Unternehmen oder Menschen abonnieren können. Allerdings gibt es für die Kanäle keine ausdrücklichen Wahldesinformationsrichtlinien, wie Politico berichtet. Ein Versäumnis, das laut Gesetzgebern, Desinformationsexperten und ehemaligen Meta-Mitarbeitern angesichts der vielen Wahlen in diesem Jahr Risiken berge.


80 Jahre D-Day: Ein guter Anlass für Joe Biden, staatsmännisch aufzutreten und seine Präsidentenkarte im US-Wahlkampf zu spielen. Und scheinbar auch ein guter Anlass für die Republikaner, mit bearbeiteten Videos zu versuchen, ein besonders schädliches – und oft irreführendes – Bild von Bidens Auftritt zu zeichnen. Zu diesem Schluss kommt die Washington Post, die sich angeschaut hat, wie die Republikaner in 24 Stunden sogenannte Cheap Fakes zum Angriff auf Biden nutzten.


Danke! Redigiert von Florian Eder, produziert von Gabriel Rinaldi.

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Florian Eder

Leiter SZ Dossier